Vergabekammer Nordbayern, Az.: RMF – SG21-3194-7-30, Beschluss vom 08.03.2023 – Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung, Referenzkriterium doppeldeutig und intransparent

Mrz 8, 2023 | Rechtsprechung

Vergabekammer Nordbayern

Regierung von Mittelfranken

Az.  RMF – SG21-3194-7-30

Beschluss vom 08.03.2023                                                              

 

 

Nachprüfungsantrag:            …..

                                             Bevollmächtigte:

                                           …..

                                             (Antragstellerin – ASt)

 

Vergabestelle:                      …..

                                             (Vergabestelle – VSt)

 

Dienstleistungsauftrag: Panoramaaufnahmen und Laserscan von Straßen…..

Vergabeverfahren:                  Offenes Verfahren

 

Die Vergabekammer Nordbayern bei der Regierung von Mittelfranken erlässt aufgrund mündlicher Verhandlung vom durch den Vorsitzenden ….., den hauptamtlichen Beisitzer ….. und den ehrenamtlichen Beisitzer ….. am folgenden Beschluss:

 

B e s c h l u s s :

  1. Es wird festgestellt, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt hat. Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag abgelehnt.
  2. Die Kosten des Verfahrens, die auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen einschließen, tragen die Antragstellerin und die Vergabestelle zur Hälfte.
  3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
  4. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt xxxx €.
  5. Die Vergabestelle ist von der Zahlung der Gebühr befreit.

 

 

S a c h v e r h a l t :

 

  1.  

Die Vergabestelle (VSt) schrieb mit Bekanntmachung ABl. EG xxxx/S xxx-xxx v. xx.xx.xxxx die Vergabe von Befahrungsleistungen und das Erstellen von Panoramabildern/Laserscans von Straßen ….. aus. 

 

2.

In der Bekanntmachung wurde die Vorlage von Referenzen als Eignungsnachweis gefordert:

„Referenzen [Mussangabe]

K.O.-Kriterium: Ja

Gefordert ist der Nachweis von mindestens 5 vergleichbaren Referenzen für bereits durchgeführte Bereitstellungen von Panoramaaufnahmen und Laserscans in einem WebClient aus den Jahren 2020 bis 2022. Vergleichbar sind Referenzen mit einem Streckennetz von mind. 1.000 km.

Bitte laden Sie eine Anlage hoch mit folgenden Angaben:

  • Angabe Auftraggeber
  • Kurzbeschreibung der erbrachten Leistung
  • Zeitpunkte Beginn und Ende der erbrachten Leistung
  • Angabe der tatsächlichen Länge des Streckennetzes in Kilometern
  • Name und Kontaktdaten eines Ansprechpartners beim Auftraggeber zur Referenzüberprüfung

Die Laufzeit des ausgeschriebenen Vertrags, der nicht verlängert werden kann, datiert vom 01.09.2022 bis zum 31.12.2025.

Als Zuschlagskriterien wurden der Preis und das Kriterium Leistung/Qualität zu jeweils 50 % festgesetzt. 

 

  1.  

Das Leistungsverzeichnis führt zum Beschaffungsgegenstand aus, dass Zielsetzung sei, dass das Stadtgebiet von Nürnberg mit einer 360°-Panoramakamera und einem 360°Laserscanner befahren wird und die Ergebnisse in einem Webclient der ….verwaltung zur Verfügung gestellt werden. Im Vertragszeitraum seien zwei Befahrungen des ….. Stadtgebiets im zeitlichen Abstand von 24 Monaten durchzuführen, jeweils in einem Zeitraum von maximal vier Wochen. Es sei ein Straßennetz von etwa 1.300 km pro Befahrung zu befahren. 

 

  1.  

Mit Schreiben vom 20.07.2022 hat die Antragstellerin (ASt) ein Angebot auf diese Ausschreibung abgegeben. Mit dem Angebot hat die ASt auch Referenzen vorgelegt. Benannt wurden Referenzen aus den Städten K…., M…., L…., F…., S….. Einleitend wurde vermerkt, dass Referenzen von Kunden der ASt geliefert werden, bei denen in den vergangen drei Jahren eine Befahrung mit hochauflösenden 360° Panoramabildern und einer LiDAR Punktwolke durchgeführt wurde. Diese Referenzen würden die angefragten Anforderungen der ….. erfüllen. 

Hinsichtlich den Städten K…., L…., F…. und S…. wurden mehrfache Befahrungen des Straßenraums angegeben, die teilweise auf die Jahre 2020 bis 2022, teilweise auf frühere Jahre entfielen.

Hinsichtlich der Stadt M…. wurde eine Erfassung des Stadtgebiets im August 2019 angegeben.

 

5.

Mit Schreiben vom 04.08.2022 erbat die VSt Aufklärung hinsichtlich der Referenzen. Die VSt stellte insoweit eine Frage zu den Angaben für die Stadt L….. Weitere Fragen zu den übrigen Referenzen, insbesondere hinsichtlich der Stadt M…., wurden nicht gestellt. 

 

6.

Die VSt hat zunächst den Zuschlag an die ASt befürwortet (Vermerk zum Zuschlag vom 21.10.2022). Begründet wurde dies mit dem Angebotsausschluss der beiden Mitbieter. Dabei wurde die Eignung der ASt bejaht; auf eine möglicherweise ungenügende Anzahl von Referenzen wurde insoweit nicht eingegangen. Die Wirtschaftlichkeit des Angebots der ASt wurde bejaht. Dabei wurde auf eine Kostenschätzung des Amts für ….. vom xx.xx.xxxx Bezug genommen, die auf einer von der ASt unter dem 19.11.2021 eingeholten Preisinformation basierte. Es ergebe sich damit ein Preisabstand von 1x,xx % zur Kostenschätzung. Die Kostenschätzung sei jedoch aus mehreren Gründen nicht mit den Angeboten vergleichbar, u.A. da sie auf anderen Preisen und Angaben aufbaue als in den Angeboten der Bieterfirmen. Letztlich könne auf den Zuschlag der optionalen Angebotsposition 1.1 (erweiterter Nutzerkreis des WebClient) verzichtet werden, so dass sich die Angebotssumme reduziere und damit angesichts des geringen Abstands zur Kostenschätzung (0,xx %) ein wirtschaftliches Angebot vorliege. 

Das ….. Rechnungsprüfungsamt hat in einem Vermerk vom 04.11.2022 die Wirtschaftlichkeit des Angebots der ASt nicht bestätigt, da die Kostenschätzung nur auf einer Preisinformation der ASt beruhe und die Kostenschätzung nicht an die späteren Anpassungen des Leistungsverzeichnisses angepasst worden sei. Zudem wurde darauf verwiesen, dass die beiden ausgeschlossenen Angebote deutlich unter dem Angebot der ASt liegen. Weiterhin würden die eingereichten Referenzen der ASt nicht den Anforderungen der Ausschreibung entsprechen. Denn die Referenz für die Stadt M….. sei aus dem Jahr xxxx und damit zu alt. Damit lägen vier gültige Referenzen aus den Städten K…., L…., F…. und S…. vor – die einzelnen Befahrungen wurden damit nicht mehrfach gewertet. Das ….. Rechnungsprüfungsamt hat in dem Vermerk zudem u.A. empfohlen, vor einer erneuten Ausschreibung Informationsangebote bei mehreren Bietern einzuholen und die Referenzen in einem erneuten Vergabeverfahren neu festzulegen. Sie seien in der Ausschreibung eindeutig zu formulieren, Mehrfachzählung gleicher Aufgaben sei dabei auszuschließen. Zudem solle die Preisinformation und die Information von der ….. Vergabestelle eingeholt werden, nicht vom ….. Amt für …… Die Leistungsbeschreibung sei klar und strukturiert zu gliedern, die Leistungskriterien eindeutig und nachvollziehbar in ihrer Gewichtung als Ausschluss- oder Bewertungskriterium zu klassifizieren. 

Im Vermerk vom 15.11.2022 hat die VSt sodann die Aufhebung des Vergabeverfahrens befürwortet und (ausschließlich) mit dem Nichtvorliegen von wertbaren Angeboten begründet – auch das Angebot der ASt sei auszuschließen. Denn bei der Bekanntmachung der Eignungskriterien sei nicht darauf abgestellt worden, dass es bei Mehrjahresverträgen auf eine oder mehrere Befahrungen eines Streckennetzes von mind. 1.000 km ankomme. Auch sei nicht formuliert worden, dass bei Mehrjahresaufträgen jedes Jahr als ein Auftrag und somit als eine Referenz gewertet werde. Neben den jeweils genannten Ausschlussgründen lägen Schwächen in dem Verfahren vor, die vor einer erneuten Ausschreibung der Überarbeitung bedürften, insbesondere um den notwendigen Wettbewerb sicherzustellen. So seien die Referenzanforderungen hinsichtlich Inhalt und Anzahl zu überarbeiten und nachvollziehbar darzustellen, die Leistungskriterien seien eindeutig und nachvollziehbar in ihrer Gewichtung darzustellen. 

 

7.

Mit Schreiben vom 23.11.2022 teilte die VSt der ASt mit, dass ihr Angebot ausgeschlossen werde. Die Referenz Stadt M…. sei nicht im geforderten Zeitraum erbracht worden und daher nicht wertbar. Damit verblieben nur noch vier gültige Referenzen, das Eignungskriterium von fünf geforderten Referenzen werde daher nicht erfüllt. Da kein weiteres wertbares Angebot vorliege, werde die gegenständliche Ausschreibung aufgehoben.

Zu gegebener Zeit werde ein erneutes Ausschreibungsverfahren durchgeführt. 

 

8.

Mit Schreiben vom 24.11.2022 hat die ASt diese Entscheidung gerügt.

Insbesondere wurde ausgeführt, dass die ASt einen Mehrjahresvertrag mit der Stadt M…. habe und diese auch im Jahre 20.. befahren habe, lediglich wegen eines Übertragungsfehlers von der internen Referenzdatenbank sei das zweite Datum nicht abgedruckt worden. Insoweit wäre eine Aufklärung nach § 56 Abs. 2 VgV veranlasst gewesen, denn die ASt habe in der Vorbemerkung zu der Referenzliste angegeben, dass diese (ausschreibungskonform) jeweils Referenzen aus Befahrungen „in den vergangenen drei Jahren“ enthalten solle und es ergebe sich aus den übrigen Referenzen auch, dass bei Mehrjahresverträgen auch Befahrungen miteingeschlossen werden, die außerhalb des geforderten Zeitraums liegen. Mit dem Einschluss von früheren Befahrungen bei Mehrjahresverträgen dokumentiere die ASt ihre jahrelange Erfahrung und Kompetenz in diesem Bereich. § 56 Abs. 2 VgV stelle die Nachforderung von Unterlagen zwar in das Ermessen der VSt, das „ob“ der Nachforderung stehe aber hier nicht mehr in Frage, nachdem sich die VSt – zu einem anderen Aspekt – für eine Nachforderung entschieden habe. Da bei dieser Nachforderung eine fehlende Referenz für die Stadt M…. nicht thematisiert worden sei, sei davon auszugehen, dass die dortige falsche Jahreszahl als Tippfehler aufgefasst worden sei. Im Übrigen hätte es einer Nachforderung nicht bedurft, wenn die VSt auch wegen der Angaben hinsichtlich der Stadt M…. einen Ausschluss erwogen hätte. 

 

9.

Mit Schreiben vom 28.11.2022 hat die VSt die Rüge zurückgewiesen.

Eine Aufklärung hinsichtlich der Referenz für die Stadt M…. sei nicht angezeigt gewesen. Denn der Erklärungsinhalt dieser Angabe sei unmissverständlich. Zudem dürfe durch eine Nachforderung keine inhaltliche Nachbesserung vorliegender Erklärungen vorgenommen werden. 

Im Übrigen könne die Angebotsprüfung vor der Eignungsprüfung erfolgen (unter Verweis auf § 42 Abs. 3 VgV), bzw. parallel von statten gehen.

 

10.

Mit Schreiben vom 01.12.2022 erhob die ASt erneut Rüge.

Im Wesentlichen wurde insoweit die Argumentation aus dem ersten Rügeschreiben wiederholt. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass aus den geschilderten Gründen der Erklärungsgehalt hinsichtlich der Referenz für die Stadt M….. nicht klar sei. 

Erstmals wurde ausgeführt, dass es auf die Deutung der Angaben zu der Referenz für die Stadt M….. aber nicht ankomme, da mehr als fünf zu wertende Referenzen vorgelegt worden seien, da hinsichtlich der angeführten Städte überwiegend mehrfach Befahrungen durchgeführt worden seien. Somit seien acht Referenzen aus den letzten drei Jahren vorgelegt worden. 

 

11.

Mit Schreiben vom 01.12.2022 wies die VSt die Rüge erneut zurück.

Insbesondere wurde hinsichtlich der Anforderungen an die Referenzen ausgeführt, dass insoweit die Angabe, ob es sich um einen einmaligen Auftrag oder einen Mehrjahresauftrag handelt, nicht gefordert wurde. Es sei auch nicht die Angabe der Anzahl der Befahrungen mit einem Streckennetz von mind. 1000 km gefordert worden. Es sei auch nicht formuliert worden, dass bei Mehrjahresaufträgen jedes Jahr als ein Auftrag und somit als eine Referenz gewertet wird. 

 

12.

Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 09.12.2022 stellte die ASt einen Nachprüfungsantrag und beantragte:

  1. Die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 23.11.2002, das Vergabeverfahren aufzuheben, aufzuheben und das Vergabeverfahren ABl. EG 2022/Sxxxxxxxx (Vergabeverfahren „Panoramaufnahmen und Laserscan von Straßen in ….. für das Amt ….. (Az intern: xxxxx)) fortzuführen sowie der Antragstellerin den Zuschlag zu erteilen,

hilfsweise, das Vergabeverfahren bei fortbestehender Vergabeabsicht unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen;

  1. festzustellen, dass die Antragsgegnerin gegen § 56 Abs. 2 S. 1 VgV, § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV und § 63 Abs. 1 Nr. 1 VgV verstoßen und hierdurch die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt hat;
  2. festzustellen, dass der Antragstellerin der Zuschlag auf ihr Gebot hätte erteilt werden müssen;
  3. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin gem. 182 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären;
  4. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich die Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.

 

Zur Begründung wurde im Wesentlichen folgendes ausgeführt:

Die unterlassene Nachforderung von Unterlagen hinsichtlich der Referenzangaben für M….. sei rechtsfehlerhaft. Insoweit wurde im Wesentlichen die Argumentation aus den Rügeschreiben wiederholt. Auf die Referenz für die Stadt M….. komme es jedoch nicht an, da auch ohne diese acht wertbare Referenzen vorlägen. Der Einwand der VSt, pro Stadt könne nur eine Referenz gewertet werden, sei abwegig und finde keine Stütze in den Ausschreibungsunterlagen. Die Anforderungen würden an keiner Stelle verlangen, dass pro Stadt nur eine Referenz zulässig sein soll. Die Ausschreibung spreche von „durchgeführte[n] Bereitstellungen von Panoramaaufnahmen“, stelle also eindeutig auf die jeweilige Befahrung ab, nicht auf den jeweiligen Auftraggeber. Nach ihrem Sinn und Zweck würden die Referenzen nicht dazu dienen zu zeigen, dass man Straßen verschiedener Städte befahren kann – denn insoweit bestehe kein technischer Unterschied zwischen deutschen Städten – sondern zu zeigen, dass der Bieter schon mehrfach derartige Befahrungen durchgeführt hat, mithin, dass die notwendigen sachlichen und personellen Mittel im Zeitraum 2020-2022 tatsächlich vorhanden waren und er die notwendige Erfahrung mit derartigen Aufträgen besitzt. Da das Angebot der ASt wertbar gewesen sei, hätten keine Aufhebungsgründe vorgelegen. Insbesondere liege kein Fall des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV vor, wonach die Berechtigung bestehe, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn kein Angebot eingegangen ist, das den Bedingungen entspricht.

 

  1.  

Mit Schriftsatz vom 19.12.2022 erwiderte die VSt hierauf und beantragte:

  1. Der Nachprüfungsantrag wird abgelehnt.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Zur Begründung wurde im Wesentlichen die Argumentation der Rügezurückweisungsschreiben wiederholt. 

Ergänzend wurde vorgetragen, dass sich die Aufhebung neben § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV auch auf § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VgV stützen könne, wonach die Berechtigung zur Aufhebung besteht, wenn kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde. Dabei könnten nicht nur die Kostenschätzung des Auftraggebers, sondern auch die anderen Angebote betrachtet werden, auch solche, die ausgeschlossen wurden, sofern die Gründe für den Ausschluss nicht preisrelevant sein können, was hier der Fall sei. Die Preise der anderen beiden Bieter würden gegenüber dem Angebot der ASt deutlich nach unten abweichen. 

 

14.

Mit Schriftsatz vom 04.01.2023 nahm die ASt erneut Stellung.

Insbesondere wurde angeführt, dass hinsichtlich der Stadt M….. eine Nachforderung  einer aktuellen Referenz im Rahmen von § 56 Abs. 2 VgV möglich gewesen wäre, denn diese habe hier gefehlt. Dagegen liege nicht der im Rahmen von § 56 Abs. 2 VgV nicht zulässige Fall einer Nachforderung bzw. Nachbesserung hinsichtlich einer inhaltlich unzureichenden Referenz vor. Im Übrigen könne es nicht unzulässig sein, zu einer Stadt mehrere Befahrungen als mehrere Referenzen anzugeben, da eine solche Einschränkung durch die Vergabeunterlagen nicht formuliert worden sei. 

Die ASt wendet sich zudem gegen das Vorliegen des erstmals mit der Antragserwiderung vorgetragenen Aufhebungsgrundes des Fehlens eines wirtschaftlichen Ergebnisses (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VgV). Das Nachschieben von Ermessenserwägungen sei wegen der Vorgabe einer zeitnahen Vergabedokumentation kritisch zu sehen. Dieser Aufhebungsgrund sei jedoch auch der Sache nach nicht gegeben. Das Gebot der ASt entspreche Marktpreisen. Die ASt befahre die Hälfte der deutschen Großstädte zu ähnlichen Konditionen. Vielmehr handele es sich bei den Geboten der anderen Bieter um Unterkostenangebote. Dafür würden auch deren Angebotsausschlüsse sprechen. Im Übrigen könne hinsichtlich der Einschätzung der Marktlage nicht auf Gebote von Bietern abgestellt werden, wenn die Höhe der Gebote der Mitbieter zumindest auch von den Gründen beeinflusst sein könnten, die zu ihrem Ausschluss geführt haben. Gegen die Annahme eines fehlenden wirtschaftlichen Ergebnisses spreche auch der Vergleich des Angebotspreises mit der zuvor durch die VSt von der ASt eingeholten Preisauskunft.  

 

15.

Am 09.01.2023 hat die Vergabekammer wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten die Entscheidungsfrist gem. § 167 Abs. 1 Satz 2 GWB bis einschließlich 15.03.2023 verlängert.

 

16.

Mit Schriftsatz vom 24.01.2023 nahm die Vergabestelle erneut Stellung. 

Der Vortrag, dass hinsichtlich der Referenzen eine Nachforderung nicht möglich sei, da es sich hier nicht um einen Fall von fehlenden, sondern inhaltlich unzureichenden Referenzen handele, wurde vertieft (unter Verweis auf OLG Düsseldorf, B.v. 17.12.2012, Verg 47/12, B.v.

28.03.2018, Verg 42/17; VK Bund, B.v. 11.03.2022, VK 1-23/22). 

Die Argumentation zur Unwirtschaftlichkeit wurde ebenfalls vertieft. Im Rahmen einer internen Prüfung habe das ….. Rechnungsprüfungsamt die Wirtschaftlichkeit des Angebots verneint. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass die ASt mit ihrem eingereichten Angebot selbst um ca. 1x % von ihrer vorherigen Preisinformation abweiche. Erneut wurde darauf verwiesen, dass auch ausgeschlossene Gebote als Vergleichsmaßstab herangezogen werden können. Das Angebot der ASt weiche zum Angebot des einen Bieters um mehr als 20 % und zum anderen Bieter um mehr als 50 % ab. Klammere man die letztlich nicht benötigte Position 1.1 aus, ergebe sich zu den anderen Bietern immer noch ein Preisabstand von ca. 20 % bzw. mehr als 50 %. Der Preisunterschied basiere hauptsächlich auf dem Punkt des Befahrens, die anderen Bieter hätten hier eine geringere Fahrstrecke zum Leistungsort xxxxx angegeben bzw. einen geringeren Kilometerpreis angesetzt. 

 

17.

Mit Schriftsatz vom 09.02.2023 nahm die ASt hierauf Stellung. 

Der Vortrag, dass hinsichtlich der Stadt M….. eine Referenz habe nachgereicht werden können, wurde vertieft. Aus der von der VSt für die Gegenansicht angeführten Rechtsprechung ergebe sich nichts Anderes. 

Ergänzend wurde dafür vorgetragen, dass jede einzelne Befahrung als Referenz zu werten sei. Dagegen sei die nachträglich angenommene Auffassung des …..amts der VSt, dass mehrere Befahrungen in einer Stadt nur als eine Referenz gewertet werden dürfen, unzutreffend. Denn das Rechnungsprüfungsamt erkenne in seinem Vermerk selbst an, dass die Vorgaben insoweit unklar sind, da die Empfehlung ausgesprochen wurde, die Referenzen in einem erneuten Vergabeverfahren neu festzulegen und eindeutig zu formulieren, wobei die Mehrfachzählung gleicher Aufgaben dabei auszuschließen sei. Es entspreche jedoch gefestigter Rechtsprechung, dass Unklarheiten in den Vergabeunterlagen zu Lasten der ausschreibenden Stelle gehen und dass nicht im Nachhinein zusätzliche, nicht kommunizierte Anforderungen gestellt werden dürfen. Dass jede Befahrung als Referenz gewertet werden müsse, dafür spreche auch, dass die VSt die Referenzkriterien mit dem Ziel aufgestellt hat, dass der Zuschlag nur an Firmen vergeben wird, die über ausreichend Erfahrung verfügen (unter Verweis auf den Zuschlagsvermerk vom 21.10.2022). Die Erfahrung werde jedoch durch die Zahl der Befahrungen nachgewiesen. Wo diese stattfinden, sei egal, da bei jeder Befahrung unterschiedliche fachliche Vorgaben für das zu befahrende Netzwerk als auch in der Prozessierung der Daten zugrunde lägen. 

Ergänzend wurde ebenfalls gegen den Aufhebungsgrund des Nichtvorliegens eines wirtschaftlichen Ergebnisses (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VgV) vorgetragen. Die VSt habe das Angebot der ASt zunächst selbst als auskömmlich bewertet (unter Verweis auf den Zuschlagsvermerk vom 21.10.2022). Daran ändere auch die spätere Einschätzung (Vermerk …..prüfung vom 04.11.2022), dass Marktpreise fehlen bzw. dass die Kostenschätzung der ASt keine sichere Grundlage für die Bewertung der Wirtschaftlichkeit darstelle, nichts. Denn die Unwirtschaftlichkeit sei damit gerade nicht festgestellt. Da die Aufhebung im Vermerk vom 21.10.2022 nicht mit der Unwirtschaftlichkeit begründet wurde, sei ein späteres Berufen darauf ohnehin unzulässig. Es sei jedoch ohnehin nicht von einem unwirtschaftlichen Ergebnis auszugehen. Dies ergebe eine Gegenüberstellung der Kostenschätzung mit den Angebotspreisen, das Angebot der ASt sei insoweit sogar günstiger. Da die Kostenschätzung von Ende 2021 stamme, das Angebot jedoch in Q3/2022 erfolgt sei, wäre zudem auch die zwischenzeitliche Inflation von 10 % zu berücksichtigen. 

 

18.

Mit Schriftsatz vom 20.02.2023 nahm die VSt erneut Stellung. 

Die VSt vertiefte ihren Vortrag dazu, dass hinsichtlich der Referenz zu der Stadt M….. keine Nachforderung zulässig gewesen sei. Denn es habe insoweit keine fehlende oder unvollständige Unterlage, sondern eine fehlerhafte Unterlage vorgelegen. Bei gebotener richtlinienkonformer Auslegung des § 56 Abs. 2 VgV sei im Rahmen der Nachforderung von Unterlagen jedoch keine inhaltliche Änderung zulässig. 

Des Weiteren ergänzte die VSt ihre Erwägungen zur Aufhebung wegen Unwirtschaftlichkeit. Weiter wurde ergänzend dazu vorgetragen, dass die Aufhebung sich auf sachliche Gründe stütze und daher jedenfalls rechtswirksam sei. Dafür wurde der vom xxxxx xxxxxamt festgestellte Überarbeitungsbedarf der Ausschreibung ins Felde geführt. Zudem solle auch der Leistungsumfang geändert werden. So sollen zusätzliche Aspekte wie die Übergabe der Ergebnisse auf Festplatten, die Erfassung von Verkehrszeichen, die Integration von Fahrradwegen aus früheren Befahrungen und die Erfassung von Radwegen außerhalb der Straßen aufgenommen werden; dagegen soll die Ausgabe der Laserpunktwolke aus der Webanwendung, die Ausgabe als Bilddatei und die gleichzeitige Anzeigemöglichkeit von drei Darstellungsvarianten nicht mehr gefordert werden. 

 

19.

Mit Schriftsatz vom 22.02.2023 nahm die ASt erneut Stellung und führte im Wesentlichen folgendes aus: 

Ungeachtet des letzten Sachvortrags der VSt sei hier die Aufhebungsentscheidung aufzuheben. Der BGH ließe dies nicht nur im Fall der Diskriminierung zu (unter Verweis auf BGH, U.v. 20.03.2014, X ZB 18/13). Der VSt sei aufzugeben, ihre Ermessensentscheidung über die Aufhebung zu wiederholen. Diese Ermessensentscheidung könne aus mehreren Gründen nur dazu führen, dass der ASt der Zuschlag zu erteilen sei. Die erst nachträglich für die Aufhebungsentscheidung ins Feld geführten Argumente könnten nicht berücksichtigt werden. Dies gelte insbesondere für die Argumentation der günstigeren Leistungsausführung durch die ausgeschlossenen Bieter, zumal es der VSt offenbar nicht darauf ankomme, wenn nun zusätzliche, teure Leistungen vergeben werden sollen. So widerspreche die nun vorgesehene zusätzliche Erfassung von Verkehrsschildern – die ohnehin als gesondertes Los vergeben werden könne – dem Gebot der Wirtschaftlichkeit. Auch die nun vorgesehene Integration vorhandener Panoramaaufnahmen sei gesondert auszuschreiben; sie habe mit dem hiesigen Verfahren nichts zu tun. Dies gelte auch für die nun vorgesehene Befahrung von Radwegen.

 

20.

In der mündlichen Verhandlung vom 24.02.2023 hatten die Beteiligten Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern und stellten die Anträge aus den jeweiligen Schriftsätzen.

 

21.

Im Übrigen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die im Nachprüfungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer, das Protokoll der mündlichen Verhandlung und die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, Bezug genommen.

 

B e g r ü n d u n g:

1.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

 

  1. a)

Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2  Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.

 

  1. b)

Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 GWB.

 

  1. c)

Bei dem ausgeschriebenen Auftrag handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 GWB.

 

  1. d)

Der maßgebliche Schwellenwert ist überschritten. 

 

  1. e)

Die ASt ist antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB, denn sie hat ihr Interesse an dem öffentlichen Auftrag mit der Abgabe eines endgültigen Angebotes nachgewiesen und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. 

 

f)

Die ASt ist ihrer Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB rechtzeitig nachgekommen. 

Dies gilt insbesondere auch für die unter dem 01.12.2022 erstmals vorgebrachte Rüge der ASt, dass die Referenzkriterien der VSt nicht so zu verstehen seien, dass einzelne Befahrungen in derselben Stadt nicht jeweils für sich als Referenz zu werten seien. 

Wegen der hohen Bedeutung des Transparenzgrundsatzes (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) gehen Unklarheiten der Vergabeunterlagen zulasten der Vergabestelle. Dies hat auch Bedeutung für die Einhaltung der Rügeobliegenheit. Damit die skizzierte Risikoverteilung nicht unterlaufen wird, ist nicht von einer Erkennbarkeit der – hier in der Sache gerügten – Intransparenz von Vergabeunterlagen im Sinne des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB auszugehen, wenn die Deutung des Bieters nachvollziehbar war (OLG Celle, B. v. 12.10.2021, 13 Verg 7/21).

Dies hält die Vergabekammer hier für gegeben. Denn der Wortlaut des hier strittigen Referenzkriteriums verlangt nicht explizit, dass die verlangten Darstellungen von Panoramaaufnahmen aus verschiedenen Städten stammen müssen bzw. dass einzelne Befahrungen nicht zählen würden, so dass die Deutung der ASt sich nachvollziehbar mit dem Wortlaut vereinbaren lässt. Hinzu kommt folgender Aspekt: Nach dem Verständnis der ASt wird die Eignung in der Sache eher durch die Fähigkeit, in einem gewissen Zeitraum eine gewisse Anzahl von Befahrungen bzw. Befahrungskilometern durchzuführen dokumentiert, weniger durch Befahrungen in einer gewissen Anzahl von Städten, da jede Befahrung eine neue Aufgabenstellung darstellt, unabhängig davon in welcher Stadt dies stattfindet. Letztlich hat die VSt in der mündlichen Verhandlung dieses Verständnis geteilt. 

Die diesen Gesichtspunkt betreffende Rüge vom 01.12.2022, folgend dem am 23.11.2022 mitgeteilten Angebotsausschluss, war damit rechtzeitig im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB, da der gerügte Verstoß nicht gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 3 GWB aufgrund der Bekanntmachung oder der Vergabeunterlagen erkennbar war. 

 

  1. g)

Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB.

 

2.

Der Antrag auf Nachprüfung ist nur zum Teil begründet. 

 

a)

Der Nachprüfungsantrag ist begründet, soweit die Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung der Vergabekammer angegriffen wird. Die Aufhebungsentscheidung der VSt kann sich nicht auf einen Aufhebungsgrund nach § 63 Abs. 1 Satz 1 VgV stützen, insbesondere nicht auf die von der VSt zitierten § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 VgV. Insoweit wird eine Rechtsverletzung festgestellt, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB.

 

aa)

Der Aufhebungsgrund des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV (Nichtvorliegen eines Angebots, das den Bedingungen entspricht) ist nicht gegeben. Das Angebot der ASt entsprach den Bedingungen. Der Angebotsausschluss durch die VSt war rechtswidrig. Insbesondere liegt kein Fall des § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV (Ausschluss wegen fehlenden Unterlagen) im Hinblick auf die von der VSt geforderten Referenzen vor. 

Denn das bekannt gemachte Referenzkriterium war doppeldeutig und damit intransparent.  Bei der Auslegung kommt es insoweit auf den objektiven Empfängerhorizont von fachkundigen und mit einschlägigen Aufträgen vertrauten potentiellen Bietern an (Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 97 GWB Rn. 43 m.w.N.). 

Das bekannt gemachte Referenzkriterium verlangt hier den Nachweis von mindestens fünf vergleichbaren Referenzen für bereits durchgeführte Bereitstellungen von Panoramaaufnahmen und Laserscans in einem WebClient. Wie bereits unter 1. f) dargestellt, trifft der Wortlaut dieses Kriteriums keine Festlegung dahingehend, dass Befahrungen nur dann als Referenz zählen, wenn sie von verschiedenen Städten stammen. Das Kriterium könnte daher nach dem Wortlaut – auch in objektiver Hinsicht – so verstanden werden, dass einzelne Befahrungen als Referenz zählen, weil eine Bereitstellung von Aufnahmen auch auf Grundlage einer Befahrung stattfinden kann. Für dieses Verständnis kommt es daher entgegen der Ansicht der VSt nicht darauf an, dass die Wertung bereits einer Befahrung als Referenz nicht explizit im Wortlaut erwähnt ist. Da der Wortlaut jedoch die Zählung einer einzelnen Befahrung nicht thematisiert, erscheint auch die Deutung, dass es für die Referenz auf die Befahrung verschiedener Städte ankommt (und dass insoweit mehrfache Befahrungen nicht zählen) für möglich. Auf diese Lesart könnte auch die nach dem Referenzkriterium erforderliche Benennung des Auftraggebers hindeuten; allerdings schließt dies nicht aus, dass Referenzen vom selben Auftraggeber stammen dürfen. Dasselbe gilt für den erwähnten Aspekt der Vergleichbarkeit im Zusammenhang damit, dass die xxxxx nach dem Leistungsverzeichnis zwei Befahrungen ausschreibt, es also um einen Mehrjahresauftrag geht. Auch dies führt jedoch nicht zu einer eindeutigen Aussage, da die Vergleichbarkeit etwa auch den Aspekt der Länge des Streckennetzes betreffen könnte. Zudem ist aus den Vergabeunterlagen nicht ersichtlich, was der Hintergrund der Beauftragung von zwei Befahrungen ist. 

Das Referenzkriterium ist daher doppeldeutig. Dafür spricht auch die Empfehlung des städtischen …….amts im Vermerk vom 04.11.2022, die Referenzkriterien bei einer erneuten Ausschreibung eindeutig zu formulieren. 

Diese Doppeldeutigkeit ist als Verstoß gegen das Transparenzgebot vergaberechtswidrig. Die Intransparenz geht zu Lasten der VSt (vgl. OLG Celle, B. v. 12.10.2021, 13 Verg 7/21). Die VSt durfte den Angebotsausschluss daher nicht auf eine ungenügende Anzahl von vorgelegten Referenzen stützen, da das Referenzkriterium auch die Deutung zulässt, dass für die Zählung der Referenzen auf jede einzelne Befahrung mit der verlangten Länge und in dem bezeichneten Zeitraum abzustellen ist. 

Aufgrund dieses Ergebnisses kommt es nicht mehr darauf an, ob der Angebotsausschluss wegen Nichtwertung der Referenzangabe für die Stadt M….. rechtswidrig ist, weil die VSt hier keine Nachreichung zugelassen hat bzw. nicht zur Nachreichung aufgefordert hat. Es kommt daher nicht darauf an, ob gem. § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV eine Nachforderungsmöglichkeit hinsichtlich der von der ASt unterlassenen Angabe einer Befahrung aus den Jahren 2020 bis 2022 besteht, ob also insoweit von einer fehlenden, unvollständigen oder einer fehlerhaften Unterlage auszugehen ist und inwieweit im Fall der fehlerhaften Unterlage eine Korrekturmöglichkeit besteht. Die ASt hatte insoweit vorgetragen, dass durch einen Fehler die nach ihrem Vortrag stattgefundene Befahrung aus dem Jahr 2021 nicht zusätzlich neben der Befahrung aus dem Jahr 2019 in der Referenzangabe für die Stadt M….. genannt worden sei. 

 

bb)

Die VSt darf sich nicht auf den geltend gemachten Aufhebungsgrund des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 (kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt) berufen. 

Dabei kann letztlich offenbleiben, ob die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Es kann damit offenbleiben, ob das Angebot der ASt erheblich über dem Preis liegt, der nach einer ordnungsgemäßen Schätzung des Auftragswerts ermittelt worden ist (vgl. Ziekow/Völlnik, 4. Aufl. 2020, § 63 VgV, Rn. 42), ob die Kostenschätzung methodisch sauber ermittelt wurde und daher als Bezugspunkt herangezogen werden kann (vgl. Beck´scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, § 63 VgV, Rn. 41) und ob bei der vergleichenden Betrachtung die Angebote der ausgeschlossenen Bieter herangezogen werden dürfen (nach OLG Düsseldorf, B. v. 31.10.2007, VII – Verg 24/07 darf der Ausschlussgrund keinen Einfluss auf die Kalkulation haben, was ggf. näher zu überprüfen ist; OLG München, B. v. 02.06.2006, Verg 12/06 verlangt hierfür eine Einzelfallprüfung).

Denn die auf der Rechtsfolgenseite gebotene Ermessensausübung war hier fehlerhaft. Nach Auffassung der Vergabekammer ist im Rahmen der Aufhebungsentscheidung das Anstellen von Ermessenserwägungen und deren Dokumentation erforderlich. Die Ermessenerwägungen müssen die betreffenden Aspekte behandeln und insbesondere auf die berührten Interessen der Bieter, mögliche Handlungsalternativen gegenüber der Aufhebungsentscheidung und ggf. auch auf Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts eingehen (s. auch VK Nordbayern, B. v. 05.07.2019, RMF-SG21-3194-4-23). 

Diese Ermessenserwägungen sind nach Auffassung der Vergabekammer aus Gründen der Nachvollziehbarkeit, Nachprüfbarkeit und Transparenz zeitnah und fortlaufend in der Vergabedokumentation zu dokumentieren. Daher begegnet das Nachschieben von Ermessenserwägungen, insbesondere in Schriftsätzen im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens, Bedenken (Beck´scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, § 63 VgV, Rn. 55). Zudem gilt es nach Auffassung der Vergabekammer zu berücksichtigen, dass für die teilweise bzw. in Teilen für mögliche gehaltene Nachbesserung von Dokumentationsmängeln das Interesse am Fortgang des Verfahrens ins Feld geführt wird (s. hierzu Ziekow/Völlnik, § 8 VgV, Rn. 13). Nachdem die VSt sich hier für die Aufhebung entschieden hat, kann dies jedoch hier keine Rolle spielen. Daher und wegen der hohen Relevanz einer Aufhebungsentscheidung und damit auch deren Begründung ist nach Auffassung der Vergabekammer das Fehlen von Ermessenserwägungen zum Nichtvorliegen eines wirtschaftlichen Ergebnisses im Aufhebungsvermerk hier erheblich und insoweit das Nachschieben von Ermessenserwägungen nicht möglich. Es kann daher offenbleiben, ob mit den – nachgeschobenen – Ermessenserwägungen hier der Aufhebungsgrund des fehlenden wirtschaftlichen Ergebnisses ausreichend begründet wurde. Insbesondere kann daher offenbleiben, ob bei einem Vergleich des Angebotspreises der ASt mit den ausgeschlossenen Angebotspreisen Maßnahmen der Preisaufklärung hätten dargestellt werden müssen. 

 

cc)

Andere Aufhebungsgründe sind nicht ersichtlich. 

 

  1. b)

Im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag unbegründet, insbesondere soweit er auf die Aufhebung der Aufhebungsentscheidung der VSt gerichtet ist (Ziffer 1). 

Grundsätzlich haben Bieter zwar einen Anspruch auf Einhaltung der vergaberechtlichen Bestimmungen, jedoch besteht für die Vergabestelle grundsätzlich kein Zwang zur vertraglichen Bindung und damit auch keine Verpflichtung, den Zuschlag zu erteilen bzw. das Vergabeverfahren durch Zuschlagserteilung zu beenden (s. auch § 63 Abs. 1 Satz 2 VgV). Damit haben Bieter auch keinen Anspruch darauf, dass der Zuschlag erteilt wird und Vergabestellen dürfen Vergabeverfahren grundsätzlich auch dann rechtswirksam aufheben, wenn keiner der vergaberechtlich geregelten Aufhebungsgründe vorliegt (BGH, B.v. 20.03.2014, X ZB 18/13). Nur im Ausnahmefall ist eine Aufhebungsentscheidung rechtsunwirksam und kann von der Vergabekammer aufgehoben werden, etwa dann wenn die Aufhebungsentscheidung diskriminierend ist und die Aufhebung in zu missbilligender Weise eingesetzt wird, um den Auftrag außerhalb des Verfahrens an einen bestimmten Bieter oder unter anderem Umständen bzw. in einem anderen Bieterkreis vergeben zu können (BGH, B.v. 20.03.2014, X ZB 18/13). Ein solcher Fall ist zwar angesichts der grundsätzlich weiterbestehenden Vergabeabsicht der VSt, wie sie beispielsweise in der Mitteilung über die Aufhebung vom 23.11.2022 dokumentiert ist, zwar nicht von vorneherein ausgeschlossen, liegt jedoch nach Auffassung der Vergabekammer nicht vor.  

Eine Diskriminierung kann jedoch nicht angenommen werden, wenn die neue Vergabe in einem offenen, dem Wettbewerb geöffneten Verfahren stattfinden soll (BGH, B.v. 20.03.2014, X ZB 18/13). Im Übrigen trifft den ASt die Feststellungslast hinsichtlich des Nachweises, dass der Aufhebungsgrund nur vorgeschoben ist (VK Nordbayern, B. v. 15.03.2016, 21.VK-3194-42/15). Die VSt will die neue Vergabe erneut „ausschreiben“, wie etwa aus dem Aufhebungsschreiben vom 23.11.2022 hervorgeht. Demnach und auch nach den Äußerungen der VSt in der mündlichen Verhandlung ist davon auszugehen, dass das neue Vergabeverfahren für den Wettbewerb geöffnet ist. Im Übrigen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine neue Vergabe ohne Wettbewerb bzw. unter Ausschluss der ASt stattfindet.

Gegen die Annahme einer diskriminierenden Aufhebungsentscheidung spricht auch, dass für die Aufhebungsentscheidung nach Auffassung der Vergabekammer sachliche Gründe bestehen. Angesichts dieser Sachgründe sieht die Vergabekammer auch unabhängig von der Frage der Diskriminierung keinen Raum für die Aufhebung der Aufhebungsentscheidung. 

Einen Sachgrund stellt die Annahme der VSt dar, dass kein wertbares Angebot vorliegt. Wegen der objektiven Uneindeutigkeit der Referenzvorgaben ist zwar, wie dargestellt, ein Ausschluss des Angebots der ASt wegen fehlender Referenzen nicht rechtmäßig, aber sachlich nachvollziehbar, da die Annahme der VSt, dass Befahrungen bei Mehrjahresaufträgen nicht mehrfach zählen, vor dem Hintergrund des niedergelegten Referenzkriteriums wie ausgeführt sachlich nachvollziehbar ist. 

Einen Sachgrund stellt die Annahme dar, dass kein wirtschaftliches Angebot vorliegt, auch wenn dies hier, wie dargestellt, jedenfalls aufgrund der fehlenden Begründung bzw. Begründungstiefe nicht festzustellen war, da die Betrachtungsweise der VSt zumindest sachlich nachvollziehbar ist.

Ein Sachgrund für die Aufhebungsentscheidung ist in dem Vorhaben zu erblicken, in einem neuen Vergabeverfahren analysierte Schwächen des bisherigen Verfahrens zu beheben. Insbesondere nennt die VSt hier die im Vermerk des xxxxx xxxxxamts vom 04.11.2022 monierten Punkte wie die Verbesserung der Erstellung der Kostenschätzung, die genauere Formulierung der Referenzkriterien und die genauere Definition und Einordnung der Leistungskriterien. Diese Gründe stehen in Bezug zu einer transparenten und wettbewerblichen Ausgestaltung des Vergabeverfahrens und sind daher nicht zu missbilligen. 

Ein Sachgrund für die Aufhebung ist in dem im Schriftsatz der Vergabestelle vom 20.02.2023 dargestellten Vorhaben zu erblicken, den Leistungsumfang anzupassen, indem einerseits der Leistungsumfang erweitert werden soll (etwa im Hinblick auf die Erfassung von Verkehrsschildern und Fahrradwegen), andererseits der Leistungsumfang verringert werden soll (etwa im Hinblick auf Anzeige- und Ausgabemöglichkeiten). Dieses Vorhaben ist angesichts der Beschaffungshoheit der Vergabestelle, die im Rahmen der rechtlichen Vorgaben den Leistungsgegenstand und Leistungsumfang festlegen darf, nicht zu missbilligen. 

 

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB. 

 

  1. a)

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin und die Vergabestelle je zur Hälfte. Wegen des teilweisen Unterliegens von beiden Beteiligten kommt insoweit die Kostentragungsregelung des § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB zur Anwendung. Vorliegend hält die Vergabekammer eine jeweilige Unterliegensquote von 50 % für sachgerecht.

 

  1. b)

Die Kostentragungspflicht hinsichtlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB. 

 

c)

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten war für die ASt notwendig gem. § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 VwVfG, da es sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall handelt. 

 

  1. d)

Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 GWB festzusetzen. Unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer und des Angebotspreises der Antragstellerin errechnet sich unter Berücksichtigung der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von x.xxx,- €. 

Der geleistete Kostenvorschuss von x.xxx,- € wird, soweit er die von der ASt zu leistende Gebühr von x.xxx,- € übersteigt, nach Bestandskraft dieser Entscheidung an die ASt zurücküberwiesen. 

Die VSt ist von der Zahlung der Gebühr befreit, § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG in der Fassung vom 14.08.2013.

 

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g:

………………..

 

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