2. Vergabekammer des Bundes, Az.: VK 2 – 18 / 23, Beschluss vom 04.04.2023 – Preisprüfung nach § 60 Abs. 1 VgV, Voraussetzungen eines ungewöhnlich niedrigen Angebots, ungewöhnlich niedriges Angebot auch als Tatbestandsvorraussetzung für beihilferechtliche Prüfung nach § 60 Abs. 4 VgV

Apr 4, 2023 | Rechtsprechung

Vergabekammer Bund

Aktenzeichen: VK 2 – 18 / 23

Entscheidungsdatum: 04.04.2023

 

Entscheidungstext:

 

In dem Nachprüfungsverfahren der

pp.

wegen der Vergabe einer Rahmenvereinbarung über „ Bustransportdienstleistungen […] auf die mündliche Verhandlung vom 30. März 2023 am 4. April 2023 beschlossen:

1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Kosten und Auslagen) sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin.

Gründe:

I.

1. Die Antragsgegnerin (Ag) veröffentlichte am […] eine unionsweite Auftragsbekanntmachung für ein Vergabeverfahren zum Abschluss einer auf drei regionale Lose aufgeteilten Rahmenvereinbarung zur Vergabe von Aufträgen über Bustransportdienstleistungen […] im offenen Verfahren. Die Ag agiert als zentrale Beschaffungsstelle für […] als Bedarfsträger. Die Vertragslaufzeit geht pro Los vom 1. April 2023 bis 31. März 2024 ohne die Möglichkeit der Verlängerung. Zuschlagskriterium ist allein der Preis. Das streitgegenständliche Beschaffungsvorhaben schließt unmittelbar an ein vorausgegangenes entsprechendes Vorhaben aus dem Unterschwellenbereich aus dem Jahr 2022 an, das Ende März 2023 regulär ausläuft, dessen Auftragnehmerin die Antragstellerin (ASt) ist (im Folgenden: Altauftrag).

Im Vergabevermerk wird eine Auftragswertschätzung genannt, die dem Preisniveau der erstplatzierten Angebote entspricht. Daneben wird in einem internen E-Mail-Verkehr zwischen […] Bedarfsträger und der Ag als zentraler Beschaffungsstelle vom 1. bzw. 5. Dezember 2022 ein weiterer, höherer Schätzwert genannt.

ASt und Beigeladene (Bg) gaben je Angebote auf alle Lose ab. Das Angebot der Bg enthielt nach der in der Vergabeakte zur Prüfung der Angebotspreise auf Bl. 499 dokumentierten „Tabelle zur Angebotsauswertung“ für jedes Los den günstigsten Preis. An zweiter Stelle war für jedes Los ein drittes Unternehmen platziert, dessen Preis sich jeweils nur geringfügig von dem jeweiligen losweisen Preis der Bg unterschied.

Die Ag dokumentierte in einem mit Stand vom 6. Februar 2023 dokumentierten Vermerk „Vergabeentscheidung“ (vgl. Bl. 504 ff. der Vergabeakte) die Prüfung und Wertung der Angebote. Zur Prüfung der Angemessenheit der Preise hielt die Ag fest: „Gemäß § 60 VgV erschienen die Angebotspreise oder Kosten im Verhältnis zur Leistung bei folgendem Angebot zu niedrig:“, gefolgt von einem weiteren Unternehmen, das ein Angebot lediglich für Los 1 mit dem niedrigsten Preis aller Angebote zu diesem Los abgegeben hatte, zu dem die Ag eine Prüfung der Auskömmlichkeit des Preises durchführte. Die Ag hielt hierzu fest, dass die Prüfung der Antwort dieses Bieters einen versehentlichen Zahlendreher im Angebot ergeben hatte, so dass der angebotene Preis nicht auskömmlich sein könne. Der infolge der Aufklärung geänderte Angebotspreis dieses Bieters sei nach Ablauf der Angebotsfrist wegen § 15 Abs. 5 S. 2 VgV – Angebotsänderung nicht berücksichtigungsfähig gewesen. Dieses Angebot schloss die Ag in der Folge nach § 57 Abs. 1 VgV aus.

Unter Einbezug dieses ausgeschlossenen Angebots bei Los 1 und unter fiktiver Berücksichtigung des von diesem Bieter gewollten Preises (also ohne Zahlendreher) lag die ASt mit ihrem Angebot bei Los 1 auf Rang 3, bei den beiden anderen Losen (für die der Bieter mit dem ausgeschlossenen Angebot keine Angebote eingereicht hatte), auf Rang 3 (Los 2) bzw. auf Rang 4 (Los 3), so die „Tabelle zur Angebotsauswertung“, Blatt 499 der Vergabeakte.

Die Ag hielt als Ergebnis ihrer Prüfung der 3. Wertungsstufe zur Prüfung der Angemessenheit der Preise im Vermerk zur Vergabeentscheidung vom 6. Februar 2023 fest, dass alle weiteren Angebote, darunter die Angebote der ASt, der Bg und des zweitplatzierten Bieters, in der weiteren Prüfung und Wertung verblieben.

Die Ag dokumentierte nach Auswertung für alle Lose eine Wertungsreihenfolge, wonach das Angebot der Bg für alle Lose auf dem ersten Rang lag.

Mit Schreiben vom 13. Februar 2023 informierte die Ag die ASt, sie beabsichtige den Zuschlag für alle drei Lose an die Bg zu erteilen. Auf die Angebote der ASt könne der Zuschlag aus preislichen Gründen nicht erteilt werden.

Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 16. Februar 2023 rügte die ASt gegenüber der Ag die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Bg. Die ASt bemängelte einen Verstoß gegen das Wettbewerbsprinzip nach § 97 Abs. 1 GWB sowie gegen § 60 VgV.

Die Ag teilte mit Schreiben vom 17. Februar 2023 mit, der Rüge der ASt nicht abzuhelfen.

2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 22. Februar 2023, bei der Vergabekammer eingegangen an demselben Tag und von dieser an die Ag übermittelt am 23. Februar 2023, beantragt die ASt die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

a) Die ASt hält das Angebot der Bg für intransparent und ungewöhnlich niedrig. Das Angebot der Bg sei unter Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz nach § 97 Abs. 1 GWB wettbewerbsverzerrend und unauskömmlich, weil der günstige Preis der Bg nur durch eine Quersubventionierung innerhalb des Konzerns […] ermöglicht werden könne. Die ASt habe einen äußerst wettbewerbsorientierten Preis kalkuliert; ein noch niedrigeres Angebot wie im Falle der Bg könne nur möglich sein, wenn zu erwartende Verluste innerhalb des […]-Konzerns ausgeglichen würden. Die Bg habe vor diesem Hintergrund ein Angebot abgeben können, dessen Preis die Kosten für die Leistungserbringung unterschreite. Die Ag habe nach § 60 VgV zu ermitteln, ob der Preis der Bg auf einer Quersubventionierung beruhe. Gegen diese Verpflichtung habe die Ag verstoßen, weil sie eine entsprechende Überprüfung des Preises der Bg nicht durchgeführt habe. Der Zuschlag dürfe nämlich nicht auf das Angebot der Bg erteilt werden, wenn es infolge einer Quersubventionierung geeignet sei, andere Wettbewerber vom Markt zu verdrängen. In diesem Fall sei auch ein Verstoß gegen das Gebot der Berücksichtigung mittelständischer Interessen nach § 97 Abs. 4 S. 1 GWB gegeben. Auch ein etwaiges Unterkostenangebot dürfe nur bezuschlagt werden, wenn dies keine wettbewerbswidrigen Ziele verfolge. Etwaige wettbewerbskonforme Ziele seien aber im Hinblick auf die Bg nicht ersichtlich. Ein von ihr unterbreitetes Unterkostenangebot aus Gründen des Marktzutritts sei nicht zu rechtfertigen, da die Bg ein am Markt etabliertes überregional tätiges Unternehmen sei. Auch gebe es bei der Bg keine Anhaltspunkte, dass sie mit einem Auftrag auf ihr Angebot einen Deckungsbeitrag zu ihren Gemeinkosten erwirtschaften wollte.

Im Hinblick auf den behaupteten Verstoß gegen § 60 Abs. 1 VgV sei die ASt auch antragsbefugt nach § 160 Abs. 2 S. 2 GWB. Denn es sei nicht auszuschließen, dass die vor der ASt platzierten Angebote unauskömmlich sei könnten und daher die ASt eine Zuschlagschance habe. Das ergebe sich daraus, dass die Ag selbst ausgeführt habe, das Angebot der Bg und des zweitplatzierten Bieters lägen eng beieinander, so dass deren Unauskömmlichkeit jedenfalls naheliege.

Mit Schriftsätzen ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 27. und 28. März 2023 hat die ASt vorgetragen, die Bg mache seit Jahren Verluste, die über einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen […], letztlich vom Bund getragen würden. Dies sei eine staatliche Beihilfe. Die Ag sei nach § 60 Abs. 4 VgV gehalten, Angebote, die wegen der Gewährung einer staatlichen Beihilfe besonders niedrig seien, abzulehnen. Unter Hinweis auf einen als Anlage ALN 7 vorgelegten „Bericht des Bundesrechnungshofes […] hat die ASt vorgetragen, die […] erwirtschafte im Busverkehr seit Jahren Verluste; der Busverkehr sei nicht Teil des grundgesetzlichen Gewährleistungsauftrags des Bundes. Die Sparte […] weise nach dem Geschäftsbericht der […] für das Jahr 2021, den die ASt dem Schriftsatz vom 27. März 2023 als Anlage ALN 8 benannt hat, ein Defizit von […] Euro aus, wobei die Defizite der […] aufgrund eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages von der […] getragen werden müssten. Die Defizite der Sparte […] als eines nicht vom staatlichen Gewährleistungsauftrag abgedeckten Geschäftsteils der […] würden damit letztlich vom Bund als Anteilseigner […] getragen. Dies sei weder nach den haushaltsrechtlichen Grundsätzen des § 65 BHO gedeckt noch entspreche diese Vorgehensweise beihilferechtlichen Grundsätzen des Art. 107 Abs. 1 S. 1 AEUV. Zwischen […] bestehende Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge seien entsprechende staatliche Beihilfen. Das folgert die ASt aus einem Verfahren der Europäischen Kommission, das diese mit Mitteilung vom […] zu Gewinnabführungsverträgen zwischen […] eingeleitet habe und welche die ASt als Anlage ALN 9 mit Schriftsatz vom 28. März 2023 vorgelegt hat. Das Vorliegen einer Beihilfe sei im Nachprüfungsverfahren im Hinblick auf Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV zwingend zu beachten bzw. zu prüfen, ohne dass es auf etwaige daraus resultierende Verzögerungen des Nachprüfungsverfahrens ankäme.

§ 167 GWB habe vor diesem Hintergrund zurückzustehen. Das darin geregelte Beschleunigungsgebot könne den primärrechtlichen Geboten des Beihilferechts der Artt. 107, 108 AEUV nicht entgegenstehen, es gehe lediglich auf die Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG zurück, ohne aber selbst primärrechtlich verwurzelt zu sein. Auch ergebe sich aus der Bekanntmachung der Europäischen Kommission über die Durchsetzung der Vorschriften über staatliche Beihilfen durch die nationalen Gerichte vom 30. Juli 2021 (2021/C 305/01), welche die ASt mit Schriftsatz vom 28. März 2023 als Anlage ALN 10 vorgelegt hat, dass die nationalen Gerichte nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verpflichtet seien, für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts Sorge zu tragen. Dies gelte auch für das Nachprüfungsverfahren im Hinblick auf das Durchführungsverbot nicht notifizierter staatlicher Beihilfen gemäß Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV. Die Vergabekammer solle daher die Europäische Kommission um eine Stellungnahme nach der vorgenannten Bekanntmachung ersuchen und das Nachprüfungsverfahren aussetzen.

Die ASt beantragt,

1. die Entscheidung der Ag, im Vergabeverfahren Bustransportdienstleistungen […] den Zuschlag auf das Angebot der Bg zu erteilen, aufzuheben und der Ag aufzugeben, für den Fall, dass sie an der Beschaffungsabsicht festhält, die Wertung der Angebote für sämtliche Lose unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen;

2. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der ASt für notwendig zu erklären.

Des Weiteren beantragt die ASt mit Schriftsatz vom 28. März 2023, die Europäische Kommission gemäß Rn. 60 der Bekanntmachung über die Durchsetzung der Vorschriften über staatliche Beihilfen durch die nationalen Gerichte vom 30. Juli 2021 (2021/C 305/01) um eine Stellungnahme dazu zu ersuchen, ob der Gewinnabführungsvertrag zwischen […] als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV zu qualifizieren ist.

Des Weiteren beantragt die ASt Einsicht in die Vergabeakte.

b) Die Ag beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,

2. der ASt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzuerlegen.

Die Ag hält den Nachprüfungsantrag wegen nachrangiger Platzierungen des Angebots der ASt auf die drei Lose für unzulässig mangels Antragsbefugnis.

Jedenfalls hält die Ag den Nachprüfungsantrag für unbegründet; ein Verstoß gegen § 60 VgV bzw. § 97 Abs. 1 GWB liege nicht vor. Es bestehe bereits keine Aufklärungspflicht nach § 60 Abs. 1 VgV, da die zu § 60 Abs. 1 VgV in der Vergaberechtsprechung herausgearbeitete Aufgreifschwelle von 15-20% Abstand zwischen dem zu bezuschlagenden und dem nächsthöheren Angebot nicht erreicht werde. Der preisliche Unterschied liege bei allen drei Losen im sehr niedrigen prozentualen Bereich. Nach dem Gesamtbild der Angebotslage liege kein wertungsfähiges Angebot vor, das der Ag unauskömmlich erschienen sei.

Auch lägen keine Hinweise für ein Unterkostenangebot bei der Bg vor. Soweit die ASt eine unzulässige Quersubventionierung der Bg beanstande, sei dies mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht nachvollziehbar. Die Bg sei in der Kalkulation ihres Angebotes grundsätzlich frei. Anhaltspunkte für eine unstatthafte taktische Preisbildung, die zu einer wettbewerbswidrigen Verlagerung von Kosten- bzw. Preisbestandteilen und somit zur Angabe falscher Preise führe, die nicht die tatsächlichen Kosten wiedergäben, seien nicht ersichtlich. Auch die Angebote des nicht in eine Konzernstruktur eingebundenen zweitplatzierten Bieters hinter der Bg lägen jeweils im gleichen Preissegment. Daraus lasse sich ableiten, dass der Angebotspreis der Bg keiner Quersubventionierung bedürfe. Zudem sei eine Marktverdrängungsabsicht der Bg zu Lasten der übrigen Bieter nicht ersichtlich.

Soweit die ASt mit Schriftsätzen vom 27./28. März 2023 einen Verstoß gegen beihilferechtliche Grundsätze rüge, sei das Beihilferecht im Nachprüfungsverfahren bzw. im Vergabeverfahren nicht zu prüfen. Der Vergaberechtsschutz beziehe sich nach § 97 Abs. 6 GWB nur auf die Bestimmungen über das Vergabeverfahren bzw. Handlungen in einem Vergabeverfahren nach § 156 GWB, wozu das Beihilferecht nach Art. 107 AEUV nicht gehöre. Überdies liege keine rechtswidrige Beihilfe vor.

c) Die mit Beschluss vom 24. Februar 2023 förmlich zum Nachprüfungsverfahren hinzugezogene Bg hat keine Anträge gestellt und auch nicht zum Nachprüfungsantrag vorgetragen.

3. Die Vergabekammer hat der ASt nach Anhörung der Ag Einsicht in die Vergabeakte erteilt, soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach Abs. 165 Abs. 2 GWB nicht betroffen waren. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Vergabeakte, soweit sie der Vergabekammer in elektronischer Form vorgelegen hat, sowie auf die Verfahrensakte der Vergabekammer wird verwiesen. Die zunächst auf den 22. März 2023 terminierte mündliche Verhandlung wurde auf Antrag der ASt mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 24. Februar 2023 auf den 30. März 2023 verlegt; die reguläre fünfwöchige Entscheidungsfrist, die am 29. März 2023 abgelaufen wäre, wurde daraufhin verlängert bis zum 17. April 2023. Die Verhandlung hat am 30. März 2023 stattgefunden.

In der mündlichen Verhandlung hat die Ag ausgeführt, sie habe auf der Grundlage des dem streitgegenständlichen Auftrag vorangegangenen Altauftrags mit der ASt unter Berücksichtigung der dort zugrunde liegenden Mengen und Preise der ASt einen Netto-Schätzkostenbetrag ermittelt, der deutlich über dem unter Ziff. 2.2 des Vergabevermerks dokumentierten Wert lag. Diesen habe die Ag mit dem […] abgestimmt, das in einer E-Mail an die Ag vom 5. Dezember 2022 bestätigt habe, dass Haushaltsmittel in Höhe der von der Ag ermittelten Schätzkosten zur Verfügung stünden (vgl. Bl. 13 bis 16 der der Vergabekammer vorgelegten elektronischen Vergabeakte). In der mündlichen Verhandlung hat die Ag auf Nachfrage der Vergabekammer ferner erklärt, die Ag habe die von ihr gegenüber der im Vergabevermerk dokumentierten deutlich niedrigeren Auftragswertschätzung ermittelten Schätzkosten anhand der konkreten Werte des Altauftrags mit der ASt errechnet und dokumentiert, um sicherzugehen, dass in jedem Fall ausreichende Haushaltsmittel für die Durchführung des Auftrags verfügbar seien.

Die Ag habe im Vergabevermerk unter Ziff. 2.2 einen geschätzten Netto-Auftragswert dokumentiert, der niedriger liege, als die im Dezember 2022 zwischen dem […] und der Ag abgestimmten Schätzkosten (Bl. 4 der Vergabeakte). Auf Nachfrage der Vergabekammer hat die Ag hierzu in der mündlichen Verhandlung erklärt, der dort dokumentierte Betrag sei der vom […] als Bedarfsträger an die Ag bereits zur Vorbereitung des Vergabeverfahrens gemeldete geschätzte Auftragswert, den das […] auf Durchschnittswerten tatsächlich angefallener Leistungen des vorangegangenen Altauftrags mitgeteilt habe. Der so dokumentierte geschätzte Auftragswert sei dementsprechend vor Abschluss des Vergabevermerks eingetragen worden und habe systembedingt später nicht mehr geändert werden können. Das Datum des Vergabevermerks dokumentiere lediglich den Abschluss des Vermerks bzw. dessen elektronischen Ausdruck für die Vergabeakte und liege entsprechend später als die im Dezember 2022 zwischen Ag und […] abgestimmten Schätzkosten zur Sicherstellung ausreichender Haushaltsmittel. Dies sei bedingt durch den elektronischen Ausdruck der Vergabeakte durch das von der Ag genutzte Programm.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

a) Der Nachprüfungsantrag betrifft die losweise Vergabe einer Rahmenvereinbarung nach § 103 Abs. 5 GWB zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge gemäß § 103 Abs. 4 GWB durch den Bund als öffentlichen Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB. Für die Rahmenvereinbarung gelten nach § 103 Abs. 5 S. 2 GWB, soweit nichts anderes bestimmt ist, dieselben Vorschriften wie für die Vergabe öffentlicher Aufträge. Die Vorschriften für das Nachprüfungsverfahren nach den

§§ 155 ff. GWB sind damit auf das Vergabeverfahren für diese Rahmenvereinbarung anwendbar. Die angerufene Vergabekammer des Bundes ist somit nach § 159 Nr. 1 GWB zuständig.

b) Das Nachprüfungsverfahren ist statthaft gemäß § 155 ff. GWB. Der öffentliche Dienstleistungsauftrag liegt ersichtlich oberhalb des nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB, § 3 Nr. 7 VgV relevanten Schwellenwertes von 140.000,Euro; auch der niedrigere Auftragsschätzwert des Bedarfsträgers liegt über diesem Betrag.

c) Die ASt ist auch antragsbefugt nach § 160 Abs. 2 GWB.

aa) Das nach § 160 Abs. 2 S. 1 GWB erforderliche Interesse am ausgeschriebenen Auftrag hat sie hinreichend durch ihr abgegebenes Angebot sowie die hierzu erhobene Rüge bzw. ihren Nachprüfungsantrag belegt. Sie beruft sich auf den Verstoß gegen eine bieterschützende Vergaberechtsvorschrift nach § 160 Abs. 2 S. 1 GWB i.V.m. § 97 Abs. 6 GWB. Der bemängelte Verstoß gegen § 60 VgV ist ohne Weiteres bieterschützend gemäß § 160 Abs. 2 S. 1, § 97 Abs. 6 GWB (vgl. grundlegend BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017, Az.: X ZB 10/16).

bb) Die ASt hat auch gemäß § 160 Abs. 2 S. 2 GWB einen ihr drohenden Schaden infolge der behaupteten Vergaberechtsverstöße dargelegt, obwohl sie mit ihrem Angebot nur nachrangig platziert ist (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2022 – Verg 47/21). Auszugehen ist für die Antragsbefugnis, an die als einem groben Filter für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags keine allzu strengen Anforderungen zu stellen sind, vom Vorbringen des jeweiligen Antragstellers, woraus sich ergeben muss, ob der bemängelte Vergaberechtsverstoß und eine daraus folgende Beeinträchtigung ihrer Zuschlagschancen möglich erscheint, ohne dass es auf dieser Stufe darauf ankommt, ob der behauptete Vergaberechtsverstoß tatsächlich vorliegt oder nicht.

Ausgehend vom Vortrag der ASt ist eine Beeinträchtigung der Zuschlagschance der ASt jedenfalls nicht offensichtlich auszuschließen. Die ASt geht nach ihrem Vortrag davon aus, dass die Ag die ihr nach § 60 VgV obliegende Prüfung der Preise der Bg vergaberechtswidrig unterlassen hat. Unterstellt, diese Rüge träfe zu, wäre eine unmittelbare Zuschlagschance der ASt auch angesichts ihres dritten bzw. vierten Ranges jedenfalls nicht auszuschließen, da die Auskömmlichkeit der noch vor der ASt platzierten und zudem sehr eng beieinander liegenden Angebote in diesem Fall nicht von vornherein unverrückbar feststünde und ebenfalls nicht ausgeschlossen ist, dass eine entsprechende Überprüfung dazu führen könnte, dass das Angebot der ASt für den Zuschlag in Betracht kommen könnte. Dies ist jedenfalls für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 S. 2 GWB, an die im Interesse der effektiven vergaberechtlichen Primärrechtsschutzgarantie nach den §§ 155 ff., 160 ff. GWB keine unangemessen hohen Anforderungen zu stellen sind, ausreichend.

d) Die ASt ist auch ihrer Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 S. 1 GWB rechtzeitig nachgekommen. Nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller den geltend gemachten Vergaberechtsverstoß vor Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat. Diesen Anforderungen wird das Rügevorbringen der ASt gerecht. Die ASt hat auf die Vorabinformation gemäß § 134 GWB vom 13. Februar 2023 mit Schreiben vom 16. Februar einen Verstoß gegen das Wettbewerbsprinzip nach § 97 Abs. 1 GWB und gegen § 60 VgV fristgemäß gerügt.

e) Auf das Nichtabhilfeschreiben der Ag vom 17. Februar 2023 hat die ASt ihren Nachprüfungsantrag zudem am 22. Februar 2023 binnen der Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB bei der Vergabekammer gestellt.

2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Der von der ASt bemängelte Rechtsverstoß gegen § 60 VgV bzw. den Wettbewerbsgrundsatz nach § 97 Abs. 1 S. 1 GWB liegt nicht vor.

a) Der von der ASt gerügte Verstoß gegen § 60 VgV liegt nicht vor, da die Ag nach § 60 Abs. 1 VgV sachgemäß und damit fehlerfrei davon ausgegangen ist, dass der von der Bg angebotene Preis nicht ungewöhnlich niedrig ist.

Nach § 60 Abs. 1 VgV verlangt der öffentliche Auftraggeber vom Bieter Aufklärung, wenn der von ihm angebotene Preis im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint.

Der Auftraggeber hat für die Entscheidung der Frage, ob der Preis eines Angebotes ungewöhnlich niedrig erscheint, grundsätzlich eine im Nachprüfungsverfahren nur auf Beurteilungsfehler überprüfbare Einschätzungsprärogative, die seine das Überschreiten betreffende Entscheidung bzw. seine Annahme, der fragliche Angebotspreis überschreite die Interventionsschwelle nicht, hinnehmbar erscheinen lässt, wenn diese vertretbar, insbesondere nicht willkürlich ist und diese sich im Ergebnis nicht als eine krasse Fehlentscheidung darstellt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Dezember 2017, Verg 8/17). Der Auftraggeber muss bei seiner Einschätzung nach § 60 Abs. 1 VgV somit insbesondere sachgemäß und willkürfrei vorgehen und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zugrunde legen. Dies dient dazu, entsprechend zweifelhafte Angebot zu identifizieren, um ggf. im zweiten Schritt eine Prüfung nach § 60 Abs. 2 VgV einzuleiten, auf deren Grundlage sodann im dritten Schritt nach § 60 Abs. 3 bzw. § 60 Abs. 4 VgV zu entscheiden ist, ob der öffentliche Auftraggeber das Angebot ablehnt oder nicht.

Der Beurteilungsspielraum des Auftraggebers nach § 60 Abs. 1 VgV erstreckt sich auch auf die von ihm zur näheren Einschätzung herangezogenen Aspekte und erfordert eine Berücksichtigung all derjenigen Merkmale des konkreten Auftragsgegenstandes, die eine Einschätzung ermöglichen können, ob der angebotene Preis im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint (vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2022, C-669/22, Rn. 35, 37, im Hinblick auf die dem § 60 VgV zugrunde liegenden bzw. diesem entsprechenden Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Art. 69 2009/81/EG; VK Bund VK2-94/22, Beschluss vom 24. November 2022).

Nach diesen Maßgaben hat die Ag ihre Einschätzung nach § 60 Abs. 1 VgV fehlerfrei vorgenommen, so dass auch kein Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz des § 97 Abs. 1 S. 1 GWB festzustellen ist.

aa) Die Ag hat ausweislich der Vergabeakte und ihres Vortrags im Nachprüfungsverfahren maßgeblich die Angebotslage betrachtet. Dies war, gemessen am Auftragsgegenstand, sachgemäß und damit fehlerfrei; die konkreten Wettbewerbspreise sind zwar nicht der einzige, aber der vorrangige Aspekt, an den als Auslöser für eine Preisprüfung anzuknüpfen ist („Aufgreifschwelle“, vgl. BGH, a.a.O.; EuGH, a.a.O.). Grundsätzlich setzt der Vergabewettbewerb im Hinblick auf § 97 Abs. 1 S. 1 GWB unterschiedliche Preise voraus. Dies folgt zwanglos auch aus § 127 Abs. 1 GWB, wonach gerade der Preis ein relevantes Zuschlagskriterium ist, um das beste Preis-Leistungs-Verhältnis zu ermitteln. Daraus folgt für § 60 Abs. 1 VgV, dass erst erhebliche preisliche Unterschiede zwischen den konkurrierenden Angeboten Anhaltspunkte geben können, dass ein Angebot im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint. Als sachgemäß hat sich für die Ausübung des dem Auftraggeber bei dieser Frage zustehenden Spielraums die Orientierung an der in der Rechtsprechung herausgearbeiteten Aufgreifschwelle erwiesen, nach der erst bei einem entsprechenden Abstand zwischen dem Angebot des betroffenen Bieters, maßgeblich dem Zuschlagsempfänger, und dem des nächstplatzierten Bieters einen Auftraggeber im Regelfall dazu veranlassen müssen, von einem ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebot ausgehen zu müssen, um die Prüfung der Auskömmlichkeit nach den Maßgaben des § 60 Abs. 2 VgV auszulösen und entsprechende Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen. Für das Erreichen einer relevanten Aufgreifschwelle ist es grundsätzlich erforderlich, dass der Preisabstand zum nächsthöheren Angebot nicht zu niedrig ist, denn dem Verdikt eines unangemessen niedrigen Angebots wohnt das Überschreiten einer gewissen Erheblichkeitsgrenze inne (so ausdrücklich OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Dezember 2017 – Verg 8/17). Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass gerade ein günstiger Preis der eigentlich marktangemessene sein kann. Hier hat sich in der Praxis eine Größenordnung von etwa 20 % Preisabstand als Aufgreifschwelle etabliert, wobei freilich die Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen sind (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2020, VII-Verg 26/19 m.w.N.; OLG Schleswig, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 54 Verg 6/20; diese Aufgreifschwelle von 20% im Grundsatz bestätigend: BGH, a.a.O. Rn. 15).

Eine Prüfung der Auskömmlichkeit hat die Ag sachgemäß im Hinblick auf das Angebot des späterhin ausgeschlossenen Unternehmens zu Los 1 vorgenommen, weil gemessen am mit dem Angebot eingereichten Angebotspreis die Aufgreifschwelle überschritten war. Bezogen auf die übrigen Angebote, namentlich den Angeboten der Bg auf die drei Lose im Vergleich zu den entsprechenden Angeboten des zweitplatzierten Unternehmens, ergibt die Dokumentation der Vergabeentscheidung, dass die Ag keine Veranlassung zu einer Prüfung der Auskömmlichkeit der Preise bei der Bg sah, weil sie davon ausging, dass das Angebot der Bg nicht ungewöhnlich niedrig erschien. Diese Einschätzung ist anhand der in der Vergabeakte dokumentierten „Tabelle zur Angebotsauswertung – Prüfung der Angebotspreise“ auf Bl. 499 der Vergabeakte auch ohne Weiteres nachvollziehbar. Die in dieser Tabelle erfassten Angebotspreis aller Bieter ergänzt die in der Vergabeentscheidung dokumentierte Prüfung „III. Wertungsstufe – Prüfung der Angemessenheit der Preise“, die alle Bieter bzw. deren Angebote einbezieht. Aus der Tabelle ergibt sich, dass das Angebot der Bg und das des zweitplatzierten Unternehmens für alle drei Lose sehr eng beieinander lagen. Der Abstand zwischen den beiden Angeboten liegt – wie die Ag in ihrer Stellungnahme vom 2. März 2023 gegenüber der Vergabekammer anhand des sehr geringen prozentualen Abstands nachvollziehbar konkretisiert hat – erheblich unterhalb der Aufgreifschwelle von 20%, so dass die Ag sachgemäß davon ausgegangen ist, dass das Angebot der Bg nicht unauskömmlich niedrig erscheint.

bb) Der Ag musste sich auch nicht anhand weiterer Umstände eine andere Einschätzung aufdrängen mit der Folge, dass ihr Einschätzungsspielraum nach § 60 Abs. 1 VgV auf entsprechend reduziert gewesen wäre, dass ihr der Angebotspreis der Bg ungewöhnlich niedrig hätte erscheinen müssen. Die Ag hat im Nachprüfungsverfahren darauf hingewiesen, dass sie für ihre Einschätzung die gesamte Angebotslage in den Blick genommen hat und der sich so ergebende Gesamteindruck keine entsprechende Einschätzung gebot. So hat die Ag auch das Angebot des späterhin ausgeschlossenen Bieters zu dem wirtschaftlich bedeutsamsten Los 1 bei ihrer Einschätzung nach § 60 Abs. 1 VgV berücksichtigt. Auch der Preis dieses Angebotes habe – bei fiktiver Korrektur des versehentlichen Zahlendrehers dieses Bieters – im Bereich des Preises der Bg gelegen, was ihre Einschätzung, die Angebotslage beruhe auf wettbewerbskonform entstandenen Preisen, bestätigt habe. Unter Berücksichtigung des in der Vergabeakte dokumentierten und um den dortigen Zahlendreher korrigierten Angebotspreises des zu Los 1 ausgeschlossenen weiteren Bieters ergibt sich für das wirtschaftlich bedeutsamste Los 1 tatsächlich ein weiteres Angebot, dessen vom Bieter gewollter Angebotspreis brutto sogar noch unterhalb des Preises der Bg für Los 1 gelegen hätte. Vor diesem Hintergrund ist die Einschätzung der Ag schlüssig und nachvollziehbar, dass ihr der Gesamteindruck der Angebotslage als wettbewerbskonform erschien. Vor diesem Hintergrund zum Ergebnis zu gelangen, dass das Angebot der Bg nicht als unauskömmlich niedrig erscheint, ist damit plausibel. Die Einschätzung, dass das Angebot der Bg nach § 60 Abs. 1 VgV nicht unauskömmlich niedrig erschienen ist und sie keine Anhaltspunkte für eine Wettbewerbsverzerrung durch das Angebot Bg gegeben sah, war danach sachgemäß, mithin nach den Grundsätzen der Beurteilungsfehlerlehre nach § 60 Abs. 1 VgV fehlerfrei erfolgt.

cc) Ein Beurteilungsfehler der Ag liegt auch nicht deshalb vor, weil der Angebotspreis der Bg erheblich von der Kostenschätzung der Ag, die ebenfalls ein Kriterium im Rahmen der Identifizierung ungewöhnlich niedriger Angebote darstellt, abgewichen wäre. Die Einschätzung der Ag war somit auch vor diesem Hintergrund nicht darauf reduziert, dass der Preis der Bg der Ag ungewöhnlich niedrig erscheinen musste. Zwar ergibt sich aus der zwischen Ag und […] als Bedarfsträger abgestimmten Kostenschätzung vom Dezember 2022, dass der Abstand zwischen dem sich insgesamt ergebenden Preis der Bg und diesen Schätzkosten oberhalb der Aufgreifschwelle liegt. Die Schätzkosten vom Dezember 2022 orientieren sich jedoch am Altauftrag und den dortigen Preisen der ASt. Die Ag hat in der mündlichen Verhandlung plausibel dargelegt, dass diese Schätzkosten lediglich dazu dienten, in jedem Fall in ausreichendem Maße Haushaltsmittel für den im streitgegenständlichen Vergabeverfahren auszuschreibenden Auftrag verfügbar zu haben. Dieser Ansatz sei von der Vergabestelle ausgegangen, um die finanzielle Basis des Beschaffungsvorhabens in Gestalt von Haushaltsmitteln vorsorglich abzusichern und das Risiko einer entsprechenden Aufhebung wegen einer Überschreitung des Kostenrahmens auszuschließen. Die Schätzung des Auftragswertes durch das […] als Bedarfsträger, die den Ausgang des Vergabeverfahrens bilde und in Ziff. 2.2 des Vergabevermerks mit einem niedrigeren Wert dokumentiert sei, sei ein Wert, der sich an einer Durchschnittsbetrachtung durch das […] orientiert habe. Der Wert liegt, was anhand der Vergabeakte nachvollzogen werden kann, sogar noch etwas unterhalb des Angebotspreises der Bg und des zweitplatzierten Bieters, diese Angebote mithin etwas oberhalb des im Vergabevermerk dokumentierten Schätzwertes des Bedarfsträgers. Dieser Abstand liegt jedenfalls deutlich unterhalb der Aufgreifschwelle von 20%, so dass auch die Schätzung des Auftragswerts durch die Ag keine Preisprüfung indizierte.

dd) Schließlich folgt auch aus dem von der ASt in Rüge und Nachprüfungsantrag dargelegten Aspekt einer möglichen konzerninternen Quersubventionierung der Bg kein Grund, dass das Angebot der Bg der Ag zwingend als unauskömmlich niedrig oder sonst wettbewerbswidrig erscheinen musste. Die Einschätzung der Ag war nicht schon deshalb unzureichend, weil sie dem von der ASt behaupteten Aspekt einer Quersubventionierung nicht weiter nachgegangen ist. Zwar begrenzt § 60 Abs. 1 VgV die gebotene Prüfung grundsätzlich nicht allein auf die Betrachtung der im Wettbewerb abgegebenen konkurrierenden Angebote (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 37). Die ASt bemängelt mit ihrem Vorbringen einer möglichen konzerninternen Quersubventionierung der Bg allerdings gerade eine Wettbewerbsverzerrung, die sich nach ihrer Ansicht unstatthaft auf den Angebotspreis der Bg ausgewirkt habe. Vor diesem Hintergrund ist es nicht sachfremd, dass die Ag ihre Prüfung nach § 60 Abs. 1 VgV auch in Reaktion auf die Rüge der ASt besonders auf die Angebotslage konzentriert hat. Sie hat sich damit im Rahmen des § 60 Abs. 1 VgV einen Gesamteindruck des Angebotswettbewerbs verschafft, um damit eine Einschätzung der wettbewerblichen Auswirkungen zu gewinnen, deren Verzerrung die ASt gerade bemängelt. Damit ist die Ag dem Rügevorbringen der ASt sachgemäß nachgegangen. In dieser Vorgehensweise ist somit ebenfalls keine fehlerhafte Verengung des Einschätzungsspielraums nach § 60 Abs. 1 VgV festzustellen. Ist der Preis eines Angebots im Quervergleich mit den Wettbewerbsangeboten nicht ungewöhnlich niedrig, so ist die Aufgreifschwelle nicht überschritten.

b) Soweit die ASt in ihren Schriftsätzen vom 27. und 28. März 2023 ihr Vorbringen zu § 60 VgV bzw. zur wettbewerbsverzerrenden Wirkung der Angebote der Bg um beihilferechtliche Aspekte ergänzt und beantragt hat, die Europäische Kommission um eine Stellungnahme nach der Bekanntmachung über die Durchsetzung der Vorschriften über staatliche Beihilfen durch nationale Gerichte vom 30. Juli 2021 (2021/C 305/01) zu ersuchen, gibt dieses Vorbringen in der Sache keine Veranlassung zu einer anderen rechtlichen Bewertung des Sachverhaltes. Auch die Bestimmung des § 60 Abs. 4 VgV, auf welche die ASt in diesem Zusammenhang rekurriert, setzt tatbestandlich als vergaberechtlichen Anknüpfungspunkt für beihilferechtliche Fragestellungen voraus, dass ein ungewöhnlich niedriges Angebot vorliegt. Wie die obigen Ausführungen zum Nicht-Überschreiten der sog. „Aufgreifschwelle“ zeigen, liegt angesichts der Angebotslage indes kein ungewöhnlich niedriges Angebot vor. Die festgestellte Angebotslage offenbart eine Bandbreite von mehreren eng beieinander liegenden Angeboten, die das Ergebnis eines ordnungsgemäßen Vergabewettbewerbs sind, was auch eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 4 VgV ausschlösse, dass das Angebot der Bg aufgrund der von der ASt behaupteten Beihilfe ungewöhnlich niedrig ist. Vielmehr ist auf dieser Grundlage festzustellen, dass das betreffende Angebot der Bg Teil eines aus unabhängig voneinander abgegebenen und eng beieinander liegenden Angeboten bestehenden Wettbewerbsumfelds ist. Die in § 60 Abs. 4 VgV vorausgesetzte Kausalität, wonach ein festgestellter ungewöhnlich niedriger Preis auf eine unrechtmäßig erhaltene Beihilfe zurückgehen muss, läuft daher ins Leere. § 60 Abs. 4 VgV determiniert für den Fall einer nicht nachweislich rechtmäßigen Beihilfe lediglich die Rechtsfolge dahin, dass den öffentlichen Auftraggeber in Bezug auf ein ungewöhnlich niedriges Angebot eine Ablehnungspflicht trifft, wohingegen er in anderen Fällen, in denen keine Beihilfe gewährt wurde, ein gebundenes Ermessen hat, auch ein ungewöhnlich niedriges Angebot annehmen zu können (§ 60 Abs. 3 S. 1 VgV: „…darf er den Zuschlag …ablehnen.“). Eine irgendwie geartete Prüfung, ob bzw. inwieweit eine staatliche Beihilfe vorliegt, eine solche mit den beihilferechtlichen Grundsätzen der Artt. 107, 108 AEUV vereinbar ist bzw. eine entsprechende Anrufung der Europäischen Kommission, eine solche Prüfung im Hinblick auf ein laufendes Vergabeverfahren vorzunehmen, ist vom Programm des § 60 VgV somit nicht vorgesehen und unnötig, wenn – wie hier – feststeht, dass das betroffene Angebot – hier der Bg – ohnehin nicht ungewöhnlich niedrig erscheint (§ 60 Abs. 1 Vgv) bzw. erst recht nicht ungewöhnlich niedrig ist (§ 60 Abs. 4 S. 1 Vgv). Eine Vorlage an die Europäische Kommission, wie von der ASt beantragt, nach Rn. 60 der Bekanntmachung über die Durchsetzung der Vorschriften über staatliche Beihilfen durch die nationalen Gerichte, verkennt diese Rechtslage. Sie stünde nicht im Raum, weil die Vergabekammer nicht – wie in Rn. 60, a.a.O., vorausgesetzt – Zweifel über das Vorliegen eines Beihilfeelements hat, welches sich hier ausgewirkt haben könnte.

Da eine Berücksichtigung des Vorbringens der ASt aus deren Schriftsätzen vom 27./28. März 2023 keine Verzögerungsfolgen in Bezug auf das Nachprüfungsverfahren hat und Ag sowie Bg nicht beschwert sind, wird das verspätete Vorbringen der ASt nicht nach § 167 Abs. 2 GWB zurückgewiesen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 Abs. 1, 2 und 3 S. 1 sowie Abs. 4 S. 1, 2 GWB.

1. Die ASt trägt als unterliegende Verfahrensbeteiligte die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag gemäß § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.

2. Die Aufwendungen der Bg sind nicht erstattungsfähig und werden der ASt daher nicht auferlegt, weil dies nicht der Billigkeit nach § 182 Abs. 4 S. 2 GWB entspricht. Die ASt hat sich zwar mit ihrem Nachprüfungsantrag bewusst und gewollt in einen Interessengegensatz zu Bg gestellt. Die nicht anwaltlich vertretene Bg hat allerdings im Nachprüfungsverfahren weder konkrete Anträge gestellt noch sich aktiv daran beteiligt, so dass sie kein Prozesskostenrisiko auf sich genommen hat, das es billig erscheinen ließe, ihre Aufwendungen der ASt aufzuerlegen.

IV.

Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf Vergabesenat einzulegen.

Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.

Die Beschwerde ist bei Gericht als elektronisches Dokument einzureichen. Dieses muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Dies gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind. Ist die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.

Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.

Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, so kann das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern.

Dr. Herlemann

Dr. Brauser-Jung