In unserer Reihe „Praxisrelevante Fragestellungen im neuen Vergaberecht“ widmen wir uns jeweils einem streithaften Thema bzw. einer Regelung, um das Bewusstsein für Fallstricke bei Auftraggebern und Bietern zu schärfen und die gebotenen rechtssicheren Vorgehensweisen aufzuzeigen.
Ihre Aufmerksamkeit wollen wir auf die neuen Fristen für den Eingang von Teilnahmeanträgen und Angeboten richten.
Diese Fristen wurden mit der Vergaberechtsreform erheblich verkürzt. Hintergrund ist u.a. die Plicht zur elektronischen Bekanntmachung und zur Bereitstellung der elektronischen Vergabeunterlagen und damit das Einhergehen einer Zeitersparnis.
Die jeweiligen Fristen werden jetzt im Zusammenhang mit den einzelnen Verfahrensarten geregelt.
Oberhalb der EU-Schwellenwerte gelten nach den Vergabeverordnungen feste Mindestfristen für die:
- Teilnahmefrist
- Nicht offenes Verfahren = mind. 30 Tage, bei besonderer Dringlichkeit mind. 15 Tage (§ 16 Abs. 2 und 3 VgV, § 15 Abs. 2 SektVO))
- Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb = mind. 30 Tage, bei besonderer Dringlichkeit mind. 15 Tage (§ 17 Abs. 2 und 3 VgV, § 15 Abs. 2 SektVO)
- Wettbewerblicher Dialog = mind. 30 Tage (§ 18 Abs.3 VgV)
- Innovationspartnerschaft = mind. 30 Tage (§ 19 Abs. 3 VgV)
- Angebotsfrist
- Offenes Verfahren = mind. 35 Tage (30 Tage bei elektronische Übermittlung der Angebote); bei besonderer Dringlichkeit mind. 15 Tage (§ 15 Abs. 2 – 4 VgV, § 14 Abs. 2 – 4 SektVO), bei Veröffentlichung einer Vorinformation mind. 15 Tage (§ 38 Abs. 3 VgV)
- Nicht offenes Verfahren = mind. 30 Tage (25 Tage bei elektronische Übermittlung der Angebote); bei besonderer Dringlichkeit mind. 10 Tage (§ 16 Abs. 5, 7, 8 VgV), bei Veröffentlichung einer Vorinformation mind. 10 Tage (§ 38 Abs. 3 VgV)
- ABER: Die Frist kann auch im gegenseitigen Einvernehmen mit den Bewerbern (Ausnahme: Oberste Bundesbehörden) festgelegt werden. Bei fehlendem Einvernehmen, beträgt die Angebotsfrist mind. 10 Tage.
- Verhandlungsverfahren = mind. 30 Tage (Verkürzung um 5 Tage möglich, bei elektronische Übermittlung der Angebote) (§ 17 Abs. 6, 8, 9 VgV), bei Veröffentlichung einer Vorinformation mind. 10 Tage (§ 38 Abs. 3 VgV)
- ABER: Die Frist kann auch im gegenseitigen Einvernehmen mit den Bewerbern (Ausnahme: Oberste Bundesbehörden) festgelegt werden. Bei fehlendem Einvernehmen, beträgt die Angebotsfrist mind. 10 Tage.
Plicht zur angemessenen Fristsetzung (§ 20 Abs. 1 VgV)
Die Fristen der VgV sind Mindestfristen und stellen somit die Untergrenze der tatsächlich festzulegenden Fristen dar. Der Öffentliche Auftraggeber darf demnach längere Fristen vorsehen. Insbesondere dann, wenn die Komplexität der Leistung und die Zeit für die Ausarbeitung der Angebote dies gebietet.
Praxistipp: Der öffentliche Auftraggeber sollte die Bestimmung der Länge der Fristen im konkreten Vergabeverfahren in der Vergabeakte begründen.
Pflicht zur Fristverlängerung (§ 20 Abs. 2 und 3 VgV, § 41 Abs. 2 VgV)
Ferner bestimmt die neue VgV Fälle, in denen die Fristen „angemessen“ zu verlängern sind. Gemäß § 20 Abs. 2 VgV sind die Angebotsfristen zu verlängern, wenn die Angebote nur nach einer Ortsbesichtigung und Einsichtnahme in den Unterlagen erstellt werden können. Nach § 20 Abs. 3 VgV ist eine Fristverlängerung geboten, wenn zusätzliche Informationen nicht spätestens sechs bzw. vier Tage vor Ablauf der Angebotsfrist zur Verfügung gestellt werden können, oder der öffentliche Auftraggeber wesentliche Änderungen an den Vergabeunterlagen vornimmt. Einen weiteren Fall der Fristverlängerung regelt § 41 Abs. 2 VgV. Danach ist die Angebotsfrist – sofern kein Fall hinreichend begründeter Dringlichkeit vorliegt – um fünf Tage zu verlängern, wenn die Vergabeunterlagen ausnahmsweise nicht auf elektronischem Wege übermittelt werden können.
Fazit
Den neuen Fristen liegt der Gedanke der Verfahrensbeschleunigung und Effizienzsteigerung zu Grunde. Allerdings gilt es zu bedenken, dass eine verkürzte Angebotsfrist nur dann zu einer Zeitersparnis führt, wenn sowohl Ausschreibungsgegenstand als auch die Vergabeunterlagen eine zügige Angebotserstellung zulassen. Öffentliche Auftraggeber sollten daher stets die Regelung des § 20 Abs. 1 VgV vor Augen haben und ggf. eine über die Mindestfrist hinausgehende Frist vorgeben. Tatsächlich neu ist die Regelung des § 20 Abs. 3 Nr. 2 VgV, wonach wesentliche Änderungen an den Vergabeunterlagen zu einer Verlängerung der Angebotsfrist berechtigen und verpflichten. Nach altem Recht wäre in diesen Fällen allein die Aufhebung der Ausschreibung möglich gewesen.
Neu ist also die Möglichkeit, im nicht offenen Verfahren und im Verhandlungsverfahren nach VgV Angebotsfristen im gegenseitigen Einvernehmen festzulegen. Kommt eine solche einvernehmliche Festlegung nicht zustande, muss die Frist mind. 10 Tage betragen. Zwar muss der Auftraggeber für die Abgabe von Angeboten eine hinreichend bemessene Frist festlegen (§ 20 VgV), jedoch ist diese Neuregelung bemerkenswert. Bei einer regulären Angebotsfrist von 30 bzw. 25 Tagen kann der Auftraggeber – wenn die einvernehmliche Fristbindung scheitert – nach dem Gesetzeswortlaut eine 10-Tagesfrist festlegen.
Unterhalb der Schwellenwerte ist derzeit noch eine angemessene nicht näher vorgegebene Angebotsfrist zu bestimmen.
Folgende Themen wurden bisher behandelt:
- § 3 Abs. 7 VgV (2016) – [ams] Newsletter 09/2016
- § 41 VgV und § 12a VOB/A – [ams] Newsletter 07/2016
- § 132 GWB – [ams] Newsletter 05/2016