Vergabekammer Südbayern, Az.: 3194.Z3 – 3 _ 01 – 22 – 63, Beschluss vom 23.05.2023 – Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote im Verhandlungsverfahren, Zugang einer E-Mail, Zugang von Erklärungen auf einer Vergabeplattform

Mai 25, 2023 | Rechtsprechung

Vergabekammer Südbayern

Aktenzeichen: 3194.Z3 – 3 _ 01 – 22 – 63

Beschluss vom 23.05.2023

 

Normen: § 57 Abs. 1 Nr. 1; § 17 Abs. 14 Satz 1

Leitsatz (amtlich):

1. Die Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote im Verhandlungsverfahren nach § 17 Abs. 14 Satz 1 VgV bedarf grundsätzlich des Zugangs beim Bieter. Sie ist als geschäftsähnliche Handlung zu qualifizieren, da sie auf den Abschluss der Verhandlungen gerichtet ist und als gesetzliche Folge das Verhandlungsverbot über die finalen Angebote nach § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV nach sich zieht.

2. Der Zugang einer E-Mail erfordert, dass sie auf einem vom Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzten Mailserver abrufbereit zur Verfügung gestellt wird (BGH, Urteil vom 06.10.2022 – VII ZR 895/21).

3. Für den Zugang von Erklärungen, die im Bieterbereich einer Vergabeplattform eingestellt werden, ist erforderlich, dass den Bietern unmissverständlich mitgeteilt wird, dass dieser Bieterbereich für die Zustellung rechtserheblicher Erklärungen genutzt wird. Dies ist nicht der Fall, wenn sowohl die Erläuterungen in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen als auch im Benutzerhandbuch der Vergabeplattform darauf hinweisen, dass verfahrenserhebliche Erklärungen an die bei der Registrierung angegebene E-Mail-Adresse versendet werden.

 

Entscheidungstext:

In dem Nachprüfungsverfahren

pp.

wegen der Vergabe „Architekten- und Ingenieurleistungen für den Funktionsneubau des Klinikum …; Referenznummer der Bekanntmachung: …“ erlässt die Regierung von Oberbayern – Vergabekammer Südbayern auf die mündliche Verhandlung vom 30.03.2023 durch die stellvertretende Vorsitzende Müller, den hauptamtlichen Beisitzer Dr. Völtz und den ehrenamtlichen Beisitzer Schuppert folgenden

Beschluss:

1. Dem Antragsgegner wird untersagt, in Los-Nr. 1 des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens den Zuschlag zu erteilen. Der Antragsgegner wird bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht verpflichtet, das Vergabeverfahren in Los-Nr. 1 in den Stand vor der Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote zurückzuversetzen und unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen.

2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.

3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von …,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen.

4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.

Gründe:

I.

Mit Auftragsbekanntmachung vom 21.06.2022, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 24.06.2022 unter Nr. 2022/S …, schrieb der Antragsgegner einen Dienstleistungsauftrag über Architekten- und Ingenieurleistungen für den Funktionsneubau des Klinikums L… im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb aufgeteilt in sechs Lose aus. Los-Nr. 1 beinhaltete Objektplanungsleistungen nach Lph 1 bis 9 gemäß § 34 HOAI. Hinsichtlich der Zuschlagskriterien war in Abschnitt II.2.5) der Bekanntmachung auf die Beschaffungsunterlagen verwiesen. Abschnitt VI.3) der Bekanntmachung enthielt auszugsweise folgende zusätzlichen Angaben:

„[…] Der Auftraggeber weist darauf hin, dass interessierte Unternehmen im Falle von Bewerberfragen und/oder notwendigen Änderungen an den Vergabeunterlagen nur informiert werden können, wenn sie sich freiwillig unter Angabe einer E-Mail-Adresse über die Vergabeplattform registriert haben. Interessierte Bewerber werden daher gebeten, sich auf der Vergabeplattform https://my.vergabe.rib.de registrieren zu lassen. Soweit eine freiwillige Registrierung nicht erfolgt, können keine zusätzlichen Informationen übermittelt werden. Nicht registrierte Bewerber sind selber dafür verantwortlich, auf der Vergabeplattform regelmäßig zu prüfen, ob neue Nachrichten vorliegen. […]“

Ausweislich der Angabe in Abschnitt I.3) der Bekanntmachung standen die Auftragsunterlagen für einen uneingeschränkten und vollständigen direkten Zugang gebührenfrei unter der dort genannten Internetadresse zur Verfügung. Neben den Unterlagen für den Teilnahmewettbewerb beinhalteten die Vergabeunterlagen auch einen Entwurf der Unterlagen für die Angebotsphase. Bestandteil der Angebotsunterlagen zu Los 1 war unter anderem ein Dokument mit dem Titel „Aufforderung zur Angebotsabgabe“. Im Abschnitt „7. Verfahrensablauf“ fanden sich auszugsweise folgende Informationen:

„[…] Die Bieter werden – sofern erforderlich – mit gesondertem Schreiben zu einer Verhandlungsrunde die voraussichtlich Mitte Oktober 2022 stattfinden soll, eingeladen. […]

Sofern eine Verhandlungsrunde stattfindet, haben die Bieter im Anschluss an diese die Möglichkeit, ihre Angebote anhand der Verhandlungsergebnisse zu überarbeiten und anzupassen. Dazu werden Sie mit gesondertem Schreiben (Aufforderung zum finalen Angebot) aufgefordert. […]“

Für die Interaktion mit der vom Antragsgegner eingesetzten Vergabeplattform stand den Bietern ein sogenanntes „Bieterportal“ zur Verfügung. Im Handbuch zu diesem Bieterportal wurde erläutert, dass der vom Betreiber des Bieterportals bereitgestellte „Bieterclient“ benötigt werde, um Vergabeunterlagen bearbeiten und ein Angebot abgeben zu können. In den Erläuterungen zum Arbeiten mit dem Bieterclient fand sich in dem Handbuch folgender Hinweis:

„Gibt es zu Ihrer Ausschreibung Änderungen durch die Vergabestelle, erhalten Sie hierüber eine E-Mail.“

Sowohl Antragstellerin als auch Beigeladene reichten innerhalb der auf den 26.07.2022, 12:00 Uhr, festgesetzten Teilnahmefrist einen Teilnahmeantrag ein. In der Folge forderte der Antragsgegner Antragstellerin und Beigeladene neben drei weiteren erfolgreichen Bewerbern mit durch die Vergabeplattform generierter und versendeter E-Mail vom 25.08.2022 zur Abgabe eines verbindlichen Erstangebots mit Frist bis zum 28.09.2022 auf.

Nach Ablauf der Angebotsfrist und formaler Prüfung der eingegangenen Angebote übersandte der Antragsgegner den Bietern jeweils mit E-Mail vom 07.10.2022 eine Einladung zu einem Verhandlungstermin am 20.10.2022. Die E-Mails wurden von der mit der Durchführung des Vergabeverfahrens betrauten Rechtsanwaltskanzlei an die jeweiligen Bieter versendet, wobei den E-Mails jeweils das Dokument mit der Einladung zum Verhandlungsgespräch als separater Anhang beigefügt war.

Nach den abgehaltenen Verhandlungsterminen forderte der Antragsgegner die Bieter mit durch die Vergabeplattform generierter und versendeter E-Mail vom 24.10.2022 zur Abgabe eines finalen Angebotes mit Frist bis zum 04.11.2022 auf. Der Versand der E-Mail an die Antragstellerin wurde in einer Log-Datei der Vergabeplattform verzeichnet; der Zugang dieser E-Mail bei der Antragstellerin ist jedoch nicht nachweisbar. Zeitgleich zum Versand der E-Mails über die Vergabeplattform wurde in das Bieterportal der jeweiligen Bieter eine Nachricht mit dem Inhalt „Sie wurden von der Vergabestelle eingeladen!“ eingestellt, gefolgt von einem Link mit der Bezeichnung „Vergabe aufrufen“, der einen Zugang zu dem elektronisch geführten Vergabeverfahren eröffnete.

Am 07.11.2022 wandte sich die Antragstellerin per E-Mail an die Bevollmächtigten des Antragsgegners. Sie teilte diesen mit, keine Benachrichtigung zur Aufforderung zur finalen Angebotsabgabe erhalten zu haben und bat um entsprechende Korrektur. Mit E-Mail vom 09.11.2022 rief die Antragstellerin ihr Anliegen gegenüber dem Antragsgegner in Erinnerung und verwies hierbei auf den unter Abschnitt 7 der ersten Aufforderung zur Angebotsabgabe beschriebenen Verfahrensablauf.

Mit E-Mail vom 09.11.2022 antworteten die Bevollmächtigten des Antragsgegners, dass sie sich mit dem Antragsgegner in Abstimmung befänden und sich kurzfristig dazu bei der Antragstellerin melden würden.

Mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 24.11.2022 setzten die Bevollmächtigten des Antragsgegners die Antragstellerin davon in Kenntnis, dass beabsichtigt sei, nach Ablauf der Frist gemäß § 134 GWB am 05.12.2022 den Zuschlag an die Beigeladene zu erteilen. Die Antragstellerin sei im Vergabeverfahren zwingend gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV auszuschließen gewesen, da kein finales Angebot eingereicht worden sei.

Mit Schreiben vom 01.12.2022 rügte die Antragstellerin vertreten durch ihre Verfahrensbevollmächtigten den Ausschluss vom Vergabeverfahren als vergaberechtswidrig. Die Antragstellerin sei trotz Registrierung auf der Vergabeplattform nicht über den Termin zur Abgabe des finalen Angebots informiert worden. Insbesondere sei sie entgegen der Vorgaben der Ausschreibungsunterlagen und insbesondere entgegen der Regelung in § 17 Abs. 13 und 14 VgV nicht über die Absicht, die Verhandlungen abzuschließen und die einheitlich festgelegte Frist für die Einreichung neuer oder überarbeiteter Angebote informiert worden. Gemäß § 17 Abs. 13 VgV wären etwaige Änderungen der Leistungsbeschreibung im Übrigen in Textform gemäß § 126b BGB an die Bieter zu übermitteln gewesen, so dass eine etwaige Information über die Plattform nicht ausreiche. Da die Antragstellerin entgegen den vergaberechtlichen Vorgaben und dem Gleichbehandlungsgebot gehindert gewesen sei, ein Angebot abzugeben, sei die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene vergaberechtswidrig.

Mit Schreiben vom 02.12.2022 antworteten die Bevollmächtigten des Antragsgegners der Antragstellerin, dass ihrer Rüge nicht abgeholfen werde. Nach den vorliegenden Daten der verwendeten Vergabeplattform stehe zweifelsfrei fest, dass die Antragstellerin wie die übrigen Bieter in dem Vergabeverfahren nach der Verhandlungsrunde am 24.10.2022 über die Vergabeplattform zur Abgabe eines Angebots aufgefordert worden sei. Dabei sei die Antragstellerin per E-Mail von der Vergabeplattform über diese Aufforderung informiert worden. Dies sei dem „Log“ der Vergabeplattform zweifelsfrei zu entnehmen. Seitens des Antragsgegners sei insoweit eine ordnungsgemäße Aufforderung zur finalen Angebotsabgabe vorgenommen worden und die Nichteinreichung eines finalen Angebots läge im Verantwortungsbereich der Antragstellerin.

Nachdem der Rüge der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte diese mit Schreiben vom 02.12.2022 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.

Die Antragstellerin führt aus, dass sie auf der Vergabeplattform registriert sei. Im Rahmen ihres Verhandlungsgesprächs mit dem Antragsgegner sei der Antragstellerin mitgeteilt worden, dass eine Aufforderung zur Abgabe eines finalen Angebots folge. Im Rahmen ihrer Rügeantwort habe der Antragsgegner behauptet, dass die Antragstellerin per E-Mail von der Vergabeplattform über die Aufforderung informiert worden sei. Ausweislich des vom Antragsgegner hierzu vorgelegten „Firmenlogs“ sei dies am 24.10.2022 geschehen. Eine Prüfung im Hause der Antragstellerin habe aber ergeben, dass sie am 24.10.2022 keine Nachricht (E-Mail) von der Vergabeplattform erhalten habe.

Der vom Antragsgegner vorgelegte Firmenlog weise nicht aus, dass die Antragstellerin über die Aufforderung zur Abgabe eines finalen Angebotes informiert wurde. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners sei die Information, es sei eine Aufforderung zur Angebotsabgabe auf der Plattform eingestellt worden, für das Verhandlungsverfahren nicht ausreichend. Gemäß § 17 Abs. 13 VgV müssten Bieter in Textform nach § 126b BGB informiert werden, wenn der Auftraggeber Änderungen der Leistungsbeschreibungen vornimmt. Unabhängig davon statuiere § 17 Abs. 14 VgV eine Unterrichtungspflicht des Auftraggebers, wenn er beabsichtigt, die Verhandlungen abzuschließen. Der Auftraggeber habe daher nachzuweisen, dass er die Bieter tatsächlich unterrichtet hat, was eine individuelle Information und im Gegensatz zu § 134 Abs. 2 Satz 3 GWB einen Zugang erfordere. Für den Zugang der Aufforderung zur Angebotsabgabe sei der Antragsgegner nachweis- und beweispflichtig. Den Bieter treffe das Übermittlungsrisiko des Angebotes, den Auftraggeber jenes der Aufforderung zur Angebotsabgabe. Der Auftraggeber könne sich seines Nachweisrisikos dadurch begeben, dass er sich den Empfang der Unterlagen von den Bietern bestätigen lässt.

Die vom Antragsgegner angeführte Rechtsprechung der Vergabekammer Westfalen zum Zugang einer Nachricht im Postfach eines Bieters auf einer Vergabeplattform gehe fehl. Zwar sei nach der Rechtsprechung des EuGH davon auszugehen, dass ein für den Bieter eingerichtetes Postfach ein dauerhafter Datenträger sei. Allerdings habe der EuGH auch festgestellt, dass Erklärungen erst dann als mitgeteilt angesehen werden können, wenn der Absender dieser Mitteilungen z. B. durch die Übersendung eines Schreibens oder einer E-Mail an die vom Empfänger üblicherweise für die Kommunikation mit Dritten verwendete Adresse sicherstellt, dass dieser die Information erhält. Diese Sichtweise müsse auch bei der Anwendung des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB berücksichtigt werden, der ersichtlich nur auf den eigentlichen Machtbereich abstellt und damit auf allgemein zugängliche Empfangsstellen wie Briefkästen, Faxgeräte, Postfächer oder den allgemeinen E-Mail Account, nicht aber auf einen speziellen Informationsaustausch über durch den Dienstanbieter bereitgestellte Accounts. Die Aufgabe des Auftraggebers, die Bieter gemäß § 17 Abs. 13 Satz 3 und Abs. 14 VgV zu unterrichten, sei eine Bringschuld. Der Bieter müsse also nicht im Sinne einer Holschuld von sich aus in seinem Account nachsehen, ob zufällig Post eingegangen ist, sondern er sei berechtigt, darauf zu warten, dass er über neue Informationen informiert wird. Wollte man dies anders sehen, wäre eine Registrierung auf den Vergabeplattformen überflüssig und die E-Vergabe für Bieter künftig praktisch nicht mehr zu handhaben.

Die E-Mails zur Einladung zum Verhandlungsgespräch vom 07.10.2022 und vom 19.10.2022 seien der Antragstellerin nicht über die Plattform übermittelt worden, sondern aus dem Büro der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners. Die Antragstellerin habe durch ihren IT-Beauftragten den Server durchsucht, ob sie im fraglichen Zeitraum vom 23.10.2022 bis 25.10.2022 eine Nachricht von der Plattform oder den Vertretern des Antragsgegners erhalten hat. Aus den ermittelten Logfiles ergebe sich, dass die Antragstellerin im fraglichen Zeitraum keine Nachricht von der Plattform erhalten habe und auch keine Nachricht von den Vertretern des Antragsgegners. Auf den Vorhalt des Antragsgegners, dass die fragliche Nachricht in der Datenbank als gelesen markiert sei, sei zu entgegnen, dass die Antragstellerin tatsächlich nach Ablauf der Angebotsfrist auf den Hinweis des Antragsgegners auf der Plattform die Aufforderung zur Angebotsabgabe gefunden und dann gelesen habe. Jedoch sei sie vor dem Termin zur Angebotsabgabe nicht darüber informiert worden, dass es auf der Plattform Nachrichten gibt, obwohl sie ein registrierter Bewerber sei. Dass registrierte Bewerber über Änderungen an den Vergabeunterlagen informiert würden, ergebe sich aus den zusätzlichen Angaben in Abschnitt VI.3. der Auftragsbekanntmachung. In der Bestätigung der Bewerbung der Antragstellerin hieß es ebenfalls, dass sie eine Benachrichtigung per Mail erhalte, sobald die Unterlagen auf der Plattform zur Verfügung stehen. Außerdem sollten ausweislich der ersten Aufforderung zur Angebotsabgabe die Bieter nach einer etwaigen Verhandlungsrunde in einem gesonderten Schreiben – und damit nicht über die Plattform – zur Abgabe eines finalen Angebotes aufgefordert werden. Auch zur ersten Angebotsrunde sei nicht über die Plattform, sondern direkt über die Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners eingeladen worden. Die Antragstellerin habe sich darauf verlassen können und dürfen, dass sie eine E-Mail erhält, wenn auf der Plattform neue Nachrichten für Sie eingestellt werden. Die Behauptung des Antragsgegners, im Rahmen des Verhandlungsgesprächs am 20.10.2022 habe man angekündigt, am 24.10.2022 eine Aufforderung zum finalen Angebot vorzunehmen, sei unzutreffend. Im Rahmen der Verhandlung sei kein Termin genannt worden.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners liege zudem ein wirksames Angebot der Antragstellerin vor, nämlich das erste Angebot. Warum sie dieses nicht werte, sei unklar.

Die Antragstellerin beantragt

1. die Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens gem. §§ 160 ff. GWB;

2. der Antragsgegnerin zu untersagen, im Vergabeverfahren Architekten- und Ingenieurleistungen für den Funktionsneubau des Klinikums L… am Lech für das Los 1 „Objektplanungsleistungen“ den Zuschlag an das Büro HDR GmbH zu erteilen und der Antragsgegnerin aufzugeben, das Vergabeverfahren in das Stadium vor Abgabe des finalen Angebotes zurückzuversetzen und der Antragstellerin die Abgabe eines Angebotes im Vergabeverfahren Architekten- und Ingenieurleistungen für den Funktionsneubau des Klinikums L… am Lech für das Los 1 „Objektplanungsleistungen“ zu ermöglichen;

3. die Hinzubeziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für erforderlich zu erklären und

4. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zudem beantragt die Antragstellerin Akteneinsicht gemäß § 165 GWB.

Der Antragsgegner beantragt

1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

2. Den Antrag auf Akteneinsicht abzuweisen.

3. Der Antragstellerin werden die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Gebühren und Auslagen der Antragsgegnerin auferlegt

4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war erforderlich.

Der Antragsgegner führt aus, dass die Antragstellerin – wie im Rahmen des Verhandlungsgesprächs angekündigt – am 24.10.2022 über die e-Vergabe-Plattform zur Abgabe eines finalen Angebotes mit Frist bis zum 04.11.2022 aufgefordert worden sei. Dies werde durch den „Firmenlog“ eindeutig bewiesen. Es stelle sich die Frage, weshalb sich die Antragstellerin erst so spät nach dem Verhandlungstermin gemeldet habe. Im Rahmen der Verhandlungsgespräche am 20.10.2022 sei sämtlichen Bieter gegenüber kommuniziert worden, dass Änderungen im Vertrag vorgenommen werden, die Aufforderung zum finalen Angebot spätestens am 24.10.2022 über die Vergabeplattform versendet werden soll und die finalen Angebote voraussichtlich bis zum 04.11.2022 eingereicht werden müssten.

Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da die Antragstellerin kein finales Angebot abgegeben habe. Ihr fehle damit bereits die Antragsbefugnis, da ihr kein Schaden durch ein Verhalten des Antragsgegners entstanden sein könne. Mit dem Vortrag, dass die Aufforderung zur Angebotsabgabe nicht über die Plattform hätte versendet werden dürfen, sei die Antragstellerin präkludiert. Denn sie habe eine solche Aufforderung zur Abgabe des ersten Angebotes ebenfalls nur über die Vergabe-Plattform erhalten und hierauf ohne jede Rüge ein Angebot abgegeben.

Der Nachprüfungsantrag sei darüber hinaus auch unbegründet. Durch den „Firmenlog“ sei bewiesen, dass der Antragsgegner die Antragstellerin über die E-Vergabe-Plattform am 24.10.2022 zur Abgabe eines finalen Angebots aufgefordert hat. Die bloße Behauptung der Antragstellerin, sie habe trotz dieses elektronischen Nachweises keine Nachricht erhalten, könne dies nicht erschüttern. Um dennoch bestehende Zweifel auszuräumen, habe der Antragsgegner den Betreiber der Plattform zur Stellungnahme aufgefordert. Aus dieser ergebe sich ohne jeden Zweifel, dass die Antragstellerin eine E-Mail erhalten haben muss. Bei der E-Mail-Kommunikation handle es sich um ein geschlossenes System, bei der eine abgesendete E-Mail nicht verloren gehen könne oder ohne Rückmeldung im System verbleibe. Zudem werde mit der E-Mail automatisch auch eine zusätzliche Nachricht im Bieterportal des Bieters erzeugt. Dies erfolge erst nach einem erfolgreichen Versand durch den E-Mail-Server. Damit sei belegt, dass der Antragstellerin sowohl die Nachricht im Bieterportal zugegangen als auch eine E-Mail an die registrierte Adresse versendet worden sei.

Nach den §§ 9 ff. VgV müsse die Kommunikation im Vergabeverfahren vollständig über die elektronische Plattform erfolgen. Auch die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots gehöre zur regulären Bieterkommunikation, für welche die elektronischen Plattformen gerade geschaffen worden seien. Die durch eine Vergabe-Plattform versendeten Nachrichten entsprächen nach der Rechtsprechung dem Textformerfordernis des § 126b BGB. Sie könnten sowohl im Bieterbereich der Vergabeplattform als auch im Bietercockpit für einen angemessenen Zeitraum unverändert wiedergegeben als auch aufbewahrt, ausgedruckt und gespeichert werden. Der Auftraggeber könne sie nicht nachträglich löschen, verändern oder zurückrufen. Bei der versandten E-Mail habe es sich auch nicht nur um einen bloßen Benachrichtigungshinweis gehandelt, dass auf der Plattform neue Nachrichten eingegangen sind, die dann erst noch vom Bieter abgeholt werden müssten. Vielmehr ergebe sich die Aufforderung zur Angebotsabgabe unmittelbar aus der E-Mail selbst. Eine Unterrichtung der Bieter nach § 17 Abs. 14 VgV sei erfolgt. Die Antragstellerin habe die Nachricht ausweislich eines entsprechenden Vermerks in der Datenbank gelesen.

Soweit die Antragstellerin behaupte, zur Abgabe des ersten Angebotes sei direkt über die Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners eingeladen worden, sei dies unzutreffend. Die eigene Anlage der Antragstellerin belege, dass auch hier mit automatisch generierter E-Mail vom 25.08.2022 über die Plattform eingeladen worden sei. Die von der Antragstellerin eingeforderten Nachweispflichten stellten nicht nur die komplette elektronische Vergabe, sondern insbesondere auch die diesbezüglichen gesetzgeberischen Vorgaben der §§ 9 ff. VgV infrage. Wenn der Absender einer Nachricht den Zugang beweisen muss, könne er sich nur eines Einschreibens mit persönlicher Übergabe bedienen. Nach der Rechtsprechung der Vergabekammer Westfalen gelte die Einstellung von Nachrichten in das Postfach eines Bieters auf einer Vergabeplattform als Zugang. Daran ändere vorliegend auch der Umstand nichts, dass laut Bekanntmachung den noch nicht teilnehmenden Bewerbern bereits vor Einreichung des Teilnahmeantrags eine Registrierung nahegelegt wird. Vorliegend handle es sich um eine Kommunikation nach Abgabe von Teilnahmeantrag und erstem Angebot bzw. finalem Angebot. Dass diese über die Plattform erfolge, ergebe sich ausdrücklich aus Abschnitt I.3 der EU-Bekanntmachung. Da der Antragstellerin im Rahmen des Verhandlungsgesprächs verbindlich mitgeteilt worden sei, dass die Aufforderung zur Abgabe des finalen Angebotes spätestens zum 24.10.2022 erfolgen werde, habe es ihr oblegen, vor dem Ablauf der Angebotsfrist auf die Plattform zu gehen und die Nachricht zu lesen.

Der Vortrag der Antragstellerin, dass das Erstangebot gewertet werden könne, sei abwegig. Der Antragsgegner habe festgelegt, dass die Bieter nach Abschluss der Verhandlungen ein zweites Angebot mit den sich aus den Verhandlungsgesprächen ergebenden Änderungen abgeben dürfen. Mit diesen Änderungen seien die Erstangebote nicht mehr zuschlagsfähig, da sie nicht mehr das geschuldete Leistungssoll enthielten.

Mit Beschluss vom 03.01.2023 wurde die Zuschlagsprätendentin zum Verfahren beigeladen.

Mit Schreiben vom 03.03.2023 gab die Beigeladene bekannt, umfirmiert zu haben. Die Beigeladene stellte jedoch keine Anträge und äußerte sich schriftsätzlich auch nicht zur Sache.

Am 30.03.2023 fand in den Räumen der Regierung von Oberbayern die mündliche Verhandlung statt. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag.

Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer, die Niederschrift der mündlichen Verhandlung sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.

Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.

Gegenstand der Vergabe ist ein Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 103 Abs. 2 GWB. Der Antragsgegner ist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 2 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert.

Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.

Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Erstangebots und die Einreichung des Nachprüfungsantrags nachgewiesen. Zwar wird das für die Antragsbefugnis erforderliche Interesse am Auftrag in der Regel durch die Abgabe eines (finalen) Angebots dokumentiert. Werden jedoch angebotshindernde Vergaberechtsverstöße geltend gemacht, bedarf es eines solchen Angebots nicht; vielmehr wird das Interesse am Auftrag in diesen Fällen bereits durch die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens belegt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.6.2017 – VII-Verg 2/17). Die Antragstellerin hat ausgeführt, dass sie mangels Erhalt der Aufforderung zur Abgabe eines finalen Angebots kein Angebot abgegeben habe. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerin hat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere durch ihren Ausschluss aus dem Vergabeverfahren geltend gemacht.

Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB entgegen, da die Antragstellerin erst mit Schreiben vom 24.11.2022 über ihren Ausschluss vom Vergabeverfahren in Kenntnis gesetzt wurde, diesen jedoch bereits am 01.12.2022, mithin innerhalb der Frist von zehn Kalendertagen gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB als vergaberechtswidrig beanstandete. Mit dem am 02.12.2022 eingereichten Nachprüfungsantrag wahrte die Antragstellerin zudem die Frist von 15 Kalendertagen gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB.

2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.

Das Vergabeverfahren leidet an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel, da die Antragstellerin entgegen § 17 Abs. 14 VgV nicht zur Abgabe eines finalen Angebots aufgefordert wurde. Dies macht eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor der Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote notwendig.

2.1. Festzuhalten ist zunächst, dass der Ausschlussgrund des § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV vorliegend bereits deswegen nicht einschlägig ist, da dieser ausweislich seines Wortlauts das Vorliegen eines Angebotes voraussetzt. Die Antragstellerin hat jedoch unstreitig kein finales Angebot eingereicht, sondern lediglich ein verbindliches Erstangebot. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin durfte der Antragsgegner das Erstangebot nicht zum Gegenstand seiner finalen Angebotswertung machen, da § 17 Abs. 14 Satz 2 VgV vorgibt, dass die Entscheidung über den Zuschlag auf Grundlage der endgültigen Angebote zu treffen ist, wenn Verhandlungen stattgefunden haben. Zwar steht es einem Bieter grundsätzlich frei, sein erstes Angebot unverändert aufrechtzuerhalten (vgl. Beck VergabeR/Dörn, 3. Aufl. 2019, VgV § 17 Rn. 37). Eine dahingehende Willenserklärung der Antragstellerin lag im Zeitpunkt der Zuschlagsentscheidung jedoch nicht vor.

2.2. Das Vergabeverfahren leidet allerdings an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel, da die Antragstellerin nicht rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist von der Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote unterrichtet wurde und hierdurch das in § 97 Abs. 2 GWB verankerte Gleichbehandlungsgebot verletzt wurde.

2.2.1. Beabsichtigt ein öffentlicher Auftraggeber, die Verhandlungen im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens abzuschließen, hat er gemäß § 17 Abs. 14 Satz 1 VgV die verbleibenden Bieter zu unterrichten und eine einheitliche Frist für die Einreichung neuer oder überarbeiteter Angebote festzulegen. Dies geschieht in der Regel dadurch, dass die verbleibenden Bieter zur Abgabe finaler Angebote aufgefordert werden.

Entgegen der Ansicht des Antragsgegners bedarf die Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote grundsätzlich des Zugangs beim Bieter. Die Erklärung des Auftraggebers nach § 17 Abs. 14 Satz 1 VgV ist als geschäftsähnliche Handlung zu qualifizieren, da sie auf den Abschluss der Verhandlungen gerichtet ist und als gesetzliche Folge das Verhandlungsverbot über die finalen Angebote nach § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV nach sich zieht. Vergleichbar mit der Rechtslage bei der Informationspflicht gemäß § 134 Abs. 1 GWB kann die Unterrichtung nach § 17 Abs. 14 Satz 1 VgV ihre Funktion nur dann erfüllen, wenn sie in den Machtbereich des jeweiligen Bieters gelangt, so dass dieser die Möglichkeit hat, von ihr Kenntnis zu nehmen (zum Zugangserfordernis der Information nach § 134 GWB vgl. Müller-Wrede/Gnittke/Hattig, 1. Aufl. 2016, GWB § 134 Rn. 95; Beck VergabeR/Dreher/Hoffmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 134 Rn. 82; Ziekow/ Völlink/Braun, 4. Aufl. 2020, GWB § 134 Rn. 108; für den speziellen Fall des fehlenden Zugangs einer zutreffenden Information über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.06.2019 – VII-Verg 54/18). Für das Zugangserfordernis der Information nach § 17 Abs. 14 Satz 1 VgV spricht auch, dass § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV einen Ausschluss nicht fristgerechter Angebote nur für den Fall vorsieht, dass das Fristversäumnis vom Bieter nicht zu vertreten ist. Letzteres wird aber regelmäßig anzunehmen sein, wenn es an einer an den Bieter herangetragenen Information nach § 17 Abs. 14 Satz 1 VgV mangelt und der Bieter infolgedessen keine Möglichkeit hatte, von der Frist zur Einreichung finaler Angebote Kenntnis zu erlangen. Dem steht auch nicht entgegen, dass es für das Vertretenmüssen des Bieters nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV möglicherweise genügen könnte, in den Bewerbungsbedingungen eine Pflicht zum Abruf der fraglichen Information außerhalb einer dem Machtbereich des Bieters zuzuordnenden Stelle zu statuieren. Denn durch eine solche – dem jeweiligen Auftraggeber vorbehaltenen – Ausgestaltung des Vergabeverfahrens wird nicht das Zugangserfordernis als solches in Frage gestellt, sondern vielmehr die Frage einer im Einzelfall wirksam aufgestellten Fiktion des Zugangs aufgeworfen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.01.2015 – 6 U 166/13).

2.2.2. Der Antragsgegner kann den Zugang der Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote bei der Antragstellerin mittels der von der Vergabeplattform generierten und versendeten E-Mail vom 24.10.2022 nicht belegen.

Der Zugang einer Erklärung unter Abwesenden setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 06.10.2022 – VII ZR 895/21 m. w. N.). Der Zugang einer E-Mail erfordert insoweit, dass sie auf einem vom Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzten Mailserver abrufbereit zur Verfügung gestellt wird (BGH, aaO). Die Beweislast für den Zugang trägt derjenige, der sich hierauf beruft (vgl. VK Bund, Beschuss. vom 18.08.2015 – VK 2-43/15). Der Nachweis einer ordnungsgemäßen Absendung der Erklärung genügt nicht. Wie beim Versand per Telefax besteht auch beim Versand von E-Mails die Gefahr, dass eine Nachricht den Empfänger wegen einer technischen Störung bei der Übermittlung nicht erreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 17.07.2013 – I ZR 64/13). Entgegen der Ansicht des Antragsgegners werden ihm damit keine unzumutbaren Nachweispflichten auferlegt. Um sicherzustellen, dass eine E-Mail den Adressaten erreicht hat, hat der Versender die Möglichkeit, eine Lesebestätigung anzufordern (vgl. BGH, aaO).

Der Antragsgegner konnte zwar darlegen, dass ein Versand der Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote mittels von der Vergabeplattform generierter und versendeter E-Mail vom 24.10.2022 erfolgt ist. Wie der Vertreter des Betreibers der Vergabeplattform im Termin zur mündlichen Verhandlung erläuterte, sei ein ordnungsgemäßer Versand der E-Mail durch den Eintrag im „Firmenlog“ belegt, da dieser erst dann erzeugt werde, wenn der Postausgangsserver eine sog. „Success-Meldung“ liefere. Nach der Überzeugung der Vergabekammer ist damit aber noch nicht belegt, dass die E-Mail in den Mailserver der Antragstellerin gelangt ist. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 27.01.2023 dargelegt, dass sie durch ihren IT-Beauftragten den Server dahingehend durchsucht habe, ob sie im fraglichen Zeitraum vom 23.10.2022 bis 25.10.2022 eine Nachricht von der Plattform oder den Vertretern des Antragsgegners erhalten hat. Aus den ermittelten Logfiles ergebe sich, dass die Antragstellerin im fraglichen Zeitraum keine Nachricht von der Plattform erhalten habe und auch keine Nachricht von den Vertretern des Antragsgegners. Mit der Bezugnahme auf die ihrerseits ermittelten Log-Dateien ist die Antragstellerin ihrer sekundären Darlegungslast hinreichend nachgekommen, da auch der Antragsgegner letztlich nur einen Eintrag im „Firmenlog“ der Vergabeplattform als Beleg für den Versand der Nachricht vorlegen konnte. Einen Nachweis dafür, dass die versandte E-Mail auf einem Mailserver der Antragstellerin abrufbereit zur Verfügung gestellt wurde, konnte der Antragsgegner demgegenüber nicht erbringen.

2.2.3. Ein Zugang der Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote bei der Antragstellerin mittels der in den Bieterbereich der Antragstellerin auf der Vergabeplattform eingestellten Nachricht ist ebenfalls nicht erfolgt.

Es ist bereits fraglich, ob die Nachricht, die der Antragsgegner der Antragstellerin in das ihr zur Verfügung stehende Bieterportal eingestellt hat, als eine den Anforderungen des § 17 Abs. 14 Satz 1 VgV genügende Aufforderung zur Angebotsabgabe betrachtet werden kann, da sich der Inhalt der Mitteilung auf den Text beschränkte „Sie wurden von der Vergabestelle eingeladen“. Zwar ist dem Antragsgegner zuzugestehen, dass die Nachricht vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die bevorstehende Aufforderung zur Abgabe eines finalen Angebots nach dem insoweit unstreitigen Vortrag von Antragstellerin und Antragsgegner in dem zuvor abgehaltenen Verhandlungstermin angekündigt wurde, von einem verständigen Bieter in Person der Antragstellerin möglicherweise als Angebotsaufforderung hätte interpretiert werden können. Gleichwohl bleibt zu berücksichtigen, dass die Nachricht selbst keinen Hinweis auf eine neuerliche Angebotsfrist enthielt, sondern diese erst nach einem Klick auf den Link mit der Bezeichnung „Vergabe aufrufen“ ersichtlich wurde. Die Frage bedarf indes keiner Entscheidung, da das Einstellen dieser Nachricht in das Bieterportal keinen Zugang bei der Antragstellerin bewirkte.

Inwieweit das Einstellen einer Nachricht in einen speziell für den jeweiligen Bieter eingerichteten Bereich auf der Vergabeplattform einen Zugang bewirken kann, ist in der vergaberechtlichen Rechtsprechung umstritten. Die Vergabekammer Südbayern hat in einer früheren Entscheidung (vgl. VK Südbayern, Beschluss vom 29.03.2019 – Z3-3-3194-1-07-03/19) Zweifel gehegt, ob ein Bereich mit freigeschalteten persönlichen Informationen für einen Bieter auf einer von der Vergabestelle oder deren Dienstleister betriebenen Vergabeplattform nach derzeitiger Verkehrsauffassung überhaupt als Machtbereich des Bieters angesehen werden kann. Die Tendenz der jüngeren vergaberechtlichen Rechtsprechung geht dahin, einen Zugang zu bejahen, da der einem registrierten Bieter zur Verfügung stehende passwortgeschützte Bereich auf einer Vergabeplattform zum Machtbereich des Bieters gehöre und ein Bieter, der sich ein Konto auf einer Vergabeplattform durch Registrierung anlegt, damit auch bestimme, dass dieses Postfach für den Empfang von Erklärungen an ihn genutzt werden kann (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 28.07.2021 – 1/SVK/043-20; VK Westfalen, Beschluss vom 31.03.2021 – VK 1-9/21). Für den vergleichbaren Fall des Versands einer E-Mail hat der BGH entschieden, dass ein Mailserver jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen ist, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können (BGH, Urteil vom 06.10.2022 – VII ZR 895/21).

Im vorliegenden Fall ist die Sachlage jedoch eine andere. Weder in den Bewerbungsbedingungen des Antragsgegners noch den Nutzungsbedingungen, welchen der Bieter im Rahmen der Registrierung auf der im streitgegenständlichen Vergabeverfahren verwendeten Vergabeplattform zustimmen muss, findet sich ein Hinweis oder eine Regelung dahingehend, dass der Bieter mit der Registrierung auf der Vergabeplattform Zugriff auf ein individuelles Postfach erhält und dieses für die Zustellung von rechtserheblichen Erklärungen im Vergabeverfahren genutzt wird. Im Gegenteil weisen sowohl die Erläuterungen in den zusätzlichen Angaben in Abschnitt VI.3) der Auftragsbekanntmachung als auch im Benutzerhandbuch der Vergabeplattform darauf hin, dass verfahrenserhebliche Erklärungen an die bei der Registrierung angegebene E-Mail-Adresse versendet werden. Der Antragsgegner konnte damit berechtigterweise nicht darauf vertrauen, dass die Antragstellerin von Nachrichten in ihrem Bieterpostfach Kenntnis erlangt. Auch wenn eine tatsächliche Kenntniserlangung durch den Empfänger nicht Voraussetzung für den Zugang einer Erklärung ist, muss die Erklärung doch so in den Machtbereich des Empfängers gelangen, dass sie „üblicherweise – nicht zufällig – alsbald wahrgenommen werden kann“ (BGH, Urteil vom 21.01.2004 – XII ZR 214/00). Insbesondere vor dem Hintergrund des in § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB verankerten Transparenzgrundsatzes ist daher für den Zugang von Erklärungen im Bieterbereich einer Vergabeplattform zu fordern, dass den Bietern unmissverständlich mitgeteilt wird, ob dieser für die Zustellung rechtserheblicher Erklärungen genutzt wird.

Die von der vergaberechtlichen Rechtsprechung herangezogene Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urteil vom 25.01.2017 – C-375/15) zur Begründung eines Zugangs von in den Bieterbereich einer Vergabeplattform eingestellter Erklärungen gibt nicht Anlass zu einer anderen Beurteilung. Das Urteil des EuGH setzt sich primär mit der Frage des Textformerfordernisses im Zusammenhang mit verbraucherrechtlichen Vorgaben der Zahlungsdienste-Richtlinie 2007/64/EG auseinander. Die dort getroffenen Aussagen des EuGH lassen sich für die Frage des Zugangs einer gegenüber einem Unternehmen abzugebenden Erklärung im Rahmen eines Vergabeverfahrens nur bedingt fruchtbar machen. Zwar lässt sich dem Urteil des EuGH entnehmen, dass das Textformerfordernis dadurch gewahrt sein kann, dass eine Erklärung in einen zugangsgeschützten Bereich des Erklärungsempfängers auf dem Server des Absenders eingestellt wird. Wie die Antragstellerin zutreffend aufzeigte, stellte der EuGH jedoch für das Erfordernis der „Mitteilung“ heraus, dass von Verbrauchern vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, dass sie regelmäßig alle elektronischen Kommunikationssysteme abfragen, bei denen sie registriert sind. Die betreffenden Informationen könnten daher dann als mitgeteilt angesehen werden, wenn mit einer solchen Übermittlung einhergeht, dass der Zahlungsdienstleister von sich aus tätig wird, um den Zahlungsdienstnutzer davon in Kenntnis zu setzen, dass die Informationen auf der Website vorhanden und verfügbar sind. Ob sich diese Grundsätze auf Unternehmen, die an einem Vergabeverfahren teilnehmen, übertragen lassen, darf bezweifelt werden. Dies bedarf vorliegend jedoch keiner Entscheidung, da die vom EuGH angestellten Erwägungen eher als weiteres Argument gegen einen Zugang von in den Bieterbereich einer Vergabeplattform eingestellten Erklärungen sprechen.

2.2.4. Dass die Nachricht im Bieterportal der Antragstellerin in der Datenbank als gelesen markiert ist, führt gleichfalls nicht zu einer anderen Beurteilung. Zwar gilt der Zugang einer Erklärung jedenfalls dann als erfolgt, wenn sie vom Empfänger tatsächlich zur Kenntnis genommen wurde. Die Antragstellerin hat insoweit jedoch ausgeführt, dass sie von der auf der Vergabeplattform eingestellten Angebotsaufforderung erst nach der entsprechenden Mitteilung des Antragsgegners, dass diese dort zu finden sei, Kenntnis erlangt hat. Von der vom Antragsgegner eingesetzten Vergabeplattform wurde nicht protokolliert, wann der Aufruf der Nachricht im Bieterportal der Antragstellerin erstmalig erfolgte. Dieses Dokumentationsdefizit kann nicht zulasten der Antragstellerin gehen.

Nur der Vollständigkeit halber weist die Vergabekammer in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots einen Verweis auf die elektronische Adresse enthält, über die die Auftragsunterlagen direkt elektronisch zur Verfügung gestellt wurden. Dies deutet darauf hin, dass nach der Vorstellung des Unionsgesetzgebers die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots grundsätzlich auf einem anderen Weg erfolgt als die Zurverfügungstellung der Vergabeunterlagen.

2.2. Durch die nicht erfolgte Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote ist die Antragstellerin auch in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Denn es ist nicht auszuschließen, dass sie bei rechtzeitiger Aufforderung ein erfolgreiches finales Angebot hätte abgeben können.

3. Kosten des Verfahrens

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend der Antragsgegner.

Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.

Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens.

Von der Antragstellerin wurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraft erstattet.

Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da die zweckentsprechende Führung eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens die rechtlichen Kenntnisse eines durchschnittlichen mittelständischen Unternehmens weit überschreitet. Für Bieter ist im Vergabenachprüfungsverfahren die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters regelmäßig erforderlich. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters durch die Antragstellerin war auch deswegen notwendig, um die erforderliche „Waffengleichheit“ gegenüber dem Antragsgegner herzustellen, der das Vergabeverfahren durch eine Rechtsanwaltskanzlei durchführen ließ.

Auch wenn die Beigeladene keine Anträge gestellt hat, muss die Vergabekammer von Amts wegen über die Aufwendungen der Beigeladenen entscheiden.

Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 3, S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschl. v. 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09). Dafür muss eine den Beitritt eines Streithelfers vergleichbare Unterstützungshandlung erkennbar sein, an Hand derer festzustellen ist, welches (Rechtsschutz-) Ziel eine Beigeladene in der Sache verfolgt (OLG Celle, Beschl. v. 27.08.2008, Az.: 13 Verg 2/08). Ist eine solche nicht ersichtlich, handelt es sich bei den entstandenen Aufwendungen der Beigeladenen nicht um solche zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 11.02.2010, Az.: 1 VK 76/10).

Die Beigeladene hat sich nur punktuell auf Nachfrage der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung zur Sache geäußert, jedoch keine Anträge gestellt und sich die Rechtsposition des Antragsgegners auch nicht zu eigen gemacht. Sie hat das Verfahren nicht wesentlich gefördert; sie trägt ihre Aufwendungen selbst.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen die Entscheidung der Vergabekammer kann binnen einer Notfrist von zwei Wochen (§ 172 GWB), die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, die sofortige Beschwerde (§ 171 GWB) schriftlich beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingelegt werden. Die Briefanschrift lautet:

Bayerisches Oberstes Landesgericht

Schleißheimer Str. 141

80797 München

Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss enthalten:

1. Die Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und

2. die Angabe der Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Beschwerde stützt.

Die Beschwerdeschrift muss durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.

Mit der Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vor der Vergabekammer vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der Beschwerdeschrift zu unterrichten.

München, 23.05.2023