Begründung zu § 133 Abs. 1 GWB (Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen)

Absatz 1 dient der Umsetzung von Artikel 73 der Richtlinie 2014/24/EU. Die Vorschrift legt erstmals Bedingungen fest, unter denen öffentliche Auftraggeber vergaberechtlich die Möglichkeit haben, einen öffentlichen Auftrag während der Vertragslaufzeit zu kündigen. Den öffentlichen Auftraggebern muss über den Grundsatz der clausula rebus sic stantibus (Vorbehalt, dass ein Schuldversprechen oder ein Geschäft seine bindende Wirkung bei Veränderung der Verhältnisse verliert) hinaus ein Lösungsrecht zumindest für die hier genannten besonderen Fälle vorbehalten
bleiben, in denen ein Festhalten am Vertrag das öffentlichen Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beeinträchtigen würde. Insbesondere aus dem Unionsrecht kann sich die Pflicht ergeben, im Interesse einer effektiven Umsetzung (effet utile) der aus dem Unionsrecht erwachsenen Verpflichtungen eine Kündigung von vertraglichen Vereinbarungen vorzunehmen.

Die Kündigung ist nur möglich, wenn sich aus dem Vertrag fortdauernde Pflichten ergeben. Haben sich dagegen die vertraglichen Beziehungen in einem einmaligen Austausch von Leistung und Gegenleistung erschöpft, so ist der Vertrag erfüllt (§ 362 BGB) und mithin für eine Kündigung kein Raum mehr.

Die in Absatz 1 aufgezählten Kündigungsgründe sind nicht abschließend und erweitern die bereits bislang bestehenden Möglichkeiten zur Beendigung von öffentlichen Aufträgen. Nicht berührt wird durch die Vorschrift das Recht der Beteiligten zur Geltendmachung eines vereinbarten oder in Anwendung der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs anzuerkennenden gesetzlichen Kündigungsrechts einschließlich des Rechts gemäß § 314 BGB zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund. So kann es zum Beispiel erforderlich sein, einen laufenden Vertrag zu kündigen, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen, insbesondere um ein ansonsten drohendes Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission zu verhindern.

Durch die Vorschrift unberührt bleibt ferner die durch die Rechtsprechung anerkannte Möglichkeit, dass – wenn der öffentliche Auftraggeber in bewusster Missachtung des Vergaberechts handelt oder er sich einer solchen Kenntnis mutwillig verschließt und er kollusiv mit dem Auftragnehmer zusammenwirkt – der zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer geschlossene Vertrag mit der Folge nichtig sein kann, dass Vergütungs-, Rückforderungs- und Gewährleistungsansprüche wechselseitig ausgeschlossen sind.

Anders als die Regelung zur Unwirksamkeit in § 135, die nach § 135 Absatz 2 Satz 1 nur innerhalb von sechs Monaten nach Vertragsschluss festgestellt werden kann, bietet § 133 eine Kündigungsmöglichkeit auch über die ersten sechs Monate hinaus. Sofern einer der in Nummer 1 bis 3 genannten Kündigungsgründe vorliegt, können öffentliche Auftraggeber damit öffentliche Aufträge während deren Laufzeit kündigen, ohne an eine Frist gebunden zu sein.