Begründung zu § 160 GWB (Einleitung, Antrag)

§ 160 entspricht im Wesentlichen dem bisherigen § 107 GWB.

Der frühere § 107 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird in § 160 Absatz 3 Nummer 1 neu gefasst. Im Grundsatz bleibt die Rügeobliegenheit im Vergabeverfahren gemäß § 107 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 zwar bestehen, konkretisiert wird allerdings mit einer Dauer von 10 Kalendertagen die Frist, innerhalb derer der Antragsteller nach Erkennen den im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Verstoß im Vergabeverfahren gerügt haben musste. Diese Änderung trägt der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Rechnung, der zufolge eine Bestimmung, nach der ein Verfahren unverzüglich eingeleitet werden muss, als nicht mit Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG vereinbar angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 28. Januar 2010, Rs. C-406/08 „Uniplex (UK) Ltd.“, Rn. 43). Die Länge einer Ausschlussfrist ist für den Betroffenen nicht vorhersehbar, wenn sie in das Ermessen des zuständigen Gerichts gestellt wird (EuGH, Urteil vom 28. Januar 2010, Rs. C-456/08, Rn. 75). Die neue Fassung des Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 beseitigt die bisher bestehende Rechtsunsicherheit.

Nach Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannte Vergaberechtsverstöße unterliegen dagegen keiner Rügeobliegenheit (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Juli 2006, VII-Verg 27/06; VK Bund, Beschluss vom 10. November 2014, VK 1-88/14, m. w. N.; Dicks in: Ziekow/Völlink, 2. Aufl., § 107 GWB, Rn. 40 a. E. bzw. Fn. 133). Die Mindestüberlegungsfrist des Bieters wird durch § 134 gewährt, der Artikel 2a Absatz 2 der Richtlinie 2007/66/EG (Stilhaltefrist) umsetzt.

Danach ist je nach Übermittlungsart des Vorabinformationsschreibens eine Frist von 10 bis 15 Kalendertagen vorgesehen, in der betroffene Bieter vor Vertragsschluss des öffentlichen Auftraggebers mit dem obsiegenden Bieter geschützt sind. Denn nach § 168 Absatz 2 Satz 1 führt der wirksam erteilte Zuschlag dazu, dass Nachprüfungsanträge nicht mehr statthaft sind. Diese Schutzfunktion der Stillhaltefrist des § 134 wird durch die Streichung des Erfordernisses der „Unverzüglichkeit“ gestärkt und nicht mehr in ihrer praktischen Wirksamkeit beeinträchtigt.

Die neue Fristbestimmung von 10 Kalendertagen trägt der Stillhalte- und Überlegungsfrist nach Artikel 2a Absatz 2 der Richtlinie 2007/66/EG Rechnung, die mindestens 10 Kalendertage ab Eingang der Vorabinformation betragen muss. Durch die Neufassung werden die  Zulässigkeitsanforderungen des § 160 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 und die Informations- und Wartepflicht gemäß § 134 Absatz 1 und 2 besser aufeinander abgestimmt.

In § 160 Absatz 3 Satz 1 Nummer 3 werden die Wörter „in der Bekanntmachung“ gestrichen. Damit werden Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb auch in der Angebotsphase in den Anwendungsbereich der Vorschrift einbezogen. Die Angebotsfrist wird in Verhandlungsverfahren und nicht offenen Verfahren mit Teilnahmewettbewerb regelmäßig nicht in der Bekanntmachung benannt (vgl. VK Bund, Beschluss vom 12. Dezember 2013, VK 1 – 101/13). Mit Streichung des Bezugs auf die Bekanntmachung ist nunmehr gewährleistet, dass auch in Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb eine Rügeobliegenheit der ausgewählten Teilnehmer in Bezug auf in den Vergabeunterlagen erkennbare Vergabeverstöße bis zum Ablauf der Angebotsfrist besteht.