Vergabekammer Berlin
Aktenzeichen: VK – B1 – 23 / 22
Beschluss vom 08.02.2023
In dem Vergabenachprüfungsverfahren
pp.
wegen des Vergabeverfahrens „ITDZ Berlin: RV Citrix-Lizenzen“ (Referenznummer der Bekanntmachung: 68_2022) hat die 1. Beschlussabteilung der Vergabekammer des Landes Berlin durch die Vorsitzende …, den hauptamtlichen Beisitzer … und den ehrenamtlichen Beisitzer … am 08.02.2023 beschlossen:
1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners.
3. Die Hinzuziehung der Bevollmächtigten des Antragsgegners wird für notwendig erklärt.
4. Die Verfahrensgebühren werden auf … EUR festgesetzt. Auslagen der Vergabekammer werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist ein IT-Unternehmen mit Sitz in …, welches unter anderem Dienstleistungen aus den Bereichen des IT-Services und des IT-Consulting anbietet. Der Antragsgegner ist eine Anstalt öffentlichen Rechts, welches als IT-Unternehmen unter anderem für die Standardisierung von Informations- und Kommunikationstechnik im Land Berlin zuständig ist. Der Antragsgegner schrieb mittels einer Bekanntmachung April 2022 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (2022/S 080-214822) einen Lieferauftrag im Bereich „Softwarepaket und Informationssysteme“ europaweit im offenen Verfahren aus. Die Kurzbeschreibung der Bekanntmachung, Ziffer II.1.4), weist den Beschaffungsgegenstand als einen Rahmenvertrag über 48 Monate über die Lieferung von Citrix-Lizenzen und entsprechende Dienst- und Serviceleistungen aus. Als Bedingung für die Ausführung des Auftrags hat der Antragsgegner unter Ziffer III.2.2 den Nachweis einer bestehenden Partnerschaft CITRIX Solution Adviser (CSA) in Form eines gültigen Partnerstatus „Platinum Plus Solution Adviser“ als Ausschlusskriterium bekannt gemacht. Unter Ziffer III.2.2.3 wurde als Mindeststandard der Partnerstatus „Platinum Plus Solution Adviser“ als Ausschlusskriterium bekannt gemacht.
Mit Vorabinformationsschreiben vom 04.08.2022 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass sie auf ihr fristgemäßes Angebot vom 07.07.2022 keinen Zuschlag erhalten werde, da die Zuschlagsbieterin „…“ das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat und der Vertrag frühestens am 15.08.2022 abgeschlossen werden sollte. Die Antragstellerin erhielt hierbei den 2. Platz unter allen Bietern.
Mit Schreiben vom 11.08.2022 rügte die Antragstellerin die Vergabeentscheidung und trug dabei im Wesentlichen vor, dass die Zuschlagsbieterin nicht die in der EU-Auftragsbekanntmachung unter Abschnitt III.2.2) geforderten Bedingungen für die Ausführung des Auftrags erfülle und daher ihr Angebot auszuschließen sei.
Der Antragsgegner wies in seinem Schreiben vom 12.08.2021 darauf hin, dass die Rüge mangels entsprechender Rügeberechtigung voraussichtlich unzulässig sei und kündigte an die Rüge zu prüfen. Hierbei wurde die Bindefrist im hiesigen Vergabeverfahren auf den 02.09.2022 verlängert. Die Antragstellerin erklärte mit Schreiben vom 16.08.2022, dass sie auf die „…“ als aufnehmende Gesellschaft verschmolzen sei und nunmehr sich in die „…“ umbenannt habe. Die Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister des … erfolgte am 15.07.2022.
Am 11.08.2022 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer des Landes Berlin gestellt, der dem Antragsgegner durch die Kammer am 12.08.2022 übermittelt worden ist und hat im Wesentlichen ihr Vorbringen aus ihrer Rüge wiederholt und vertieft.
Die Antragstellerin hat sinngemäß beantragt
1. den Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren in die Lage vor Eignungsprüfung zurückzuversetzen und das Angebot der … vom weiteren Verfahren auszuschließen,
2. der Antragstellerin Akteneinsicht gem. § 165 GWB zu gewähren,
3. dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen.
Hiergegen hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 19.08.2022 sinngemäß beantragt
1. der Antragstellerin die beantragte Akteneinsicht zu versagen,
2. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
3. die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem Antragsgegner zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen.
4. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für den Antragsgegner notwendig war.
Der Antragsgegner trägt im Wesentlichen vor, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig und unbegründet sei. Einerseits sei die Unzulässigkeit auf die Unternehmensfusion der Antragstellerin zurückzuführen, da hierdurch die Antragsbefugnis der Antragstellerin nicht mehr vorliege. Bei der Antragstellerin handele es sich nicht mehr um das gleiche Unternehmen, das das Angebot im Vergabeverfahren eingereicht habe. Des Weiteren weise die Zuschlagsbieterin die in der Bekanntmachung veröffentlichten Mindestanforderungen auf, weil ihr bestehender Partnerstatus zur CITRIX Systems UK ltd. (nachfolgend nur CITRIX) gleich- oder höherwertig mit dem geforderten Mindeststandard sei, auch wenn es sich nicht um den gleichen Partnerstatus handele. Unzumutbar sei es von Vergabestellen zu fordern, jeden in Betracht kommenden gleichwertigen Nachweis in den Eignungsanforderungen explizit zu benennen.
Der ehemalige Vorsitzende hat mit Verfügung vom 30.11.2022 die Antragstellerin und den Antragsgegner darauf hingewiesen, dass – nach vorläufiger Würdigung des Sach- und Streitstands – der Nachprüfungsantrag voraussichtlich zulässig, jedoch unbegründet erscheint.
Mit jeweils fristgemäßer Verfügung hat der ehemalige Vorsitzende die Entscheidungsfrist bis zum 24.11.2022 und letztmalig bis zum 29.12.2022 verlängert.
Die Vergabeakten des Antragsgegners lagen der Kammer vor und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verfahrensakte sowie die beigezogenen Vergabeakten verwiesen.
II.
Nachdem die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag mit Schriftsatz vom 08.12.2022 zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen und nur noch über die Kosten zu entscheiden.
Als unschädlich sieht es die Kammer an, dass die Verfahrensbeteiligten in Ihren Schriftsätzen unrichtigerweise die Zuschlagsbieterin als „…“ bezeichnet haben. Aus der Vergabeakte ist ersichtlich, dass es sich bei der Zuschlagsbieterin um die „…“ handelt und sich die Verfahrensbeteiligten inhaltlich auf die Mindestanforderungen der Zuschlagsbieterin beziehen. Zudem ist dem gemeinsamen Registerportal der Länder zu entnehmen, dass kein Unternehmen mit dem Namen „…“ existiert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB. Die Antragstellerin hat die Verfahrenskosten im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu tragen. Nach § 182 Abs. 3 S. 4 und S. 5 GWB wird bei einer Rücknahme oder sonstigen Erledigung des Antrags vor einer Entscheidung der Vergabekammer die Kostenentscheidung nach billigem Ermessen getroffen. Billigem Ermessen entspricht es vorliegend, der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzuerlegen, da sie sich durch die Antragsrücknahme freiwillig in die Rolle der Unterlegenen begeben hat (vgl. Begründung zu § 182 GWB, BT-Drs. 18/6281, S. 136; allgemein zu diesem kostenrechtlichen Aspekt vgl. BGH, Beschluss v. 6.7.2005 – IV ZB 6/05, NJW-RR 2005, 1662, 1663; BVerwG, Beschluss v. 26.11.1991 – 7 C 16/89, NVwZ 1992, 787, 788 f.). Anhaltspunkte für eine andere Ausübung des billigen Ermessens bestehen hier nicht.
Die Festsetzung der Verfahrensgebühr beruht schließlich auf § 182 Abs. 1, 2 GWB in Verbindung mit § 182 Abs. 3 S. 4 GWB und entspricht dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer, insbesondere im Hinblick auf die Prüfung des Nachprüfungsantrags. Die Vergabekammer zieht als Ausgangspunkt insofern die auftragswertorientierte Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes (derzeit abrufbar unter http://www.bundeskartellamt.de/DE/Vergaberecht/Materialien/Materialien_node.html) heran. Dabei legt die Kammer in der Regel den Bruttoangebotspreis (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 29. August 2014 – 11 Verg 3/14, IBRRS 2014, 2521) der Antragstellerin für die gesamte, mögliche Vertragslaufzeit zugrunde, die dem wirtschaftlichen Wert des ausgeschriebenen Vertrags entspricht. Unter Beachtung des personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer für das hiesige Nachprüfungsverfahren ergibt sich zunächst eine Verfahrensgebühr in Höhe von … Nach § 182 Abs. 3 S. 4 GWB ist infolge der Rücknahme nur die Hälfte dieser Gebühr, mithin … zu entrichten. Eine weitere Reduzierung der Verfahrensgebühren auf … ist geboten, da das Nachprüfungsverfahren für die Kammer in jeder Hinsicht unterdurchschnittlich umfangreich war. Dem steht nicht entgegen, dass der ehemalige Vorsitzende mit Verfügung vom 30.11.2022 einen rechtlichen Hinweis erteilt hat. Hierbei berücksichtigt die Kammer, dass sich das Nachprüfungsverfahren in einem relativ frühen Verfahrensstadium noch vor der Durchführung der mündlichen Verhandlung erledigt hat. Damit entspricht die im Tenor festgesetzte Verfahrensgebühr dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer.
Auf den Antrag des Antragsgegners hat die Kammer nach § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, 3 S. 2 VwVfG auch die Notwendigkeit der Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten festzustellen. Die Frage, wann die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig ist, kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern muss den Umständen des Einzelfalls Rechnung tragen. Entscheidend ist dabei, ob der Antragsgegner unter den konkreten Umständen des Falls selbst in der Lage gewesen wäre, auf Grund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen, hieraus die für eine sinnvolle Rechtsverfolgung nötigen Schlüsse zu ziehen und entsprechend gegenüber der Vergabekammer vorzutragen (vgl. schon VK Berlin, Beschluss v. 26. August 2014 – VK – B 1 – 10/14 m.w.N.; aus jüngerer Zeit vgl. etwa OLG Naumburg, Beschluss v. 29. Januar 2021 – 7 Verg 4/20, IBRRS 2021, 2778). Danach ist die Hinzuziehung vorliegend notwendig gewesen. Vorliegend wären voraussichtlich mitunter schwierige Rechtsfragen sowohl des materiellen Vergaberechts (Auslegung der Mindestanforderungen in der Auftragsbekanntmachung) als auch des Nachprüfungsverfahrens (Bieteridentität im Rahmen der Antragsbefugnis.) zu klären gewesen, deren Bearbeitung dem Antragsgegner nicht notwendig selbst möglich sein muss.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist innerhalb einer Frist von zwei Wochen, die mit der Zustellung dieser Entscheidung beginnt, schriftlich beim Kammergericht, Elßholzstraße 30/31, 10781 Berlin, oder in elektronischer Form mit einer qualifizierten elektronischen Signatur im Sinne des Signaturgesetzes versehen (www.berlin.de/erv) einzulegen. Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird. Auch sind die Tatsachen und Beweismittel anzugeben, auf die sich die Beschwerde stützt.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterschrieben sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
Vorsitzende
Hauptamtl. Beisitzer
Ehrenamtl. Beisitzer