Vergabekammer Bund
Aktenzeichen: VK 2 – 8 / 23
Entscheidungsdatum: 02.03.2023
2. Vergabekammer des Bundes VK 2 – 8/23
Beschluss
In dem Nachprüfungsverfahren
[…]
– Antragstellerin –
Verfahrensbevollmächtigte:
[…]
gegen
[…]
– Antragsgegnerin –
Verfahrensbevollmächtigte:
[…]
[…]
– Beigeladene –
wegen der Vergabe […] auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2023 am 2. März 2023 beschlossen:
1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Zustand vor Abgabe der Angebote zurückzuversetzen und das Verfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen.
Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin
zu 50 %. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin zu 50 %.
3. Die Zuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin war erforderlich.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin (Ag) machte am […] die oben genannte Vergabe im Rahmen eines offenen Verfahrens im Supplement zum Amtsblatt der EU […] unionsweit bekannt. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis.
Unter „1. Vorbemerkungen“ heißt es im Leistungsverzeichnis u.a.:
„Technische Vorbemerkungen
Allgemeine Vorbemerkungen zu den Leistungsmerkmalen der
Deckenversorgungseinheiten (DVE).
1. Erfüllung Internationaler Normen
Alle angebotenen Produkte und Komponenten sind zugelassen und entsprechen den Anforderungen der europäischen Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation (MDR)) sowie dem Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG).
Dies ist durch eine CE-Konformitäts-Erklärung nachzuweisen.
Darüber hinaus ist die Einhaltung der produktspezifischen Normen (wie z.B. die
IEC 60601-Reihe, DIN EN ISO 11197, EN ISO 19054, DIN EN ISO 9170, DIN EN ISO 7396) durch Zertifikat eines international anerkannten, unabhängigen Prüfinstituts auf Anfrage nachzuweisen.“
Es wurde u.a. die folgende Bieterfrage gestellt:
„In den technischen Vorbemerkungen ist die Zulassung der
Deckenversorgungseinheit nach der europäischen Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation (MDR)) durch eine CE-Konformitäts-Erklärung nachzuweisen. Frage: Soll die CE-Konformitäts-Erklärung nach MDR bei Angebotsabgabe als Nachweis mit beigelegt werden?“
Die Antwort lautete: „Ja, diese ist beizulegen.“
Nach Ziffer 2.1 des Leistungsverzeichnisses ist zur Deckenversorgungseinheit Anästhesie u.a.
aufgeführt, dass deren Stativkopf wie folgt ausgestattet sein müsse:
„- mit frontseitiger Andockmöglichkeit für das Narkosegerät. Das Narkosegerät ist am Stativkopf bzw. am vertikalen Tragrohrsystem zu fixieren und wird nicht angehoben. Ziel ist, dass das Narkosegerät die Positionsbewegung des Stativkopfes nachvollzieht. Die Fixierungselemente und deren Ausführung sind einzukalkulieren und als Schemazeichnung dem Angebot beizulegen“
Unter Verweis auf die technischen Daten zum Tragarmsystem Anästhesie und die dort vorgesehene frontseitige Andockmöglichkeit für das Narkosegerät erfolgte in einer Bieterfrage die Bitte, die technischen Daten des Narkosegerätes mitzuteilen. Die Ag antwortete, es seien Narkosegeräte der Firma […] zu berücksichtigen.
Die Antragstellerin (ASt) gab, ebenso wie die Beigeladene (Bg) und eine weitere Bieterin, ein Angebot ab, mit dem sie bei preislicher Rangfolge den dritten Platz belegte. Die ASt legte dabei für die eigentlichen Deckenversorgungseinheiten – nicht jedoch für sämtliche angebotenen Produkte – ein Zertifikat nach MDR (EU-Verordnung 2017/745 vom 5. April 2017) vor. Die Bg legte für die Deckenversorgungseinheiten ein Zertifikat nach der älteren EU-Norm 93/42/EWG (MDD) vor.
Aus dem Vergabevermerk ergibt sich, dass von der Bg als preislicher Bestbieterin ein Fabrikatsverzeichnis, welches nicht zwingend mit dem Angebot abzugeben war, nachgefordert wurde. Aufgrund von Serverproblemen bei der Bg wurde dieses, gemäß einer Absprache zwischen der Bg und dem von der Ag beauftragten Ingenieurbüro, kurz nach Ablauf der ursprünglich in der Nachforderung gesetzten Frist eingereicht.
Mit Schreiben vom 11. Januar 2023 teilte die Ag der ASt gem. § 134 GWB mit, dass sie deren Angebot nicht berücksichtigen könne, da dieses nicht das wirtschaftlichste sei. Beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der Bg zu erteilen.
Die ASt rügte mit Schreiben vom 18. Januar 2023 die Nichtberücksichtigung ihres Angebots. Die in der Niederschrift über die Angebotswertung aufgeführten Preisunterschiede seien derart auffällig, dass diese ausschließlich durch die Nichteinhaltung der technischen Mindestanforderungen durch die für den Zuschlag vorgesehene Bieterin erklärbar seien. Das Angebot der Bg (wie auch der zweitplatzierten Bieterin) verfüge über keine Zulassung nach der MDR. Deren Erlangung sei mit erheblichem Aufwand verbunden, der einzupreisen sei. Auch hätten die Tragarmsysteme der weiteren Bieter nicht die Möglichkeit, die angegebenen Narkosegeräte aufzunehmen.
Die Ag lehnte es mit Schreiben vom 25. Januar 2023 ab, der Rüge abzuhelfen.
2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 1. Februar 2023 stellt die ASt Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer.
a) Der Antrag sei zulässig, insbesondere habe die ASt nicht ins Blaue hinein gerügt, sondern sich auf ihre Marktkenntnis berufen. Auf der Website der Bg fänden sich ausschließlich Zertifikate nach der alten EU-Norm 93/42, nicht jedoch nach der geforderten Verordnung 2017/745. Die Zertifizierung nach der neuen MDR sei wesentlich teurer und aufwändiger als nach der alten Norm, so dass die ASt davon ausgehe, dass ein Wettbewerber, der Zertifikate auf seiner Internetseite veröffentliche, stets auch die jeweils aktuellsten und „wertvollsten“ Zertifikate dort einstelle. Die ASt habe damit tatsächliche Anknüpfungspunkte vorgetragen, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergabeverstoß begründeten.
Der Antrag sei auch begründet. Die Angebote beider Mitbieter seien auszuschließen, da sie von den Vorgaben der Leistungsbeschreibung abwichen.
– Die ASt verfüge, anders als die Mitbewerber, hinsichtlich der von ihr angebotenen Deckenversorgungseinheiten bereits über EU-Konformitätsbescheinigungen nach MDR und habe diese mit dem Angebot vorgelegt. Eine solche Zertifizierung nach MDR sei im Leistungsverzeichnis wie auch in der Antwort auf die Bieterfrage gefordert. Die Angebote der anderen Bieter seien hingegen mangels Vorhandenseins solcher Zertifikate gem. § 16 EU Nr. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A von der Wertung auszuschließen. Auch die ASt hätte nicht nach MDR zertifizierte Deckenversorgungseinheiten wesentlich günstiger anbieten können. Die MDR unterscheide sich inhaltlich deutlich von der MDD und stelle wesentlich strengere und weitergehende Anforderungen an die zu zertifizierenden Produkte und Prüfverfahren. Auftraggeber, die – wie hier die Ag – eine Zertifizierung nach MDR verlangten, kauften sich dadurch höhere Sicherheitsstandards ein.
Die von der Ag in Bezug genommene Übergangsvorschrift regele, ab wann medizinische Geräte zwingend nach der MDR zertifiziert sein müssten, was hier aber ohne Belang sei. Die Ag habe eindeutig festgelegt, dass die Deckenversorgungseinheiten nach MDR zertifiziert sein müssten. Ob die Konformitätserklärungen nach MDD noch gültig seien, spiele dabei keine Rolle.
– Hinsichtlich der Andockmöglichkeit für das Narkosegerät verfügten, anders als die ASt, weder die Bg noch die zweitplatzierte Bieterin über eine Kompatibilitätserklärung des Herstellers der Narkosegeräte, der Muttergesellschaft der ASt. Damit handele es sich um eine nicht zugelassene Gerätekombination. Durch die Verbindung mit dem Narkosegerät bewirke sie eine wesentliche Änderung ihrer nach MDD zertifizierten Deckenversorgungseinheit i.S.d. Art. 120 Abs. 3 MDR.
– Da die Bg die ihr gesetzte Frist zur Einreichung des Fabrikatsverzeichnisses habe verstreichen lassen, sei sie gem. § 15 EU Abs. 2 VOB/A zwingend auszuschließen. Es werde bestritten, dass ein hierzu befugter Vertreter der Ag die Aufklärungsfrist verlängert habe. Der Inhalt dieser Kommunikation habe jedenfalls ausreichend dokumentiert werden müssen.
– Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für die Ag sei nicht notwendig. Das Nachprüfungsverfahren betreffe die Frage, ob die Bg und die Zweitplatzierte über die in der Leistungsbeschreibung geforderten Zertifizierungen verfügten. Diese Fragen der Angebotswertung unterfielen der originären Kompetenz der Vergabestelle.
Die ASt beantragt über ihre Verfahrensbevollmächtigten,
1. der Ag unverzüglich eine Kopie dieses Nachprüfungsantrags gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 GWB zu übermitteln und die Ag zugleich darauf hinzuweisen, dass vor einer Entscheidung der Vergabekammer und vor Ablauf der Beschwerdefrist der Zuschlag nicht erteilt werden darf.
2. Der Ag wird untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Bg zu erteilen. Der Ag wird aufgegeben, die Prüfung und Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
3. Die Ag trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der ASt.
4. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die ASt wird für notwendig erklärt.
5. Der ASt wird die Einsichtnahme in die Vergabeakte gewährt, sobald diese bei der Vergabekammer eingegangen ist.
b) Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 13. Februar 2023 beantragte die Ag, 1. den Nachprüfungsantrag vom 01.02.2023 als unzulässig zu verwerfen,
2. hilfsweise: den Nachprüfungsantrag vom 01.02.2023 als unbegründet zurückzuweisen,
3. der ASt die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen der Vergabekammer) aufzuerlegen,
4. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Ag zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war,
5. der ASt aufzuerlegen, dass sie die im Verfahren zur zweckendsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Auslagen der Ag zu erstatten hat,
6. eine Einsicht in die Vergabeakten zu untersagen.
– Der Nachprüfungsantrag sei schon unzulässig, da die ASt die Verletzung in eigenen Rechten nicht nachvollziehbar im Rahmen der Rüge dargelegt habe. Hinsichtlich des fehlenden Zertifikates der Bg gemäß MDR stütze sich die ASt lediglich darauf, dass dieses Zertifikat nicht auf der Homepage der ASt wiedergegeben werde, dort vielmehr nur ein Zertifikat nach MDR zu finden sei. Hierzu sei schon anzumerken, dass die ASt selbst gar keine Homepage habe, sondern nur ihre Konzernmutter, so dass die ASt nach dieser Logik auch selbst vom Verfahren auszuschließen sei. Insbesondere aber sei dieser Vortrag erst im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens erfolgt, nicht hingegen, wie erforderlich, im Rahmen der Rüge. Nur so hätte die Ag jedoch die Möglichkeit zur Indizienverifizierung gehabt. Auch unter Berücksichtigung des erst im Nachprüfungsverfahren gebrachten Verweises auf die Homepage der Bg und die eigene Marktkenntnis sei der Vortrag rein spekulativ. Es sei keineswegs selbstverständlich, dass Unternehmen immer alle ihre Zertifikate auf der eigenen Website bereitstellten. Die ASt rüge damit ins Blaue hinein. Gleiches gelte, soweit die ASt das Erfordernis einer Kompatibilitätserklärung für die Verbindung von Deckenversorgungseinheit und Narkosegerät konstruiere.
– In inhaltlicher Hinsicht sei darauf hinzuweisen, dass die aktuelle MDR 2017/745 am 25. Mai 2017 in Kraft getreten sei und ursprünglich nach einer vierjährigen Übergangszeit ab dem 26. Mai 2021 verpflichtend anzuwenden sein sollte. Diese Übergangszeit sei bereits mehrfach verlängert worden. Nach der aktuellen Fassung des Art. 120 Abs. 2
MDR hätten Unternehmen somit die Möglichkeit, bereits eine Zertifizierung nach MDR durchzuführen, ebenso griffe derzeit noch die Übergangsvorschrift. Die Ag habe sich im Leistungsverzeichnis nicht auf eine Zertifizierung nach MDR beschränkt, sondern nehme die vollständige MDR in Bezug, einschließlich der Übergangsvorschrift. Die Ag habe damit auch Zertifizierungen nach der MDD gelten lassen wollen. Damit genüge das Zertifikat der Bg, wie auch das der Zweitplatzierten, nach der älteren Norm 93/42/EWG den Anforderungen. Dieses sei zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe wie auch derzeit noch gültig. Auch die ASt verfüge über kein Zertifikat, welches bereits die gesamte Betriebsdauer der Deckenversorgungseinheit abdecken könne.
– Es sei auch nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage die ASt für die hier vorgesehene Lösung des rein mechanischen Verbindens der zugelassenen Deckenversorgungseinheit mit einem ebenso zugelassenen Narkosegerät eine Kompatibilitätserklärung des Herstellers des Narkosegerätes verlange. Das Narkosegerät verfüge über Rollen und würde, statt von Hand verschoben zu werden, schlicht zusammen mit der Deckenversorgungseinheit, quasi an deren Leine, bewegt. Eine solche Kombination stelle einen europaweit in Krankenhäusern zum Einsatz kommenden Vorgang dar, der keine wesentliche Designänderung i.S.d. Art. 120 Abs. 3 der MDR darstelle und keine Kompatibilitätserklärung erfordere.
– Soweit die ASt ein nicht mit dem Angebot vorzulegendes, sondern erst nachträglich angefordertes Fabrikatsverzeichnis nicht fristgerecht vorgelegt habe, habe sich die ASt kurz vor Fristablauf direkt mit der von der Ag beauftragten Fachplanung, welche der ASt aus einem technischen Aufklärungsgespräch als für die Aufklärung zuständig bekannt gewesen sei und ebenso im Rahmen der Aufklärung bereits auf Anfrage eine bearbeitbare Excel-Version des Verzeichnisses bereitgestellt habe, in Verbindung gesetzt. Von Seiten der Vergabestelle sei mittels des zuständigen Projektleiters gegenüber dem Planungsbüro eine direkte Kommunikation mit dem Bieter genehmigt worden. Die ASt habe vor Fristablauf anhaltende Serverprobleme mitgeteilt und um kurzen Fristaufschub gebeten, der von Seiten der Fachplanung genehmigt worden sei.
– Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten sei für die Ag erforderlich gewesen. Vorliegend gingen die zu beurteilenden Fragen über die bloße Angebotswertung hinaus. Betroffen seien vorliegend u.a. die Themenkomplexe Rügeobliegenheit und Aufklärung sowie der Gleichbehandlungsgrundsatz. Auch gelte der Grundsatz der Waffengleichheit mit der fachanwaltlich vertretenen ASt.
c) Mit Beschluss vom 3. Februar 2023 ist die Bg zum Verfahren hinzugezogen worden. Sie hat im Vorfeld nicht schriftsätzlich Stellung genommen, jedoch an der mündlichen Verhandlung teilgenommen und dort, teils auf Nachfrage, zum Sachverhalt und den regulatorischen Rahmenbedingungen für die streitgegenständlichen Produkte vorgetragen. Anträge hat sie nicht gestellt.
3. Der ASt ist Akteneinsicht gewährt worden. In der mündlichen Verhandlung wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten umfassend erörtert. Auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten, die Vergabeakte der Ag, soweit sie der Kammer vorlag, sowie die Verfahrensakte wird Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und teilweise begründet.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Insbesondere richtet er sich gegen einen dem Bund zuzurechnenden öffentlichen Auftraggeber. Der Schwellenwert für eine verpflichtende europaweite Ausschreibung wird jedenfalls bei Betrachtung der Gesamtmaßnahme, in die die vorliegende Beschaffung eingebettet ist, überschritten.
a) Die ASt ist als Teilnehmerin am Wettbewerb zwanglos antragsbefugt nach § 160 Abs. 2 GWB. Der Antragsbefugnis steht nicht entgegen, dass das Angebot der ASt lediglich auf dem dritten Rang platziert ist, da die geltend gemachten Ausschlussgründe sowohl das Angebot der erstplatzierten Bg als auch das der zweitplatzierten weiteren Bieterin betreffen könnten. Überdies ist den Bietern, wie noch dargestellt wird, die Abgabe neuer Angebote zu ermöglichen, so dass die Bieterreihenfolge letztlich noch offen ist (zur Antragsbefugnis des drittplatzierten Bieters vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2022 – VIIVerg 25/21).
b) Die Rüge der ASt vom 18. Januar 2023 erfolgte innerhalb der Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB nach Erhalt der Vorabinformation vom 11. Januar 2023 und war auch inhaltlich ausreichend substanziiert. Sie erfolgte nicht „ins Blaue hinein“. Bereits in der Rüge wies die
ASt darauf hin, dass die aus der Angebotsauswertung ersichtlichen Preisunterschiede zu
den Angeboten der Wettbewerber derart augenfällig seien, dass diese für die ASt ausschließlich durch die Nichteinhaltung der technischen Mindestanforderungen des Leistungsverzeichnisses erklärbar seien. Konkret zur Zertifizierung nach MDR verwies die ASt darauf, dass deren Erlangung mit erheblichem, einzupreisendem Aufwand in Bezug auf Produktklassifizierung und -qualifizierung verbunden sei. Damit beruft sich die ASt auf einen für sie ersichtlichen Umstand und zieht eine grundsätzlich nachvollziehbare Schlussfolgerung daraus, wonach der günstigere Preis auf die Nichteinhaltung von auftraggeberseitig gesetzten Zertifizierungsvorgaben zurückzuführen sein könnte. Bei der Bewertung des Vorbringens der ASt ist zu berücksichtigen, dass auch eine Berufung auf die eigene Marktkenntnis eine ausreichende Begründung für das unterstellte Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes sein kann und selbst eine konkludente Berufung auf diese eigene Marktkenntnis, z.B. durch Vortragen von Umständen, die nur ein branchen- und marktkundiges Unternehmen wissen bzw. beurteilen kann, wie hier z.B. der große finanzielle Aufwand einer Zertifizierung nach MDR, möglich ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. November 2022 – VII-Verg 7/22). Dabei ist unerheblich, dass die konkrete Gestaltung des Gesamtpreises bei, wie vorliegend, komplexen und auch verschiedenen Einzelprodukten von höchst unterschiedlichen Kalkulationserwägungen der jeweiligen Bieter getragen sein kann und sich ein automatischer Rückschluss von einem günstigen Gesamtpreis auf das Fehlen geforderter Zertifikate damit verbietet. Aufgrund der zwangsläufigen Informationsdefizite der ASt im Hinblick auf die Details der Angebote ihrer Mitbewerber muss es vorliegend ausreichen, wenn die ASt einen aus ihrer fachkundigen Bietersicht wesentlichen Preisfaktor benennt, und aus dem deutlichen Preisunterschied dann den Schluss auf das Fehlen dieses Preisfaktors in den Angeboten der Wettbewerber zieht. Andernfalls würde die Rügemöglichkeit zu stark eingeschränkt. Maßgeblich kann vorliegend nur sein, dass die ASt einerseits den angeblichen Vergaberechtsverstoß klar benannt hat und gleichzeitig einen grundsätzlich nachvollziehbaren Hinweis auf das Vorliegen dieses angeblichen Verstoßes gegeben hat. Dies ermöglicht dem Auftraggeber eine sachgerechte Prüfung seines Vorgehens und verhindert missbräuchliche Rügen bzw. Verfahrensverzögerungen. Dass der Ag eine Prüfung des Vorbringens der ASt möglich war und diese die Prüfung auch nicht mangels Plausibilität der Vorwürfe zurückgewiesen hatte ergibt sich schon aus der Rügeantwort. Unschädlich ist insoweit, dass die ASt den Hinweis auf das Fehlen von MDR-Zertifikaten auf der Homepage der Bg erst im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens ergänzt hat. Das Rügevorbringen muss hinsichtlich seiner tatsächlichen Herleitung möglichst nachvollziehbar, nicht jedoch zwingend abschließend sein. Dies würde es auch ausschließen, eventuelle nachträgliche Erkenntnisse, die den bisherigen Rügevortrag stützen, im Rahmen des Nachprüfungsantrages zu verwenden. Insoweit ist im vorliegenden Fall auch nicht erforderlich, eine Rüge, die der Auftraggeber nicht als unsubstantiiert zurückgewiesen, sondern inhaltlich geprüft und beantwortet hat, vor Stellung des Nachprüfungsantrages um weitere Details zu vertiefen. Die Ag hat in der Rügezurückweisung explizit ausgeführt, dass die
Deckenversorgungseinheiten der Bg die geforderten Zertifikate besäßen, die Prüfung der
Richtigkeit und Gültigkeit sei im Rahmen der Angebotsprüfung vorgenommen worden. Eine Ergänzung des bisherigen Rügevorbringens hinsichtlich des großen Preisabstandes um den Gesichtspunkt, dass die Bg keine MDR-Zertifikate auf ihrer Homepage eingestellt habe, war hier nicht geboten.
Nach diesen Maßstäben ist dann letztlich auch die Rüge der ASt, dass die Tragarmsysteme der beiden Wettbewerber nicht die Möglichkeit böten, das von der Ag angegebene Narkosegerät aufzunehmen, als hinreichend substanziiert anzusehen.
c) Der Nachprüfungsantrag ist auch innerhalb der Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB auf die Rügezurückweisung vom 25. Januar 2023 hin eingelegt worden.
2. Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise begründet. Die Ag hat zur Herstellung von Transparenz und der Sicherstellung vergleichbarer Angebote das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen und alle Bieter darauf hinzuweisen, dass eine Zertifizierung der Deckenversorgungseinheiten nach MDD ausreichend ist (a). Das Angebot der Bg ist nicht mangels Vorliegens einer Kompatibilitätserklärung des Herstellers des Narkosegerätes auszuschließen (b). Ferner ist das Angebot der Bg auch nicht wegen Versäumens der Frist zur Vorlage des Fabrikatsverzeichnisses auszuschließen (c).
a) Das Vergabeverfahren ist, fortbestehenden Beschaffungswillen der Ag vorausgesetzt, in den Zustand vor Abgabe der Angebote zurückzuversetzen. Die Bedingungen der Leistungsbeschreibung sind nicht hinreichend transparent und vor der Anforderung neuer Angebote durch die Ag klarzustellen.
Schon § 97 Abs. 1 S. 1 GWB macht deutlich, dass öffentliche Aufträge im Wege transparenter Verfahren vergeben werden. § 121 Abs. 1 GWB verdeutlicht dabei für die Leistungsbeschreibung, dass der Auftragsgegenstand so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben ist, sodass die Beschreibung für alle Unternehmen im gleichen Sinne verständlich ist und die Angebote miteinander verglichen werden können. Dies ist in der vorliegenden Vergabe nicht gewährleistet, soweit es die Anforderung an die beizubringende Zertifizierung der Deckenversorgungseinheiten betrifft.
Die diesbezüglichen Anforderungen des Leistungsverzeichnisses (S. 25 f.) geben unmittelbar vor, dass die angebotenen Produkte und Komponenten u.a. den Anforderungen der europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR) entsprechen müssen. Dies könnte in einem ersten, allein vom Wortlaut ausgehenden Schritt dafür sprechen, dass die diesbezüglich geforderte CE-Konformitäts-Erklärung eine solche nach MDR sein müsse.
Bei der Auslegung der Vergabeunterlagen ist indes auf den Adressatenkreis abzustellen, hier also auf fachkundige Anbieter von Medizinprodukten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Juni 2020 – VII-Verg 38/19). Dieses Verständnis des Adressatenkreises ist mit einzubeziehen und führt hier dazu, dass nicht bei einer reinen Wortlautinterpretation stehen geblieben werden kann. Denn die Zertifizierungsvorschriften nach MDR enthalten in Art. 120 Abs. 2 MDR eine Übergangsregelung, wonach Zertifizierungen gem. der Vorgängerregelung MDD für einen Übergangszeitraum weiterhin Bestand haben. Diese Übergangsregelung wurde bereits verlängert und soll weiter verlängert werden. Dem Adressatenkreis der vorliegenden Vergabe ist die Übergangsbestimmung in der MDR bestens bekannt. Regelt die neuere Norm MDR jedoch, dass auch Zertifikate nach der älteren Norm MDD fortgelten, liegt ein Verständnis, nach dem die neue Norm die Verwendung der alten Zertifikate impliziert, nahe. Damit entsprechen dann also auch alte Zertifikate übergangsweise noch den Anforderungen der MDR. Damit ist dann durch Vorlage eines MDD-Zertifikates auch diese Anforderung des Leistungsverzeichnisses erfüllt. Die fachkundig beratene Ag erläuterte in der mündlichen Verhandlung entsprechend, dass das Leistungsverzeichnis durch den umfassenden Verweis auf die Anforderungen der MDR auch deren Übergangsvorschrift einbeziehe und damit also auch Zertifikate nach der alten, aber eben noch gültigen MDD ausreichend seien. Damit und mit dem Nicht-Ausschluss des Angebots der Bg hat auch die Ag deutlich gemacht, dass sie die Vorgabe in einem wettbewerbsoffenen Sinne dahin gemeint hat, dass eine Zertifizierung zwar gefordert ist, es sich aber sowohl um eine fortgeltende MDD- als auch um eine neue MDR-Zertifizierung handeln kann. Wenn auch nicht dem Adressatenkreis zuzurechnen, sondern in ihrer Funktion als fachkundige Erstellerin der Vorgabe hat auch die Ag fortgeltende Zertifizierungen erfassen wollen.
Die Bg jedenfalls hat die Anforderung entsprechend verstanden und ein Angebot unter Vorlage eines MDD-Zertifikates abgegeben. Nach Angabe der Ag gilt dies auch für die zweitplatzierte Bieterin von insgesamt drei Bietern. Sowohl die Auslegung des Leistungsverzeichnisses nach dem fachkundigen Bieterhorizont wie auch die tatsächliche Rezeption durch mehrere Bieter sprechen damit im Ausgangspunkt dafür, dass das Leistungsverzeichnis in der Art zu verstehen ist, dass auch eine Zertifizierung nach MDD den Anforderungen genügt, sofern sie gem. Art. 120 Abs. 2 MDR fortgilt. Gleichzeitig ist jedoch zu berücksichtigen, dass zur Zertifizierung nach MDR eine Bieterfrage gestellt worden ist. Dort ist von der „Zulassung der Deckenversorgungseinheit nach […] MDR“ bzw. der „CE-Konformitätserklärung nach MDR“ die Rede. Die Ag bestätigte, dass „diese“ vorzulegen sei.
Insbesondere der Begriff „Konformitätserklärung nach MDR“ legt dabei ein Verständnis nahe, welches ohne Rückgriff auf die Übergangsregelung eine Zertifizierung unmittelbar nach der MDR voraussetzt. Dieses Verständnis hat die Ag durch ihre pauschale Antwort, ohne Hinweis darauf, dass auch eine Konformitätserklärung nach MDD ausreichend sei, bestärkt. Jedenfalls durch die Veröffentlichung dieser beantworteten Bieterfrage hat die Ag damit Unklarheit über die genauen Anforderungen der Leistungsbeschreibung bzw. eine Widersprüchlichkeit zwischen Leistungsverzeichnis und beantworteter Bieterfrage geschaffen. Diese Unklarheit spiegelt sich in den eingereichten Angeboten wider, die teilweise eine Zertifizierung nach MDR beinhalten, teilweise eine Zertifizierung nach MDD. Damit ist sowohl ein Verständnis i.S. der ASt, es müsse ein Zertifikat nach der neuen Norm MDR eingereicht werden, als auch ein Verständnis i.S. der beiden anderen Bieter und der Ag gedeckt, wonach eine gem. Art. 120 Abs. 2 MDR fortgeltende Zertifizierung nach MDD ausreichend sei. Die ASt hat schriftsätzlich wie auch in der mündlichen Verhandlung dargelegt, ggf. auch zur Lieferung eines nach MDD zertifizierten, preiswerteren Modells in der Lage gewesen zu sein, wenn sie gewusst hätte, dass dies zulässig ist. Die Missverständlichkeit der Vergabeunterlagen hat sich damit zu Lasten der ASt ausgewirkt.
Auch das Verständnis der ASt ist, was in der mündlichen Verhandlung diskutiert wurde, in sich nicht vollständig konsistent, denn auch die ASt bietet in Bezug auf Elemente, die jedenfalls bei den Deckenversorgungseinheiten zum Einsatz kommen sollen, nicht durchgängig MDR-zertifizierte Produkte an, obwohl die Ziffer 1. Der Leistungsbeschreibung – „Vorbemerkung“, welche die MDR-Zertifizierungsvorgabe enthält – als Vorspann für das gesamte LV fungiert. Die Vorgabe könnte mithin auch unter einem weiteren Aspekt unklar sein, ohne dass es jedoch vorliegend streitentscheidend darauf ankäme.
Ein Ausschluss des Angebotes der Bg aufgrund Abweichens von den Vergabeunterlagen kommt in der beschriebenen Situation nicht in Betracht. Die Ag hat das gewollte Verständnis der Vergabeunterlagen – nach Art. 120 Abs. 2 MDR fortgeltende Zertifizierung gem. MDD soll ausreichen – den Bietern gegenüber klarzustellen und diese sodann, im Fall fortbestehender Beschaffungsabsicht, zur Abgabe neuer Angebote aufzufordern. Zwar hat allein die ASt die Vorgaben so verstanden, dass ausschließlich die – gemäß ihrem Vortrag – teurere Zertifizierung nach der MDR gefordert sei, so dass es bei erster Betrachtung ausreichen würde, allein der ASt die Gelegenheit zur Abgabe eines neuen Angebots nach Klarstellung, dass die Ag auch fortgeltende MDD-Zertifikate zulässt, zu geben. Dies würde allerdings die beiden anderen Bieter benachteiligen, denn aufgrund der bei VOB/A-Vergabeverfahren wie dem vorliegenden erfolgten Übersendung des Submissionsprotokolls sind die Endpreise bieteröffentlich. Um dennoch in der zweiten Angebotsrunde nach Zurückversetzung ein gewisses Maß an Wettbewerb zu ermöglichen, muss auch diesen Bietern die Möglichkeit zur Einreichung neuer Angebote eingeräumt werden.
Die Rückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Angebotsabgabe erübrigt sich auch nicht etwa deshalb, weil die Bg aus anderen Gründen vom Vergabeverfahren auszuschließen wäre und das Rechtsschutzbegehren der ASt damit in diesem Nachprüfungsverfahren insoweit letztlich erreicht wäre:
b) Das Angebot der Bg ist nicht gem. § 16 EU Nr. 3 VOB/A wegen Abweichens von den Vergabeunterlagen mangels Vorliegens einer Kompatibilitätserklärung des Herstellers des Narkosegerätes auszuschließen.
Die Vergabekammer stützt sich insoweit insbesondere auf die Ergebnisse der mündlichen Verhandlung. Die sachkundig beratene Ag führte dort aus, dass sowohl die Deckenversorgungseinheit als auch das Narkosegerät jeweils für sich zertifiziert seien. Das vorgesehene Verbindungsstück zwischen diesen sei kein Medizinprodukt, so dass diesbezüglich keine Zertifizierung möglich sei. Das schlichte Schaffen einer Verbindung zwischen beiden Geräten bewirke keine wesentliche Änderung. Das hier eingesetzte Narkosegerät könne grundsätzlich sogar von einer Deckenversorgungseinheit angehoben werden, werde bei der hier vorgesehenen Verbindung jedoch lediglich auf seinen vorhandenen Rollen auf dem Boden bewegt. Eine Kompatibilitätserklärung i.S.d. MDR sei daher nicht notwendig. Vielmehr sei es im Krankenhausbetrieb üblich, dass der Betreiber des Krankenhauses eine große Zahl von Medizinprodukten gleichzeitig einsetze und diese miteinander kombiniere. Hier übernehme der Betreiber die Risikoabschätzung, wie es die Ag vorliegend auch für den Einsatz der Deckenversorgungseinheit in Verbindung mit dem verbundenen Narkosegerät tun werde.
Die ASt räumte ein, dass der Betreiber grundsätzlich viele Risiken übernehmen könne, er dies jedoch nicht tun solle, sofern kommerzielle Lösungen für den gemeinsamen Einsatz verschiedener Produkte vorhanden seien, wie vorliegend bei dem angebotenen Modell der ASt, für welches eine Kompatibilitätserklärung des Herstellers des Narkosegerätes, der Muttergesellschaft der ASt, vorliege. Aufgrund der maschinellen Bewegung des Narkosegerätes anstelle eines händischen Verschiebens wirkten andere Kräfte auf dieses, was z.B. hinsichtlich der Kippgefährdung oder der Möglichkeit des Abtrennens von Schlauverbindungen zwischen Deckenversorgungseinheit und Narkosegerät relevant sei.
In Würdigung der insbesondere in der mündlichen Verhandlung sachkundig vorgetragenen Positionen gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass das Angebot der Bg nicht wegen Abweichens von den Vergabeunterlagen auszuschließen ist. Dazu hätte die Bg etwas anderes anbieten müssen, als das Leistungsverzeichnis verlangt. Dieses fordert hinsichtlich der Deckenversorgungseinheiten, dass alle angebotenen Produkte zugelassen sein und den Anforderungen der MDR entsprechen müssen, was durch eine Konformitäts-Erklärung nachzuweisen sei. Hinsichtlich der Deckenversorgungseinheit der Bg liegt eine gültige MDD-Zertifizierung vor, was, wie oben dargelegt, grundsätzlich als ausreichend anzusehen ist – und nur der Klarstellung halber aufgrund einer missverständlichen Antwort auf eine Bieterfrage sämtlichen Bietern vor der erneuten Angebotsabgabe eindeutig mitzuteilen ist. Das zusätzlich angebotene Verbindungsstück zum Narkosegerät ist nach der unwidersprochenen Darstellung der Ag selbst kein Medizinprodukt, so dass eine Zertifizierung hierfür nicht möglich und damit auch nicht zu verlangen ist. Hinsichtlich der wesentlichen Änderungen, die eine erneute Zertifizierung gem. Art. 120 Abs. 3 MDR erforderlich machten, verwies die ASt in der mündlichen Verhandlung insbesondere auf die größeren Kräfte, die bei maschinellem Bewegen durch die Deckenversorgungseinheit auf das Narkosegerät einwirkten wie auf das Risiko, dass hier Schlauchverbindungen gelöst werden könnten. Die von der ASt vorgetragenen Aspekte betreffen damit insbesondere das Narkosegerät und weniger die Deckenversorgungseinheit. Plausible Gründe dafür, dass das Anbringen des Verbindungselementes eine wesentliche Änderung der zu liefernden Deckenversorgungseinheit darstellen soll, die eine Neuzertifizierung erforderlich machen würde, hat die ASt damit nicht vorgetragen.
Hinsichtlich der Kombination von Deckenversorgungseinheit und Narkosegerät verbleibt es im Ergebnis der mündlichen Verhandlung bei der von der ASt letztlich nicht angegriffenen Feststellung der Ag, dass Krankenhäuser als Betreiber von Medizinprodukten eine Vielzahl von Medizinprodukten kombiniert in den Einsatz bringen, ohne hierfür jeweils auf Kompatibilitätsnachweise der Hersteller zurückgreifen zu können. Der Gerätebetreiber übernimmt die Risikoeinschätzung bezüglich der Kombination der Geräte. Dass die Ag hier keine bereits extern begutachtete Kompatibilität zwischen Deckenversorgungseinheit und Narkosegerät voraussetzte, ergibt sich unmittelbar aus dem Leistungsverzeichnis. Dieses fordert eine Zertifizierung nur der angebotenen Produkte, hier der Deckenversorgungseinheit. Dass die Verbindung der angebotenen Deckenversorgungseinheit und des bereits als (zertifiziertes) Bestandsgerät bei der Ag vorhandenen Narkosegerätes in ihrer Gesamtheit nicht zertifiziert zu sein braucht, ergibt sich weiter auch daraus, dass die Ag insoweit eine Schemazeichnung des Verbindungselementes forderte. Diese ermöglicht eine eigenständige Prüfung durch die Ag und wäre nicht erforderlich, wenn ausschließlich für exakt diese Verwendung zertifizierte Produkte eingesetzt werden dürften.
Die Bg bietet damit ein von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses umfasstes Produkt an, ihr Angebot ist nicht wegen des Fehlens einer Kompatibilitätserklärung des Herstellers des Narkosegerätes auszuschließen. Dies hat letztendlich auch die ASt in der mündlichen Verhandlung konzediert, indem sie lediglich auf die Gefahren für den Krankenhausbetreiber i.S. einer fehlenden Zweckmäßigkeit hinwies, wenn nicht eine zertifizierte Gesamtlösung gewählt werde, nicht aber auf die Ausschlussbedürftigkeit der seitens der Bg angebotenen Lösung.
c) Das Angebot der Bg war auch nicht gem. § 15 EU Abs. 2 VOB/A wegen Verstreichens der ursprünglich gesetzten Frist zur Aufklärung auszuschließen.
Schon der Wortlaut der Norm macht deutlich, dass es auf die „gesetzte“ Frist ankommt. Eine ursprünglich gesetzte, aber aufgehobene und verlängerte Frist ist nicht mehr gesetzt. Hierbei ist die vor Ablauf der Frist gewährte Verlängerung als neu gesetzte Frist zu berücksichtigen. Der Auftraggeber ist grundsätzlich auch hinsichtlich der terminlichen Rahmenbedingungen Herr des Vergabeverfahrens und kann insbesondere die ursprüngliche Frist gem. § 15 EU Abs. 2 VOB/A setzen, so dass nicht ersichtlich ist, weshalb er zu einer Verlängerung nicht berechtigt sein sollte.
Die Gewährung der Fristverlängerung ist im Vergabevermerk angesprochen. Im Schriftsatz vom 24. Februar 2023 legt die Ag konkret dar, dass von Seiten der Vergabestelle mittels des zuständigen Projektleiters gegenüber dem zuständigen Planungsbüro eine Kommunikation direkt mit dem Bieter genehmigt wurde. Danach erfolgte die Fristverlängerung vor Fristablauf durch eine dazu befugte Person. Die Absprache ist hier im Vergabevermerk festgehalten und im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens ergänzend dokumentiert worden. Dies ist ausreichend.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, 2 und 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 VwVfG.
Die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der ASt sind der Ag zu 50 % aufzuerlegen. Die ASt trägt die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag ebenfalls zu 50 %. Dies entspricht der Quote des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens bei einer wirtschaftlichen Betrachtung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die ASt beantragt hatte, der Ag zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Bg zu erteilen und die Prüfung und Wertung der Angebote zu wiederholen. Damit zielte die ASt ausweislich ihrer Antragsbegründung auf den Ausschluss des Angebotes der Bg wie auch der zweitplatzierten Bieterin wegen angeblicher Abweichungen von den Vergabeunterlagen. Die beantragte Wiederholung der Angebotswertung würde damit unter Ausschluss der anderen Angebote erfolgen. Tatsächlich wird der Ag mit dem vorliegenden Beschluss durch die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Angebotsabgabe letztlich zwar untersagt, den Zuschlag auf das bisherige Angebot der Bg zu erteilen. Dies ist jedoch nicht im Angebot der Bg selbst begründet. Dieses könnte in den hier streitigen Punkten unverändert erneut eingereicht werden. In der nächsten Angebotsrunde stünde es dann wieder in Konkurrenz zum neuen Angebot der ASt. Das Ziel der ASt, als einziger Bieter in der Wertung zu verbleiben, ist damit nicht erreicht. Der ASt wird lediglich die Möglichkeit eröffnet, ein neues Angebot abzugeben, welches dann anhand seines Preises in Relation zu den übrigen neuen Angeboten zu werten ist. Dies rechtfertigt die tenorierte Kostenquote.
Die Bg ist nicht an der Kostenentscheidung zu beteiligen. Sie hat keine Anträge gestellt und auch in der Sache nicht schriftsätzlich vorgetragen, sondern in der mündlichen Verhandlung lediglich Sach- bzw. Fachvortrag geleistet. Damit ist sie kein Kostenrisiko eingegangen und es steht ihr weder ein Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung zu noch ist sie als mit der Ag unterliegende Partei anzusehen.
Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Verfahrensbevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren bedarf einer einzelfallgerechten Betrachtung, abstellend auf den Zeitpunkt der Hinzuziehung (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06; vgl. ferner OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. September 2022, VII-Verg 15/22). Die Notwendigkeit der Hinzuziehung hängt davon ab, ob der jeweilige Verfahrensbeteiligte nach den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, den Sachverhalt aufgrund der bekannten bzw. erkennbaren Tatsachen zu erfassen, der im Hinblick auf eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung bzw. -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen (BGH, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.). Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts kann daher insbesondere geboten sein, wenn sich im Nachprüfungsverfahren nicht einfachgelagerte Rechtsfragen stellen, insbesondere solcher verfahrensrechtlicher Natur oder solcher Art, die auf einer höheren Rechtsebene als der der Vergabeordnungen zu entscheiden sind (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die ASt war danach notwendig, da das Nachprüfungsverfahren komplexe Rechtsfragen aufgeworfen hat, die ein durchschnittliches Bieterunternehmen, welches das Vergaberecht nicht vertieft beherrschen muss, nicht ohne fachkundigen Rat bearbeiten können muss.
Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch die Ag war nach den geschilderten Grundsätzen jedoch nicht erforderlich. Das Nachprüfungsverfahren betraf hier Fragen, die zum originären Aufgabenkreis eines öffentlichen Auftraggebers gehören, insbesondere die Erfüllung der Anforderungen des Leistungsverzeichnisses durch einen Bieter, die hinreichende Substantiierung der Rüge und den Ausschluss eines Bieters aufgrund möglicher Fristversäumung im Rahmen der Aufklärung. Diese Fragen sind bereits vor Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens vom Auftraggeber zu bearbeiten und gehören zum Kernbereich seiner Zuständigkeit. Die hier hauptsächlich relevante Frage der Abweichung von den Vergabeunterlagen betrifft schwerpunktmäßig auch medizintechnische Gesichtspunkte, hinsichtlich derer die Ag bereits bei Erstellung des Leistungsverzeichnisses wie auch bei der Prüfung der Angebote fachkundig beraten war. Vor dem Hintergrund, dass ein Bieterunternehmen das Vergaberecht regelmäßig nicht vertieft beherrschen muss, der öffentliche Auftraggeber zur sachgerechten Durchführung eines Vergabeverfahrens hingegen schon, kommt dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit gegenüber der anwaltlich vertretenen ASt insoweit keine besondere Bedeutung zu, die die Zuziehung von Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten des Auftraggebers ohne Vorliegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten rechtfertigen könnte.
IV.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf – Vergabesenat – einzulegen.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
Die Beschwerde ist bei Gericht als elektronisches Dokument einzureichen. Dieses muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Dies gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind. Ist die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.
Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.
Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, so kann das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern.
Die Vorsitzende Dr. Herlemann ist wegen Ortsabwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert.
Dr. Schier Dr. Schier