Vergabekammer Niedersachsen beim
Niedersächsischen Ministerium für
Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung
Auf der Hude 2
21339 Lüneburg
Az.: VgK-09/2023
Lüneburg, den 28.04.2023
B e s c h l u s s
In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
– Antragstellerin –
gegen
die xxxxx,
– Antragsgegnerin –
beigeladen:
1. xxxxxx,
– Beigeladene zu 1 –
2. xxxxxx,
– Beigeladene zu 2 –
wegen
Vergabeverfahren Reinigung Spielplätze, Grünflächen und Parks im Stadtgebiet xxxxxx 2023 – 2026, Vergabenummer xxxxxx, Lose 1 – 6,
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden RD Gaus, den hauptamtlichen Beisitzer Dipl.-Sozialwirt Tiede und den ehrenamtlichen Beisitzer Rechtsanwalt Dr. Roeder im schriftlichen Verfahren nach Aktenlage beschlossen:
1. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Die von der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen zu 1 über das Los 1 und der Beigeladenen zu 2 über die Lose 2 – 6 am 01.03.2023 durch Zuschlags-E-Mail geschlossenen Verträge über Reinigungsleistungen von Spielplätzen, Grünflächen und Parks sind von Anfang an unwirksam.
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ein Vergabeverfahren gemäß dem 4. Teil des GWB unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen.
3. Die Kosten werden auf xxxxxx € festgesetzt.
4. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Sie ist jedoch von der Entrichtung der Gebühren persönlich befreit.
5. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin erforderlich.
Begründung:
I.
Die Antragsgegnerin hat mit EU-Bekanntmachung vom xxxxxx.2022 die Reinigung der Spielplätze, Grünflächen und Parkanlagen im Stadtgebiet xxxxxx vom 01.04.2023 bis 31.03.2026 in 7 Losen im Offenen Verfahren ausgeschrieben. Streitbefangen sind die Lose 1 – 6.
Die Antragstellerin hat am 15.12.2022 zu allen Losen jeweils ein Angebot elektronisch abgegeben.
Nach Ziffer II.2.5) der Bekanntmachung ist einziges Zuschlagskriterium der Preis. Nach Ziffer II.2.11) sind Optionen nicht vorgesehen.
Die Bindefrist für die Angebote endet gemäß Ziffer IV.2.6) am 31.03.2023.
Per Schreiben/E-Mail vom 01.03.2023 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass sie den Zuschlag für das Los 7 erhält.
Mit Schreiben vom 21.03.2023 rügte die Antragstellerin über das Vergabeportal für die Lose 1 – 7 die fehlende Vorinformation gemäß § 134 GWB. Es sei eine schwebende Unwirksamkeit für alle Lose zu befürchten. Mit Schreiben vom 24.03.2023 wird die Rüge erneut vorgetragen.
Daraufhin teilte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29.03.2023 mit, dass sie der Rüge nicht abhelfen könne. Informationsberechtigt nach § 134 GWB seien Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen. Das Angebot der Antragstellerin sei in vollem Umfang bei der Auswertung aller zu berücksichtigenden Angebote berücksichtigt worden. Für das Los 7 sei ihr der Zuschlag erteilt worden. Der Zuschlag für die übrigen Lose sei auf das jeweils wirtschaftlichste Angebot erteilt worden. Eine Überprüfung der Entscheidung könne zu keinem anderen Ergebnis führen.
Daraufhin reichte die Antragstellerin am 30.03.2023, vor Ablauf der Bindefrist am 31.03.2023, einen Nachprüfungsantrag ein. Eine Vorabinformation gemäß § 134 Abs. 1 GWB habe sie für keines der angebotenen Lose erhalten. Ein Fall des zulässigen Verzichts auf eine Vorabinformation gemäß § 134 Abs. 3 GWB läge nicht vor, somit sei dieser Verzicht rechtswidrig. Dies führe zur Unwirksamkeit der geschlossenen Verträge in den Losen 1 – 6 von Anfang an.
Die Verletzung der Antragstellerin in ihren subjektiven Bieterrechten ergebe sich hier aus dem faktischen Entfall der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Vergabeentscheidung der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin hätte keine Möglichkeit, die Entscheidung zu überprüfen und die Zuschläge in den Losen 1 – 6 an Wettbewerber ggf. zu verhindern.
Zudem müsse die Antragstellerin davon ausgehen, dass auch in dem ihr zugeschlagenen Los 7 keine Vorabinformationen versendet worden sei. Daher könne auch ihr Vertrag mit der Antragsgegnerin letztlich nur schwebend wirksam sein.
Die Antragsgegnerin sei in der Folge der Feststellung der Unwirksamkeit der erteilten Zuschläge zu verpflichten, bei fortbestehender Vergabeabsicht ordnungsgemäße Vorabinformationen für die Lose 1 – 6 zu erteilen und erst nach Einhaltung der gesetzlichen Wartefrist die Zuschläge zu erteilen.
Die Antragstellerin beantragt,
1. festzustellen, dass die in den Losen 1 – 6 des Vergabeverfahrens von der Antragsgegnerin mit den jeweiligen Zuschlagsempfängern geschlossenen Verträge gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB von Anfang an unwirksam sind;
2. der Antragsgegnerin im Falle fortbestehender Vergabeabsicht aufzugeben, das Verfahren in den Losen 1 – 6 zurückzuversetzen und Zuschläge erst nach ordnungsgemäßer Vorabinformation gemäß § 134 Abs. 1 GWB und Ablauf einer Wartefrist nach Maßgabe von § 134 Abs. 2 GWB zu erteilen,
3. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen und festzustellen, dass für die Antragstellerin die Hinzuziehung der Bevollmächtigten notwendig war.
Mit E-Mail vom 12.04.2023 erwidert die Antragsgegnerin, dass das Angebot der Antragstellerin in vollem Umfang berücksichtigt und bewertet worden sei. Dies sei auch dadurch erkennbar, dass die Antragstellerin für das Los 7 den Zuschlag erhalten habe.
Der Zuschlag für die Lose 1 – 6 sei, auch unter Berücksichtigung des Angebots der Antragstellerin, den Bietern erteilt worden, die für diese Lose das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hätten.
Dass die Antragstellerin nur für ein Los den Zuschlag erhalten habe, bedeute nicht, dass deren Angebot nicht berücksichtigt worden sei. Die Antragstellerin habe daher keinen Anspruch auf Vorabinformation gemäß § 134 Absatz 1 GWB.
Mit Schriftsatz vom 14.04.2023 trägt die Antragsgegnerin durch den Fachbereich Recht ergänzend vor, dass die Antragsgegnerin es versäumt habe, die unterlegenen Bieter entsprechend § 134 Abs. 1 GWB vor Zuschlagerteilung zu informieren sowie die Wartefrist nach § 134 Abs. 2 GWB einzuhalten. Die vorgenommene Wertung der Angebote sei jedoch einwandfrei gewesen und daher würde sich am Ergebnis der Ausschreibung nichts ändern. Daher werde angeregt, das Verfahren für erledigt zu erklären. Die Antragsgegnerin werde die Kosten übernehmen.
Ferner teilt die Antragsgegnerin durch den Fachbereich Recht mit Schreiben vom 19.04.2023 mit, dass sie die Vorabinformationen nach § 134 Abs. 1 GWB am 18.04.2023 an die nicht berücksichtigten Bieter per E-Mail versandt habe. Mit gleichem Schreiben seien die für den Zuschlag vorgesehenen Bieter um Bindefristverlängerung bis zum 31.05.2023 gebeten worden.
Daraufhin trägt die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 20.04.2023 vor, dass die Rechtmäßigkeit der Information zum aktuellen Zeitpunkt in Frage stehe. Das Vergabeverfahren sei durch Erteilung der Zuschläge bereits abgeschlossen. Die mit Zuschlag geschlossenen Verträge seien bis zur Feststellung der Unwirksamkeit durch die Vergabekammer grundsätzlich wirksam. Es sei nicht ersichtlich, auf welcher Rechtsgrundlage die Antragsgegnerin jetzt wirksame Vorabinformationen erteilen und eine erneute Zuschlagserteilung für den 02.05.2023 ankündigen könne. Über eine eventuelle Rückversetzung des Vergabeverfahrens in den Status vor Zuschlagserteilung habe die Antragstellerin keine Information erhalten.
Die Verfahrensbeteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach Lage der Akten gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB zugestimmt.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.
II.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei der Antragsgegnerin, der xxxxxx, handelt es sich um eine öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 99 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweiligen Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, die nach den EU-Richtlinien festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um die Reinigung der Spielplätze, Grünflächen und Parkanlagen im Stadtgebiet xxxxxx und damit um einen Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 103 Abs. 4 GWB, für den gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in der seit 01.01.2022 geltenden Fassung zum Zeitpunkt der Bekanntmachung am xxxxxx.2022 ein Schwellenwert von 215.000 € gilt. Dieser Schwellenwert wird ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte überschritten. Im Vergabevermerk ist festgehalten, dass die Antragsgegnerin den Gesamtwert des Auftrages für alle Lose für den Vertragszeitraum von drei Jahren auf xxxxxx € netto geschätzt hat.
Die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Sie stellt dar, die Antragsgegnerin habe nicht die für alle Lose erforderlichen Vorabinformationen an die unterlegenen Bieter versandt. Die Antragstellerin habe sich mit Angeboten für die Lose 1 – 6 am Vergabeverfahren beteiligt, aber für keines der angebotenen Lose eine Vorabinformation erhalten. Daher habe sie keine Möglichkeit gehabt, die Zuschlagsentscheidung der Antragsgegnerin zu überprüfen und den Zuschlag zu verhindern.
Das antragstellende Unternehmen muss für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegen, also diejenigen Umstände aufzeigen, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160, Rn. 23). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzungen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom
29.07.2004 – 2 BvR 2248/04; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB § 160, Rn. 43;
vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160, Rn. 34). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 – X ZB 14/06, zitiert nach VERIS).
Die Antragstellerin hat eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Chancen auf den Zuschlag durch die vorgenannten Vorwürfe und damit einen möglichen Schaden schlüssig dargelegt.
Das Vorbringen der Antragstellerin ist nicht nach § 135 Abs. 2 GWB präkludiert. Hiernach hat die Antragstellung auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrages innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Information des betroffenen Bieters durch den Auftraggeber über den Abschluss des Vertrages, spätestens jedoch sechs Monate nach Vertragsschluss zu erfolgen. Es genügt, wenn eine der Alternativen gegeben ist (vgl. Braun in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 135 GWB, Rn. 70). Die Antragstellerin ist nach § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB nicht zur vorherigen Rüge verpflichtet.
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 01.03.2023 der Antragstellerin mitgeteilt, dass diese den Zuschlag für das Los 7 erhalten habe und der bezuschlagte Auftrag am 01.04.2023 beginne. Damit die Wartefrist des § 134 Abs. 2 Satz 1 GWB zum 31.03.2023 gewahrt werden kann, hätten die Vorabinformationen zu den Losen 1 – 6 spätestens am 20.03.2023 an die nicht berücksichtigten Bieter versandt werden müssen. Bei der Antragstellerin gingen an diesem Tag keine entsprechenden Schreiben ein. Anschließend teilte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29.03.2023 mit, dass informationsberechtigt nur Bieter seien, deren Angebote im Verfahren nicht berücksichtigt worden sind. Die Angebote der Antragstellerin seien jedoch im vollen Umfang berücksichtigt worden. Ob sich hieraus tatsächlich ein Verstoß gegen § 134 Abs. 2 Satz 1 GWB ergibt, ist Teil der Begründetheit. Eine Information der Antragstellerin zu den hier streitgegenständlichen Losen war jedenfalls unterblieben.
Die Antragstellerin reichte ihren Nachprüfungsantrag am 30.03.2023 ein. Die bezüglich der Lose 1 – 6 geschlossenen Verträge liegen der Vergabekammer trotz § 163 Abs. 2 Satz 4 GWB nicht vor. Laut Bekanntmachung vom xxxxxx.2022 endet die Angebotsabgabefrist am xxxxxx.2022, so dass rechnerisch die Sechs-Monats-Frist nicht verstrichen sein kann. Diese Annahme wird auch durch das Schreiben der Antragsgegnerin vom 01.03.2023 gestützt, wonach der bezuschlagte Auftrag am 01.04.2023 beginnen soll. Der Nachprüfungsantrag wurde mithin innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist des § 135 Abs. 2 GWB von sechs Monaten nach Vertragsschluss eingereicht.
Der Nachprüfungsantrag ist somit zulässig.
2. Die Vergabekammer hat gemäß § 135 GWB festzustellen, dass die von der Antragsgegnerin mit den Beigeladenen zu 1 und zu 2 geschlossenen Verträge in den Losen 1 – 6 von Anfang an unwirksam sind.
Nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB ist ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber gegen § 134 GWB verstoßen hat. § 134 Abs. 1 GWB verpflichtet öffentliche Auftraggeber dazu, die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll, über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebots und über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses unverzüglich in Textform zu informieren. Nach § 134 Abs. 2 GWB darf ein Vertrag erst fünfzehn Tage nach Absendung der Informationen nach Abs. 1 geschlossen werden. Die Frist verkürzt sich bei elektronischer Versendung auf zehn Kalendertage und beginnt an dem Tag nach der Absendung der Information durch den Auftraggeber.
Hier hat die Antragsgegnerin in allen sieben Losen am 01.03.2023 nur eine Bieterinformation an die Zuschlagsprädestinenten der jeweiligen Lose versandt, nicht an die Unterlegenen. Das genügt formal nicht, weil bei der Vergabe von sieben Losen sieben Zuschlagsentscheidungen getroffen werden, also die Unterlegenen über bis zu sieben Entscheidungen zu informieren sind, ggf. zusammengefasst in einem Schreiben.
Die Information vom 01.03.2023 genügt auch nicht inhaltlich, weil die notwendige Information fehlen, wer in dem jeweiligen Los, auf das der Empfänger der Information geboten hat, den Zuschlag erhalten soll und warum das geschieht.
Der Vertrag wurde bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung im Nachprüfungsverfahren vollzogen, weil nach dem Inhalt der Vorinformationen Vertragsbeginn am 01.04.2023 war. Gegenteiliges wie etwa eine Kündigung der Verträge im gegenseitigen Einvernehmen über die weiteren sechs Lose wurde nicht vorgetragen, auch nicht als die Antragsgegnerin nach Weiterleitung des Sachverhaltes an das Justiziariat die nicht erfolgte Vorabinformation nachholte. Die nachgeholte Vorabinformation in einem bereits geschlossenen und laufenden Vertrag ist daher nicht geeignet, das Nachprüfungsverfahren zu erledigen. Einen Zuschlag darf die Vergabekammer nicht aufheben (vgl. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB) und nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 135 GWB für unwirksam erklären.
3. Gemäß § 168 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei nicht an die Anträge gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken.
Hier liegt ein Grund vor, mit der Feststellung der Unwirksamkeit der geschlossenen Verträge auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens einzuwirken. Ein Entscheidungsermessen steht der Vergabekammer nicht zu, weil der Gesetzgeber an den Verstoß gegen § 134 GWB nur eine mögliche Rechtsfolge geknüpft hat (vgl. Gnittke/Hattig in: Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, 2. Auflage 2022, § 135 Rn. 24) Die unvollständige Bieterinformation vereitelt den wirksamen Rechtsschutz vor Zuschlag. Nach Abschluss des Vergabeverfahrens ist eine Zurückversetzung in ein bestimmtes Stadium des Vergabeverfahrens nicht mehr möglich.
Der Sachverhalt gibt Anlass zu einer Anmerkung hinsichtlich des bisherigen Vergabeverfahrens. Die Vergabekammer hat die Vergabeakte wegen des beschränkten Inhaltes des Nachprüfungsantrages nicht vollständig geprüft. Sie sieht sich dazu trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 163 Abs. 1 GWB nicht verpflichtet, weil sich die Vergabekammer auf den Vortrag der Verfahrensbeteiligten beschränken kann. Allerdings lässt die Zusammenstellung der Angebotspreise erkennen, dass die preislichen Abweichungen u.a. in den streitgegenständlichen Losen 1, 3, 4, 5 zwischen dem niedrigsten Bieter und den zweitniedrigsten Angebot jeweils deutlich über einer durch die Rechtsprechung angenommenen Aufgreif- und Prüfschwelle von 20 % liegen, dass die konkrete Gefahr besteht, ein Preis könne gemäß § 60 VgV unangemessen niedrig sein (vgl. BGH, Beschluss vom 31.01.2017 – X ZB 10/1, Rn. 15). Eine Dokumentation dieser Prüfung findet sich nicht in den übersandten Vergabeunterlagen, auch nicht in der vereinfachten Form eines vergleichenden Preisspiegels mit allen abgefragten Preisen nebst Erläuterung, warum ggf. bestimmte Preise die Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigen würden. Dies muss die Antragsgegnerin bei einer Neuvergabe berücksichtigen.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB. Die in Ziffer 2 des Tenors festgesetzte Gebühr ergibt sich aus einer Interpolation des Auftragswertes innerhalb des Gebührenrahmens nach § 182 Abs. 2 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 €, die Höchstgebühr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.
In Ziffer 3 erfolgt die Gebührenermittlung anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 – 1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.
Der zugrunde zu legende Auftragswert berechnet sich aufgrund der Summe der Angebote der Antragstellerin für die Lose 1 – 6 für drei Jahre. Hinzu kommt die Verlängerungsoption nach Ziffer II.2.7 der Bekanntmachung bzw. Ziffer 2 des Vertrags über ein Jahr. Die Ungewissheit darüber, ob der Auftraggeber die Verlängerungsoption ausübt, ist mit einem angemessenen Abschlag vom vollen Auftragswert zu berücksichtigen, der rechnerisch während der optionalen Vertragslaufzeit erzielt werden könnte; im Regelfall ist es angezeigt, diesen Abschlag auf 50 % zu veranschlagen (vgl. BGH, Beschluss vom 18.03.2014, X ZB 12/13). Somit beträgt das Interesse der Antragstellerin am Auftrag dem 3,5-fachen Jahreswert ihrer Angebote in den Losen 1 – 6, mithin xxxxxx € brutto.
Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx € brutto ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten sind nicht angefallen. Allerdings konnte die Vergabekammer im schriftlichen Verfahren entscheiden, sparte also den Aufwand der mündlichen Verhandlung. Die Gebühr ist daher auf ¾ zu ermäßigen, mithin auf xxxxxx €
Die in Ziffer 4 des Tenors verfügte Kostenlast folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Der Begriff der Kosten umfasst die Gebühren und die Auslagen der Vergabekammer. Für die Ermittlung des Unterliegens ist nicht auf einen etwaigen Antrag abzustellen. Gemäß § 168 Abs. 1 Satz 2 GWB ist die Vergabekammer an Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Da die Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat sie die Kosten zu tragen.
Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung ihres Kostenanteils gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 BVerwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2005, Az.: WVerg 0014/04). Zwar wurde das BVerwKostG mit Wirkung vom 15.08.2013 aufgehoben, jedoch ist es aufgrund der starren Verweisung aus § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB auf das BVerwKostG in der Fassung vom 14.08.2013 hier weiter anzuwenden. Inhaltlich entspricht die dortige Regelung § 8 BGebG.
Gemäß Ziffer 5 des Tenors hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten. Hier gilt zunächst das oben zu Ziffer 4. Ausgeführte.
Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war antragsgemäß auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Obwohl das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, ist wegen der Komplexität des Vergaberechts, des Verfahrensrechts im Nachprüfungsverfahren sowie der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltliche Beratung und Begleitung für die Antragstellerin erforderlich.
Etwaige Aufwendungen der Beigeladenen zu 1 und 2 sind nicht erstattungsfähig. Nach § 182
Abs. 4 Satz 2 GWB sind Aufwendungen des Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die
Vergabekammer sie aus Billigkeitsgründen der unterlegenen Partei auferlegt. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit voraus, dass der Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010 – Verg W 10/09, zitiert nach juris Tz. 46; OLG Celle Beschluss vom 29.06.2010, 13 Verg 4/10 zit. nach ibr-online). Hier haben weder die Beigeladene zu 1, noch die Beigeladene zu 2 Sachanträge gestellt oder schriftsätzlich vorgetragen. Es gibt daher keinen Grund, die Beigeladenen zu 1 und 2 in die Kostenentscheidung mit einzubeziehen.
IV. Rechtsbehelf
Gemäß § 171 GWB kann gegen diese Entscheidung der Vergabekammer sofortige Beschwerde eingelegt werden. Diese ist beim Oberlandesgericht Celle, Schloßplatz 2, 29221 Celle, schriftlich einzulegen. Die Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1 GWB binnen einer Notfrist von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung einzulegen.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
Die Beschwerde ist bei Gericht als elektronisches Dokument einzureichen. Dieses muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Dies gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind. Ist die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 2 GWB mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss enthalten:
1. die Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten wird und eine abweichende Entscheidung beantragt wird,
2. die Angabe der Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Beschwerde stützt.
Mit der Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der Beschwerdeschrift zu unterrichten.
Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer.
Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, so kann das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern.
Gaus Tiede Dr. Roeder