§ 119 Absatz 2 regelt das Verhältnis der Vergabeverfahrensarten untereinander. Wesentliche Neuerung im Vergleich zur bisherigen Regelung des § 101 Absatz 7 GWB ist die grundsätzliche Wahlfreiheit für öffentliche Auftraggeber zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren. Bislang sah § 101 Absatz 7 Satz 1 GWB den Vorrang des offenen Verfahrens – auch vor dem nicht offenen Verfahren – vor. Die grundsätzliche Wahlfreiheit zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren entspricht der Intention des Unionsgesetzgebers in Artikel
26 Absatz 2 der Richtlinie 2014/24/EU. Entscheidend für diese Wahlfreiheit ist, dass das nicht offene Verfahren zwingend einen vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb erfordert.
Der öffentliche Auftraggeber hat beim nicht offenen Verfahren dafür Sorge zu tragen, dass die Auswahl der Bewerber auf der Grundlage objektiver Entscheidungskriterien zur Sicherstellung der größtmöglichen Transparenz sowie des fairen Wettbewerbs erfolgt, damit jeder Anschein einer Manipulationsmöglichkeit vermieden wird. Die konkrete Ausgestaltung der Verfahren sowie die Festlegung der Auswahlkriterien im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs dienen gleichzeitig der Korruptionsprävention.
Die nunmehr vorgesehene Wahlfreiheit zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren bringt Vorteile für Auftragnehmer und Auftraggeber. Bieter haben im nicht offenen Verfahren den Vorteil, dass sie weniger Aufwand für die Angebotserstellung betreiben müssen. Erst nach Aufforderung zur Angebotsabgabe müssen sie ein verbindliches Angebot erstellen. Dies ermöglicht ihnen eine ihren Erfolgsaussichten entsprechende, effiziente Vorgehensweise bei der Bewerbung um öffentliche Aufträge. Dadurch kann die Bereitschaft zur Teilnahme an
Vergabeverfahren insgesamt gesteigert werden, was wiederum den Wettbewerb fördert. Für die im Teilnahmewettbewerb ausgewählten Unternehmen erhöht sich die Zuschlagschance bei Abgabe eines Angebots. Zudem bestehen bereits im Teilnahmewettbewerb Rechtsschutzmöglichkeiten.
Für Auftraggeber kann die Wahl des nicht offenen Verfahrens ebenfalls zu Effizienzsteigerungen führen: Angebote werden nur noch von den tatsächlich geeigneten Unternehmen gefordert, wodurch sich der Prüfaufwand für die Angebote insgesamt reduziert. Zudem erhöht die Wahlfreiheit zwischen dem offenen und nicht offenen Verfahren die Flexibilität der öffentlichen Auftraggeber, indem sie eine dem jeweiligen Auftragsgegenstand angemessene Lösung ermöglicht, ohne die Wahl an bestimmte, im Einzelfall zu dokumentierende Voraussetzungen
zu knüpfen. Eine Steigerung der Flexibilität des öffentlichen Auftraggebers bei der Wahl der Verfahrensart entspricht der grundsätzlichen Intention der Richtlinie 2014/24/EU (Erwägungsgrund 42 der Richtlinie 2014/24/EU).
Die vorgesehene Wahlfreiheit zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren trägt gleichzeitig den Grundsätzen der Transparenz und des Wettbewerbs hinreichend Rechnung. Das nicht offene Verfahren setzt nach Absatz 4 zwingend einen öffentlichen Teilnahmewettbewerb voraus. Somit steht auch bei einem nicht offenen Verfahren die Teilnahme am Wettbewerb grundsätzlich jedem Unternehmen offen. Die danach vom öffentlichen Auftraggeber zu treffende Auswahl erfolgt nach objektiven, diskriminierungsfreien Gesichtspunkten und ist im
Vergabevermerk zu dokumentieren (BayObLG, Beschluss vom 20. April 2005, Az. Verg 26/04). Der öffentliche Auftraggeber hat eine im vergaberechtlichen Zusammenhang pflichtgemäße Ermessensentscheidung zu treffen, wobei er insbesondere das Wettbewerbs-, Gleichbehandlungs- und Transparenzgebot als Ausprägungen des generellen Willkürverbots beachten muss (VK Bund, Beschluss vom 25. Juni 2003, Az. VK 1-45/03). In jedem Fall muss die Zahl der zugelassenen Bewerber einen echten Wettbewerb sicherstellen (BayObLG, Beschluss vom 20. April 2005, Az. Verg 26/04). Dadurch ist auch im nicht offenen Verfahren grundsätzlich gewährleistet, dass die für die öffentliche Auftragsvergabe erforderliche Transparenz und Gleichbehandlung sichergestellt sind und ein wettbewerbliches Vergabeverfahren durchgeführt wird. Ein Missbrauch durch intransparente Verfahrensgestaltung wird wirksam ausgeschlossen. Zugleich ist durch die Sicherstellung eines echten Wettbewerbs gewährleistet, dass öffentliche Auftraggeber auch im Rahmen des nicht offenen Verfahrens das wirtschaftlich beste Ergebnis erzielen können.
Die übrigen Vergabeverfahrensarten (Verhandlungsverfahren, wettbewerblicher Dialog und Innovationspartnerschaft) sind wie bisher nur zulässig, sofern die jeweiligen Voraussetzungen dafür vorliegen. Die einzelnen Voraussetzungen dieser Verfahrensarten sowie die jeweiligen Verfahrensabläufe werden weiterhin in den untergesetzlichen Regelungen festgelegt.