URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)
21. September 2023(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 102 und 106 AEUV – Öffentliche Unternehmen – Unternehmerische Freiheit – Niederlassungsfreiheit – Unternehmen, das vollständig im Eigentum eines Mitgliedstaats steht und ohne wettbewerbliches Vergabeverfahren ausschließliche Konzessionen für die Gewinnung von natürlichem Mineralwasser erhalten hat – Nationale Regelung, die eine unbegrenzte Verlängerung der Konzession ermöglicht“
In der Rechtssache C‑510/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien) mit Entscheidung vom 14. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Juli 2022, in dem Verfahren
Romaqua Group SA
gegen
Societatea Națională a Apelor Minerale SA,
Agenția Națională pentru Resurse Minerale
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi sowie der Richter J.‑C. Bonichot (Berichterstatter) und S. Rodin,
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Romaqua Group SA, vertreten durch L. Retegan und S. Tîrnoveanu, Avocats,
– der rumänischen Regierung, vertreten durch M. Chicu und E. Gane als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati, M. Mataija und I. Rogalski als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), Art. 49, 102, 106 und 119 AEUV sowie Art. 3 der Richtlinie 2009/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern (ABl. 2009, L 164, S. 45).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Romaqua Group SA auf der einen Seite und der Societatea Națională a Apelor Minerale SA (Nationale Gesellschaft für Mineralwässer, Rumänien, im Folgenden: SNAM) und der Agenția Națională pentru Resurse Minerale (Nationale Agentur für Mineralressourcen, Rumänien, im Folgenden: ANRM) auf der anderen Seite über die Ablehnung des Antrags von Romaqua Group, für die Vergabe von zwei Konzessionen für die Gewinnung von Mineralwässern eine öffentliche Ausschreibung durchzuführen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 3 der Richtlinie 2009/54 bestimmt:
„Die Nutzung der Quellen natürlichen Mineralwassers und die Abfüllung ihrer Wässer müssen Anhang II entsprechen.“
Rumänisches Recht
4 Art. 40 Abs. 1 der Legea nr. 219 privind regimul concesiunilor (Gesetz Nr. 219 über die Konzessionsregelung) vom 25. November 1998 (Monitorul Oficial al României, Nr. 459 vom 30. November 1998) in der für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgeblichen Fassung sieht vor:
„Güter im öffentlichen oder privaten Eigentum des Staates, des Kreises, der Stadt oder der Kommune sowie öffentliche Dienstleistungen und Tätigkeiten von nationalem oder lokalem Interesse werden mittels Konzessionsvertrag direkt an Handelsgesellschaften, nationale Unternehmen oder nationale Gesellschaften vergeben, die durch die Neuorganisation der autonomen Regiebetriebe geschaffen wurden, die diese Güter, Tätigkeiten und Dienstleistungen verwaltet haben. Der Konzessionsvertrag wird mit der zuständigen konzessionserteilenden Behörde für einen Zeitraum abgeschlossen, der durch Beschluss der Regierung, des Kreis- oder Stadtrats festzulegen ist, der die betreffende Handelsgesellschaft gründet.“
5 Art. 46 der Legea minelor nr. 61 (Bergbaugesetz Nr. 61) vom 5. März 1998 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 113 vom 16. März 1998) bestimmt:
„(1) Öffentliche Einrichtungen, nationale Bergbauunternehmen und Handelsgesellschaften dürfen ihre Tätigkeit nur an den Standorten fortsetzen, die sie verwalten und an denen sie zum Zeitpunkt der Bekanntmachung dieses Gesetzes genehmigte Erkundungs‑, Erschließungs- oder Abbauarbeiten durchführen.
(2) Innerhalb von 90 Tagen nach Inkrafttreten dieses Gesetzes schließen die öffentlichen Einrichtungen, die nationalen Bergbauunternehmen und die im Bergbau tätigen nationalen Handelsgesellschaften die Abgrenzung der Erkundungs‑, Erschließungs- und Abbaugebiete für die in Abs. 1 genannten Ziele ab und beantragen bei der zuständigen Behörde, dass ihnen für diese Gebiete im Einklang mit diesem Gesetz die Verwaltung oder eine Konzession zugeteilt wird.“
6 Das Bergbaugesetz Nr. 61 vom 5. März 1998 wurde durch die Legea minelor nr. 85 (Bergbaugesetz Nr. 85) vom 18. März 2003 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 197 vom 27. März 2003) aufgehoben und ersetzt. Art. 20 Abs. 2 dieses Gesetzes in der später geänderten und ergänzten Fassung (im Folgenden: Bergbaugesetz Nr. 85/2003) sieht vor:
„Die Genehmigung wird für höchstens 20 Jahre erteilt, mit Anspruch auf Verlängerung um jeweils fünf Jahre.“
7 Art. 32 Abs. 1 der Normele pentru aplicarea Legii minelor nr. 85/2003 din 14.10.2003 (Durchführungsbestimmungen zum Bergbaugesetz Nr. 85/2003 vom 14. Oktober 2003) in der durch die Hotărârea Guvernului nr. 1208/2003 (Regierungsbeschluss Nr. 1208/2003, Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 772 vom 4. November 2003) gebilligten Fassung bestimmt:
„Der Inhaber der Genehmigung kann unter Vorlage der in Art. 20 Abs. 1 des Bergbaugesetzes Nr. 85/2003 vorgesehenen Dokumente bei der ANRM die Verlängerung der Dauer der Genehmigung für die abgegrenzten Gebiete beantragen.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
8 1997 gründete die rumänische Regierung SNAM als Nachfolgerin der aufgelösten Regia Autonomă a Apelor Minerale din România (Autonome Verwaltung der Mineralwässer Rumäniens).
9 1999 genehmigte die Regierung die direkte Vergabe der Konzession für die Nutzung aller Mineralwasserressourcen in Rumänien für einen Zeitraum von 20 Jahren durch die ANRM an SNAM.
10 Mit Urteil Nr. 136/2001 vom 3. Mai 2001 entschied die Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof, Rumänien), dass die Bestimmungen von Art. 40 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes Nr. 219 über die Konzessionsregelung insoweit verfassungswidrig seien, als lokale Behörden dazu verpflichtet seien, im öffentlichen Eigentum stehende Güter oder öffentliche Tätigkeiten und Dienstleistungen von lokalem Interesse durch einen Konzessionsvertrag direkt an bestimmte juristische Personen zu vergeben.
11 Am 19. Juli 2016 beantragte Romaqua Group bei der ANRM, zum einen die Lizenzen für die Gebiete Borsec und Stânceni (Rumänien) unverzüglich zu übertragen und zum anderen die zuvor direkt an SNAM erteilten Lizenzen nach deren Ablauf Ende 2018 nicht zu verlängern und für die Vergabe neuer Lizenzen eine öffentliche Ausschreibung durchzuführen.
12 Die ANRM lehnte diese Anträge ab und führte aus, dass zum einen gemäß Art. 24 des Bergbaugesetzes Nr. 85/2003 die Übertragung der Konzessionen nur durch die Konzessionsnehmerin (SNAM) mit vorheriger Zustimmung der konzessionserteilenden Behörde (der ANRM) erfolgen könne und dass zum anderen die Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung für die Vergabe an neue Konzessionsnehmer nur möglich sei, wenn SNAM nicht die Verlängerung der bestehenden Lizenzen beantrage, wie es ihr alle fünf Jahre möglich sei, da die konzessionserteilende Behörde einen solchen Antrag auf Verlängerung nicht ablehnen könne.
13 SNAM teilte ihrerseits mit, nicht an einer Übertragung der mit ihren Lizenzen verbundenen Rechte und Pflichten interessiert zu sein.
14 Mit Klage vom 2. November 2016 beantragte Romaqua Group bei der Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) die Feststellung, dass die Ablehnung ihres Antrags durch die ANRM rechtswidrig sei. Außerdem beantragte sie, die ANRM zu verpflichten, nach dem Ende der Laufzeit der Konzessionen eine öffentliche Ausschreibung zu ihrer Vergabe für den nachfolgenden Zeitraum durchzuführen.
15 Mit Urteil vom 11. Juni 2019 wies dieses Gericht die von Romaqua Group erhobene Klage ab.
16 Diese legte bei der Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien), dem vorlegenden Gericht, ein Rechtsmittel ein und machte geltend, dass die nationale Regelung, die vorsehe, dass eine Exklusivlizenz, die einer im vollständigen Eigentum des Staates stehenden Gesellschaft gewährt worden sei und de facto auf unbegrenzte Zeit bestehen bleibe, indem sie vom Begünstigten der Direktvergabe nach Belieben immer wieder verlängert werden könne, mit mehreren Bestimmungen des Unionsrechts unvereinbar sei.
17 Vor diesem Hintergrund hat die Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 106 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsrechtsstreit fraglichen entgegensteht, mit der Lizenzen für die Nutzung von Mineralwasserquellen von Anfang an, direkt und nicht unter Wettbewerbsbedingungen an ein vollständig im Eigentum des Staates stehendes Unternehmen vergeben werden, und zwar durch aufeinanderfolgende und unbegrenzte Verlängerungen von Exklusivlizenzen (zugunsten des staatlichen Unternehmens)?
2. Sind Art. 16 der Charta, Art. 49 AEUV, Art. 119 AEUV und Art. 3 der Richtlinie 2009/54 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsrechtsstreit fraglichen und oben genannten entgegenstehen, die eine ungerechtfertigte Beschränkung der unternehmerischen Freiheit und der Niederlassungsfreiheit darstellt?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Zulässigkeit
18 Die rumänische Regierung bringt vor, aus dem Vorabentscheidungsersuchen in seiner Gesamtheit ergebe sich, dass das vorlegende Gericht in seiner ersten Frage nicht auf Art. 106 Abs. 1 AEUV allein habe Bezug nehmen wollen, dem im Übrigen keine eigenständige Bedeutung zukomme, sondern auf diese Bestimmung in Verbindung mit Art. 102 AEUV, der die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf einem wesentlichen Teil des Binnenmarkts verbiete, wenn sie geeignet sei, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Das vorlegende Gericht habe dem Gerichtshof jedoch nicht die Informationen übermittelt, die für die Beurteilung des Vorliegens eines solchen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung im vorliegenden Fall erforderlich seien.
19 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass eines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen hat. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung einer unionsrechtlichen Regelung betreffen (Urteile vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a., C‑62/14, EU:C:2015:400, Rn. 24, und vom 7. Februar 2018, American Express, C‑304/16, EU:C:2018:66, Rn. 31).
20 Folglich gilt für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Der Gerichtshof kann es nur dann ablehnen, über eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts zu befinden, wenn die erbetene Auslegung einer unionsrechtlichen Regelung offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteile vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a., C‑62/14, EU:C:2015:400, Rn. 25, und vom 7. Februar 2018, American Express, C‑304/16, EU:C:2018:66, Rn. 32).
21 Im vorliegenden Fall verfügt der Gerichtshof zwar nicht über alle erforderlichen Angaben, um zu beurteilen, ob der SNAM betreffende Sachverhalt einen nicht mit Art. 102 AEUV zu vereinbarenden Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellt.
22 Allerdings bezieht sich die erste Vorlagefrage nicht auf den SNAM betreffenden Sachverhalt, dessen Beurteilung im Übrigen auch nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gerichtshofs im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens fällt. Aus der Begründung des Vorabentscheidungsersuchens ergibt sich, dass das vorlegende Gericht im Wesentlichen vom Gerichtshof wissen möchte, ob Art. 106 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 102 AEUV dahin auszulegen ist, dass er der für dieses Unternehmen geltenden nationalen Regelung entgegensteht. Zwar ist es auch nicht Sache des Gerichtshofs, im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens selbst über die mögliche Unvereinbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung mit den genannten Bestimmungen des AEU‑Vertrags zu entscheiden, jedoch obliegt ihm die Auslegung dieser Bestimmungen.
23 Dazu muss der Gerichtshof nicht umfassend über die konkrete Situation von SNAM informiert sein.
24 Die von der rumänischen Regierung erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist folglich zurückzuweisen.
Beantwortung der Vorlagefrage
25 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 106 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 102 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Inhaber einer Exklusivlizenz zur Nutzung einer Mineralwasserquelle die Möglichkeit einräumt, ohne wettbewerbliches Vergabeverfahren die mehrfache Verlängerung dieser Lizenz für jeweils fünf Jahre zu erlangen.
26 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Art. 106 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 102 AEUV einer solchen nationalen Regelung nur dann entgegenstehen kann, wenn diese in den Anwendungsbereich dieser beiden Bestimmungen fällt.
27 Art. 106 Abs. 1 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten, in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine den Verträgen und insbesondere Art. 102 AEUV widersprechenden Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten.
28 Der Gerichtshof hat hierzu bereits entschieden, dass eine staatliche Maßnahme dahin aufgefasst werden kann, dass sie ein besonderes oder ausschließliches Recht im Sinne von Art. 106 Abs. 1 AEUV verleiht, wenn sie einer begrenzten Zahl von Unternehmen einen Schutz gewährt und geeignet ist, die Fähigkeit anderer Unternehmen, die fragliche wirtschaftliche Tätigkeit im selben Gebiet zu im Wesentlichen gleichen Bedingungen auszuüben, wesentlich zu beeinträchtigen (Urteil vom 27. März 2019, Pawlak, C‑545/17, EU:C:2019:260, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Im vorliegenden Fall ist, da nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung bestimmten Unternehmen eine Exklusivlizenz zur Nutzung von Mineralwasserquellen in Rumänien einräumt, festzustellen, dass diese in den Anwendungsbereich von Art. 106 Abs. 1 AEUV fällt.
30 Sodann ist darauf hinzuweisen, dass Art. 102 AEUV die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben verbietet.
31 Nach Art. 102 AEUV müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Missbrauch einer beherrschenden Stellung vorliegt.
32 Erstens muss das betroffene Unternehmen auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben eine beherrschende Stellung innehaben. Ein Unternehmen kann eine solche beherrschende Stellung erhalten, wenn ihm besondere oder ausschließliche Rechte gewährt werden, die es ihm erlauben, zu bestimmen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen andere Unternehmen Zugang zum betreffenden Markt erhalten und dort tätig sein können (Urteil vom 1. Juli 2008, MOTOE, C‑49/07, EU:C:2008:376, Rn. 38). Der Gerichtshof hat jedoch auch entschieden, dass das Bestehen von besonderen oder ausschließlichen Rechten nicht unbedingt das Vorliegen einer beherrschenden Stellung auf dem relevanten Markt bedeutet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2007, United Pan-Europe Communications Belgium u. a., C‑250/06, EU:C:2007:783, Rn. 21). Jedenfalls erfordert die Beurteilung, ob eine beherrschende Stellung vorliegt, eine Abgrenzung des betreffenden Markts sowohl im Hinblick auf die betroffene Ware oder Dienstleistung als auch in räumlicher Hinsicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2008, MOTOE, C‑49/07, EU:C:2008:376, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung). Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dies auf der Grundlage der ihm vorliegenden tatsächlichen und rechtlichen Angaben zu prüfen.
33 Zweitens muss die beherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt werden. Dies ist der Fall, wenn das Unternehmen mit der beherrschenden Stellung ebenso effizienten Wettbewerbern den Eintritt in den relevanten Markt oder den Verbleib in diesem Markt mit Mitteln erschwert, die nicht auf einem leistungsbasierten Wettbewerb beruhen. Insbesondere darf es seine beherrschende Stellung nicht dazu nutzen, um sich mit Mitteln, die nicht auf einem leistungsbasierten Wettbewerb beruhen, auf einen anderen Markt auszudehnen. Als Mittel, das nicht auf einem leistungsbasierten Wettbewerb beruht, ist jede Praxis anzusehen, an deren Anwendung ein beherrschendes Unternehmen kein anderes wirtschaftliches Interesse hat, als seine Wettbewerber auszuschalten, um danach unter Ausnutzung seiner Monopolstellung seine Preise wieder anzuheben (Urteil vom 12. Mai 2022, Servizio Elettrico Nazionale u. a., C‑377/20, EU:C:2022:379, Rn. 76 und 77).
34 Außerdem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass ein Mitgliedstaat gegen die von Art. 106 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 102 AEUV aufgestellten Verbote verstößt, wenn er im Bereich der Gesetzgebung oder Verwaltung eine Maßnahme trifft, mit der er eine Situation schafft, in der ein öffentliches Unternehmen oder ein Unternehmen, dem er besondere oder ausschließliche Rechte verliehen hat, durch die bloße Ausübung der ihm übertragenen Vorzugsrechte seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Dezember 1991, Merci convenzionali porto di Genova, C‑179/90, EU:C:1991:464, Rn. 17, und vom 26. Oktober 2017, Balgarska energiyna borsa, C‑347/16, EU:C:2017:816, Rn. 54). Es ist insoweit nicht erforderlich, dass ein Missbrauch tatsächlich stattfindet (Urteile vom 1. Juli 2008, MOTOE, C‑49/07, EU:C:2008:376, Rn. 49, und vom 17. Juli 2014, Kommission/DEI, C‑553/12 P, EU:C:2014:2083, Rn. 41).
35 Drittens muss der Missbrauch der beherrschenden Stellung den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn sich aufgrund einer Gesamtheit objektiver rechtlicher und tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass das Verhalten des Unternehmens in beherrschender Stellung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell den Handel zwischen den Mitgliedstaaten in einer Weise beeinflussen kann, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein kann. Rein hypothetische Auswirkungen, die das Verhalten dieses Unternehmens haben kann, erfüllen dieses Kriterium nicht. Ebenso darf die Auswirkung auf den innergemeinschaftlichen Handel nicht unbedeutend sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2008, MOTOE, C‑49/07, EU:C:2008:376, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Übrigen weist die rumänische Regierung zu Recht darauf hin, dass vorab der relevante Markt zu bestimmen ist, damit das Vorliegen einer solchen Auswirkung auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten mit Sicherheit festgestellt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Dezember 1991, Merci convenzionali porto di Genova, C‑179/90, EU:C:1991:464, Rn. 15 und 20).
36 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 106 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 102 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Inhaber einer Exklusivlizenz zur Nutzung von Mineralwasserquellen die Möglichkeit einräumt, ohne wettbewerbliches Vergabeverfahren die mehrfache Verlängerung seiner Lizenz für jeweils fünf Jahre zu erlangen, wenn diese Regelung dazu führt, dass der Lizenzinhaber durch die bloße Ausübung der ihm übertragenen Vorzugsrechte seine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Binnenmarkts missbräuchlich ausnutzt oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der er einen solchen Missbrauch begeht, was vom vorlegenden Gericht auf der Grundlage der ihm vorliegenden tatsächlichen und rechtlichen Angaben zu beurteilen ist.
Zur zweiten Frage
37 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 16 der Charta, die Art. 49 und 119 AEUV sowie Art. 3 der Richtlinie 2009/54 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen.
38 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs das Vorabentscheidungsersuchen eine Darstellung der Gründe enthalten muss, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, sowie den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt; anderenfalls ist das Vorabentscheidungsersuchen unzulässig.
39 Als Erstes führt das vorlegende Gericht Art. 49 AEUV an, ohne darzutun, inwiefern die Auslegung dieser Bestimmung für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits sachdienlich wäre, wie gemäß Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung erforderlich. Außerdem finden die Bestimmungen des AEU‑Vertrags über die Niederlassungsfreiheit auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, keine Anwendung (Urteil vom 20. März 2014, Caixa d’Estalvis i Pensions de Barcelona, C‑139/12, EU:C:2014:174, Rn. 42). Der Ausgangsrechtsstreit, der die Nutzung zweier Mineralwasserquellen in Rumänien betrifft und zwischen zwei rumänischen Unternehmen und der zuständigen rumänischen Behörde ausgetragen wird, scheint jedoch kein grenzüberschreitendes Element aufzuweisen, das eine Anknüpfung an die durch Art. 49 AEUV gewährleistete Niederlassungsfreiheit rechtfertigen würde. Soweit die zweite Vorlagefrage die Auslegung von Art. 49 AEUV betrifft, ist sie folglich unzulässig.
40 Als Zweites erläutert das vorlegende Gericht auch nicht, warum es den Gerichtshof um die Auslegung von Art. 119 AEUV und von Art. 3 der Richtlinie 2009/54 ersucht hat, da diese Richtlinie keine Bestimmung über die Gewährung von Lizenzen zur Nutzung von Mineralwasserressourcen in den Mitgliedstaaten durch nationale Behörden enthält. Soweit sie auf diese Bestimmungen Bezug nimmt, genügt die zweite Vorlagefrage also nicht den Anforderungen von Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung und ist folglich als unzulässig zurückzuweisen.
41 Als Drittes und Letztes wird auch die Bezugnahme auf Art. 16 der Charta, der die unternehmerische Freiheit gewährleistet, nicht erläutert. Die zweite Frage ist folglich auch in Bezug auf die erbetene Auslegung dieser Bestimmung unzulässig.
42 Nach alledem ist die zweite Vorlagefrage unzulässig.
Kosten
43 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 106 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Inhaber einer Exklusivlizenz zur Nutzung von Mineralwasserquellen die Möglichkeit einräumt, ohne wettbewerbliches Vergabeverfahren die mehrfache Verlängerung seiner Lizenz für jeweils fünf Jahre zu erlangen, wenn diese Regelung dazu führt, dass der Lizenzinhaber durch die bloße Ausübung der ihm übertragenen Vorzugsrechte seine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Binnenmarkts missbräuchlich ausnutzt oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der er einen solchen Missbrauch begeht, was vom vorlegenden Gericht auf der Grundlage der ihm vorliegenden tatsächlichen und rechtlichen Angaben zu beurteilen ist.
Unterschriften