1. Vergabekammer Sachsen, Az.: 1 SVK 34/22, Beschluss vom 13.03.2023 – Verstoß gegen Formvorschriften, Erkennbarkeit des Bieters, Fehlen einer rechtsverbindlichen Willenserklärung zum Abschluss eines Angebotes, Änderung an den Vergabeunterlagen

Mrz 13, 2023 | Rechtsprechung

Vergabekammer Sachsen

Aktenzeichen: 1 SVK 34/22

Entscheidungsdatum: 13.03.2023

Normen: § 126b BGB, §§ 13 EU Abs. 1 Nr. 1, 16 EU Nr. 2 VOB/A 

 

Tenor:

1. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist.

2. Die Auftraggeberin wird verpflichtet, bei Fortbestand der Vergabeabsicht, die Wertung des Angebotes der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen und fehlende Unterlagen nach Maßgabe der Vergabekammer nachzufordern.

3. Die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) trägt die Auftraggeberin. Die Verfahrensgebühr wird auf … EUR festgesetzt. Die Auftraggeberin ist von der Zahlung der Gebühren befreit.

4. Die Auftraggeberin trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre Aufwendungen selbst.

5. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

Gründe:

I.

Mit Auftragsbekanntmachung vom 24. Oktober 2022 veröffentlichte die Auftraggeberin die beabsichtigte Vergabe „…“

Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Schlusstermin für den Eingang der Angebote war der 10. November 2022, 10:00 Uhr. Ausführungsbeginn sollte der 9. Januar 2023 sein. Ausweislich Ziffer I 3 der Auftragsbekanntmachung heißt es zur Kommunikation:

„[…] Angebote oder Teilnahmeanträge sind einzureichen elektronisch via htps://www…de […]“.

Die Antragstellerin beteiligte sich fristgerecht mit einem eigenen Angebot am Vergabeverfahren.

Mit Schreiben gem. § 134 GWB vom 22. Dezember 2022 informierte die Auftraggeberin die Antragstellerin darüber, dass beabsichtigt sei, am 5. Januar 2023 auf das Angebot der Beigeladenen den Zuschlag erteilen zu wollen. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass die Antragstellerin mit Angebotsabgabe ein unvollständiges Angebotsschreiben (Formblatt 213 Angebotsschreiben) eingereicht habe, bei dem die dritte Seite und damit die abgegebene Erklärung zum Angebot gefehlt habe. Auch gingen aus den Seiten 1 und 2 des Schreibens nicht die Firmenanschrift bzw. der Bietername zweifelsfrei hervor. Da es sich bei dem einzureichenden Angebotsschreiben um einen zentralen Angebotsbestandteil und weder um eine unternehmensbezogene noch eine leistungsbezogene Unterlage handele, sei dessen Nachforderung gemäß § 16a Abs. 1 VOB/A EU ausgeschlossen. Gemäß den Teilnahmebedingungen für die Vergabe von Bauleistungen (Formblatt 212 EU Ziffer 3.2) werde ein nicht form- oder fristgerecht eingereichtes Angebot von der Wertung ausgeschlossen. Das Angebot sei daher gemäß § 16 Nr. 2 VOB/A EU i. V. m, § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A EU von der Wertung ausgeschlossen worden, da es nicht den Formvorschriften entspreche.

Am 27. Dezember 2022 wandte sich die Antragstellerin, vertreten durch ihren Verfahrensbevollmächtigten, an die Auftraggeberin und rügte die beabsichtigte Vergabe des Auftrages an die Beigeladene unter gleichzeitigem Ausschluss des eigenen Angebotes. Zur Begründung der Rüge wies sie darauf hin, dass es zwar richtig sei, dass sie die dritte Seite des Formblattes 213 nicht an die Vergabestelle übersandt habe, weil diese nach Ausdruck und Beschriftung des Angebotsschreibens nicht mit eingezogen und somit nicht Gegenstand des PDF-Dokumentes wurde. Dies sei jedoch irrelevant, da die nunmehr fehlende dritte Seite des Formblattes 213 in Folge der rein elektronischen Vergabe nicht beschriftet oder ausgefüllt werden müsse, denn auf dieser dritten Seite sei weder ein Kreuz noch eine Unterschrift, noch ein Firmenstempel zu leisten. Insoweit sei die Seite 3 mit Hinblick auf die Rücksendung ohne jeden Erklärungswert. Allein aufgrund der Tatsache, dass die Antragstellerin an der Vergabe teilgenommen habe und die vorgegebenen Vergabeunterlagen verwendet habe, habe sie sich dem Erklärungstext auf Seite 3 unter Ziffer 8 des Formblattes 213 unterworfen.

Unrichtig sei im Übrigen, dass weder die Firmenanschrift noch der Bietername der Antragstellerin auf den Seiten 1 und 2 des Angebotsschreibens hervorgehe. Bezeichnenderweise habe die Auftraggeberin bei der Zusammenstellung der Angebote im Formblatt 313 unter der Angebotsnummer 4 den korrekten Namen der Antragstellerin inklusive Anschrift und Firmensitz eingetragen. Bereits daraus lasse sich ableiten, dass die Antragstellerin als Bieterin zweifelsfrei habe identifiziert werden können. Auf Seite 1 des Formblattes 213 habe die Antragstellerin zudem angegeben, dass sich das Unternehmen in ### befinde. Dazu habe sie ihre E-Mail-Adresse eingetragen, die identisch sei mit dem Namen … und habe auch gekennzeichnet, dass er als … tätig sei. Ergänzend hierzu sei die UmsatzsteuerIdentifikationsnummer angeführt und sodann auf Seite 2 des Formblattes 213 unter der Ziffer 2.6 die Präqualifikationsnummer 000.000000 eingetragen.

Allein dadurch sei die Antragstellerin zweifelsfrei zu identifizieren gewesen. Auch auf dem Formblatt 221 habe die Antragstellerin im Übrigen in der Spalte „Bieter“ angegeben, dass sie der … sei. Schließlich sei auch auf der weiterhin verlangten Erklärung zu möglichen Beziehungen zu Russland (Formblatt Einhaltung der Sanktionen) von der Antragstellerin auf Seite 2 mit der Unterschrift angegeben, ###. Auch daraus lasse sich der hinter dem Angebot stehende Bieter identifizieren. Schließlich habe sie auch die Eingangsbestätigung für ihr Angebot erhalten. In dieser Eingangsbestätigung werde die Antragstellerin in der Spalte „Bezeichnung des Teilnehmers“ als ### aufgeführt. Vor diesem Hintergrund werde die Auffassung vertrete, dass die Seite 3 des Formblattes 213 hätte nachgefordert werden müssen, da diese Seite 3 gerade nicht Kernbestandteil des Angebotes sei, da diese vom Bieter weder zu kennzeichnen gewesen sei, noch sei an dieser Stelle ein Ankreuzen erforderlich noch eine Unterschrift zu leisten gewesen. Indem die Antragstellerin die Seiten 1 und 2 des Angebotsschreibens (Formblatt 213) ausgefüllt und rückübersandt habe und dafür zuvor sämtliche Vergabeunterlagen und damit auch die Seite 3 Formblattes 213 auf der elektronischen Plattform heruntergeladen habe, sei anhand des Gesamtvorganges zu erkennen, dass sie sich auch dem Hinweis auf der Seite 3 des Formblattes unterwerfe. Dieser Erklärungswert ergebe sich allein schon aus der Teilnahme an der Ausschreibung. Im Ergebnis sei insoweit die Auffassung zu vertreten, dass der Ausschluss aus dem Vergabeverfahren rechtswidrig gewesen sei, weshalb die Antragstellerin die Auftraggeberin aufforderte, sie wieder in das Vergabeverfahren aufzunehmen.

Am 30. Dezember 2022 beantragte die Antragstellerin sodann bei der erkennenden Vergabekammer die Durchführung eines Vergabenachprüfungsverfahrens. Hierzu beantragte sie u. a., der Auftraggeberin aufzugeben, den Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin zurückzunehmen und die Angebotswertung unter Einbeziehung des Angebotes der Antragstellerin zu wiederholen, hilfsweise: Der Auftraggeberin wird untersagt, das Vergabeverfahren durch Zuschlagserteilung abzuschließen.

Zur Begründung des Vergabenachprüfungsverfahrens trug die Antragstellerin die gleichen Argumente wie in ihrem Rügeschreiben vor, so insbesondere, dass der Ausschluss aus dem Vergabeverfahren ungerechtfertigt sei, da die Nichtübersendung der Seite 3 des Formblattes 213 rechtlich unerheblich sei, da sie als hinter dem Angebot stehende Bieterin anhand mehrerer Faktoren unzweifelhaft identifizierbar sei.

Mit Schreiben vom 03. Januar 2023 nahm die Auftraggeberin zum Sach- und Streitstand Stellung und hielt an Ihrer schon im Vergabeverfahren vertretenen Rechtsauffassung, dass die Antragstellerin vom Vergabeverfahren auszuschließen sei, ausdrücklich fest.

Zur Begründung verwies Sie darauf, dass das Angebot der Antragstellerin von der Wertung ausgeschlossen werden musste, da es gemäß § 16 Nr. 2 VOB/A EU i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A EU nicht den Formvorschriften entsprochen habe. Die Antragstellerin habe mit ihrem elektronisch eingereichten Angebot vom 09. November 2022 nicht das vollständige Angebotsschreiben eingereicht, da die dritte Seite nicht mit übermittelt worden sei. Insbesondere sei im eingereichten Angebotsschreiben nicht die Firmenanschrift / der Bietername zweifelsfrei zu erkennen gewesen. Soweit die Antragstellerin die Auffassung vertrete, dass das Fehlen der dritten Seite des Angebotsschreibens irrelevant sei, da diese weder beschriftet noch mit irgendeiner Angabe bzw. Stempel und Unterschrift zu versehen gewesen sei und das allein aufgrund der Tatsache, dass die Antragstellerin an der Vergabe teilnehme und die vorgegebenen Vergabeunterlagen verwendet habe, sich ergebe, dass sich diese auch dem Erklärungstext auf Seite 3 unter der Ziffer 8 des Formblattes 213 unterwerfe, so sei dieser Auffassung nicht zuzustimmen.

Das Angebotsschreiben (Formblatt 213) sei Kernbestandteil des Angebotes, das bindende Erklärungen des Bieters an sein abgegebenes Angebot enthalte, denn es würden gerade auf der dritten Seite des Angebotsschreibens unter Ziffer 8 von dem Bieter Erklärungen abgegeben, die für den Vertragsschluss selbst höchst relevant seien.

Das auf der dritten Seite des Angebotsschreibens keine Eintragungen gemacht werden müssten, ändere nichts an der Tatsache, dass die dort formulierten Erklärungen durch den Bieter bei nicht Einreichung der dritten Seite des Angebotsschreibens als nicht abgegeben gelten würden. Hierzu führte die Auftraggeberin ergänzend und vertiefend aus.

Die Möglichkeit einer Nachforderung sehe die Auftraggeberin nicht. Zwar sei gemäß § 16 a Abs. 1 VOB/A EU festgelegt, dass der öffentliche Auftraggeber fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen – insbesondere Erklärungen, Angaben oder Nachweise – nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren, oder fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen insbesondere Erklärungen, Produkt- oder sonstige Angaben oder Nachweise – nachzureichen oder zu vervollständigen hat. Da es sich bei dem Angebotsschreiben allerdings weder um eine unternehmensbezogene, noch um eine leistungsbezogene Unterlage handele, sondern um einen Vertragsbestandteil mit integralen Erklärungen des Bieters zu seinem Angebot, sei eine Nachforderung vorliegend ausgeschlossen.

Im Formblatt 213 sei auf der Seite drei vorgegeben, dass ein Ausschluss erfolge, wenn der Bieter nicht erkennbar sei. Hier sei im eingereichten Angebotsschreiben der Antragstellerin ihre Identität als Bieters nicht eindeutig erkennbar. Die Antragstellerin hätte zumindest das Textfeld „Name und Anschrift des Bieters“ auf der ersten Seite des Angebotsschreibens ausfüllen müssen. Es treffe zwar zu, dass sie eine E-Mail-Adresse, eine Umsatzsteueridentifikationsnummer sowie eine Präqualifikationsnummer angegeben habe, allerdings sei die Auftraggeberin nicht verpflichtet den wahren Bieter anhand einzelner im Angebot verstreuter Angaben selbst zu recherchieren. Auch dass die Antragstellerin aus anderen Stellen im Angebot erkennbar sei, spiele keine Rolle, denn solange dies nicht auch auf dem Angebotsschreiben zweifelsfrei der Fall sei, gelte das Angebot als nicht formgerecht eingereicht.

Mit Beschluss vom 13. Januar 2023 wurde die Beigeladene zum Verfahren hinzugezogen.

Mit Verfügung vom 24. Januar 2023 forderte die Vergabekammer die Verfahrensbeteiligten auf, dazu auszuführen, wie der Bieteraccount des Antragstellers personalisiert sei und wie ein Angebot nach Hochladen auf der Vergabeplattform identifizierbar sei. Insbesondere wurde um Mitteilung gebeten, ob der jeweilige Bieteraccount durch die Angabe eines Namens bzw. einer Firma „personalisiert“ sei oder ob für einen Auftraggeber zum Zeitpunkt der Angebotsöffnung lediglich eine Kennziffer erkennbar sei. Die Auftraggeberin wurde aufgefordert, darzulegen, welche konkreten Angaben, bezogen auf das Angebot der Antragstellerin, vor bzw. nach Angebotsöffnung erkennbar waren.

Am 25. Januar 2023 nahm die Auftraggeberin zu den rechtlichen Aufklärungsfragen der Vergabekammer Stellung und übersandte einen Screenshot, dem zu entnehmen war, dass das Angebot der Antragstellerin registriert war unter: „…, eingegangen am 9. November 2022, 14:18 Uhr, geöffnet am 10. November 2022 um 10:01 Uhr“. Darüber hinaus seien weitere Bieternamen erkennbar gewesen, so u. a. der der Beigeladenen sowie weitere Firmennamen. Weiter führte die Auftraggeberin aus, dass nach Angebotsöffnung durch die Vergabestelle alle im Angebot hinterlegten Dateien einsehbar gewesen seien, dass aber auf sämtlichen Seiten des eingereichten Angebotes der komplette Firmenname mit Anschrift der Antragstellerin nicht ersichtlich gewesen sei und die Seite 3 des Angebotsanschreibens im eingereichten Angebot gänzlich gefehlt habe. Es sei zur Feststellung des Firmennamens und der Anschrift und zur Übermittlung des Submissionsergebnisses die Teilnehmerliste der Vergabeplattform herangezogen worden. Auch in allen anderen Angebotsunterlagen sei die Antragstellerin sowie der Firmenname nicht erkennbar gewesen.

Die Auftraggeberin übermittelte der Vergabekammer sodann die Teilnehmerliste per Screenshot, die sämtliche Bieter beinhaltete, welche sich die Vergabeunterlagen von der Vergabeplattform heruntergeladen hätten. Dieser Teilnehmerliste war die gesamte Anschrift der Antragstellerin zu entnehmen.

Am 27. Januar 2023 meldete sich sodann die Antragstellerin zum Sach- und Streitstand und trug vor, dass zur Erstellung eines Kontos zunächst eine E-Mail-Adresse und ein Passwort angegeben werden müsse. Nachfolgend erscheine eine Maske, in der für ein Basiskonto Pflichtangaben zu machen seien. Würde man diese Pflichtangabe bewusst weglassen, so sei die Errichtung eines Bieterkontos nicht möglich. Zur Einrichtung des Bieterkontos seien Anrede, Vorname, Nachname, Name der Firma und Postleitzahl, anzugeben, andernfalls lasse sich ein Konto nicht einrichten. Sofern man dann das Konto eingerichtet habe, werde man mit einem entsprechenden Willkommensbild begrüßt. Im Ergebnis sei festzustellen, dass als Mindestdaten für das Funktionieren der Teilnahme über die Plattform E-Vergabe alle Daten vorliegen müssten, die eine eindeutige Identifizierung des Teilnehmers ermöglichten. Anschließend bestätigte die Antragstellerin auch aus ihrer Sicht, dass ein Auftraggeber auf der eingerichteten Plattform, sofern er Angebote einsehen wolle, sämtliche Teilnehmer mit dem Klarnamen des Unternehmens erkennen könne. Würde man als Auftraggeber auf den jeweiligen Namen eines Teilnehmers klicken, werde die gesamte Adresse aller Teilnehmer erkennbar. Somit sei für die Auftraggeberin die vollständige Adresse der Antragstellerin bereits vor Angebotsöffnung erkennbar gewesen.

Im Ergebnis sei festzustellen, dass sowohl vor Angebotsöffnung als auch mit/nach Angebotsöffnung die Identität des Teilnehmers mit vollständiger Angabe seiner Adresse für den Auftraggeber erkennbar gewesen sei. In der Folge wies die Antragstellerin nochmals darauf hin, dass sie vollständig identifizierbar gewesen sei, sowohl mit ihrem Firmennamen als auch mit ihrer Adresse und ihrer Telefon- und Faxnummer. Im Ergebnis der Herstellung des Kontos auf der Vergabeplattform müsse man dazu kommen, dass die Auftraggeberin die Antragstellerin bei der Benutzung der Vergabeplattform E-Vergabe vollumfänglich habe identifizieren können. Für diese Identifikation seien gerade nicht die ausgereichten Verdingungsunterlagen und deren Rücksendung erforderlich gewesen. Vielmehr erfolge die Identifikation bereits durch die Nutzung der Vergabeplattform.

Am 23. Februar 2023 erteilte die Vergabekammer sodann einen rechtlichen Hinweis zu den Erfolgsaussichten des Vergabenachprüfungsverfahrens.

Hierzu erwiderte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 1.März 2023. Sie führte sinngemäß aus, dass die Auftraggeberin durch das Formblatt 211 EU (Aufforderung zur Abgabe eines Angebots EU) bestimmt habe, in welcher Weise Angebote abzugeben seien. Unter anderem habe diese mit dem Formblatt 211 EU durch entsprechendes Ankreuzen zu den im Übrigen vorzulegenden Dokumenten und deren Inhalten unterschieden in:

„Anlagen: B) die beim Bieter verbleiben und Vertragsbestandteil werden

– Teile der Leistungsbeschreibung: Baubeschreibung, Pläne, sonstige Anlagen

– 214 Besondere Vertragsbedingungen“,

bzw. C) Anlagen, die, soweit erforderlich, ausgefüllt mit dem Angebot einzureichen sind.

Durch das Aufforderungsschreiben Formblatt 211 EU sei mithin zudem auch vorgegeben gewesen, dass nicht alle Verdingungsunterlagen durch den jeweiligen Bieter zurückgesandt werden müssten. Hier sei im Formblatt folgendes vorgegeben:

„Anlagen C) die, soweit erforderlich, ausgefüllt mit dem Angebot einzureichen sind“: – 213 Angebotsschreiben.

Die Antragstellerin habe exakt nach dieser Vorgabe gehandelt, denn nur auf den Seiten 1 und 2 des Angebotsschreibens seien Ausfüllungen, resp. Angaben durch die Antragstellerin erforderlich gewesen. Diese Angaben habe sie getätigt. Im Hinblick auf die Seite 3 des Formblattes 213 verhalte es sich aber so, dass die Auftraggeberin für diese Seite keine Abfragen, die auszufüllen gewesen wären, vorgegeben hatte, weder textlich noch durch Vorgabe eines anzukreuzenden Platzhalters.

Indem die Antragstellerin als Bieterin teilnimmt und im Übrigen sämtliche Unterlagen übersandte, würden die auf der Seite 3 genannten Vertragsbedingungen Vertragsbestandteil des rechtlichen Miteinanders der Parteien.

Soweit die Vergabekammer in ihrem rechtlichen Hinweis ausgeführt habe, dass die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots durch die Auftraggeberin rechtlich als „invitatio ad offerendum“ zu qualifizieren sei, so sei diese rechtliche Qualifizierung in Anbetracht der soeben zitierten Textpassagen falsch, denn aus diesen ergebe sich, dass die Auftraggeberin mit dem Aufforderungsschreiben Formblatt 211 EU bereits die Vertragsbedingungen (abschließend) bestimmt habe. Diese Vertragsbestimmungen müssten sodann durch den jeweiligen Bieter nicht einmal zurückgesandt geschweige denn unterschrieben zurückgesandt werden. Denn die Auftraggeberin formuliere ausdrücklich, wann welche Anlagen Vertragsbestandteil würden und beim Bieter verbleiben sollen oder dahingegen gemäß Ziffer C), soweit erforderlich, ausgefüllt mit dem Angebot einzureichen seien.

Im Ergebnis dessen sei die Aufforderung der Auftraggeberin in rechtlicher Hinsicht als „offerta ad incertas personas“ zu bewerten, also als eine Aufforderung an einen unbestimmten Anbieterkreis. Insoweit liege infolge der Vorgabe von Vertragsbedingungen durch das Aufforderungsschreiben bereits ein Rechtsbindungswille der Auftraggeberin im Hinblick auf einzelne vertragliche Regularien vor, so dass es auf ein Rücksenden des Angebotsanschreibens es nicht mehr ankäme. Etwas Anderes könnte nur gelten, wenn entweder eine Unterschriftsleistung (wie früher) auf diese Seite 3 hätte hinzugesetzt werden müssen oder aber durch die Antragstellerin irgendetwas hätte angekreuzt werden müssen oder aber die dort vorformulierten Bedingungen allein durch die Rücksendung der Seite 3 im rechtlichen Miteinander der Parteien Vertragsbestandteil geworden wären.

Die Auftraggeberin erwiderte hierzu abermals mit abschließendem Schriftsatz.

In der mündlichen Verhandlung am 7. März 2023 wurde der Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die hierzu ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die vorgelegte Vergabeakte ergänzend Bezug genommen. Die Frist zur Entscheidung wurde gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2 GWB durch Verfügung verlängert.

Die Antragstellerin stellt ihre Anträge

aus dem Antragsschriftsatz vom 30. Dezember 2022 soweit diese nicht bereits obsolet waren.

Die Auftraggeberin stellt den Antrag,

den Antrag der Antragstellerin kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Beigeladene beteiligte sich nicht schriftsätzlich am Nachprüfungsverfahren und nahm an der mündlichen Verhandlung auch nicht teil. Demgemäß stellte sie auch keinen Antrag.

II.

er Nachprüfungsantrag ist zulässig (1.) und begründet (2.).

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

1.1. Die 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen ist gemäß § 2 der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über Einrichtung, Organisation Vergabekammern des Freistaates Sachsen (SächsVgKVO) für den Antrag zuständig.

1.2. Die geplante Gesamtauftragssumme überschreitet den maßgeblichen Schwellenwert, § 106 Abs. 1 GWB i. V. m. Artikel 4 c) der RL 2014/24/EU i. V. m. Artikel 1 Absatz 1 a) der delegierten Verordnung (EU) 2019/1828.

Streitgegenständlich ist vorliegend lediglich das Los ### des Gesamtauftrages „###“. Der Gesamtauftragswert des Bau- und Sanierungsvorhabens beläuft sich nach der Schätzung der Auftraggeberin sowie nach deren Stellungnahme im Antragsabweisungsschriftsatz auf einen Auftragswert von über 7 Mio EUR, der insoweit den maßgeblichen Schwellenwert für öffentliche Bauaufträge gemäß § 106 Abs. 1 GWB i. V. m. Artikel 4 a) der RL 2014/24/EU i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 a) der delegierten Verordnung (EU) 202/1^952 von 5.382.000 EUR unproblematisch überschreitet.

1.3. Die Antragstellerin ist gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt.

Die Antragsbefugnis ist nach § 160 Abs. 2 GWB für jedes Unternehmen gegeben, das ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend macht.

Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Antragstellerin. Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag schon durch die Abgabe eines Angebotes nachgewiesen. Mit dem gegenständlichen Nachprüfungsantrag verfolgt sie das Ziel, den ihres Erachtens rechtswidrigen Ausschluss ihres Angebotes aus dem Vergabeverfahren zu beseitigen und so den strittigen Auftrag zu erhalten. Diesbezüglich legte sie im Nachprüfungsantrag und in der vorherigen Rüge dar, dass der Ausschluss ihres Angebotes aus dem Vergabeverfahren zu Unrecht erfolgte. Dadurch hat sie schlüssig vorgetragen, dass sie in ihren Rechten verletzt ist und ihr durch die beabsichtigte – aus ihrer Sicht vergaberechtswidrige – Erteilung des Zuschlags auf das Angebot der Beigeladenen ein Schaden zu entstehen drohe, da sie so keine Chance hat, den streitigen Auftrag zu erhalten. Ob die geltend gemachten Rechtsverstöße tatsächlich vorliegen und ein Schaden entstanden ist, oder aber ihr Angebot zu Recht aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde, ist eine im Rahmen der Begründetheit des Nachprüfungsverfahrens zu beantwortende Frage.

1.4. Die Antragstellerin hat den mit diesem Vergabenachprüfungsantrag geltend gemachten Vergaberechtsverstoß gem. § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB rechtzeitig und ordnungsgemäß gerügt.

Der Antragstellerin wurde mit dem Informationsschreiben vom 22. Dezember 2022 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen am 5. Januar 2023 zu erteilen. Die dagegen gerichtete Rüge, in der maßgeblich geltend gemacht wurde, dass der Ausschluss des eigenen Angebotes aus dem Vergabeverfahren zu Unrecht erfolgte, wurde am 27. Dezember 2022 und damit rechtzeitig erhoben. Präklusionstatbestände des § 160 Abs. 3 Nr. 2, 3 und 4 GWB sind nicht ersichtlich.

1.5. Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor. Der Antrag entspricht insbesondere den Anforderungen an Form und Inhalt nach § 161 GWB.

2. Der Antrag ist begründet, der Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin aus dem Vergabeverfahren erfolgte zu Unrecht und verletzte diese in ihren Rechten aus § 97 GWB.

2.1. Kein Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin gemäß § 16 Nr. 2 VOB/A EU i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A EU wegen Verstoß gegen Formvorschriften.

Mit Schreiben gem. § 134 GWB vom 22. Dezember 2022 informierte die Auftraggeberin die Antragstellerin darüber, dass ihr Angebot gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A EU i. V. m, § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A EU von der Wertung ausgeschlossen worden sei, da es nicht den Formvorschriften entspreche.

So war im Informationsschreiben nach § 134 GWB folgendes angekreuzt:

„1. Angebotsprüfung

Ihr(e) Angebot(e) wird/werden von der Wertung ausgeschlossen, weil es nicht den vorgegebenen Formvorschriften für schriftliche bzw. elektronische Angebote entspricht:

Sie reichten mit Angebotsabgabe ein unvollständiges Angebotsschreiben (Formblatt 213 – Angebotsschreiben Einheitliche Fassung) ein. Bei dem eingereichten Angebotsschreiben fehlte die dritte Seite und damit Ihre abgegebenen Erklärungen zum Angebot. Auch geht aus den Seiten 1 und 2 des Angebotsschreibens nicht Ihre Firmenanschrift bzw. der Bietername zweifelsfrei hervor. Da es sich bei dem einzureichenden Angebotsschreiben um einen integralen Angebotsbestandteil handelt und es sich weder um eine unternehmensbezogene Unterlage noch um eine leistungsbezogene Unterlage handelt, ist eine Nachforderung des Angebotsschreibens gemäß § 16a Abs. 1 VOB/A EU ausgeschlossen. Gemäß den Teilnahmebedingungen für die Vergabe von Bauleistungen (Formblatt 212 EU Ziffer 3,2) wird ein nicht form- oder fristgerecht eingereichtes Angebot von der Wertung ausgeschlossen. Ihr Angebot wurde daher gemäß § 16 Nr. 2 VOB/A EU i. V. m, § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A EU von der Wertung ausgeschlossen, da es nicht den Formvorschriften entspricht.“ […]

Soweit die Auftraggeberin zur Begründung darauf verwiesen hatte, dass die Antragstellerin mit Angebotsabgabe ein unvollständiges Angebotsschreiben (Formblatt 213 – Angebotsschreiben) eingereicht habe, weil dessen dritte Seite und damit die abgegebene Erklärung zum Angebot gefehlt habe und aus den Seiten 1 und 2 nicht die Firmenanschrift bzw. der Bietername zweifelsfrei hervorgegangen sei und sich gleichzeitig auf einen Verstoß gegen „Formvorschriften“ berufen hatte, war zu klären, ob das Angebot gemäß § 16 Nr. 2 VOB/A EU i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A wegen eines Verstoßes gegen Formvorschriften von der Wertung auszuschließen war.

§ 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A EU, den die Auftraggeberin hier in Bezug genommen hat, enthält zwingende Ausschlussgründe für Angebote, die den Bestimmungen des § 13 EU Absatz 1 Nummer 1, 2 und 5 VOB/A nicht entsprechen. Zu beachten ist insoweit zunächst, dass gemäß § 13 EU Absatz 1 Nummer 1 VOB/A der öffentliche Auftraggeber im Vergabeverfahren festlegen kann, in welcher Form die Angebote einzureichen sind. Durch die Bezugnahme auf § 11 EU VOB/A wird in § 13 EU Absatz 1 Nummer 1 VOB/A klargestellt und bestimmt, dass die Formulierung des „in welcher Form die Angebote einzureichen sind“ so zu verstehen ist, dass dem öffentlichen Auftraggeber ein Wahlrecht zwischen schriftlicher und elektronischer Angebotseinholung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 1) eröffnet wird. Je nach Wahl bestimmt § 13 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A sodann in den Sätzen 2 und 3, dass schriftliche Angebote unterzeichnet sein müssen. Elektronisch übermittelte Angebote sind dahingegen nach Wahl des Auftraggebers (ggf.) mit einer fortgeschrittenen oder qualifizierten elektronischen Signatur oder einem entsprechenden Siegel zu versehen.

Vorliegend hatte die Auftraggeberin zum einen in Ziffer I 3 der Auftragsbekanntmachung festgelegt, dass Angebote oder Teilnahmeanträge elektronisch einzureichen sind. Zum anderen hatte sie für die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots das Formblatt 211 (EU – Einheitliche Fassung) verwendet. Hier hatte sie unter Ziffer 8 „Zugelassene Angebotsabgabe“ durch entsprechendes Ankreuzen von vorgegebenen Platzhalterkästchen ebenfalls festgelegt, dass die Angebotsabgabe elektronisch, in Textform zu erfolgen habe.

Damit war nach den Feststellungen der Vergabekammer zum einen festgelegt, dass hier die Angebotsabgabe in Form der „elektronischen Angebotsabgabe in Textform“ zu erfolgen hatte, was im Umkehrschluss bedeutet, dass auf die Schriftform mit Unterschriftserfordernis ebenso verzichtet wurde, wie auf fortgeschrittene / qualifizierte Signaturen oder Siegel. Diese Festlegung ist aus Sicht der Vergabekammer nicht zu beanstanden, denn nach § 11 EU Abs. 4 VOB/A sind die Bieter unzweifelhaft berechtigt, ihre Angebote (insgesamt) in Textform mithilfe elektronischer Mittel zu übermitteln, und der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, die elektronische Kommunikation anzuerkennen.

Der Auftraggeber hat lediglich ein Ermessen darüber, welches Sicherheitsniveau er festlegt, § 11a EU Abs. 4 VOB/A (vgl. zur VgV: OLG Naumburg, B. v. 04.10.2019 – 7 Verg 3/19).

Aus diesen Feststellungen ergibt sich sodann, dass das Fehlen einer Unterschrift, oder das Fehlen der Seite 3 des Formblattes 213 jedenfalls nicht – wie von der Auftraggeberin im Absageschreiben nach § 134 GWB jedoch in Bezug genommen – unter den Ausschlusstatbestand des § 16 Nr. 2 VOB/A EU i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A EU zu subsumieren ist.

Dies mag, was nachfolgend noch zu untersuchen sein wird (siehe Ausführungen unter 2.3) eine Frage des Fehlens einer rechtsverbindlichen Willenserklärung sein.

2.2. Kein Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin mangels Erkennbarkeit des Bieters

Die Auftraggeberin stützte den Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin des Weiteren auch darauf, dass aus den Seiten 1 und 2 des Schreibens nicht die Firmenanschrift bzw. der Bietername zweifelsfrei hervorgehe.

Auf Nachfrage der Vergabekammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung, ob die Auftraggeberin die Seite 3 vermisst hätte oder eher so etwas wie eine Unterschrift oder einen Namenszug, führte sie aus, es sei beides gewesen. Zum einen hätte die Seite 3 mit der dortigen Erklärung gefehlt, aber auch die Erkennbarkeit des Bieters. Ohne die Erkennbarkeit des Bieters sei für die Auftraggeberin kein wirksames Angebot abgegeben worden.

Diesen Ausführungen war nach Auffassung der Vergabekammer zu entnehmen, dass der Schwerpunkt der Ausschlussentscheidung sich vor allem auf die „Nichterkennbakeit des Bieters“ fokussierte. Hierzu war, wie eingangs dargelegt, in Ziffer 8 des Formblattes 211 festgelegt, dass die Angebotsabgabe als „elektronische Angebotsabgabe in Textform“ zu erfolgen habe. Gleichzeitig war bestimmt, dass bei einer elektronischen Angebotsübermittlung in Textform der Bieter zu erkennen sein müsse. Die Erläuterungen unter Ziffer 8 war insgesamt folgendes zu entnehmen:

„Zugelassene Angebotsabgabe

– Elektronisch

– in Textform […] Bei elektronischer Angebotsübermittlung in Textform muss der Bieter zu erkennen sein; falls vorgegeben, ist das Angebot mit der geforderten Signatur/dem geforderten Siegel zu versehen. Das Angebot ist zusammen mit den Anlagen bis zum Ablauf der Angebotsfrist über die Vergabeplattform der Vergabestelle zu übermitteln.

– Stelle: KEINE ANGEBOTE IN PAPIERFORM! NUR ELEKTRONISCH ÜBER www….de im entsprechenden Vergabeverfahren!“

Gleiches ergibt sich aus den inhaltlichen Vorgaben des streitrelevanten Formblattes 213 (Angebotsschreiben – Einheitliche Fassung). Dieses war zwingend für die Angebotsabgabe zu verwenden, was sich wiederum aus den Vorgaben im Formblatt 212 EU (Teilnahmebedingungen EU) Ziffer 3.2 ergibt, das festlegt, dass für das Angebot die von der Vergabestelle vorgegebenen Vordrucke zu verwenden sind. Formblatt 213 war wie folgt formuliert:

„Unterschrift (bei schriftlichem Angebot)

Ist

– bei einem elektronisch übermittelten Angebot in Textform der Bieter nicht erkennbar,

– ein schriftliches Angebot nicht an dieser Stelle unterschrieben oder

– ein elektronisches Angebot, das signiert/mit elektronischem Siegel versehen werden muss, nicht wie vorgegeben signiert/mit elektronischem Siegel versehen, wird das Angebot ausgeschlossen.“

Hier wird explizit darauf hingewiesen, dass bei einem schriftlichen Angebot eine Unterschrift zu leisten sei und für den Fall, dass bei einem elektronisch übermittelten Angebot in Textform der Bieter nicht erkennbar ist, betont, das Angebot ausgeschlossen wird.

Es werden also in beiden Formblättern für den Fall das der Auftraggeber – wie hier – die elektronische Angebotsabgabe gewählt hat, zwei Fallkonstellationen problematisiert, zum einen, dass bei einem elektronisch übermittelten Angebot in Textform der Bieter nicht erkennbar ist, oder, zum anderen, dass ein elektronisches Angebot, das signiert/mit elektronischem Siegel versehen werden musste, nicht wie vorgegeben signiert/mit elektronischem Siegel versehen worden ist. Lediglich für diese beiden Fallkonstellationen wird hier ein Ausschlussszenario angedroht. Übertragen auf den vorliegenden Fall, in dem keine fortgeschrittene / qualifizierte Signaturen oder Siegel verlangt waren, wäre ein Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin mithin nur dann zulässig, wenn sie als Bieterin im elektronisch übermittelten Angebot nicht erkennbar gewesen ist. An den so angedrohten Angebotsausschluss, der von keinem der Bieter im Wettbewerb gerügt wurde, ist die Auftraggeberin nunmehr nach Auffassung der Vergabekammer auch im Wege der Selbstbindung gebunden.

Der Auftraggeberin ist vor dem Hintergrund dieses Vorwurfes der nichterkennbaren Bieteridentität zunächst zuzugeben, dass es für den Rechtsverkehr durchaus entscheidend ist, dass die Identität des Vertragspartners erkennbar ist (vgl. VK Nordbayern, B. v. 16.02.2022 – RMF-SG21-3194-7-1). Insoweit waren zunächst die aus dem Angebot, resp. Angebotsanschreiben erkennbaren Anhaltspunkte zur Feststellung der Identität des Bieters zu betrachten und diese im Gesamtkontext der Vergabeunterlagen zu bewerten.

Wann in einem Streitfall von einer Erkennbarkeit des Bieters auszugehen ist, ist nach Einschätzung der Vergabekammer jeweils für den Einzelfall festzustellen. Erkennbar sind nach Auffassung der Vergabekammer jedenfalls solche Umstände, die bei üblicher Sorgfalt aus Sicht eines mit den Umständen des Einzelfalls vertrauten Dritten, erkannt werden können (vgl. VK Nordbayern, Beschluss vom 16.02.2022 – RMF-SG21-3194-7-1).

Dementsprechend ist vorliegend, gemessen am objektiven Empfängerhorizont einer mit den Umständen des Einzelfalls vertrauten Vergabestelle, die die streitgegenständlichen Vergabeunterlagen in dieser Form aufgestellt hat oder jedenfalls zurechenbar über den Betreiber der elektronischen Vergabeplattform den Bietern zur Verfügung gestellt hat, zu bewerten, ob hier der Bieter des eingegangenen Angebotes erkennbar war.

Dieser Bewertung ist vorauszuschicken, dass im zu entscheidenden Fall keine GmbH, KG oder GbR das Angebot abgegeben hatte. Dies könnte zumindest in solchen Fällen, in denen neben anderen Daten bspw. der entsprechende Firmenzusatz fehlt, entscheidend sein, weil theoretisch so Unsicherheiten hinsichtlich der handelnden Rechtsperson resp. Firma auftreten könnten.

Im hier zu entscheidenden Fall hatte die Antragstellerin zwar im vorgesehenen Adressfeld keine Eintragungen vorgenommen, allerdings waren an anderen Stellen im Angebotsschreiben auf den Seiten 1 und 2 des Formblattes 213 folgende Angaben zu entnehmen:

„Malermeister ###; Telefon- und Faxnummer, Umsatzsteuer- und Handelsregisternummer; Ort (###); EMail-Adresse …@…, sowie Präqualifikationsnummer.“

Insoweit war nach Auffassung der Vergabekammer aus dem (unvollständigen) Angebotsanschreiben heraus erkennbar, welcher Bieter das Angebot eingereicht hat, nämlich der Bieter Malermeister ### aus ###, der über Telefonnummer, E-Mail-Adresse und auch angegebene PQ-Nummer unzweifelhaft identifizierbar war (a.A.: VK Nordbayern, Beschluss vom 16.02.2022 – RMF-SG21-3194-7-1). Nach Überzeugung der Vergabekammer genügte vorliegend, dass bei der vorgegebenen elektronischen Angebotsübermittlung in Textform der Bieter aus dem Angebotsformular 211 heraus zu erkennen war.

Es war eben nicht gefordert, dass der Bieter (ausschließlich) aus dem Textfeld „Name und Anschrift des Bieters“ heraus zu erkennen sein musste.

Hinzu kommt, was rechtlich nur von nachrangiger Bedeutung ist, da es nur auf die Erkennbarkeit innerhalb des elektronisch übermittelten Angebotes, und nicht auf den Prozess des Hochladens ankommen sollte, dass der Name der Antragstellerin auf der Vergabeplattform registriert war, so dass für die Auftraggeberin in Gesamtwürdigung aller Umstände erkennbar war, dass das Angebot von folgendem Bieter stammt: Malermeister ###, eingegangen am 9. November 2022, 14:18 Uhr, geöffnet am 10. November 2022 um 10:01 Uhr.

Nach einhelliger Überzeugung der Vergabekammer war in dem elektronisch übermittelten Angebot der Antragstellerin der Bieter erkennbar. Der Ausschluss des Angebots, gestützt auf den Vorwurf der Nichterkennbarkeit des Bieters war mithin nicht gerechtfertigt.

2.3. Kein Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin wegen Fehlens einer rechtsverbindlichen Willenserklärung zum Abschluss eines Angebotes

Unabhängig von diesem Ergebnis war jedoch durch die Vergabekammer zu klären, ob es losgelöst von der Frage der tatsächlichen Erkennbarkeit des Bieters, durch das Fehlen der dritten Seite des Formblattes 213 an einem rechtsverbindlichen Angebot gefehlt hatte.

Die öffentliche Bekanntmachung eines zu vergebenden Auftrags stellt zivilrechtlich betrachtet die Aufforderung des Auftraggebers zur Angebotsabgabe („invitatio ad offerendum“) dar (vgl. OLG Naumburg, B. v. 16.10.2007, 1 Verg 6/07; 1. VK Bund, B. v. 17.08.2010 – VK 1-70/10). Die Bieter sollen daraufhin ihre Angebote abgeben. Bei dem Angebot der Antragstellerin handelt es sich also im Ausgangspunkt um eine zivilrechtlich zu betrachtende empfangsbedürftige Willenserklärung.

Hier hatte die Auftraggeberin für die Abgabe des Angebotes das Formblatt 213 (Angebotsschreiben) vorgegeben. Ein solches Angebotsschreiben dient dazu, eine bindende Erklärung des Bieters über die Angebotsbestandteile und damit zum Umfang des Vertrags zu erhalten (VK Baden-Württemberg, B. v. 20.01.2020 – 1 VK 67/19). Es stellt damit die Grundlage des Angebots dar (VK Baden-Württemberg, a.a.O.; sowie B. v. 28.06.2019, 1 VK 30/19). Die Antragstellerin hatte durch ein Versehen lediglich die ersten beiden Seiten des dreiseitigen Formulars im Zeitpunkt der Angebotsabgabe hochgeladen.

Mithin war durch die Vergabekammer zu bewerten, ob es vorliegend durch das Nichtübersenden der dritten Seite des Formblattes 213 an einer solchen rechtsverbindlichen Willenserklärung zur Abgabe eines Angebotes gefehlt hatte.

Dafür ist zunächst auf § 11 EU Abs. 4 VOB/A 2019 zu verweisen, der vorsieht, dass Unternehmen ihre Angebote, Teilnahmeanträge, Interessensbekundungen und Interessensbestätigungen in Textform mithilfe elektronischer Mittel übermitteln. Was unter Textform zu verstehen ist, erläutert indes § 126 b BGB: Dieser lautet in seiner aktuellen Fassung:

„Ist durch Gesetz Textform vorgeschrieben, so muss eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden.“

Die Textform verlangt also in einer lesbaren Erklärung die „Nennung der Person des Erklärenden“. Gleichgültig ist dabei zunächst, wo der Name des Erklärenden genannt wird. Möglich ist also eine Nennung in einer faksimilierten Unterschrift, aber etwa auch im Kopf oder Inhalt der Erklärung (vgl. Einsele in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2021, § 126b BGB, Rn. 7).

Die Erklärung muss die Angabe ihres Verfassers bzw. die Bezeichnung der Person des Erklärenden enthalten, damit der Empfänger zuordnen kann, von wem er das Dokument erhalten hat. In Betracht kommt hierbei in erster Linie die Namensnennung des Erklärenden; es genügt aber jede Bezeichnung, die seine zweifelsfreie Identifikation ermöglicht.

Bei bestehenden Beziehungen kann im Einzelfall z. B. auch die Nennung nur des Vor- oder sogar eines Spitznamens ausreichen, so lange für den Empfänger nur in einer für den Rechtsverkehr erforderlichen Weise eindeutig klargestellt ist, welche konkrete Person den ihm übermittelten Text verfasst hat. Wird der Urheber nicht ausdrücklich genannt, genügt es, wenn sich seine Identität eindeutig aus anderen Umständen im unmittelbaren Kontext der Nachricht ergibt, wie zB bei einer E-Mail, bei der die E-Mail-Adresse des Absenders einen Klarnamen enthält (Poguntke/ v. Villiez, NZA 2019, 1097 (1098)). Bei juristischen Personen genügt deren Bezeichnung; die Angabe auch des Namens der natürlichen Person, die die Erklärung verfasst hat bzw. die den Text unterschrieben hätte, wenn ihre Unterschrift nicht wegen der vom Gesetz aus Gründen der Vereinfachung erlaubten Textform entbehrlich wäre, ist nicht erforderlich (Wendtland in BeckOK-BGB, 64. Auflage, Stand: 01.11.2022, m.Verw. a. BGH NJW 2010, 2945 (2946)).

Erforderlich ist also die Angabe der Identität desjenigen, dem die Erklärung zugerechnet werden soll. Diese Angabe soll sicherstellen, dass der Empfänger aufgrund des Inhalts des Schriftstücks die Person zuordnen kann, die die Erklärung in eigener Verantwortung abgibt (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 08.07.2020 – Verg 6/20; Gesetzesbegründung der BReg., BTDrucks. 14/4987, S. 20) Legte man all diese Prämissen zugrunde, führte dies vorliegend zunächst dazu, dass das Fehlen der dritten Seite des Formblattes als unschädlich einzuordnen wäre, denn die Namensnennung des Erklärenden war den Seiten 1 und 2 des FB 213 zu entnehmen (siehe ebenso unter 2.2).

Allerdings verkennt die Vergabekammer nicht, dass sich mittlerweile verschiedene Nachprüfungsinstanzen mit dem Problem der „fehlenden Unterschrift“ auseinandergesetzt haben und dabei zu anderen Ergebnissen gekommen sind.

So vertritt das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 19.02.2020 – 15 Verg 1/20) die Auffassung, dass bei einem Angebot, dass in Textform abzugeben ist, die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht werden müsse. Zur Begründung führt das OLG Karlsruhe dabei folgendes aus:

„Die in § 11 EU Abs. 4 VOB/A 2019 vorgesehene Textform im Sinne von § 126 b BGB verlangt, dass die Erklärung in einer Urkunde oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise abgegeben wird. Dabei muss die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht werden (Einsele in Münchner Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 126 b Rn. 8). Hierdurch soll – insoweit ähnlich wie die Unterschrift bei der Schriftform – das Ende der Erklärung kenntlich gemacht und damit das Stadium des Entwurfs von dem der rechtlichen Bindung abgegrenzt werden. Die Kenntlichmachung des Abschlusses der Erklärung kann auf verschiedene Weise erfolgen, etwa durch die Nennung des Namens am Textende, ein Faksimile, eine eingescannte Unterschrift, den Zusatz „diese Erklärung ist nicht unterschrieben“, aber auch durch eine Datierung oder eine Grußformel (Einsele, a.a.O., § 126 b Rn. 8; BeckOGK/ Primaczenko/Frohn, 15.11.2018, BGB, § 126 b Rn. 23, 24). Der Formzwang soll Klarheit über den Inhalt und die Verbindlichkeit gewährleisten.“

Soweit das OLG Karlsruhe (a.a.O.) darauf abhebt, dass der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht werden müsse, ist darauf zu verweisen, dass sich genau in diesem Punkt der Gesetzestext des § 126 b BGB geändert hat. So lautete der Gesetzestext des § 126b BGB a.F. (alte Fassung) in der vor dem 13.06.2014 geltenden Fassung wie folgt:

„Ist durch Gesetz Textform vorgeschrieben, so muss die Erklärung in einer Urkunde oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeignete Weise abgegeben, die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht werden.“

Insoweit überzeugt es nicht, dass das OLG Karlsruhe nach wie vor am Erfordernis des Abschlusses der „Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders“ festhält, obwohl eben genau diese Formulierung im Tatbestand des § 126b BGB aufgegeben wurde.

Die Forderung nach einem Abschluss der Erklärung stand noch im Zusammenhang mit dem Gedanken, dass dadurch Urkunden / Erklärungen so abschließend gezeichnet werden sollten, dass ihnen danach keine nachfolgenden Erklärungen mehr (rechtswirksam) angefügt werden konnten. Davon hat sich der jetzige Gesetzestext des § 126b BGB gelöst. Es gibt jedoch keine anerkannte Auslegungsmethode, mit der man entfallene und sichtbar aufgegebene Tatbestandsmerkmale wieder in ein novelliertes Gesetz hineinlegen könnte oder gar müsste. Eine solche Auslegung ins mindestens nicht „wortlautkonform“. Ein etwaiger Wille des Gesetzgebers, für den es im Wortlaut der Norm keinen Anknüpfungspunkt gibt, ist nach Überzeugung der Vergabekammer unbeachtlich.

Allerding findet die vom OLG Karlsruhe (a.a.O.) geäußerte Rechtsmeinung durchaus seinen Rückhalt in der zivilrechtlichen Kommentarliteratur. So wird im Münchner Kommentar zum BGB (vgl. MüKoBGB | BGB § 126b Rn. 8 – beck-online) ausgeführt: „Anders als bisher fordert das Gesetz nicht mehr ausdrücklich die Erkennbarkeit des Abschlusses der Erklärung. Die Textform kann indes ihre Funktion – Information und Dokumentation von Erklärungen – nur dann wirklich erfüllen, wenn für den Empfänger auch ersichtlich ist, ob die Erklärung rechtlich bindend sein soll und vollständig ist.“

Weiter verweist diese Kommentarstelle, ebenso wie weitere (vgl. bspw. Wendtland in BeckOK BGB, Hau/Poseck 64. Aufl. Edition Stand: 01.11.2022) darauf, dass mit der Änderung des Wortlauts der Voraussetzungen, die das Gesetz an die Textform stellt, keine inhaltlichen Änderungen beabsichtigt gewesen sei und beruft sich diesbezüglich auf die Begründung zum Regierungsentwurf (vgl. BT-Drs. 17/12637, 44.), in der ausgeführt wird:

„Zu Nummer 2 (§ 126b) § 126b wird im Zuge der Umsetzung der Richtlinie an die Terminologie der Richtlinie angepasst; eine inhaltliche Änderung ist damit nicht beabsichtigt.“

Ein Bezugspunkt dieser Formulierung ist bemerkenswerter Weise in der Begründung zum Regierungsentwurf nicht genannt.

Soweit mit Bezug auf die Textform nach wie vor gefordert wird, dass der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht werden müsse, ist dem nach Rechtsauffassung der Vergabekammer entgegenzuhalten, dass diese Forderung schlicht keine Grundlage im Gesetzestext mehr findet. Zudem wird bei der E- Vergabe der „rechtlich aufgegebene Abschlussfunktion“ in der Regel dadurch entsprochen, dass die übersandten Unterlagen in ihrer Gesamtheit als Angebotsunterlagen bzw. Teilnahmeunterlagen final auf der Angebotsplattform hochgeladen werden und dergestalt zu werten sind. Die Rechtverbindlichkeit wird also nach Überzeugung der Vergabekammer bei der EVergabe hinreichend durch das Hochladen zum Ausdruck gebracht. Damit dürfte auch der früheren Funktion des Abschlusses der Erklärung zur Information und Dokumentation von Erklärungen ausreichend Genüge getan sein.

Mit diesen eigenen Argumenten verbliebe es bei der Auffassung, dass das Fehlen der dritten Seite des Formblattes, auf dem ohnedies keine Eintragungen oder Angaben zu tätigen waren, jedenfalls mit Blick auf das Argument des fehlenden Abschlusses der Erklärung unschädlich war. Dabei verkennt die Vergabekammer nicht, dass durch diese Auffassung das Formblatt 213 in seiner Bedeutung für das Vergabeverfahren herabgestuft wird, was sie aber bspw. auch mit Blick auf Erlass des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat BWI 7 – 70426/4#1 vom 23.07.2019 im Ergebnis für richtig und vertretbar hält.

2.3. Kein Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin gemäß § 16 Nr. 2 VOB/A EU i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A EU wegen Änderung an den Vergabeunterlagen aufgrund der fehlenden Formblattseite … Nachforderbarkeit der 3. Seite des Formblattes 213

90Schließlich ist zu problematisieren, dass das Angebot der Antragstellerin dadurch, dass die letzte Seite des Formblattes 213 nicht mitübersandt wurde, diverse Erklärungen zum Angebotsinhalt nun nicht beinhaltet. Sofern das Angebot der Antragstellerin nicht auf der Grundlage der Vergabeunterlagen erstellt wurde, würde darin eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen darstellen, was in rechtlicher Konsequenz gem. § 16 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A EU zum Ausschluss des Angebotes aus dem Wettbewerb führen könnte.

Auf Seite 3 des Formblattes waren insoweit folgende Erklärungen abgefragt und dementsprechend mit dem Angebot abzugeben:

„Ich/Wir erkläre(n), dass

– ich/wir den Wortlaut der vom Auftraggeber verfassten Langfassung des Leistungsverzeichnisses als alleinverbindlich anerkenne(n).

– mir/uns zugegangene Änderungen der Vergabeunterlagen Gegenstand meines/unseres Angebotes sind.

– ein nach der Leistungsbeschreibung ggf. zu benennender Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator gemäß Baustellenverordnung und dessen Stellvertreter über die nach den „Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen; geeigneter Koordinator (Konkretisierung zu § 3 BaustellV) (RAB 30)“ geforderte Qualifikation verfügen, um die nach Baustellenverordnung übertragenen Aufgaben fachgerecht zu erfüllen.

– das vom Auftraggeber vorgeschlagene Produkt Inhalt meines/unseres Angebotes ist, wenn Teilleistungsbeschreibungen des Auftraggebers den Zusatz „oder gleichwertig“ enthalten und von mir/uns keine Produktangaben (Hersteller- und Typbezeichnung) eingetragen wurden.

– falls von mir/uns mehrere Nebenangebote abgegeben wurden, mein/unser Angebot auch die Kumulation der Nebenangebote, die sich nicht gegenseitig ausschließen, umfasst.

– ich/wir einen pauschalen Schadensersatz in Höhe von 15 Prozent der Bruttoabrechnungssumme dieses Vertrages entrichten werde, falls ich/wir aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen habe(n), die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellt, es sei denn, ich/wir weise(n) einen geringeren Schaden nach.

– ich/wir jede vom zuständigen Finanzamt vorgenommene Änderung in Bezug auf eine vorgelegte Freistellungsbescheinigung (§ 48b EStG) dem Auftraggeber unverzüglich in Textform mitteile/n.“

Erklärung wie bspw., dass man einen pauschalen Schadensersatz in Höhe von 15 Prozent der Bruttoabrechnungssumme dieses Vertrages entrichten werde, falls aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen wurde […], sollten also nach dem Willen der Auftraggeberin über dieses Formblatt Vertragsbestandteil des Vertrages werden.

Ein Abgleich mit den übrigen Vergabeunterlagen zeigt allerdings, dass nahezu alle dieser Vorgaben ohnedies schon irgendwo in diesen enthalten waren.

So enthält bspw. Ziffer der 9. der „Zusätzlichen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen“ folgenden Hinweis hinsichtlich etwaiger Wettbewerbsbeschränkungen (§ 8 Abs. 4 VOB/B):

„Wenn der Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellt, ist er der Auftraggeberin zu einem pauschalen Schadensersatz in Höhe von 15 v.H. der Abrechnungssumme verpflichtet, es sei denn, ein Schaden in anderer Höhe wird nachgewiesen. Dies gilt auch, wenn der Vertrag gekündigt oder bereits erfüllt ist. Sonstige vertragliche oder gesetzliche Ansprüche des Auftraggebers bleiben unberührt.“

Darüber hinaus enthalten auch die „Weiteren besonderen Vertragsbedingungen“ für die Ausführung von Bauleistungen ergänzende Ausführungen, so bspw. unter Ziffer 2. „Sicherheit und Gesundheitsschutz entspr. Baustellenverordnung (BaustellV)“ zu der Gestellung eines Koordinators nach § 3 (1) BaustellV, bzw. zusätzlich unter Ziffer 21. § 4 BaustellV) bestellt ist.

Dadurch, dass zudem in Ziffer 211EU (Aufforderung zur Abgabe eines Angeb.“Arbeitssicherheit“ auch dazu, inwieweit bereits ein Koordinator (gem ots EU – Einheitliche Fassung) unter B) Anlagen, die beim Bieter verbleiben und Vertragsbestandteil werden folgendes angekreuzt ist:

„Teile der Leistungsbeschreibung: Baubeschreibung, Pläne, sonstige Anlagen

– 214 Besondere Vertragsbedingungen erübrigt sich nach Auffassung der Vergabekammer eigentlich schon die abermalige Abforderung einer diesbezüglichen Erklärung über die Seite 3 des Formblattes 213.“

Auch Ziffer 3.3 des Formblattes 212 EU (Teilnahmebedingungen), zweiter Absatz enthält ein weiteres Mal über die Formulierung:

„Die von der Vergabestelle vorgegebene Langfassung des Leistungsverzeichnisses ist allein verbindlich.“

eine Anerkennung des Leistungsverzeichnisses. Nichts Anderes war unter Ziffer 8 (erster Anstrich) der fehlenden Seite 3 gefordert.

Es ist festzustellen, dass durch das überbordende Konvolut von Formblättern, zusätzlichen und auch weiteren Vertragsbedingungen die Auftraggeberin hinsichtlich der vertraglichen Inhalte des zustande kommenden Vertrages abgesichert ist. Nebenangebote waren vorliegend ohnedies nicht zugelassen, so dass auch der diesbezügliche Anstrich in Ziffer 8 keine Relevanz für den Vertragsinhalt hat.

Schließlich ließe sich vertreten, was die Vergabekammer vorliegend aber bewusst dahinstehen lässt, dass die Antragstellerin dadurch, dass sie auf der Seite 2 des streitbefangenen Formblattes 213 die Ziffer 5 akzeptiert hat, das Formblatt 213 bereist in Gänze akzeptiert und inkludiert hat. Ziffer 5 lautet wie folgt:

„5 Bestandteil meines/unseres Angebots sind neben diesem Angebotsschreiben und seinen Anlagen:

– Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B), Ausgabe 2016,

– Unterlagen gem. Aufforderung zur Angebotsabgabe, Anlagen – Teil B“

[…]

Vor diesem Hintergrund ist die erkennende Vergabekammer der festen Überzeugung, dass die dritte Seite des Formblattes 213 EU – wenn es der Auftraggeberin darauf entscheidend angekommen ist, gemäß Ziffer 3.3 des Formblattes 211 EU hätte nachgefordert werden können und müssen (a.A. vgl. VK Nordbayern, Beschluss vom 16.02.2022 – RMF-SG213194-7-1) um sämtliche Erklärungen unter Ziffer 8 des Formblattes zum Gegenstand des Vertrages zu machen. Diese dritte Seite enthält keine Kernbestandteile des Angebots und ist für dieses nicht von elementarer Bedeutung. Wenn es der Auftraggeberin wegen der unter Ziffer 8 aufgeführten Erklärungen darauf ankam, diese zum Angebotsbestandteil zu machen, dann hätte diese fehlende (leistungsbezogene) Erklärung nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nachgefordert werden müssen, resp. nachgereicht werden könnten.

Die Vergabekammer verkennt nicht, dass Angebote auszuschließen sind, ohne dass dem Bieter Gelegenheit gegeben werden darf, dieses nachzubessern, wenn wegen einer elementaren inhaltlichen Unvollständigkeit schon gar kein wirksames Angebot abgegeben worden ist (vgl. bspw. OLG Dresden, B. v. 21.02.2012 – Verg 1/12). Ebenso ist sie nach wie vor der Überzeugung, dass Kernbestandteile eines Angebots nicht nachgefordert werden dürfen (vgl. bspw. von Wietersheim in Ingenstau/Korbion, VOB, 20. Aufl., § 16 a VOB/A Rn. 2).

Für Kernbestandteile hält sie aber nicht solche Formulierungen, die zum einen schon mehrfach über andere Formularblätter Bestandteil des Angebotes geworden sind und denen zum anderen, unter anderen Umständen, die Auftraggeberin mutmaßlich keine Bedeutung zugemessen hätte. Vielmehr hält sie solche Angebotsbestandteile für elementar und dem Kernbereich zuordenbar, die die primären Leistungspflichten betreffen. Dies können bspw. Fabrikatsangaben, kalkulatorische Erläuterungen, Mengen- und Preisangaben oder Wartungskarten sein, also Angaben betreffen, ohne die das Angebot nahezu inhaltsleer wäre, oder deren Möglichkeit zur Nachreichung gleichzeitig das Tor für Wettbewerbsverzerrungen oder Manipulationsmöglichkeiten öffnen würde. Das sieht die Vergabekammer bei der hier versehentlich nicht übersandten Seite 3 des Formblattes 213 EU nicht.

Demgemäß war der hierauf gestützte Ausschluss des Angebots der Antragstellerin vergaberechtswidrig und verletzte die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 GWB. Die Auftraggeberin wäre gehalten gewesen, dieses Formblatt nachzufordern.

3. Maßnahmen der Vergabekammer

Gemäß § 168 Abs. 1 GWB entscheidet die Vergabekammer, ob der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist, und trifft die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist an die Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken.

§ 168 GWB vermittelt der Vergabekammer somit einen weiten Entscheidungsraum, der nur innerhalb des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Schranken findet (VK Sachsen, Beschluss vom 7. Januar 2008 – 1/SVK/077-07). Die Vergabekammer kann alles unternehmen, was für die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens erforderlich ist. Ausgeschlossen ist lediglich die Zuerkennung von Schadensersatz. Die Maßnahme muss jedoch geeignet sein, die Rechtsverletzung zu beseitigen, gleichzeitig aber auch das mildeste Mittel hierfür sein (VK Sachsen, Beschluss vom 30. April 2008 – 1/SVK/020-08).

Der Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin, gestützt auf das Fehlen der Seite 3 des Formblattes 213 EU erfolgte vergaberechtswidrig. Um diese Rechtsverletzung der Antragstellerin zu beseitigen, ist es erforderlich, dass die Auftraggeberin verpflichtet wird, die fehlende Seite nachzufordern und sodann, bei fristgerechtem Nachreichen der Unterlage, das Angebot der Antragstellerin bei Fortbestand der Vergabeabsicht erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer neu zu werten.

III.

1. Die Auftraggeberin hat die Kosten zu tragen, § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB.

Die Auftraggeberin hat als Unterliegende die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB zu tragen.

Die Gebühr beträgt mindestens 2.500 EUR und soll den Betrag von 50.000 EUR nicht überschreiten (§ 182 Abs. 2 Satz 1 und 2 GWB). Die Höhe der Gebühr bestimmt sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der erkennenden Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstandes des Nachprüfungsverfahrens (§ 182 Abs. 2 GWB). Der Gesetzgeber hat mit dieser an § 80 Abs. 2 GWB orientierten Regelung klargestellt, dass – wie im Kartellverwaltungsverfahren – vorrangig auf die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens abzustellen ist. Die Vergabekammern des Bundes haben eine Gebührenstaffel erarbeitet, die die erkennende Vergabekammer im Interesse einer bundeseinheitlichen Handhabung in der Regel übernimmt.

Zur Bestimmung des wirtschaftlichen Interesses wird in der Regel auf die Höhe des Angebotes der Antragstellerin abgestellt. Ausgehend davon ergibt sich hier ein Auftragswert für den die Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes eine Gebühr in Höhe von … EUR vorsieht.

Dieser Betrag kann entsprechend § 182 Abs. 2 Satz 1, 2. Hs. GWB ermäßigt werden, ggf. bis auf ein Zehntel. Als Gründe einer Ermäßigung sind dabei nur solche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Bedeutung sowie dem erforderlichen Verwaltungsaufwand stehen. Gründe, die dies rechtfertigten, sind hier nicht gegeben. Damit hat die Auftraggeberin den Betrag in Höhe von … EUR zu tragen.

Auslagen, die nicht mit der Gebühr abgegolten wären, sind nicht angefallen.

Die Auftraggeberin ist jedoch als Gemeinde i. S. d. § 3 Abs. 2 SächsGemO von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Verwaltungskostengesetzes (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit.

2. Die Auftraggeberin hat die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen, § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.

Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB hat ein Beteiligter – soweit er unterliegt – die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu tragen. Vorliegend ist die Auftraggeberin die Unterlegene, diese hat daher die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen.

3. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Antragstellerin ist gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. § 1 SächsVwVfZ, § 80 Abs. 2 VwVfG notwendig.

Ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten erforderlich war und die hieraus entstandenen Kosten damit zu den notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin i. S. d. § 80 Abs. 1 Satz 3 VwVfG gehören, ist nach dem individuellen Streitstoff des einzelnen Nachprüfungsverfahrens zu beurteilen (OLG Dresden, B. v. 22. 2. 2010 – WVerg 1/10 -).

Vorliegend wurde der Nachprüfungsantrag im Wesentlichen damit begründet, dass der Ausschluss des Angebotes, gestützt auf das Fehlen der Seite 3 des Formblattes 213 vergaberechtswidrig war. Es handelt sich bei dieser Materie um sehr komplexe und schwierige Streitfragen des materiellen Vergaberechts, da hier Auswirkungen der E-Vergabe auf zivilrechtliche Fragen zu betrachten waren. Zudem geht es beim Vergaberecht aufgrund vielfältiger europarechtlicher Überlagerung um ein wenig übersichtliches und zudem stetigen Veränderungen unterworfenes, überdurchschnittlich kompliziertes Rechtsgebiet, dass wegen des gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahrens bei der Vergabekammer bereits prozessrechtliche Kenntnisse verlangt, einem hohem Zeitdruck unterliegt und für das in vielen Bereichen gesicherte Rechtsprechungsergebnisse noch nicht vorhanden sind. Deshalb ist die Beauftragung eines Rechtsanwaltes durch einen Bieter in vergaberechtlichen Streitigkeiten schon grundsätzlich als notwendig anzusehen (Krohn in: Burgi/Dreher, GWB, § 182 Rn. 45).

Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin als notwendig anzusehen ist.

4. Die Beigeladene ist nicht an der Tragung der Kosten zu beteiligen, § 182 Abs. 3 Satz 5 GWB. Ihre Aufwendungen sind ihr nicht zu erstatten, § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB.

Kostenschuldner ist gemäß § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB der Beteiligte, der im Verfahren unterliegt. Die Beigeladene ist nach § 182 Satz 1 GWB ebenfalls Beteiligte am Verfahren und unterliegt in diesem Verfahren. Nach § 182 Abs. 3 Satz 5 GWB können die Verfahrenskosten auch Beigeladenen auferlegt werden, wenn dies billigem Ermessen entspricht. Die Beigeladene ist hier jedoch nicht an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen, da sie sich nicht am Verfahren beteiligt hat und keinen Antrag gestellt hat. Es entspricht daher billigem Ermessen, sie vorliegend nicht an der Kostentragung zu beteiligen.

Da sie selbst unterliegt, kommt eine Kostenerstattung ihrer eigenen Aufwendungen nicht in Betracht, § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB.

IV.

(…)