Auch die deutsche Rechtsprechung und Literatur stellten bisher schon als weiteres Kriterium für eine erfolgreiche Selbstreinigung darauf ab, ob ein Unternehmen sich ernsthaft und nachdrücklich darum bemüht hat, die Vorgänge aufzuklären, auf denen das Vorliegen eines Ausschlussgrundes beruht. Ohne Aufklärung der Vorgänge ist eine Vermeidung künftiger Straftaten oder künftigen Fehlverhaltens nicht möglich. Dabei ist es nicht erforderlich, dass das Unternehmen sämtliche Vorwürfe einräumt. Das Unternehmen muss sich aber aktiv, ernsthaft und erkennbar um eine umfassende Sachverhaltsaufklärung bemühen. Aufgeklärt werden müssen die Tatsachen und Umstände, die das Vorliegen eines Ausschlussgrundes begründen bzw. mit der Straftat oder dem Fehlverhalten zusammenhängen,
einschließlich der Schadensumstände.
In Artikel 57 Absatz 6 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2014/24/EU ist ausdrücklich festgelegt, dass zur Sachverhaltsaufklärung eine aktive Zusammenarbeit mit den „Ermittlungsbehörden“ erfolgen muss. Der Richtlinienbegriff der Ermittlungsbehörden ist dabei weit zu verstehen. Zur Aufklärung des Sachverhalts muss das Unternehmen zum einen mit den Ermittlungsbehörden im engeren Sinne aktiv zusammenarbeiten. Zum anderen muss es aber auch mit dem öffentlichen Auftraggeber zur Aufklärung des Sachverhalts aktiv zusammenarbeiten (so bisher
schon zur früheren Rechtslage OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. April 2003 – Verg 66/02; Beschluss vom 28. Juli 2004 – Verg 42/05; LG Berlin, Urteil vom 22. März 2006 – 23 O 118/04). Für dieses weite Verständnis des in Artikel 57 Absatz 6 der Richtlinie 2014/24/EU verwandten Begriffs der „Ermittlungsbehörden“ spricht neben dem Sinn und Zweck der Regelung insbesondere auch die englische Sprachfassung der Richtlinie, in der von „investigating authorities“ die Rede ist, sowie die französische Sprachfassung, die von „autorités chargées de
l’enquête“ spricht. Diese Sprachfassungen legen nahe, dass nicht „Ermittlungsbehörden“ im engeren Sinne, sondern „ermittelnde Behörden“ gemeint sind. Der öffentliche Auftraggeber muss zur Prüfung der Zuverlässigkeit des Bieters in der Lage sein, die durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen vor dem Hintergrund des bestehenden Ausschlussgrundes zu beurteilen. Da der Bieter, bei dem ein Ausschlussgrund vorliegt, mit seinem Delikt oder Fehlverhalten die Ursache für die Notwendigkeit einer Selbstreinigungsprüfung gesetzt hat, muss er auch
den das Vergabeverfahren durchführenden öffentlichen Auftraggeber durch aktive Zusammenarbeit in die Lage versetzen zu bewerten, ob die ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Schwere und der besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens ausreichend sind (vgl. § 125 Absatz 2). Eine Sachverhaltsaufklärungspflicht m Hinblick auf alle Details der Straftat oder des Fehlverhaltens besteht gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber aber nicht, sondern nur hinsichtlich der für seine Prüfung relevanten Umstände.
Eine umfassende Sachverhaltsaufklärung durch aktive Zusammenarbeit mit externen Stellen setzt voraus, dass das Unternehmen zunächst intern die zur Sachverhaltsaufklärung notwendigen Maßnahmen ergriffen hat. Zu dieser notwendigen internen Sachverhaltsaufklärung können insbesondere auch eine interne Revision und bzw. oder die Durchführung einer Sonderprüfung durch vom Unternehmen unabhängige Personen gehören.