Europäischer Gerichtshof, Az.: C – 303 / 22, Urteil vom 18.01.2024 – Leitsatz (amtlich): Art. 2 Abs. 3 und Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, die dem Auftraggeber den Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag nur bis zu dem Zeitpunkt untersagt, an dem eine Stelle in erster Instanz im Sinne dieses Art. 2 Abs. 3 über den Nachprüfungsantrag gegen die Entscheidung über die Vergabe dieses Auftrags entscheidet, nicht entgegenstehen, ohne dass es insoweit auf die Frage ankommt, ob diese Stelle ein Gericht ist oder nicht.

Jan 18, 2024 | Rechtsprechung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

18. Januar 2024

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge – Richtlinie 89/665/EWG – Zugang zu den Nachprüfungsverfahren – Art. 2 Abs. 3 und Art. 2a Abs. 2 – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein Nachprüfungsverfahren mit Suspensiveffekt vorzusehen – Nachprüfungsstelle in erster Instanz – Nachprüfung der Entscheidung über die Vergabe eines Auftrags – Art. 2 Abs. 9 – Nachprüfungsstelle, die kein Gericht ist- Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag vor Erhebung einer Klage gegen eine Entscheidung dieser Stelle – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz“

In der Rechtssache C‑303/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno [Brünn], Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 5. Mai 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Mai 2022, in dem Verfahren

CROSS Zlín a.s.

gegen

Úřad pro ochranu hospodářské soutěže,

Beteiligte:

Statutární město Brno,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos (Berichterstatter), der Richterin O. Spineanu-Matei, der Richter J.‑C. Bonichot und S. Rodin sowie der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Lamote, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der CROSS Zlín a.s., vertreten durch M. Šimka und L. Vaculínová, Advokáti,

–        des Úřad pro ochranu hospodářské soutěže, vertreten durch P. Mlsna und I. Pospíšilíková als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch L. Halajová, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

–        der zyprischen Regierung, vertreten durch N. Ioannou, D. Kalli und E. Zachariadou als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara, P. Ondrůšek und G. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. September 2023

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 3 und Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. 1989, L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 (ABl. 2014, L 94, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665), sowie von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der CROSS Zlín a.s. und dem Úřad pro ochranu hospodářské soutěže (Wettbewerbsbehörde, Tschechische Republik) (im Folgenden: Behörde) über die durch den Vorsitzenden dieser Behörde erfolgte Bestätigung der Zurückweisung eines Nachprüfungsantrags, den CROSS Zlín gegen die Entscheidung des Statutární město Brno (Stadt Brno [Brünn], Tschechische Republik) gestellt hatte, sie von einem Verfahren über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags über die Erweiterung der Funktionen der Verkehrssteuerungszentrale (betreffend das System der Lichtsignalanlagen) dieser Stadt auszuschließen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Der fünfte Erwägungsgrund der Richtlinie 89/665 lautet:

„Angesichts der Kürze der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge müssen die für die Nachprüfung zuständige[n] Stellen vor allem befugt sein, vorläufige Maßnahmen zu treffen, um das Vergabeverfahren oder die Durchführung etwaiger Beschlüsse der Vergabebehörde auszusetzen. Die Kürze der Vergabeverfahren macht eine dringliche Behandlung der genannten Verstöße notwendig.“

4        In den Erwägungsgründen 3, 4 und 36 der Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (ABl. 2007, L 335, S. 31) heißt es:

„(3)      Die Anhörung der Beteiligten wie auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs haben bei den gegenwärtigen Nachprüfungsverfahren in den Mitgliedstaaten einige Schwachstellen aufgedeckt. Aufgrund dieser Schwachstellen können die Verfahren der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG [des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. 1992, L 76, S. 14)] die Beachtung der Gemeinschaftsvorschriften nicht immer gewährleisten und insbesondere nicht in einem Stadium, in dem Verstöße noch beseitigt werden könnten. So sollten die mit diesen Richtlinien angestrebten Garantien im Hinblick auf Transparenz und Nichtdiskriminierung verstärkt werden, um zu gewährleisten, dass die positiven Effekte der Modernisierung und Vereinfachung der Vorschriften über das öffentliche Auftragswesen im Rahmen der Richtlinien 2004/18/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114] und 2004/17/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl. 2004, L 134, S. 1)] für die Gemeinschaft insgesamt voll zum Tragen kommen. …

(4)      Zu den ermittelten Schwächen zählt insbesondere das Fehlen einer Frist, die eine wirksame Nachprüfung zwischen der Zuschlagsentscheidung und dem Abschluss des betreffenden Vertrags ermöglicht. Das führt zuweilen dazu, dass öffentliche Auftraggeber und Auftraggeber sehr rasch die Vertragsunterzeichnung vornehmen, um die Folgen einer strittigen Zuschlagsentscheidung unumkehrbar zu machen. Um diese Schwachstelle zu beseitigen, die einen wirksamen Rechtsschutz der betroffenen Bieter, nämlich derjenigen Bieter, die noch nicht endgültig ausgeschlossen wurden, ernstlich behindert, ist es erforderlich, eine Mindest-Stillhaltefrist vorzusehen, während der der Abschluss des betreffenden Vertrags ausgesetzt wird, und zwar unabhängig davon, ob der Vertragsschluss zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung erfolgt oder nicht.

(36)      Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der [Charta] anerkannt wurden. Sie soll namentlich die uneingeschränkte Achtung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren nach Artikel 47 Absätze 1 und 2 der Charta sicherstellen.“

5        Art. 1 („Anwendungsbereich und Zugang zu Nachprüfungsverfahren“) der Richtlinie 89/665 bestimmt:

„(1)      …

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65)] beziehungsweise der Richtlinie [2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1)] fallenden Aufträge oder Konzessionen die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f dieser Richtlinie auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, überprüft werden können.

(3)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.

(5)      Die Mitgliedstaaten können auch verlangen, dass die betreffende Person zunächst bei dem öffentlichen Auftraggeber eine Nachprüfung beantragt. In diesem Fall tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Einreichung eines solchen Antrags einen unmittelbaren Suspensiveffekt auf den Vertragsschluss auslöst.

Der Suspensiveffekt nach Unterabsatz 1 endet nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der öffentliche Auftraggeber eine Antwort abgesendet hat, falls sie per Fax oder auf elektronischem Weg abgesendet wird, oder, falls andere Kommunikationsmittel verwendet werden, nicht vor Ablauf einer Frist von entweder mindestens 15 Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der öffentliche Auftraggeber eine Antwort abgesendet hat, oder mindestens zehn Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag nach dem Eingang einer Antwort.“

6        Art. 2 („Anforderungen an die Nachprüfungsverfahren“) der Richtlinie 89/665 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit

a)      so schnell wie möglich im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufige Maßnahmen ergriffen werden können, um den behaupteten Verstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern; dazu gehören auch Maßnahmen, um das Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder die Durchführung jeder sonstigen Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers auszusetzen oder die Aussetzung zu veranlassen;

b)      die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlasst werden kann;

c)      denjenigen, die durch den Verstoß geschädigt worden sind, Schadensersatz zuerkannt werden kann.

(2)      Die in Absatz 1 und in den Artikeln 2d und 2e genannten Befugnisse können getrennt mehreren Stellen übertragen werden, die für das Nachprüfungsverfahren unter verschiedenen Gesichtspunkten zuständig sind.

(3)      Wird eine gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Stelle in erster Instanz mit der Nachprüfung einer Zuschlagsentscheidung befasst, so sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass der öffentliche Auftraggeber den Vertragsschluss nicht vornehmen kann, bevor die Nachprüfungsstelle eine Entscheidung über einen Antrag auf vorläufige Maßnahmen oder eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat. Diese Aussetzung endet frühestens mit Ablauf der Stillhaltefrist nach Artikel 2a Absatz 2 und Artikel 2d Absätze 4 und 5.

(4)      Außer in den Fällen nach Absatz 3 und Artikel 1 Absatz 5 haben die Nachprüfungsverfahren als solche nicht notwendigerweise einen automatischen Suspensiveffekt auf die betreffenden Vergabeverfahren.

(5)      Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Nachprüfungsstelle die voraussehbaren Folgen der vorläufigen Maßnahmen im Hinblick auf alle möglicherweise geschädigten Interessen sowie das Interesse der Allgemeinheit berücksichtigen kann und dass sie beschließen kann, diese Maßnahmen nicht zu ergreifen, wenn deren nachteilige Folgen die damit verbundenen Vorteile überwiegen könnten.

Die Ablehnung der vorläufigen Maßnahmen beeinträchtigt nicht die sonstigen Rechte des Antragstellers.

(6)      Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass bei Schadensersatzansprüchen, die auf die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung gestützt werden, diese zunächst von einer mit den dafür erforderlichen Befugnissen ausgestatteten Stelle aufgehoben worden sein muss.

(7)      …

Abgesehen von dem Fall, in dem eine Entscheidung vor Zuerkennung von Schadensersatz aufgehoben werden muss, kann ein Mitgliedstaat ferner vorsehen, dass nach dem Vertragsschluss in Übereinstimmung mit Artikel 1 Absatz 5, Absatz 3 des vorliegenden Artikels oder den Artikeln 2a bis 2f die Befugnisse der Nachprüfungsstelle darauf beschränkt werden, einer durch einen Verstoß geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen.

(9)      Eine Nachprüfungsstelle, die kein Gericht ist, muss ihre Entscheidung stets schriftlich begründen. Ferner ist in diesem Falle sicherzustellen, dass eine behauptete rechtswidrige Maßnahme der Nachprüfungsstelle oder ein behaupteter Verstoß bei der Ausübung der ihr übertragenen Befugnisse zum Gegenstand einer Klage oder einer Nachprüfung bei einer anderen von dem öffentlichen Auftraggeber und der Nachprüfungsstelle unabhängigen Stelle, die ein Gericht im Sinne des Artikels [267 AEUV] ist, gemacht werden können.

…“

7        In Art. 2a („Stillhaltefrist“) der Richtlinie 89/665 heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten legen nach Maßgabe der Mindestbedingungen in Absatz 2 und in Artikel 2c Fristen fest, die sicherstellen, dass die in Artikel 1 Absatz 3 genannten Personen gegen Zuschlagsentscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksame Nachprüfungsverfahren anstrengen können.

(2)      Ein Vertrag im Anschluss an die Zuschlagsentscheidung für einen Auftrag oder eine Konzession, der in den Anwendungsbereich der Richtlinie [2014/24] oder der Richtlinie [2014/23] fällt, darf frühestens zehn Kalendertage, gerechnet ab dem auf die Absendung der Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter und Bewerber folgenden Tag, bei Mitteilung per Fax oder auf elektronischem Weg, oder, falls andere Kommunikationsmittel genutzt werden, entweder frühestens 15 Kalendertage, gerechnet ab dem auf die Absendung der Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter und Bewerber folgenden Tag[,] oder frühestens zehn Kalendertage, gerechnet ab dem Tag nach dem Eingang der Zuschlagsentscheidung[,] geschlossen werden.

Bieter gelten als betroffen, wenn sie noch nicht endgültig ausgeschlossen wurden. Ein Ausschluss ist endgültig, wenn er den betroffenen Bietern mitgeteilt wurde und entweder von einer unabhängigen Nachprüfungsstelle als rechtmäßig anerkannt wurde oder keinem Nachprüfungsverfahren mehr unterzogen werden kann.

Der Mitteilung über die Zuschlagsentscheidung an jeden betroffenen Bieter und Bewerber wird Folgendes beigefügt:

–        eine Zusammenfassung der einschlägigen Gründe … und

–        eine genaue Angabe der konkreten Stillhaltefrist, die gemäß den einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieses Absatzes anzuwenden ist.“

8        Art. 2d („Unwirksamkeit“) der Richtlinie 89/665 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten tragen in folgenden Fällen dafür Sorge, dass ein Vertrag durch eine von dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle für unwirksam erklärt wird oder dass sich seine Unwirksamkeit aus der Entscheidung einer solchen Stelle ergibt,

b)      bei einem Verstoß gegen Artikel 1 Absatz 5, Artikel 2 Absatz 3 oder Artikel 2a Absatz 2 der vorliegenden Richtlinie, falls dieser Verstoß dazu führt, dass der Bieter, der eine Nachprüfung beantragt, nicht mehr die Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags Rechtsschutz zu erlangen, und dieser Verstoß verbunden ist mit einem Verstoß gegen die Richtlinie [2014/24] oder [die] Richtlinie [2014/23], falls der letztgenannte Verstoß die Aussichten des Bieters, der eine Nachprüfung beantragt, auf die Erteilung des Zuschlags beeinträchtigt hat,

(2)      Die Folgen der Unwirksamkeit eines Vertrags richten sich nach einzelstaatlichem Recht.

Die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften können somit vorsehen, dass alle vertraglichen Verpflichtungen rückwirkend aufgehoben werden oder dass die Wirkung der Aufhebung auf die Verpflichtungen beschränkt ist, die noch zu erfüllen sind. Im letzteren Fall tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass auch alternative Sanktionen im Sinne des Artikels 2e Absatz 2 Anwendung finden.“

 Tschechisches Recht

9        Aus den §§ 241 und 242 des Zákon č. 134/2016 Sb., o zadávání veřejných zakázek (Gesetz Nr. 134/2016 über das öffentliche Auftragswesen) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 134/2016) ergibt sich, dass gegen das Verfahren des Auftraggebers innerhalb von 15 Tagen ab dem Zeitpunkt, zu dem der Beschwerdeführer vom Rechtsverstoß des Auftraggebers Kenntnis erlangt, Widerspruch erhoben werden kann.

10      Gemäß § 245 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 134/2016 hat der Auftraggeber dem Beschwerdeführer innerhalb von 15 Tagen nach Zustellung des Widerspruchs seine Entscheidung über diesen zu übermitteln und dabei anzugeben, ob er ihm stattgibt oder ihn zurückweist. Die Entscheidung muss eine Begründung enthalten, in der der Auftraggeber ausführlich und verständlich zu allen Tatsachen Stellung nimmt, die vom Beschwerdeführer im Widerspruch angeführt werden. Gibt der Auftraggeber dem Widerspruch statt, so teilt er in seiner Entscheidung auch mit, welche Abhilfemaßnahmen er ergreifen wird.

11      Nach § 245 Abs. 4 des Gesetzes Nr. 134/2016 hat der Auftraggeber den Beschwerdeführer im Fall der Zurückweisung des Widerspruchs in seiner Entscheidung über die Möglichkeit zu belehren, innerhalb der Frist nach § 251 Abs. 2 des Gesetzes einen Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Behörde zu stellen, sowie über die Verpflichtung, dem Auftraggeber innerhalb derselben Frist eine Kopie des Antrags zu übermitteln.

12      § 246 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 134/2016 sieht vor, dass der öffentliche Auftraggeber den Vertrag mit dem Auftragnehmer nicht schließen darf:

„a)      vor Ablauf der Frist für die Erhebung von Widersprüchen gegen die Entscheidung über den Ausschluss eines Teilnehmers vom Vergabeverfahren, den Zuschlag an den Auftragnehmer oder gegen die freiwillige Mitteilung der Absicht, einen Vertrag zu schließen,

b)      vor Zustellung der Entscheidung über den Widerspruch des Beschwerdeführers, wenn ein solcher eingelegt worden ist,

c)      vor Ablauf der Frist für die Beantragung eines Nachprüfungsverfahrens zur Überprüfung des Vorgehens des Auftraggebers, wenn dieser den Widerspruch zurückgewiesen hat,

d)      innerhalb der Frist von 60 Tagen nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens, sofern der Antrag auf Einleitung des Verfahrens rechtzeitig gestellt wurde; der Auftraggeber kann den Vertrag jedoch auch innerhalb dieser Frist schließen, wenn die Behörde den Antrag zurückgewiesen hat oder das Verwaltungsverfahren über den Antrag eingestellt wurde und diese Entscheidung rechtskräftig geworden ist.“

13      Nach § 246 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 134/2016 darf der Auftraggeber auch dann nicht innerhalb von 60 Tagen nach Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens zur Überprüfung des Vorgehens des Auftraggebers einen Vertrag mit einem Auftragnehmer schließen, wenn die Behörde ein solches Verfahren von Amts wegen eingeleitet hat. Der Auftraggeber kann den Vertrag jedoch auch innerhalb dieser Frist schließen, wenn das Verwaltungsverfahren über den Antrag eingestellt wurde und diese Entscheidung im Rahmen dieses Verwaltungsverfahrens rechtskräftig geworden ist.

14      Nach § 254 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 134/2016 kann ein Antrag auf Erlass eines Verbots, einen Vertrag über einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen, von einem Antragsteller gestellt werden, der behauptet, dass der Auftraggeber den Vertrag u. a. ohne vorherige Bekanntmachung, trotz des in diesem Gesetz oder durch eine vorläufige Maßnahme vorgesehenen Abschlussverbots oder auf der Grundlage eines Verfahrens außerhalb des Vergabeverfahrens geschlossen hat.

15      § 257 Buchst. j des Gesetzes Nr. 134/2016 bestimmt, dass die Behörde ein eingeleitetes Verfahren durch Beschluss einstellt, wenn der Auftraggeber während des Verwaltungsverfahrens einen Vertrag über die Erfüllung des geprüften öffentlichen Auftrags geschlossen hat.

16      Nach § 264 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 134/2016 wird dem Auftraggeber von der Behörde in einem gemäß § 254 des Gesetzes eingeleiteten Verfahren ein Verbot, den Vertrag zu erfüllen, auferlegt, wenn der Vertrag über einen öffentlichen Auftrag oder der Rahmenvertrag nach dem in § 254 Abs. 1 des Gesetzes genannten Verfahren geschlossen wurde. Ein Vertrag, über den die Behörde ein Erfüllungsverbot verhängt, ohne nach Abs. 3 zu verfahren, ist von Anfang an nichtig. Gemäß § 264 Abs. 2 des Gesetzes ist ein Vertrag über die Erfüllung eines öffentlichen Auftrags wegen Verstoßes gegen dieses Gesetz nur dann nichtig, wenn die Behörde die Erfüllung gemäß § 264 Abs. 1 des Gesetzes untersagt.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

17      Am 27. September 2019 führte die Stadt Brno ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über die Erweiterung der Funktionen ihrer Verkehrssteuerungszentrale (betreffend das System der Lichtsignalanlagen) durch. Der geschätzte Wert dieses öffentlichen Auftrags betrug 13 805 000 tschechische Kronen (CZK) ohne Mehrwertsteuer (etwa 560 000 Euro).

18      Die Stadt Brno als öffentlicher Auftraggeber erhielt zwei Angebote, nämlich das von CROSS Zlín mit dem niedrigsten Angebotspreis sowie das der Siemens Mobility, s.r.o. Mit Bekanntmachung vom 6. April 2020 schloss der Auftraggeber CROSS Zlín wegen Nichterfüllung der Vergabebedingungen aus. Am 7. April 2020 wurde der Auftrag an Siemens Mobility vergeben.

19      CROSS Zlín erhob Widerspruch gegen die Bekanntmachung ihres Ausschlusses, den der Auftraggeber mit Entscheidung vom 4. Mai 2020 zurückwies. In der Folge stellte das Unternehmen bei der Behörde einen Antrag auf Nachprüfung der Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers, mit dem die Aufhebung der Bekanntmachung des Ausschlusses und der Entscheidung über die Vergabe des betreffenden Auftrags an Siemens Mobility begehrt wurde.

20      Im Verwaltungsverfahren vor der Behörde wurde am 3. Juli 2020 von Amts wegen eine vorläufige Maßnahme erlassen, die dem Auftraggeber den Abschluss eines Vertrags über den in Rede stehenden öffentlichen Auftrag bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verwaltungsverfahrens untersagte.

21      Mit Entscheidung vom 5. August 2020 wies die Behörde den Antrag von CROSS Zlín ab. Gegen diese Entscheidung legte das Unternehmen Widerspruch ein, den der Vorsitzende der Behörde als Verwaltungsstelle in zweiter Instanz mit Entscheidung vom 9. November 2020 zurückwies. Am 18. November 2020 schloss der Auftraggeber den Vertrag über den öffentlichen Auftrag mit Siemens Mobility.

22      Am 13. Januar 2021 erhob CROSS Zlín beim Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno, Tschechische Republik), dem vorlegenden Gericht, Klage gegen diese Entscheidung des Vorsitzenden der Behörde. Gleichzeitig mit dieser Klage beantragte CROSS Zlín, der Klage hinsichtlich des Abschlusses eines Vertrags aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und eine einstweilige Anordnung zu erlassen, mit der dem Auftraggeber der Abschluss oder die Erfüllung des Vertrags über den öffentlichen Auftrag untersagt werden sollte.

23      Am 11. Februar 2021 wies das Gericht den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass dem betreffenden Auftraggeber der Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag nicht untersagt werden könne, wenn dieser Vertrag bereits geschlossen worden sei. Beim derzeitigen Stand des tschechischen Rechts würde die Behörde nämlich auch in dem Fall, dass einer derartigen Klage stattgegeben, die streitige Entscheidung aufgehoben und die Sache an die Behörde zurückverwiesen würde, das Verfahren nach § 257 Buchst. j des Gesetzes Nr. 134/2016 ohne Prüfung in der Sache einstellen.

24      Das Gericht lehnte es auch ab, dem Auftraggeber die Erfüllung des Vertrags zu untersagen, da die tschechischen Rechtsvorschriften dem Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag, nachdem die Entscheidung des Vorsitzenden der Behörde im Rahmen des Verwaltungsverfahrens rechtskräftig geworden sei, nicht entgegenstünden.

25      In diesem Zusammenhang äußert das vorlegende Gericht Zweifel, ob die Richtlinie 89/665 und das sich aus Art. 47 der Charta ergebende Erfordernis der Gewährleistung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die einem öffentlichen Auftraggeber den Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag gestatten, bevor die Frist für eine Klage gegen die Entscheidung der Verwaltungsstelle in zweiter Instanz abgelaufen ist oder bevor das angerufene Gericht über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung befinden kann, mit der dem öffentlichen Auftraggeber der Abschluss des Vertrags untersagt wird, bis die Entscheidung über die Klage rechtskräftig geworden ist.

26      Der Rechtsprechung der tschechischen Gerichte lasse sich entnehmen, dass das angerufene Gericht keine einstweilige Anordnung mehr erlasse, wenn der Vertrag über den öffentlichen Auftrag abgeschlossen werde, bevor über eine solche Klage oder einen solchen Antrag entschieden worden sei, da es in einem solchen Fall nicht mehr erforderlich sei, die Beziehungen der Parteien vorläufig zu regeln.

27      Sollte das angerufene Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass der Wettbewerbsbehörde ein Fehler bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses des betreffenden Bieters unterlaufen sei, müsste es die – in Rn. 21 des vorliegenden Urteils angeführte – Entscheidung des Vorsitzenden der Behörde wegen Rechtswidrigkeit aufheben und die Sache an sie zurückverweisen. Sei ein Vertrag über den in Rede stehenden öffentlichen Auftrag jedoch bereits geschlossen worden, bevor dieses Gericht entscheide, würde die Behörde nach Zurückverweisung des Verfahrens nicht erneut prüfen, ob der Antrag auf Nachprüfung des Vorgehens des Auftraggebers gemäß den Feststellungen des Gerichts begründet sei, und würde das Verfahren auf Grundlage von § 257 Buchst. j des Gesetzes Nr. 134/2016 einstellen.

28      Bei einer solchen Fallgestaltung könne sich der ausgeschlossene Bieter ausschließlich mit einer Klage auf Ersatz des durch das rechtswidrige Verhalten des Auftraggebers entstandenen Schadens an die Zivilgerichte wenden, wobei die Voraussetzungen für einen derartigen Schadensersatz allerdings schwer zu erfüllen seien.

29      Das vorlegende Gericht ergänzt, dass die Behörde nach den tschechischen Rechtsvorschriften eine „Nachprüfungsstelle“ im Sinne der Richtlinie 89/665 sei. Insoweit sehe § 246 des Gesetzes Nr. 134/2016 Fristen vor, die den Auftraggeber daran hinderten, einen Vertrag während des Verfahrens vor der Behörde zu schließen. Diese Behörde könne jedoch nicht als ein Gericht angesehen werden.

30      Wenn die unabhängige Nachprüfungsstelle nach Art. 2 Abs. 3 oder Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665 – wie sich aus dem Urteil vom 21. Dezember 2021, Randstad Italia (C‑497/20, EU:C:2021:1037, Rn. 73), ergebe – ein Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta sein müsse, verstoße die tschechische Regelung, die den Abschluss eines öffentlichen Auftrags unmittelbar nach der Entscheidung des Vorsitzenden der Behörde erlaube, folglich gegen diese Richtlinie und gewährleiste den von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags ausgeschlossenen Bietern keinen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf.

31      Für den Fall, dass der Gerichtshof eine unzureichende Umsetzung der Richtlinie 89/665 feststellen sollte, wäre das vorlegende Gericht schließlich verpflichtet, der Behörde, sofern die Entscheidung des Auftraggebers für rechtswidrig befunden werden sollte, aufzugeben, die gegen die Richtlinie verstoßenden Bestimmungen des tschechischen Rechts unangewendet zu lassen.

32      Unter diesen Umständen hat der Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist es mit Art. 2 Abs. 3 und Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665, ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta, vereinbar, wenn die tschechische Regelung dem öffentlichen Auftraggeber erlaubt, einen Vertrag über einen öffentlichen Auftrag zu schließen, bevor bei einem Gericht, das für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der zweitinstanzlichen Entscheidung der Behörde über den Ausschluss eines Bieters zuständig ist, Klage erhoben worden ist?

 Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

33      Nach der Verlesung der Schlussanträge des Generalanwalts hat CROSS Zlín mit Schriftsatz, der am 19. September 2023 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nach Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt.

34      Zur Stützung ihres Antrags macht CROSS Zlín geltend, angesichts der Schlussanträge des Generalanwalts könnte die Rechtssache auf der Grundlage eines Vorbringens entschieden werden, das zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs bezeichneten Beteiligten nicht erörtert worden sei. Die tschechische Rechtsordnung erlaube einem Gericht nämlich weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht, einen Vertrag aufzuheben, selbst wenn er aufgrund einer rechtswidrigen Entscheidung des Auftraggebers geschlossen worden sei. Die Schlussanträge berücksichtigten diesen Umstand jedoch nicht, was CROSS Zlín im Rahmen der Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens erläutern wolle.

35      Weiterhin wolle sie vor dem Gerichtshof u. a. den Grund erörtern, aus dem der Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno) ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Erfüllung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags über einen öffentlichen Auftrag untersagt werden sollte, zurückgewiesen habe. Auch zur Zuständigkeit der tschechischen Verwaltungsgerichte für die Entscheidung über die Gültigkeit von Verträgen, die im Rahmen eines Vergabeverfahrens im Zusammenhang mit den erstinstanzlichen Entscheidungen der Behörde abgeschlossen worden seien, wolle sie Stellung nehmen, wie auch zu den tatsächlichen Wirkungen der Aufhebung einer Entscheidung der Behörde durch ein Verwaltungsgericht und ihren Auswirkungen auf einen bereits geschlossenen Vertrag zur Erfüllung eines öffentlichen Auftrags. Sie regt insoweit an, den Antwortvorschlag des Generalanwalts auf die Vorlagefrage in mehrerlei Hinsicht zu ergänzen.

36      Zum einen ist festzustellen, dass der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen stellt, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Die Schlussanträge des Generalanwalts oder ihre Begründung binden den Gerichtshof nicht (Urteil vom 28. September 2023, LACD, C‑133/22, EU:C:2023:710, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung die Einreichung von Stellungnahmen der Parteien zu den Schlussanträgen des Generalanwalts nicht vorsehen. Der Umstand, dass eine Partei des Ausgangsrechtsstreits oder ein Beteiligter nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteile vom 28. Mai 2020, Interseroh, C‑654/18, EU:C:2020:398, Rn. 33, und vom 9. November 2023, Všeobecná úverová banka, C‑598/21, EU:C:2023:845, Rn. 50).

38      CROSS Zlín kann ihren Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens daher nicht mit dem Vorschlag einer Ergänzung der vom Generalanwalt in seinen Schlussanträgen empfohlenen Antwort rechtfertigen.

39      Zum anderen kann der Gerichtshof zwar gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

40      Allerdings konnten CROSS Zlín und die am vorliegenden Verfahren Beteiligten sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Verfahren die rechtlichen Gesichtspunkte darlegen, die sie für die Auslegung der Richtlinie 89/665 durch den Gerichtshof für erheblich halten, um eine Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts zu ermöglichen. Der Gerichtshof hält sich insoweit für ausreichend unterrichtet, um über das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zu entscheiden, und geht davon aus, dass keiner der von CROSS Zlín zur Stützung ihres Antrags auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens geltend gemachten Gesichtspunkte diese Wiedereröffnung nach Art. 83 der Verfahrensordnung rechtfertigt.

41      Der Gerichtshof gelangt deshalb nach Anhörung des Generalanwalts zu der Auffassung, dass kein Grund besteht, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens zu beschließen.

 Zur Vorlagefrage

42      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben, und dass der Gerichtshof hierzu die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren hat (Urteil vom 5. Mai 2022, Universiteit Antwerpen u. a., C‑265/20, EU:C:2022:361, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      In der Frage ist nach ihrem Wortlaut u. a. von der Auslegung von Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 in Verbindung mit einer Regelung eines Mitgliedstaats die Rede, die es dem Auftraggeber gestattet, einen Vertrag über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags zu schließen, bevor das zuständige Gericht die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Auftraggebers über den Ausschluss eines Bieters für diesen Auftrag überprüfen kann.

44      Es ist allerdings festzustellen, dass sich Art. 2 Abs. 3 nicht auf den Fall der Nachprüfung einer Entscheidung über den Ausschluss eines Bieters des betreffenden Auftrags bezieht, sondern auf den einer Nachprüfung der Zuschlagsentscheidung. Da sich aus den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen ergibt, dass CROSS Zlín bei der Behörde nicht nur die Aufhebung der Bekanntmachung ihres Ausschlusses, sondern auch der Entscheidung über die Vergabe des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden öffentlichen Auftrags an den anderen Bieter, Siemens Mobility, beantragt hat, ist das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen somit ausschließlich im Hinblick auf diese Zuschlagsentscheidung zu prüfen.

45      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 2 Abs. 3 und Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die dem Auftraggeber den Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag nur bis zu dem Zeitpunkt untersagt, an dem eine Stelle in erster Instanz, die in diesem Mitgliedstaat kein Gericht ist, im Sinne dieses Art. 2 Abs. 3 über den Nachprüfungsantrag gegen die Entscheidung über die Vergabe dieses Auftrags entscheidet.

46      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 89/665 detaillierte Bestimmungen enthält, die im Bereich öffentlicher Aufträge ein kohärentes System von Nachprüfungsverfahren vorsieht, die gemäß Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

47      Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 2a Abs. 1 der Richtlinie 89/665 nach Maßgabe der u. a. in deren Art. 2a Abs. 2 aufgeführten Mindestbedingungen Fristen festlegen, die sicherstellen, dass die in Art. 1 Abs. 3 genannten Personen gegen Zuschlagsentscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksame Nachprüfungsverfahren anstrengen können.

48      In Art. 2a Abs. 2 werden die Mindest-Stillhaltefristen festgesetzt, während denen nach der Entscheidung über den Zuschlag eines öffentlichen Auftrags der Vertrag über diesen Auftrag nicht geschlossen werden darf. Diese Fristen betragen in Abhängigkeit des Einzelfalls zehn oder 15 Kalendertage, gerechnet ab dem auf die Absendung bzw. – je nach Art der Versendung der Zuschlagsentscheidung – den Zugang dieser Entscheidung an die betroffenen Bieter folgenden Tag.

49      Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665 bestimmt somit von Rechts wegen die Stillhaltefristen für den Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag, um die Wirksamkeit einer Nachprüfung sicherzustellen, die von den in Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie genannten Personen gegen eine solche Zuschlagsentscheidung beantragt werden kann.

50      Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie Anwendung findet, wenn eine dieser Personen eine solche Nachprüfung beantragt.

51      Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 22. Dezember 2022, Sambre & Biesme und Commune de Farciennes, C‑383/21 und C‑384/21, EU:C:2022:1022, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52      Hierzu lässt sich zunächst dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 entnehmen, dass der öffentliche Auftraggeber für den Fall, dass eine ihm gegenüber unabhängige Stelle in erster Instanz mit der Nachprüfung einer Zuschlagsentscheidung befasst wird, den Vertragsschluss nicht vornehmen kann, bevor die Nachprüfungsstelle in erster Instanz eine Entscheidung über einen Antrag auf vorläufige Maßnahmen oder eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat.

53      Diese Bestimmung sieht damit zum einen vor, dass die Nachprüfung der Zuschlagsentscheidung für die Dauer des Verfahrens vor der Nachprüfungsstelle in erster Instanz oder zumindest, bis diese Stelle über einen etwaigen Antrag auf vorläufige Maßnahmen entschieden hat, hinsichtlich der Unterzeichnung des Vertrags einen Suspensiveffekt entfaltet. Zum anderen enthält diese Bestimmung, obgleich darin verlangt wird, dass diese Stelle vom öffentlichen Auftraggeber unabhängig ist, keinen Hinweis, aus dem sich ergäbe, dass es sich bei dieser Stelle um ein Gericht handeln müsste.

54      Was sodann den Kontext von Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 betrifft, wird in deren Art. 2 Abs. 9 ausdrücklich der Fall einer „Nachprüfungsstelle, die kein Gericht ist“ aufgeführt, woraus sich ergibt, dass die Mitgliedstaaten über die Möglichkeit verfügen, solchen Stellen die Zuständigkeit für die Entscheidung über Nachprüfungsanträge gegen Entscheidungen über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags zu übertragen. In einem solchen Fall wird in Art. 2 Abs. 9 der Richtlinie klargestellt, dass eine behauptete rechtswidrige Maßnahme einer solchen nicht gerichtlichen Stelle oder ein behaupteter Verstoß bei der Ausübung der ihr übertragenen Befugnisse zum Gegenstand einer Klage oder einer Nachprüfung bei einer anderen von dem öffentlichen Auftraggeber und der Nachprüfungsstelle unabhängigen Stelle, die ein Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV ist, gemacht werden können muss.

55      Art. 2 Abs. 9 der Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten somit die Möglichkeit, zwischen zwei Arten der Ausgestaltung des Systems zur Nachprüfung der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zu wählen. Nach der einen können sie die Zuständigkeit für Nachprüfungen Gerichten übertragen. Nach der anderen können sie diese Zuständigkeit zunächst Stellen übertragen, die keine Gerichte sind. Im letzteren Fall müssen alle von diesen Stellen getroffenen Entscheidungen zum Gegenstand einer Klage oder einer Nachprüfung gemacht werden können, die im Wesentlichen „gerichtlich“ im Sinne des Unionsrechts sein muss, wodurch eine angemessene Nachprüfung sichergestellt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. März 1999, HI, C‑258/97, EU:C:1999:118, Rn. 16 und 17).

56      Mit der Aufstellung der Verpflichtung, den Abschluss des Vertrags über den öffentlichen Auftrag auszusetzen, bezieht sich Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 allerdings in keiner Weise auf die in deren Art. 2 Abs. 9 vorgesehene Klage gegen die Entscheidungen der Nachprüfungsstellen, die kein Gericht sind.

57      Unter diesen Umständen implizieren sowohl diese fehlende Bezugnahme als auch die den Mitgliedstaaten durch Art. 2 Abs. 9 der Richtlinie 89/665 eingeräumte Möglichkeit, die Zuständigkeit für Nachprüfungsverfahren gegen Entscheidungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge wahlweise gerichtlichen oder nicht gerichtlichen Stellen in erster Instanz zuzuweisen, dass sich der Begriff „Nachprüfungsstelle“ in Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie, wenn ein Mitgliedstaat sich dafür entscheidet, diese Zuständigkeit einer Stelle in erster Instanz zuzuweisen, die kein Gericht ist, auf diese nicht gerichtliche Stelle in erster Instanz bezieht. In einem solchen Fall müssen die Mitgliedstaaten die Aussetzung des Vertragsschlusses über den betreffenden öffentlichen Auftrag vorsehen, entweder von Rechts wegen bis diese Stelle über die Nachprüfung entschieden hat, oder zumindest, bis sie über einen auf eine solche Aussetzung gerichteten Antrag auf vorläufige Maßnahmen entschieden hat.

58      Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 verlangt im Licht von Art. 2 Abs. 9 hingegen nicht, dass diese Aussetzung nach dem Ende des Verfahrens vor einer solchen nicht gerichtlichen Stelle bestehen bleibt, beispielsweise bis ein Gericht über die Klage entscheidet, die gegen die Entscheidung dieser nicht gerichtlichen Nachprüfungsstelle erhoben werden kann.

59      Schließlich entspricht dieses Ergebnis den mit der Richtlinie 89/665 verfolgten Zielen. Diese Richtlinie soll die uneingeschränkte Achtung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf Zugang zu einem fairen Verfahren nach Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta sicherstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2021, Klaipėdos regiono atliekų tvarkymo centras, C‑927/19, EU:C:2021:700, Rn. 128 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60      Insoweit wurde entschieden, dass Art. 1 Abs. 1 und 3 dieser Richtlinie, der die Wirtschaftsteilnehmer vor der Willkür des öffentlichen Auftraggebers schützen soll, darauf abzielt, sicherzustellen, dass in allen Mitgliedstaaten Möglichkeiten einer wirksamen und möglichst raschen Nachprüfung bestehen, um die effektive Anwendung der Vorschriften der Europäischen Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu gewährleisten, vor allem dann, wenn Verstöße noch beseitigt werden können (Urteil vom 7. September 2021, Klaipėdos regiono atliekų tvarkymo centras, C‑927/19, EU:C:2021:700, Rn. 127 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61      Es ist allerdings auch darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber mit den Bestimmungen der Richtlinie 89/665 die Interessen des abgelehnten Bieters mit denen des öffentlichen Auftraggebers und des Auftragnehmers in Einklang bringen wollte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2014, Fastweb, C‑19/13, EU:C:2014:2194, Rn. 63, und Beschluss vom 23. April 2015, Kommission/Vanbreda Risk & Benefits, C‑35/15 P[R], EU:C:2015:275, Rn. 34).

62      So regelt zum einen Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass die Nachprüfungsstelle die voraussehbaren Folgen der vorläufigen Maßnahmen im Hinblick auf alle möglicherweise geschädigten Interessen sowie das Interesse der Allgemeinheit berücksichtigen kann und dass sie beschließen kann, solche vorläufigen Maßnahmen nicht zu ergreifen, wenn deren nachteilige Folgen die damit verbundenen Vorteile überwiegen könnten. Das Interesse, dass öffentliche Aufträge ohne übermäßige Verzögerungen geschlossen werden können, stellt ein derartiges Interesse der Allgemeinheit dar.

63      Zum anderen bestimmt Art. 2 Abs. 7 der Richtlinie 89/665, dass ein Mitgliedstaat vorsehen kann, dass die Befugnisse der Nachprüfungsstelle darauf beschränkt werden, einer durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht im Bereich öffentlicher Aufträge oder nationale Rechtsvorschriften zu dessen Umsetzung geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen, wenn der Abschluss eines Vertrags in Übereinstimmung mit Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie, d. h. nach dem Ende der Aussetzung des Vertragsschlusses, erfolgt ist.

64      Diese Gesichtspunkte bestätigen mithin die Auslegung, die sich aus Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 im Hinblick auf Abs. 9 dieses Artikels ergibt, wonach die in Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehene Aussetzung des Abschlusses eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag längstens bis zu dem Zeitpunkt andauert, an dem die Stelle in erster Instanz über den Nachprüfungsantrag gegen die Entscheidung über die Vergabe dieses Auftrags entscheidet, unabhängig davon, ob es sich bei dieser Stelle um ein Gericht handelt oder nicht. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass einer geschädigten Person nach einer Entscheidung dieser Stelle nur noch ein Anspruch auf Schadensersatz zusteht.

65      Drittens ist darauf hinzuweisen, dass diese Auslegung durch das Urteil vom 21. Dezember 2021, Randstad Italia (C‑497/20, EU:C:2021:1037), nicht in Frage gestellt werden kann. In Rn. 73 dieses Urteils hat der Gerichtshof den Begriff „unabhängige Nachprüfungsstelle“ im Sinne von Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665 dahin ausgelegt, dass er sich auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta bezieht. Der Gerichtshof hat diese Auslegung allerdings ausdrücklich dahin eingegrenzt, dass sie im Sinne von Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie „für die Feststellung [gilt], ob der Ausschluss eines Bieters endgültig geworden ist“.

66      In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof in Rn. 74 des Urteils ausgeführt, dass es für die Befugnis der Bieter, gegen die Zuschlagsentscheidung vorzugehen, darauf ankommt, dass die Ausschlussentscheidung noch nicht endgültig ist. In Rn. 75 des Urteils hat er präzisiert, dass „nur der endgültige Ausschluss im Sinne von Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665 dazu führen kann, dem Bieter seine Befugnis, gegen die [Entscheidung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags] vorzugehen, zu nehmen“.

67      Damit kann sich aus der Entscheidung einer in diesem Art. 2a Abs. 2 genannten „unabhängigen Nachprüfungsstelle“ ergeben, dass einem Bieter die Befugnis genommen wird, gegen die Entscheidung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags vorzugehen. In diesem Zusammenhang erfordert es die Wahrung des Rechts eines solchen Bieters auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, dass die Stelle, die über die Rechtmäßigkeit seines Ausschlusses befindet, ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta ist.

68      Diese Erwägungen gelten hingegen nicht für die in Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 bezeichnete Nachprüfungsstelle in erster Instanz. Wenn ein Mitgliedstaat nämlich von der ihm durch diese Richtlinie eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht, eine solche Stelle einzurichten, die kein Gericht ist, wird das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz durch das in Art. 2 Abs. 9 der Richtlinie vorgesehene Erfordernis sichergestellt, dass sämtliche Entscheidungen einer solchen Nachprüfungsstelle, die kein Gericht ist, zum Gegenstand einer Klage gemacht werden können.

69      Viertens und letztens ist allerdings mit der Europäischen Kommission darauf hinzuweisen, dass, falls die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht von Rechts wegen die Aussetzung des Abschlusses eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag bis zu dem Zeitpunkt vorsehen, zu dem die in Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 genannte Nachprüfungsstelle in erster Instanz über den Antrag auf Nachprüfung entscheidet, und soweit diese Stelle kein Gericht ist, die Zurückweisung eines Antrags auf vorläufige Maßnahmen, mit dem erreicht werden soll, dass der Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag ausgesetzt wird, bis diese Stelle über den Antrag entscheidet, zum Gegenstand einer Klage gemacht werden können muss, die aufschiebende Wirkung entfaltet, bis das angerufene Gericht über die vorläufigen Maßnahmen entscheidet.

70      Dieses Erfordernis ergibt sich aus Art. 2 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 9 der Richtlinie 89/665. Um die Wirksamkeit einer Klage gegen die Entscheidung einer nicht gerichtlichen Stelle in erster Instanz über die Zurückweisung eines Antrags auf vorläufige Maßnahmen zu gewährleisten, mit denen der Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag bis zu dem Zeitpunkt untersagt werden soll, an dem diese Stelle entscheidet, muss zum einen dem von dieser ablehnenden Entscheidung betroffenen Bieter eine angemessene Aussetzungsdauer eingeräumt werden, um ihm die Möglichkeit zu geben, diese Klage zu erheben. Zum anderen muss die Aussetzung des Abschlusses des Vertrags im Fall der Klageerhebung andauern, bis das angerufene Gericht über die Klage entscheidet.

71      Im vorliegenden Fall lässt sich der Vorlageentscheidung entnehmen, dass der Vertrag über einen öffentlichen Auftrag nach § 246 des Gesetzes Nr. 134/2016 nicht geschlossen werden darf: zum einen vor Ablauf der Frist für die Erhebung eines Widerspruchs gegen die Entscheidung über die Vergabe des Auftrags beim öffentlichen Auftraggeber und danach der Frist für die Beantragung eines Nachprüfungsverfahrens zur Überprüfung des Vorgehens des Auftraggebers vor der Behörde, zum anderen während des Verfahrens vor der Behörde, die nach den Angaben des vorlegenden Gerichts die vom Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle in erster Instanz im Sinne von Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665, aber kein Gericht ist. Im Einzelnen erstreckt sich dieses Verbot, einen Vertrag über einen öffentlichen Auftrag zu schließen, nach § 246 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 134/2016 – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Überprüfungen – von Rechts wegen bis zum Zeitpunkt, an dem diese Stelle in erster Instanz über den Nachprüfungsantrag gegen die Entscheidung über die Vergabe des Auftrags entscheidet.

72      Hierzu lässt sich den Angaben in der Vorlageentscheidung entnehmen, dass die Behörde im Rahmen des Ausgangsverfahrens zunächst von Amts wegen am 3. Juli 2020 eine vorläufige Maßnahme erlassen hatte, die dem Auftraggeber den Abschluss des Vertrags über den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden öffentlichen Auftrag bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verwaltungsverfahrens vor der Behörde untersagte. Danach hat der Vorsitzende der Behörde in seiner Eigenschaft als Verwaltungsstelle in zweiter Instanz den Widerspruch, den CROSS Zlín gegen die ablehnende Entscheidung dieser Behörde über ihren Antrag auf Aufhebung der Entscheidung über den Zuschlag des in Rede stehenden öffentlichen Auftrags erhoben hatte, mit Entscheidung vom 9. November 2020 zurückgewiesen. Der öffentliche Auftraggeber schloss den Vertrag mit dem Auftragnehmer schließlich am 18. November 2020. Daraus folgt, dass dieser Vertrag erst geschlossen wurde, nachdem die Behörde endgültig und in zwei Instanzen über die Rechtmäßigkeit der Zuschlagsentscheidung befunden hatte, was allerdings vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

73      Damit ist vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Überprüfungen festzustellen, dass die nationale Regelung wie auch ihre Umsetzung im Rahmen des Ausgangsverfahrens eine ordnungsgemäße Anwendung von Art. 2 Abs. 3 und Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665 im Licht des in Art. 47 der Charta vorgesehenen Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen scheinen.

74      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 3 und Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung, die dem Auftraggeber den Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag nur bis zu dem Zeitpunkt untersagt, an dem eine Stelle in erster Instanz im Sinne dieses Art. 2 Abs. 3 über den Nachprüfungsantrag gegen die Entscheidung über die Vergabe dieses Auftrags entscheidet, nicht entgegenstehen, ohne dass es insoweit auf die Frage ankommt, ob diese Stelle ein Gericht ist oder nicht.

 Kosten

75      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Abs. 3 und Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 geänderten Fassung

sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung, die dem Auftraggeber den Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag nur bis zu dem Zeitpunkt untersagt, an dem eine Stelle in erster Instanz im Sinne dieses Art. 2 Abs. 3 über den Nachprüfungsantrag gegen die Entscheidung über die Vergabe dieses Auftrags entscheidet, nicht entgegenstehen, ohne dass es insoweit auf die Frage ankommt, ob diese Stelle ein Gericht ist oder nicht.

Unterschriften