Vergabesenat beim Bayerischen Obersten Landesgericht, Az.: Verg 16/ 22, Beschluss vom 26.04.2022 – Anwendbarkeit von § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, Frist des § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB, Erledigung eines Antrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, Antragsbefugnis bei einem Nachprüfungsantrag nach §§ 160 abs. 1, 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, Angebotsausschluss bei nicht erfolgter Zustimmung zur Verlängerung der Bindefrist

Apr 26, 2022 | Rechtsprechung

BayObLG, Beschluss vom 26.04.2022, Verg 16 / 22

 

Leitsatz (amtlich):

1. Die vom Auftraggeber beabsichtigte konkrete Nutzung eines Gebäudes genügt allein nicht, jede hierfür nötige Beschaffung von Gegenständen bereits aus diesem Grund als Bauauftrag zu qualifizieren, wenn weder ein Zusammenhang mit der Errichtung des Bauwerks besteht noch es baulicher Änderungen oder mehr als nur unerheblicher Einbaumaßnahmen bedarf.

2. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist auch anwendbar, wenn der Auftrag – unzulässig – nur national ausgeschrieben war und die Antragstellerin ein Angebot abgegeben hat, ohne die fehlende europaweite Ausschreibung zu rügen. In einem derartigen Fall lässt sich eine Rügepflicht auch nicht aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis ableiten.

3. Die Frist nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB beginnt nicht bereits mit dem Ablauf der Bindefrist im Rahmen einer – unzulässigen – nationalen Ausschreibung.

4. Eine Erledigung eines Antrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB durch Erlöschen des Beschaffungsbedarfs liegt nicht vor, wenn die beschafften Gegenstände wieder ausgebaut und zurückgegeben werden können.

5. Bei einem Nachprüfungsantrag nach § 160 Abs. 1, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist der im Rahmen der nationalen Ausschreibung nicht berücksichtigte Bieter nur antragsbefugt, wenn er außer dem Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB auch darlegt, dass er in einem neu durchzuführenden Vergabeverfahren mit europaweiter Ausschreibung bessere Chancen auf den Zuschlag hätte.

6. Durch die Bitte des Auftraggebers um Verlängerung der Bindefrist über das in den Vergabeunterlagen vorgesehene Datum hinaus werden nicht die Vergabeunterlagen geändert. Ein Ausschluss des Angebots eines Bieters, der dem zunächst nicht nachkommen möchte, ist weder nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 noch nach Nr. 4 VgV möglich.

 

Entscheidungstext:

Im Nachprüfungsverfahren betreffend die Medienausstattung des Berufsbildungszentrums Klinikum xxx (Vergabe Nr. xxx, Maßnahme-Nr. xxx)

pp.

erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht – Vergabesenat – durch den Vorsitzenden Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Heinrichsmeier, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Willner, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht von Geldern-Crispendorf, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Muthig und die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Löffler aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2023 folgenden

Beschluss

1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 25. Oktober 2022, Az. 3194.Z3-3_01-22-19 wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen ihre Aufwendungen jeweils selbst.

3. Bei der Kostenentscheidung der Vergabekammer hat es sein Bewenden.

4. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 25.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin schrieb mit nationaler öffentlicher Bekanntmachung vom 6. Juli 2021 auf der Basis der VOB/A Abschnitt 1 einen Auftrag über eine umfassende neue Medienausstattung des Berufsbildungszentrums Gesundheit aus. Die Art des Auftrags wurde in der Bekanntmachung mit „Ausführung von Bauleistungen“ angegeben, einziges Zuschlagskriterium sollte der Preis sein. Ende der Angebotsfrist war der 30. Juli 2021, 12.00 Uhr. Der Auftrag umfasste die Lieferung von Hardware, Software, Displays, der Audio- und Signalanlage samt Montage und Demontage der Altanlage sowie der Montage- und Werkstattplanung. Die Verkabelungsleistungen am Gebäude hatte die Antragsgegnerin separat national ausgeschrieben.

Die Antragstellerin, die Beigeladene und weitere Bieter reichten fristgerecht Angebote ein, wobei das Angebot der Antragstellerin das preislich günstigste war. Mit Nachrichten über die Vergabeplattform vom 1. September 2021 und vom 17. September 2021 bat die Antragsgegnerin um Verlängerungen der Bindefrist bis zum 17. September 2021 bzw. bis zum 29. Oktober 2021. Dem kamen die Antragstellerin und die Beigeladene jeweils nach.

Mit Nachricht vom 13. Oktober 2021 ersuchte die Antragsgegnerin um erneute Verlängerung der Bindefrist bis zum 15. Januar 2022, was die Beigeladene gewährte. Die Antragstellerin bat mit Schreiben vom 19. Oktober 2021 um Rückmeldung, weshalb die erneute Verlängerung nötig sei und kein Zuschlag auf ihr Angebot erfolgen könne. Die Antragsgegnerin antwortete mit Schreiben vom 20. Oktober 2021, dass es noch der Zustimmung des Vorstands des Krankenhauszweckverbands bedürfe. Zudem entsprächen die von der Antragstellerin angebotenen Fabrikate nicht den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses. Mit Schreiben vom 26. Oktober 2021 rügte die Antragstellerin anwaltlich vertreten die erneute Bindefristverlängerung und den angekündigten Ausschluss ihres Angebots. Ein relevanter Grund für die dritte Verlängerung sei nicht ersichtlich. Das Angebot der Antragstellerin entspreche „dem geltenden Votum des Kultusministeriums“. Eine Abweichung von Vorgaben des Leistungsverzeichnisses könne nur auf einer unzulässigen Verengung auf ein Produkt oder wenige Produkte beruhen.

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2021 erklärten die Verfahrensbevollmächtigen der Antragstellerin, die Bindefrist werde bis 8. November 2021 verlängert. Mit Schreiben vom 3. November 2021 wies die Antragsgegnerin die Beanstandungen der Antragstellerin hinsichtlich der Bindefristverlängerung zurück. Im Schreiben vom 8. November 2021 gewährte die Antragstellerin „nach Abklärung ihrer Lieferbeziehungen“ die Bindefristverlängerung bis 15. Januar 2022.

Am 13. Januar 2022 erteilte die Antragsgegnerin ohne vorherige Information der Antragstellerin den Zuschlag an die Beigeladene. Mit anwaltlichem Schreiben vom 22. März 2022 führte die Antragstellerin aus, eine rechtliche Prüfung habe ergeben, dass es sich bei der Ausschreibung nicht um einen Bau-, sondern um einen Lieferauftrag handle, der europaweit hätte ausgeschrieben werden müssen. Es werde um Information zu einer etwaigen Auftragserteilung, Rückabwicklung und Neuausschreibung gebeten. Die Antragsgegnerin erwiderte mit Schreiben vom 30. März 2022, der Auftrag sei erteilt. Es liege ein Bauauftrag vor. Ferner sei das Angebot der Antragstellerin ohnehin auszuschließen gewesen.

Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 28. April 2022 die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens beantragt. Zur Begründung führt sie aus, der Auftrag sei als Lieferauftrag zu qualifizieren. Es gehe schwerpunktmäßig um die Beschaffung einer medientechnischen Ausstattung. Allenfalls ein geringer Teil der Positionen des Leistungsverzeichnisses könne für sich genommen als Bauleistungen qualifiziert werden. Für die Funktionsfähigkeit des Gebäudes als Berufsbildungszentrum im medizinischen Bereich sei die ausgeschriebene Medienausstattung nicht erforderlich. Zudem gehe es um die Lieferung von Standardgeräten. Der Nachprüfungsantrag sei trotz des erteilten Zuschlags zulässig. Insbesondere habe nach § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB keine Rügeobliegenheit bestanden. Die Antragstellerin hätte bei einer europaweiten Ausschreibung bessere Zuschlagschancen gehabt, da sie nicht ohne Begründung und effektive Primärrechtsschutzmöglichkeit hätte ausgeschlossen werden können. Das Leistungsverzeichnis enthalte eine unzulässige verdeckte Produktvorgabe, was die Antragstellerin im europaweiten Ausschreibungsverfahren hätte rügen können. Auch sei ihr telefonisch mitgeteilt worden, sie müsse nicht unbedingt die exakten Spezifikationen aus dem Leistungsverzeichnis anbieten. Diesbezüglich befinde sie sich anders als bei Durchführung eines ordnungsgemäßen VgV-Verfahrens unter Einhaltung der Dokumentationspflichten nunmehr in Beweisnot. Das Angebot der Antragstellerin hätte zudem nach § 15 Abs. 5 VgV aufgeklärt werden müssen. Verstoßen habe die Antragsgegnerin schließlich gegen die Informations- und Wartepflicht nach § 134 GWB.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. ein Nachprüfungsverfahren durchzuführen.

2. festzustellen, dass der Vertrag der Antragsgegnerin über die Medienausstattung und Verkabelung des Berufsbildungszentrums unwirksam ist.

3. die Antragsgegnerin zu verpflichten, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht den zu vergebenden Auftrag für die Medienausstattung und Verkabelung des Berufsbildungszentrums unverzüglich im Wege eines transparenten Vergabeverfahrens nach den einschlägigen Rechtsvorschriften (§§ 97 ff. GWB, VgV) mit europaweiter Veröffentlichung auszuschreiben und zu vergeben.

4. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben beantragt, den Nachprüfungsantrag als unzulässig zu verwerfen, mindestens bzw. hilfsweise ihn jedoch als unbegründet zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin behauptet, die ausgeschriebenen Leistungen seien mit erheblichen, zwingenden Trockenbauarbeiten und auch Brandschutzarbeiten für die Erstellung der medialen Ausstattung verbunden. Sie ist der Ansicht, der Auftrag sei als Bauauftrag zu qualifizieren, so dass es keiner europaweiten Ausschreibung bedurft habe. Die Maßnahmen seien in hohem Maße bauwerks-, einrichtungs- und funktionsbezogen. Die Medientechnik sei ohne notwendige Verkabelungen und die dazugehörigen Einbauten nicht brauchbar. Entscheidend sei die Herstellung einer Gesamtfunktionalität betreffend die Medienausstattung. Das Bildungszentrum könne als solches ohne die Runderneuerung der gesamten Medienlandschaft nicht mehr bestimmungsgemäß genutzt werden. Der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, da der Zuschlag längst erteilt und die Antragstellerin schon nicht antragsbefugt sei. Ihr sei kein Schaden entstanden, da sie mit ihrem Angebot zurecht ausgeschlossen worden sei.

Das Angebot weiche von den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses ab, das seinerseits nur die Vorgaben des Freistaats Bayern zu den „Hardware-Mindestkriterien“ nach Anlage 2 der Richtlinie zur Gewährung von Zuwendungen aus dem Förderprogramm des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus – digitale Bildungsinfrastruktur an bayerischen Schulen, Version 2 (2020) – abbilde. Zudem habe die Antragstellerin der Verlängerung der Bindefrist nicht sofort bis 15. Januar 2022, sondern zunächst nur bis 8. November 2021 zugestimmt. Dies stelle ebenfalls einen Ausschlussgrund dar. Im Übrigen habe die Antragstellerin die Qualifizierung als Bauauftrag nicht rechtzeitig gerügt. Eine Rüge sei vorliegend nicht entbehrlich gewesen, da gerade keine „De-facto-Vergabe“ vorliege. Der Vortrag der Antragstellerin, sie habe Bieterfragen stellen wollen, sei unglaubhaft. Schließlich sei es treuwidrig, dass die Antragstellerin erst am 22. März 2022 eine Rüge erhoben habe. Die Antragstellerin habe damit das Recht auf eine zweite Chance verwirkt. Ferner habe die Frist nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB schon mit Verstreichen der Bindefrist am 15. Januar 2022 begonnen, der Nachprüfungsantrag sei daher verfristet. Jedenfalls sei er aufgrund der verwirklichten Ausschlussgründe unbegründet.

Die Beigeladene ist der Ansicht, es liege bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung ein Bauauftrag vor. Die Antragstellerin sei nach dem Vortrag der Antragsgegnerin zurecht ausgeschlossen worden und habe Rügepflichten verletzt.

Die Vergabekammer hat festgestellt, dass der mit Zuschlagserteilung auf das Angebot der Beigeladenen zustande gekommene Vertrag über die Medienausstattung des Berufsbildungszentrums von Anfang an unwirksam ist. Zudem hat die Vergabekammer die Antragsgegnerin verpflichtet, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht den Auftrag im Rahmen eines Vergabeverfahrens nach dem vierten Teil des GWB zu vergeben. Die Vergabekammer sei zuständig, da es sich um einen Lieferauftrag handle, der den Schwellenwert für eine europaweite Ausschreibung übersteige. Der streitgegenständliche Auftrag beinhalte zwar Leistungen, die mit einer Änderung des bestehenden Bauwerks einhergingen. Jedoch bildeten diese Bauleistungen nicht den Hauptgegenstand des Vertrags. Kern des Auftrags sei die Erneuerung der Medienausstattung und damit die dauerhafte Überlassung der medientechnischen Geräte. Auch sei die Medienausstattung für die Funktionsfähigkeit des Berufsbildungszentrums nicht derart essenziell, dass es andernfalls seine Funktion nicht erfüllen könne. Der Nachprüfungsantrag sei auch zulässig. Die Antragstellerin habe dargelegt, dass sie bei einer europaweiten Ausschreibung bessere Chancen auf den Zuschlag gehabt hätte, da sie gegen den Ausschluss ihres Angebots hätte vorgehen und eine verdeckte Produktvorgabe im Leistungsverzeichnis hätte rügen können. Eine Rügeobliegenheit habe nach § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB nicht bestanden. Auch die Frist des § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB sei gewahrt. Auf Verwirkung könne sich die Antragsgegnerin nicht berufen. Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. Eine Erledigung der Hauptsache sei trotz des zwischenzeitlich fortgeschrittenen Vertragsvollzugs nicht eingetreten, da eine Rückabwicklung der erbrachten Leistungen in natura noch denkbar erscheine. Die Antragstellerin sei durch die unzulässig nur nationale Ausschreibung in ihren Rechten verletzt. Zwar habe sie sich als Bieterin beteiligt. Jedoch habe die Antragstellerin in einem neu durchzuführenden Vergabeverfahren mit europaweiter Ausschreibung bessere Zuschlagschancen. Der Ausschluss der Antragstellerin begegne erheblichen vergaberechtlichen Bedenken.

Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, in der sie im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Verfahren vor der Vergabekammer wiederholt und vertieft. Ergänzend führt sie aus, der Auftrag sei nunmehr praktisch vollständig realisiert, schon deshalb sei der Nachprüfungsantrag unzulässig. Die Beschlussformel der Vergabekammer sei rechtlich bedenklich, weil der Tenor Ziffer 2 auf die fortbestehende Beschaffungsabsicht Bezug nehme, die aufgrund des Vertragsvollzugs tatsächlich nicht mehr existiere. Zudem habe die Vergabekammer gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen.

Die Antragsgegnerin beantragt daher, den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben und den Nachprüfungsantrag als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag, erklärt aber, den Ausführungen der Antragsgegnerin im Beschwerdeschriftsatz sei nichts hinzuzufügen.

Die Antragstellerin beantragt:

Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin wird verworfen, hilfsweise zurückgewiesen.

Die Antragstellerin verteidigt den Beschluss der Vergabekammer und wiederholt und vertieft ihren Vortrag aus dem Nachprüfungsverfahren. Die Beschwerde der Antragsgegnerin sei mangels ordnungsgemäßer Begründung schon unzulässig. Der Nachprüfungsantrag sei zulässig, insbesondere habe die Antragstellerin die Frist des § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB eingehalten. Es sei abwegig, den Ablauf der Bindefrist mit der Unterrichtung der Antragstellerin gleichzusetzen. Im Bereich der Unterschwellenvergabe seien auch keine förmlichen Rügen vorgesehen. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB finde Anwendung. Auf die faktische Durchführung des Vertrags komme es nicht an, da der Zuschlag nicht wirksam erteilt und eine Rückabwicklung möglich sei. Der Auftrag sei als Lieferauftrag zu qualifizieren. Ein Schulgebäude könne auch ohne Medienausstattung seine Funktion erfüllen. Die Montageleistungen seien nur von untergeordneter Bedeutung.

Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2023 Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht nach § 172 Abs. 1 bis Abs. 3 GWB eingelegt. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin liegt eine ordnungsgemäße Begründung nach § 172 Abs. 2 GWB vor. Der Beschwerdeschrift kann entnommen werden, aus welchen Gründen tatsächlicher und rechtlicher Art die angefochtene Entscheidung nach Auffassung der Antragsgegnerin unzutreffend sein soll.

2. Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig und begründet.

a) Der Rechtsweg zu den Nachprüfungsinstanzen ist eröffnet. Die Antragsgegnerin hätte als öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 2 c) GWB den Auftrag über die Medienausstattung des Berufsbildungszentrums europaweit ausschreiben müssen, da es sich nicht um einen Bau-, sondern um einen Lieferauftrag handelte und die nach § 106 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GWB maßgeblichen Schwellenwerte dafür überschritten wurden.

aa) Gemäß § 103 Abs. 2 GWB sind Lieferaufträge Verträge zur Beschaffung von Waren, die insbesondere den Kauf betreffen, wobei die Verträge auch Nebenleistungen umfassen können. Bauaufträge beschreibt § 103 Abs. 3 GWB als Verträge über die Ausführung oder gleichzeitige Planung und Ausführung von Bauleistungen im Zusammenhang mit einer Tätigkeit, die in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU genannt ist, oder eines Bauwerks für den öffentlichen Auftraggeber, das das Ergebnis von Tief- und Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Der Begriff der Bauleistung selbst ist vergaberechtlich nicht definiert; er ist weit zu verstehen und losgelöst von der (nationalen) zivilrechtlichen Definition eines Bauvertrags zu beurteilen. Er umfasst alle Arbeiten, die für ein Bauwerk oder an einem solchen erbracht werden, mithin Bauleistungen an einem Bauwerk, die im Zusammenhang mit einer der in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU genannten Tätigkeiten stehen und einem Bauvorhaben gelten. Als Bauvorhaben ist jedes Vorhaben anzusehen, ein Bauwerk (im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 der Richtlinie 2014/24/EU) zu errichten oder zu ändern.

Ausgehend von § 103 Abs. 3 Nr. 2 GWB, der das Bauwerk als Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- und Hochbauarbeiten beschreibt, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll, werden zudem von der vergaberechtlichen Rechtsprechung in Einschränkung des Lieferauftrags Beschaffungsmaßnahmen als Bauauftrag qualifiziert, wenn die Anlagen für ein funktionsfähiges Bauwerk erforderlich und von wesentlicher Bedeutung sind (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15. Juli 2020, Verg 40/19, juris Rn. 30; Beschl. v. 11. Dezember 2019, Verg 53/18 – Laborsterilisator, NZBau 2020, 406 [juris Rn. 34 ff.]; OLG München, Beschl. v. 19. März 2019, Verg 3/19 – Infusionstechnik, NZBau 2019, 670 [juris Rn. 72 ff.]).

Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 GWB werden öffentliche Aufträge, die verschiedene Leistungen wie Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, nach den Vorschriften vergeben, denen der Hauptgegenstand des Auftrags zuzuordnen ist. Wenn mithin die Bauleistungen im Verhältnis zum Hauptgegenstand nur Nebenarbeiten sind, gilt der Auftrag nicht als Bauauftrag. Dabei haben die Wertanteile nur eine Orientierungs- und Kontrollfunktion, maßgeblich ist der anhand der rechtlichen und wirtschaftlichen Gesamtumstände zu ermittelnde Schwerpunkt (EuGH, Urt. v. 26. Mai 2011, C-306/08, juris Rn. 90 f.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18. Oktober 2006, Verg 35/06, juris Rn. 20). Ein Anteil der Bauleistungen von 25 % am Gesamtauftrag deutet nicht darauf hin, dass die Bauleistungen mehr als nur Nebenleistungen sind (OLG Düsseldorf, a. a. O., juris Rn. 20).

Kein Bauauftrag ist daher die nicht im zeitlichen Zusammenhang mit der Fertigstellung der baulichen Anlage erfolgende Beschaffung von Gegenständen, deren Einbau keine baulichen Änderungen erfordert bzw. im Verhältnis zur Lieferung völlig untergeordnete Bedeutung hat (Schneider in Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommtar, Teil A/B, 8. Aufl. 2022, VgV § 2 Rn. 1).

In der Rechtsprechung wurde beispielsweise die Erneuerung einer Tonanlage in einem Theater als Liefervertrag angesehen, da der Auftraggeber Serienprodukte wollte, die für andere Zwecke wieder abgebaut und verwendet werden konnten, und das Hauptaugenmerk gerade nicht auf optischen baulichen Veränderungen, sondern auf der Umstellung von analoger auf digitale Technik lag (OLG München, Beschl. v. 5. November 2009, Verg 15/09 – Tonanlage, juris Rn. 48 f.). Die Lieferung und Installation von Infusionsgeräten für ein Krankenhaus wurde ebenfalls als Lieferauftrag qualifiziert, da es sich um mobile, nicht mit dem Bauwerk verbundene und nicht an dieses angepasste Standardgeräte handelte (OLG München, Beschl. v. 19. März 2019 – Infusionstechnik, NZBau 2019, 670 [juris Rn. 86 ff.]). Desgleichen wurde die Errichtung eines digitalen Alarmierungssystems für die Gefahrenabwehr als Liefer- und Dienstleistungsauftrag eingestuft, da die Bauleistungen nicht den Schwerpunkt des Auftrags bildeten, sondern die Bereitstellung eines digitalen Funk-Netzes (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. Oktober 2019, Verg 66/18, juris Rn. 32 ff.).

Als Bauauftrag qualifizierte das Oberlandesgericht Dresden die Erneuerung der in einem Planetarium befindlichen Projektortechnik, da diese für die Funktionsfähigkeit des Gebäudes unabdingbar sei (OLG Dresden, Beschl. v. 29. März 2012, Verg W 2/12 – Planetarium, juris Rn. 31 ff.). Ebenso wurde die Ausstattung eines Zentrums für Synthetische Lebenswissenschaften mit einem fest in die Baulichkeit integrierten Laborsterilisator als Bauauftrag eingestuft, da der spezifische Nutzungszweck des Gebäudes sonst nicht erfüllbar war (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11. Dezember 2019, Verg 53/18 – Laborsterilisator, juris Rn. 38).

Unter Anwendung dieser Kriterien ist vorliegend der Auftrag über die Medienausstattung des Berufungsbildungszentrums weder im Hinblick auf den Umfang und die Bedeutung der geschuldeten Bauleistungen (dazu unter bb]) noch unter Berücksichtigung der Bedeutung der zu beschaffenden Geräte für die Funktionsfähigkeit des Berufsbildungszentrums (dazu unter cc]) als Bauauftrag zu qualifizieren.

bb) Die vom Auftrag umfassten Bauleistungen, insbesondere die Montage der Tragesysteme an Wänden und Decken, der Einbau von Pylonen und die Abhängung von Deckenelementen sind weder wertmäßig noch im Rahmen einer Gesamtbetrachtung als Schwerpunkt und Hauptgegenstand des Auftrags anzusehen.

Soweit die Antragsgegnerin auf konkrete Positionen des Leistungsverzeichnisses verweist, erschließt sich zum Teil schon nicht, weshalb es sich dabei um Bauleistungen handeln sollte. Bei der Position 01.02.0008 des Leistungsverzeichnisses (Ausgangsverteiler/Schrankbau) hat die Antragstellerin ausgeführt, es gehe primär um die interne Verkabelung im Rack, was anhand der Ausführungen im Leistungsverzeichnis nachvollziehbar erscheint. Die Position 01.02.0009 ist bereits überschrieben mit „Montage- und Installationsmaterial Schrankbau“, worauf auch die Antragstellerin hingewiesen hat. Bezüglich der Position 01.02.0010 handelt es sich nach den Ausführungen in der Leistungsbeschreibung um das Anschließen der gelieferten Geräte, das Einziehen und Verlöten von Kabeln. Noch weniger ist der unter Position 02.06 aufgeführte Wartungsvertrag als Bauleistung zu qualifizieren. Soweit die Antragsgegnerin behauptet, die Montage gehe mit erheblichen zwingenden Trockenbau- und Brandschutzarbeiten einher, hat dies die Antragstellerin bestritten. Welche konkreten Positionen des Leistungsverzeichnisses derartige Arbeiten umfassen sollen, hat die Antragsgegnerin nicht dargetan und ist für den Senat auch nicht nachvollziehbar. Selbst wenn man – abgesehen vom Wartungsvertrag – sämtliche von der Antragsgegnerin konkret als Bauleistungen angeführten Positionen des Leistungsverzeichnisses (01.02.0008, 01.02.0009, 01.02.0010, 01.05.0014, 01.05.0015, 01.06.0001, 01.07.0001, 02.01) berücksichtigte, beliefen sich diese auf einen Betrag, der weniger als 10 % der Gesamtangebotssumme, mithin nur einen völlig untergeordneten Anteil, umfasste. Nichts anderes ergibt sich bei Berücksichtigung der von der Antragsgegnerin vorgelegten, vom Ingenieurbüro P. erstellten Zusammenfassung des Montageanteils. Hierin enthalten sind auch Positionen des Leistungsverzeichnisses, zu denen es an Vortrag der Antragsgegnerin fehlt und bei denen unklar bleibt, um welche „Dienstleistung“ es gehen soll. Selbst bei Berücksichtigung dieser Zusammenstellung verbleibt es nach dem eigenen Vortrag der Antragsgegnerin bei einem Anteil der Bauleistungen von nur 20 % des gesamten Auftragsvolumens.

Nach den angeführten Wertverhältnissen und bei einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände bilden vorliegend die Bauleistungen im Verhältnis zum Gesamtauftrag nur eine Nebenleistung, keinesfalls den Schwerpunkt oder den Hauptgegenstand des Auftrags. Entscheidend ist die Beschaffung einer neuen, zeitgemäßen Medientechnik unter anderem mit interaktiven Touch-Displays. Dazu gehört als Nebenleistung die Herstellung der Funktionsfähigkeit dieser Geräte durch Montage und Installation. Selbst die Montage und die Installation sind aber nur in untergeordnetem Umfang mit Baumaßnahmen, sondern überwiegend mit sonstigen Dienstleistungen verbunden. Es handelt sich vorliegend um einen Lieferauftrag mit Montageleistungen, nicht um einen Montageauftrag, bei dem einzelne Komponenten mitzuliefern wären.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin führt die separat national ausgeschriebene Verkabelung nicht zu einem anderen Ergebnis. So erschließt sich nicht, weshalb es sich, wie die Antragsgegnerin behauptet hat, um ein Los im Rahmen desselben Auftrags handeln sollte. Anhaltspunkte hierfür finden sich in den vorgelegten Unterlagen nicht, zumal die fragliche Verkabelung unabhängig von den konkret zu beschaffenden Geräten verwendbar sein dürfte. Vor allem aber ändert der Vortrag nichts daran, dass der Schwerpunkt wertmäßig und funktional in jedem Fall auf der Beschaffung der neuen Medienausstattung lag und die notwendigen Montage- und Installationsarbeiten selbst bei Einbeziehung der Verkabelung nur Nebenleistungen darstellen.

cc) Auch unter Berücksichtigung eines etwaigen Funktionszusammenhangs mit dem Gebäude lässt sich der Auftrag über die Medienausstattung nicht als Bauvertrag qualifizieren. Unstreitig wird das Gebäude als Berufungsbildungsbildungszentrum genutzt. Indessen ist nicht erkennbar, dass für diese Nutzung spezifische gebäudebezogene Besonderheiten nötig wären. Es liegt fern, dass das Gebäude ohne die zu beschaffende Medienausstattung überhaupt nicht genutzt werden könnte und – vergleichbar der Planetariumskuppel ohne Projektor – nur eine leere Gebäudehülle wäre. Die Medienausstattung erhöht die Gebrauchstauglichkeit des Gebäudes, ist aber nicht essenziell oder denknotwendig für eine Nutzung erforderlich, auch nicht für eine Nutzung gerade als Berufsbildungszentrum. Dass der Schulbetrieb vor der Lieferung und Installation der Medientechnik durch die Beigeladene stillgestanden hätte, behauptet auch die Antragsgegnerin nicht. Ein Zusammenhang mit Neu- oder Umbaumaßnahmen des Gebäudes selbst besteht nicht. Nur ergänzend, ohne dass es darauf entscheidungserheblich noch ankäme, sei darauf verwiesen, dass unstreitig nur Standardgeräte beschafft wurden, die auch wieder ausgebaut und in anderen Berufsbildungszentren verwendet werden könnten. Einer Anpassung der Geräte auf die spezielle Situation des Gebäudes bedurfte es ersichtlich nicht.

Letztlich kann entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin eine beabsichtigte konkrete Nutzung eines Gebäudes allein nicht genügen, jede hierfür nötige Beschaffung von Gegenständen bereits deshalb als Bauauftrag zu qualifizieren. Beispielsweise erscheint eine Büroarbeit ohne Computer heute kaum noch vorstellbar. Dennoch wäre es deutlich zu weitgehend und mit § 103 Abs. 3 GWB nicht mehr zu vereinbaren, jede Ausstattung eines vorhandenen Bürogebäudes mit neuen Computern per se als Bauauftrag einzuordnen.

dd) Dass der Lieferauftrag den hierfür geltenden Schwellenwert nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB übersteigt, stellt auch die Antragsgegnerin nicht in Frage.

b) Der Nachprüfungsantrag ist trotz Erteilung des Auftrags zulässig, da die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags begehrt. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin führt es auch nicht zur Unzulässigkeit, dass sie den Auftrag national ausgeschrieben und die Antragstellerin sich an dieser Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt, die fehlende europaweite Ausschreibung aber nicht gerügt hat. Weder wird der Nachprüfungsantrag aus diesem Grund unstatthaft noch ist die Antragstellerin damit präkludiert, die fehlende europaweite Ausschreibung geltend zu machen.

Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist, und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist. Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB gelten die Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB nicht bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB.

§ 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB stellt nach seinem Wortlaut nur darauf ab, dass keine Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union stattgefunden hat. Auf die Frage, ob national ausgeschrieben wurde, kommt es nach dem Wortlaut nicht an. Zudem ergibt sich aus § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB, dass eine Unwirksamkeit des Vertrags auch dann möglich ist, wenn es „betroffene Bieter und Bewerber“ gegeben hat. Schließlich war nach § 101 Abs. 1 Nr. 2 GWB in der bis April 2016 geltenden Fassung ein Vertrag unwirksam, wenn der Auftraggeber „einen öffentlichen Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligten und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist“. Diese deutlich engere Formulierung hat der Gesetzgeber gerade nicht in die Neufassung übernommen, sondern die zum alten Recht vertretene europarechtlich gebotene erweiternde Auslegung nachvollzogen (siehe BT-Drs. 18/6281 S. 122). Somit kommt eine Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags und ein darauf gerichteter Nachprüfungsantrag auch dann in Betracht, wenn der Auftrag – unzulässig – nur national ausgeschrieben wurde und der Antragsteller sich mit einem Angebot beteiligt hat (so auch OLG Koblenz, Beschl. v. 1. September 2021, Verg 1/21, juris Rn. 71 ff.; zum Fall eines Interessensbekundungsverfahrens unter Beteiligung der Antragstellerin OLG Jena, Beschl. v. 9. April 2021, Verg 2/20 – Kindergartenbetrieb, juris Rn. 18; zum Fall einer freiwilligen Ex-Ante-Transparenzbekanntmachung und eines Angebots der Antragstellerin OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. Juli 2017, Verg 13/17 – Dialysegerät, NZBau 2017, 679 [juris Rn. 20 ff.]).

Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB bestehen in diesem Fall auch keine Rügeobliegenheiten (so auch OLG Koblenz, a. a. O; OLG Jena, a. a. O; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4. Dezember 2020, 15 Verg 8/20, juris Rn. 24 f.; OLG Düsseldorf, a. a. O. [juris Rn. 20]; Jaeger in Münchener Kommentar zum GWB, 4. Aufl. 2022, § 160 Rn. 95 f.; a. A. Gabriel/Mertens in BeckOK Vergaberecht, 26. Ed. 31. Oktober 2022, GWB § 160 Rn. 209; Nowak in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 160 Rn. 84; Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage 2021, GWB § 160 Rn. 117). Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB, der keine Einschränkungen vorsieht. Vielmehr verweist er umfassend auf § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, ohne danach zu differenzieren, ob es eine nationale Ausschreibung gab. Zudem erschiene es widersprüchlich, wenn einerseits der Auftraggeber gerade keine förmliche Ausschreibung nach den Vorschriften des GWB durchführt, andererseits dem Bieter aber die strengen Rügepflichten auferlegt würden. Ferner sieht § 135 Abs. 2 GWB in seiner neuen Fassung ohnehin gewisse Fristen vor, innerhalb derer die Unwirksamkeit des Vertrags geltend zu machen ist, so dass dem Bedürfnis nach einer baldigen Klärung auch im Interesse des Auftraggebers Rechnung getragen wurde. Letztlich liefe es auf eine Korrektur des § 160 Abs. 3 Satz 2, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB entgegen des klaren Wortlauts hinaus, für die es weder Anhaltspunkte in der Entstehungsgeschichte der Neufassung noch ein sonst ersichtliches Bedürfnis gibt.

c) Der Nachprüfungsantrag ist auch nicht im Hinblick auf weitere mögliche Rechtsverletzungen nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB unzulässig. Auch soweit die Antragstellerin sich auf eine Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften beruft, da die Antragsgegnerin unzulässig produktspezifische Vorgaben aufgestellt und das Angebot zu Unrecht vom (nationalen) Vergabeverfahren ausgeschlossen habe (wegen abgelehnter Bindefristverlängerung und Abweichungen von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses), kommt eine Präklusion nicht in Betracht. § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB differenziert gerade nicht danach, ob es um die Rüge der fehlenden europaweiten Ausschreibung oder um sonstige Rügen geht. Vielmehr gilt Satz 1 bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB generell nicht (so auch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4. Dezember 2020, 15 Verg 8/20, juris Rn. 24 f. und Rn. 47). Auch insoweit kann dem Bieter die vorsorgliche Einhaltung der strengen Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB nicht zugemutet werden, wenn sich der Auftraggeber gerade nicht für eine Ausschreibung unter Einhaltung der strengeren Vorgaben des GWB entschieden hat. Die VOB/A und die UVgO enthalten keine dem § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB vergleichbaren Rügeobliegenheiten. Ob das Schreiben der Antragstellerin vom 26. Oktober 2021 daher als Rügeschreiben genügte und ob diese Rügen und die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens gemessen an § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB rechtzeitig wären, bedarf mithin keiner Entscheidung.

d) Der Nachprüfungsantrag ist auch nicht wegen Verletzung von Rügepflichten aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis unzulässig. Ob sich aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis eine Rügeobliegenheit ergeben könnte, ist umstritten (bejahend OLG Naumburg, Beschl v. 2. März 2006, Verg 1/06, juris Rn. 36 ff.; ablehnend OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. Mai 2008, Verg 14/08, juris Rn. 36 und Jaeger in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, GWB § 160 Rn. 96; offenlassend OLG München, Beschl. v. 19. Juli 2012, Verg 8/12, juris Rn. 79 f.; vgl. auch Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, GWB § 160 Rn. 117). Indessen ist dies jedenfalls für § 160 Abs. 3 Satz 1, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB n. F. abzulehnen. Die Konstruktion einer Rügepflicht aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis läuft letztlich auf eine Korrektur der Neufassung hinaus, ohne dass es dafür eine Rechtfertigung gäbe (vgl. dazu schon oben b] und c]).

e) Der Nachprüfungsantrag ist innerhalb der Frist des § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB gestellt worden.

Mangels Bekanntmachung der erfolgten Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union findet die Frist nach § 135 Abs. 2 Satz 2 GWB keine Anwendung. Die Frist nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB ist eingehalten, da die Unwirksamkeit im Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Information der betroffenen Bieterin durch den Auftraggeber über den Vertragsschluss, aber nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht worden ist. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 30. März 2022 über den Vertragsschluss am 13. Januar 2022 informiert. Der Nachprüfungsantrag vom 28. April 2022, eingegangen bei der Vergabekammer am selben Tag, ist mithin fristgerecht gestellt worden.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin begann die Frist nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht schon mit Ablauf der Bindefrist am 15. Januar 2022. Zum einen lässt sich aus dem Ablauf der Bindefrist nicht schließen, dass der Zuschlag erteilt wurde. Eine Verpflichtung des Auftraggebers zur Zuschlagserteilung besteht nicht. Zum anderen genügt die bloße Kenntniserlangung von einem Vertragsschluss auf andere Weise als durch Information des Auftraggebers nicht (Dreher/Hoffmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 4. Aufl. 2022, § 135 GWB Rn. 62 ff.; Maimann in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl. 2020, § 135 Rn. 41; vgl. auch OLG Bremen, Beschl. v. 1. April 2022, 2 Verg 1/21 – Antigen-Schnelltest, juris Rn. 70 f. und OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22. Februar 2019, 15 Verg 9/18, NZBau 2019, 748 [juris Rn. 27 ff.], wonach die bloße Mitteilung des Vertragsschlusses noch nicht einmal ausreicht, sondern weitere Angaben erforderlich sind). Dass die Kenntniserlangung in sonstiger Weise nicht genügt, ergibt sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut der Regelung und entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drs. 18/6281 S. 122).

f) Der Nachprüfungsantrag ist weder rechtsmissbräuchlich noch hat die Antragstellerin das Recht auf Nachprüfung verwirkt, obwohl die Antragstellerin erstmals am 22. März 2022 geltend gemacht hat, der Auftrag hätte einer europaweiten Ausschreibung bedurft.

aa) Grundsätzlich erscheint denkbar, dass das prozessuale Recht, einen Nachprüfungsantrag anzubringen, nach Treu und Glauben verwirkt oder der Nachprüfungsantrag wegen missbräuchlichen Verhaltens unzulässig ist. Dies könnte eventuell der Fall sein, wenn ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde und der Auftraggeber entsprechende Dispositionen getroffen hat, oder wenn sonstige andere Umstände vorliegen, die eine Rechtsausübung treuwidrig erscheinen lassen, etwa bei einem unlösbaren Selbstwiderspruch eines Bieters (Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 160 Rn. 61; Gabriel/Mertens in BeckOK Vergaberecht, GWB § 160 Rn. 227 f.; Nowak in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB § 160 Rn. 89 f.). Ohne Vorliegen besonderer Umstände genügt es allerdings nicht für die Annahme einer Verwirkung, wenn der Antragsteller erst nach Bekanntmachung der Auftragsvergabe einen Nachprüfungsantrag mit dem Ziel gestellt hat, die Unwirksamkeit des mit dem Beigeladenen geschlossenen Vertrags festzustellen, und etwaige Verstöße gegen Vergabevorschriften nicht schon zuvor gerügt hat (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4. Dezember 2020, Verg 8/20 – Bauverkehrsnotbetrieb, NZBau 2021, 200 [juris Rn. 25]). Auch verhält sich ein Unternehmer nicht schon treuwidrig, wenn er ein Angebot abgibt, ohne den Auftraggeber auf die Notwendigkeit eines geregelten Vergabeverfahrens hinzuweisen. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben kommt erst in Betracht, wenn der Unternehmer schon zu diesem Zeitpunkt weiß oder sich der aufdrängenden Erkenntnis verschließt, dass der Auftraggeber den Auftrag ohne Durchführung eines notwendigen Vergabeverfahrens erteilen will. Wenn Auftraggeber und Beigeladene auch im Nachprüfungsverfahren die Notwendigkeit des Vergabeverfahrens noch leugnen, muss ohne anderweitige Darlegung oder entsprechende Anhaltspunkte auch dem antragstellenden Unternehmer zugute gehalten werden, nicht schon bei Angebotsabgabe von der Notwendigkeit ausgegangen zu sein (BGH, Beschl. v. 1. Februar 2005, X ZB 27/04 – Altpapierverwertung II, BGHZ 162, 116 [juris Rn. 43 f.]).

bb) Vorliegend scheidet sowohl die Annahme einer Verwirkung als auch eines Rechtsmissbrauchs durch die Antragstellerin offensichtlich aus. Ob und unter welchen Voraussetzungen bei Geltung des § 160 Abs. 3 Satz 2, § 135 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 GWB n. F. daher überhaupt eine Verwirkung oder ein Rechtsmissbrauch noch in Betracht kommen könnten, bedarf keiner Entscheidung.

Für die Annahme einer Verwirkung fehlt es am Zeit- ebenso wie an einem Umstandsmoment. Die Antragstellerin hat von der Zuschlagserteilung erst mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 30. März 2022 erfahren. Wie ausgeführt (siehe oben e]) lässt das bloße Verstreichen der Bindefrist nicht zwingend darauf schließen, der Zuschlag sei erteilt worden. Die Antragstellerin hat innerhalb der Frist des § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB den Nachprüfungsantrag gestellt. Das Ausschöpfen dieser Frist von 30 Kalendertagen genügt für eine Verwirkung schon in zeitlicher Hinsicht offensichtlich nicht. Zudem durfte die Antragsgegnerin mangels Information der Antragstellerin über den Vertragsschluss auch nicht darauf vertrauen, die Antragstellerin werde die Zuschlagserteilung hinnehmen und keine Rechtsbehelfe ergreifen. Etwaige Dispositionen wie insbesondere der Beginn der Vertragsdurchführung erfolgten daher ausschließlich auf eigenes Risiko der Antragsgegnerin.

Ebenso scheidet ein Rechtsmissbrauch aus, obwohl unstreitig die Antragstellerin die Antragsgegnerin während des laufenden Vergabeverfahrens nicht auf die Notwendigkeit einer europaweiten Ausschreibung hingewiesen hat. Ob ein Bau- oder ein Liefervertrag vorliegt, ist eine nicht ganz einfache Abgrenzung im Einzelfall. Die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin und der Beigeladenen vertreten noch im Beschwerdeverfahren die Ansicht, es liege ein Bauvertrag vor, der nur der nationalen Ausschreibung bedurfte. Es finden sich keinerlei Anhaltspunkte, dass die Antragstellerin oder ihre Rechtsanwälte schon vor dem 22. März 2022, an dem sie fehlende europaweite Ausschreibung erstmals rügten, gewusst hätten, dass tatsächlich kein Bau- sondern ein Liefervertrag vorlag. Nach den Gesamtumständen lässt sich auch nicht unterstellen, es hätte sich für die Antragstellerin bzw. deren Rechtsanwälte – anders als offensichtlich für die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin und der Beigeladenen – aufgedrängt, dass ein Bauvertrag vorliegt. Zudem trägt das Risiko einer falschen Einschätzung der Auftraggeber und nicht der Bieter.

g) Der Nachprüfungsantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags ist entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht wegen Erledigung unzulässig.

Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin ist der Auftrag über die Medienausstattung für das Berufsbildungszentrum nunmehr praktisch vollständig durchgeführt. Dies hat die Antragstellerin nicht bestritten, könnte aber ohnehin als wahr unterstellt werden. Auch wenn die Beigeladene ihre vertraglichen Pflichten bereits vollständig erfüllt hat, fehlt es an einer Erledigung im Sinne von § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB. Grundsätzlich kann sich auch ein Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrags erledigen, so dass nur noch die Feststellung begehrt werden kann, der Vertragsschluss sei rechtswidrig gewesen und habe den Antragsteller in seinen Rechten verletzt. Eine Erledigung kommt aber nur dann in Betracht, wenn der Beschaffungsbedarf unumkehrbar erfüllt ist, so dass ein primärer Rechtsschutz, der letztlich auf erneute Ausschreibung gerichtet ist, nicht mehr erreicht werden kann (KG, Beschl. v. 10. Mai 2022, Verg 1/22, NZBau 2022, 544 [juris Rn. 22 ff.]; OLG Bremen, Beschl. v. 1. April 2022, 2 Verg 1/21 – Antigen-Schnelltest, NZBau 2022, 548 [juris Rn. 75 f.]; OLG Hamburg, Beschl. v. 11. Februar 2019, 1 Verg 3/15 – kommunaler Wohnungsbau Hamburg, NZBau 2019, 397 [juris Rn. 117 ff.]), etwa weil die ausgeschriebene Leistung auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt war und nicht nachgeholt werden kann (KG, a. a. O.). Die Lieferung von Gütern an den Auftraggeber stellt hingegen noch kein unumkehrbares Erfüllen dar, solange die Rückabwicklung zum Wiederaufleben des Beschaffungsbedarfs führen kann (OLG Bremen, a. a. O. Rn. 77).

Nach diesen Grundsätzen fehlt es vorliegend an einer Erledigung. Unstreitig wurden Standardgeräte geliefert, die nicht speziell angefertigt oder eingepasst sind. Diese wurden eingebaut, sind damit noch vorhanden. Ein Ausbau der Geräte samt Rückgabe an die Beigeladene ist daher möglich. Anderes trägt auch die Antragsgegnerin nicht konkret vor. Ob und in welchem Umfang die Geräte eine Wertminderung erfahren haben und in welcher Höhe die Antragsgegnerin gegebenenfalls Wertersatz für Nebenleistungen wie die Montage zu erbringen hat, kann dahingestellt bleiben. Maßgeblich ist nur, dass ein Ausbau und die Rückgabe grundsätzlich möglich sind und damit zu einem Wiederaufleben des Beschaffungsbedarfs führen.

h) Die Antragstellerin ist antragsbefugt, § 160 Abs. 2 GWB.

Sie hat ihr Interesse an dem Auftrag durch die Angebotsabgabe bekundet.

Des Weiteren setzt § 160 Abs. 2 GWB voraus, dass der Antragsteller eine Verletzung in seinen Rechten und einen dadurch ihm entstandenen beziehungsweise drohenden Schaden geltend macht. Bei einem Nachprüfungsantrag nach § 160 Abs. 1, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist der im Rahmen der nationalen Ausschreibung nicht berücksichtigte Bieter daher nur dann antragsbefugt, wenn er außer der möglichen Rechtsverletzung auch darlegt, dass er in einem neu durchzuführenden Vergabeverfahren mit einer europaweiten Ausschreibung eine bessere Chance auf den Zuschlag hätte (OLG München, Beschl. v. 2. Juni 2016, Verg 15/15 – Sonderfahrten, juris Rn. 63; Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, GWB § 135 Rn. 105; Dreher/Hoffmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 135 Rn. 49; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11. Dezember 2019, Verg 53/18 – Laborsterilisator, NZBau 2020, 406 [juris Rn. 41 ff.] – der bloße Verweis auf die Verstöße nach § 135 Abs. 1 GWB genügt nicht). Eine Verbesserung der Zuschlagschance kommt beispielsweise in Betracht, wenn im durchgeführten (nationalen) Vergabeverfahren Normen zur Anwendung kamen, die gegenüber den korrekterweise anzuwendenden Vorschriften für den Bieter nachteilig waren (Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, GWB § 135 Rn. 105; Dreher/Hoffmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 135 Rn. 49) oder wenn der Bieter plausibel darlegt, er hätte bei europaweiter Ausschreibung anders kalkuliert (OLG München, a. a. O., Rn. 65).

Danach ist die Antragstellerin vorliegend antragsbefugt. Sie macht als mögliche Rechtsverletzungen nicht nur die fehlende europaweite Ausschreibung geltend. Zugleich trägt sie vor, ihr Angebot sei im Rahmen des nationalen Vergabeverfahrens zu Unrecht ausgeschlossen worden, da die produktspezifische Ausschreibung durch die Antragsgegnerin unzulässig gewesen sei. Im Rahmen eines Verfahrens nach der Vergabeverordnung (VgV) hätte sie dazu Fragen stellen und dies rügen können.

Ferner hätte eine Aufklärungspflicht der Antragsgegnerin bestanden. Auch der Ausschluss des Angebots wegen der zunächst nur begrenzten Verlängerung der Bindefrist sei unzulässig. Diese Rechtsverletzungen erscheinen jedenfalls möglich. Zudem hat die Antragstellerin das wirtschaftlich günstigste Angebot abgegeben.

Damit hat sie nachvollziehbar dargetan, dass sie in einem neu durchzuführenden europaweit ausgeschriebenen Vergabeverfahren unter Einhaltung der dann geltenden Vorschriften bessere Chancen auf den Zuschlag hätte.

3. Der Nachprüfungsantrag ist begründet, der durch Zuschlag der Antragsgegnerin vom 13. Januar 2022 mit der Beigeladenen zustande gekommene Vertrag ist unwirksam.

a) Eine Rechtsverletzung im Sinne des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB liegt vor. Die Antragsgegnerin hat den Auftrag unzulässigerweise ohne vorherige europaweite Ausschreibung vergeben (siehe oben Ziffer 2 a]). Auch eine Bekanntmachung nach § 135 Abs. 3 GWB ist nicht erfolgt.

b) Die Antragstellerin ist auch in ihren Rechten verletzt. Die fehlende europaweite Ausschreibung hat sich zulasten der Antragstellerin ausgewirkt.

Das Nachprüfungsverfahren dient, auch soweit es auf die Feststellung der Unwirksamkeit des vergebenen Auftrags nach § 135 Abs. 1 GWB gerichtet ist, nicht einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle, sondern dem Individualschutz des einzelnen Bieters. Eine „abstrakte“ Unwirksamkeitserklärung würde dazu führen, dass ein Bieter, der auch bei einer ordnungsgemäßen europaweiten Ausschreibung keine Aussicht auf den Zuschlag gehabt hätte, eine neue Ausschreibung erwirken könnte. Er könnte damit, auch wenn sein Angebot zu Recht nicht berücksichtigt wurde, durch ein neues Ausschreibungsverfahren seine Position verbessern, indem er nun ein geändertes Angebot vorlegt. Das ist nicht der Sinn des Nachprüfungsverfahrens. Dieses soll einem zu Unrecht nicht berücksichtigten Bieter die Möglichkeit verschaffen, zu einer rechtmäßigen Berücksichtigung seines Angebots zu gelangen und gegebenenfalls den Zuschlag zu erhalten. Hat sich aber der Vergaberechtsverstoß nicht kausal für den Bieter ausgewirkt, wäre also sein Angebot auch bei ordnungsgemäßem Ablauf des Nachprüfungsverfahrens aus anderen Gründen zu Recht nicht berücksichtigt worden, ist er im Endergebnis in seiner Rechtsposition nicht beeinträchtigt. Er hat weder einen Anspruch auf Wiederholung oder Neudurchführung des Ausschreibungsverfahrens noch auf eine Feststellung nach § 135 Abs. 1 GWB (OLG Bremen, Beschl. v. 4. November 2022, 2 Verg 1/22, juris Rn. 89; OLG München, Beschl. v. 31. Januar 2013, Verg 31/12 – Betonstopfsäulen, juris Rn. 55 – jeweils zu §§ 134, 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB).

Vorliegend ist die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt. Die fehlende europaweite Ausschreibung hat sich zu ihren Lasten ausgewirkt. Das Angebot der Antragstellerin wurde zu Unrecht wegen der zunächst nur begrenzten Verlängerung der Bindefrist (dazu unter aa]) und wegen der Abweichungen von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses (dazu unter bb]) ausgeschlossen. Bei der gebotenen europaweiten Ausschreibung und Beachtung der Vorgaben des GWB hätte die Antragsgegnerin die Antragstellerin schon vor der Zuschlagserteilung nach § 134 Abs. 1 GWB über den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin und den beabsichtigten Zuschlag an die Beigeladene informieren müssen. Die Antragstellerin hätte sodann schon vor der Zuschlagserteilung ein Nachprüfungsverfahren nach § 160 Abs. 1 GWB beantragen und damit die Chancen ihres erstrangigen Angebots auf den Zuschlag wahren können.

aa) Der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin wegen der Verlängerung der Bindefrist zunächst nur bis 8. November 2021 war unzulässig.

Der Ausschluss kann nicht auf § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV gestützt werden. Danach sind Angebote auszuschließen, die Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen enthalten. Indessen war in den hier maßgeblichen Vergabeunterlagen die vom Auftraggeber nachträglich gewünschte Verlängerung der Bindefrist bis zum 15. Januar 2022 gerade nicht vorgesehen. Durch die bloße Bitte um Verlängerung wurden entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin auch nicht die Vergabeunterlagen geändert (im Ergebnis ebenso OLG Celle, Beschl. v. 30. Januar 2020, 13 Verg 14/19 – Breitbandkabel, juris Rn. 59). Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. August 2010 (Verg 32/10, juris) und der Vergabekammer Sachsen-Anhalt vom 1. September 2017 (3 VK LSA 67/17, juris). In beiden Fällen hatte die Antragstellerin ihrem Angebot eine andere als die in den Vergabeunterlagen geforderte Bindefrist zugrunde gelegt.

Der Ausschluss lässt sich ferner nicht mit § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV rechtfertigen. Die Fristverlängerung war weder in den Vergabeunterlagen gefordert worden noch handelte es sich um einen Fall einer zulässigen Nachforderung von unternehmens- oder leistungsbezogenen Unterlagen nach § 56 Abs. 2 VgV. Die Abgabe einer neuen Erklärung zur Verlängerung der Bindefrist, die nicht Gegenstand der ursprünglichen Vertragsbedingungen war, fällt nicht unter diese Vorschrift und damit auch nicht unter § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV (OLG Celle, Beschl. v. 30. Januar 2020, 13 Verg 14/19 – Breitbandkabel, NZBau 2020, 691 [juris Rn. 63]).

Die weitere Problematik, ob nach Ablauf der Bindefrist ein Angebot noch berücksichtigt werden kann, stellt sich vorliegend nicht. Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 8. November 2021 noch vor Ablauf der Bindefrist erklärt, sie verlängere die Bindefrist nunmehr bis 15. Januar 2022. Zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung, am 13. Januar 2022, war die Antragstellerin daher an ihr Angebot noch gebunden.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin erschließt sich nicht, wieso eine Berücksichtigung des Angebots der Antragstellerin gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, Transparenz oder gegen das Verbot von Nachverhandlungen verstoßen hätte. Mit der Verlängerung der Bindefrist (oder deren Ablehnung) ist keine inhaltliche Änderung des Angebots verbunden.

bb) Der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin wegen Verstoßes gegen die technischen Anforderungen des Leistungsverzeichnisses war ebenfalls unzulässig.

Nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV sind Angebote auszuschließen, die Änderungen an den Vergabeunterlagen vornehmen. Die von der Antragstellerin angebotenen Fabrikate erfüllen eine Reihe von Anforderungen des Leistungsverzeichnisses nicht. Bezüglich der Vorgaben des Leistungsverzeichnisses Position 01.03.0001 (interaktives Touch- Display 86 Zoll) finden sich in der Anlage zur Vergabeempfehlung des Ingenieurbüros P. vom 5. August 2021 mehrere Positionen, in denen nach Ansicht der Ingenieure Abweichungen des Angebots von den Anforderungen im Leistungsverzeichnis vorliegen. Dies wird von der Antragstellerin nur teilweise bestritten. Sie stellt nicht in Abrede, dass es nur zwei statt der geforderten 20 Touchpunkte gibt, die Nutzung nicht durch mehrere, sondern nur durch einen Benutzer möglich und eine Umschaltung der Quellen über die Live-Vorschau nicht vorgesehen ist. Hinsichtlich der Positionen 01.05.0003 (Digitales Präsentationssystem) und 01.05.0006 (Media Präsentation Controller Serie 3) bestreitet die Antragstellerin die in der Anlage zur Vergabeempfehlung aufgeführten Abweichungen nicht.

(1) Dennoch kommt ein Ausschluss nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV nicht in Betracht, da dieser hinreichend klare Leistungsvorgaben voraussetzt (OLG München, Beschl. v. 21. April, Verg 1/17 – Laborautomatisation, juris Rn. 64; Dittmann in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2. Aufl. 2022, § 57 Rn. 54; von Wietersheim in BeckOK Vergaberecht, VgV § 57 Rn. 19j; vgl. auch BGH, Urteil v. 18. Juni 2019, X ZR 86/17 – Straßenbauarbeiten, juris Rn. 47). Daran fehlt es vorliegend.

Zwar finden sich die in der Anlage zur Vergabeempfehlung aufgelisteten Anforderungen im Wesentlichen im Leistungsverzeichnis und sind per se hinreichend klar. Allerdings hat die Antragstellerin vorgetragen, sie habe wegen des Verdachts unzulässiger produktspezifischer Vorgaben eine Bieterfrage stellen wollen. Da dies weder über die Vergabeplattform noch per Mail möglich gewesen sei, habe sie letztlich mit dem von der Antragsgegnerin beauftragten Planer, Herrn E. vom Ingenieurbüro P., telefoniert. Dieser habe mitgeteilt, es müssten nicht unbedingt die exakten Spezifikationen aus dem Leistungsverzeichnis angeboten werden. Erst danach habe die Antragstellerin ihr Angebot abgegeben. Dass es dieses Telefonat mit dem behaupteten Inhalt gab, hat die Antragsgegnerin in ihren Schriftsätzen nicht konkret bestritten. In der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2023 hat die Antragsgegnerin ausdrücklich erklärt, das Telefonat nicht zu bestreiten. Ausgehend von den Aussagen des Planers E. erscheint aber völlig unklar, welche Vorgaben von der Antragstellerin einzuhalten waren. Welche der zahlreichen Spezifikationen aus dem Leistungsverzeichnis noch gelten sollten, welche Anforderungen stattdessen maßgeblich und in welchem Umfang Abweichungen zulässig waren, bleibt völlig im Unklaren. Ein Ausschluss des Angebots der Antragstellerin konnte daher nicht auf Abweichungen von den exakten Vorgaben aus dem Leistungsverzeichnis gestützt werden.

(2) Ferner waren die von der Antragsgegnerin im Leistungsverzeichnis in den Positionen 01.03.0001, 01.05.0003 und 01.05.0006 gestellten Anforderungen als verdeckte Produktvorgaben unzulässig. Auch in einem solchen Fall kommt ein Ausschluss nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV nicht in Betracht (Dittmann in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 57 Rn. 54).

Eine offene Produktvorgabe nach § 31 Abs. 6 VgV liegt nicht vor. Allerdings wird gegen die Pflicht zur produktneutralen Ausschreibung nicht nur dann verstoßen, wenn ein bestimmtes Fabrikat offen in der Leistungsbeschreibung genannt wird, sondern auch, wenn durch die Vielzahl der Vorgaben verdeckt ein bestimmtes Produkt vorgegeben wird und nur mit diesem die Anforderungen der Leistungsbeschreibung erfüllt werden können (BayObLG, Beschl. v. 29. Juli 2022, Verg 13/21, juris Rn. 54; OLG München, Beschl. v. 26. März 2020, Verg 22/19 – Touch-Displays, juris Rn. 128). Die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers sind eingehalten, wenn die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist, vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben wurden und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen wurde, diese Gründe tatsächlich vorhanden sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert (OLG München, Beschl. v. 26. März 2020, Verg 22/19 – Touch-Displays, juris Rn. 128; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. Oktober 2019, Verg 66/18, juris Rn. 52). Gegen diese Grundsätze hat die Antragsgegnerin bei der Ausschreibung jedenfalls bezüglich der Leistungsverzeichnis-Positionen 01.03.0001 (interaktives Touch-Display 86 Zoll), 01.05.0003 (Digitales Präsentationssystem) und 01.05.0006 (Media Präsentation Controller Serie 3) verstoßen.

Die genannten Positionen des Leistungsverzeichnisses enthalten verdeckte Produktvorgaben. Bezüglich der Position 01.03.0001 (interaktives Touch-Display) hat die Antragstellerin das Datenblatt des Produkts der Beigeladenen vorgelegt. Dieses deckt sich mit den Vorgaben in der Position 01.03.0001 bis ins kleinste technische Detail. Einziger Unterschied ist die Vorgabe „mind.“ bei einigen der Anforderungen im Leistungsverzeichnis. Nicht nachvollziehbar ist der Vortrag der Antragsgegnerin, sie habe damit nur die Förderbedingungen des Freistaats Bayern (Anlage 2 zur Richtlinie für die Gewährung von Zuwendungen aus dem Förderprogramm des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus – digitale Infrastruktur an bayerischen Schulen, Version 2 [2020]) abgebildet. Die in dieser Anlage angeführten „Hardware-Mindestkriterien“ für interaktive Großbildmonitore (Touchscreens) beschränken sich auf die Werte „Oberfläche und Helligkeit ab 350cd/m³, mattes Display, gehärtetes Glas, Auflösung ab 3840 x 2160 Pixel, Garantie mindestens 5 Jahre Vor-Ort-Garantie“. Diese Vorgaben decken sich nicht mit den wesentlich detaillierteren und umfangreicheren Anforderungen aus dem Leistungsverzeichnis. Woraus die Antragsgegnerin die anderen und weitergehenden technischen Vorgaben abgeleitet hat, trägt sie nicht vor. Hinsichtlich der Positionen 01.05.0003 (Digitales Präsentationssystem) und 01.05.0006 (Media Präsentation Controller Serie 3) behauptet die Antragsgegnerin ebenfalls, die umfangreichen und detaillierten technischen Vorgaben bildeten nur die Vorgaben der Förderrichtlinie ab. Indessen ist aus der Anlage 2 nicht erkennbar, dass es überhaupt Mindestkriterien für ein Digitales Präsentationssystem bzw. den Media Präsentation Controller gibt.

Die Antragsgegnerin erläutert weder konkret, mit welchen Anforderungen in der Anlage zur Förderrichtlinie sich die detaillierten technischen Vorgaben des Leistungsverzeichnisses decken sollen, noch ist sonst ersichtlich, woraus sich diese ergeben.

Vielmehr liegt es nahe, dass die Antragsgegnerin wie von der Antragstellerin dargetan die technischen Daten der Produkte der Beigeladenen übernommen hat. Es wäre der Antragsgegnerin zuzumuten, Gegenteiliges konkret darzutun. Indessen trägt die Antragsgegnerin hierzu abgesehen von dem unergiebigen Verweis auf die Förderrichtlinie nichts vor. Die Antragsgegnerin behauptet auch nicht, dass es am Markt Fabrikate anderer Hersteller als der Beigeladenen gäbe, die die umfangreichen Spezifikationen erfüllen könnten (vgl. zur Darlegungslast OLG München, Beschl. v. 26. März 2020, Verg 22/19 – Touch-Displays, juris Rn. 130).

Die produktspezifischen Vorgaben sind unzulässig. Der einzige Grund, den die Antragsgegnerin zur Rechtfertigung der detaillierten technischen Vorgaben anführt, ist die Anlage 2 zur Förderrichtlinie. Aus dieser ergibt sich aber keine Notwendigkeit für derart detaillierte technische Anforderungen. Noch weniger lässt sich aus der Anlage 2 zur Förderrichtlinie das Erfordernis ableiten, gerade die Produkte der Beigeladenen zu beschaffen.

4. Zu keinem Erfolg führt der Einwand der Antragsgegnerin, die Entscheidung der Vergabekammer sei schon deshalb aufzuheben, weil Ziffer 2 des Tenors auf das Fortbestehen der Beschaffungsabsicht abstelle. Der Sinn der Ausführungen, selbst bei Unwirksamkeit des Vertrags sei die Beschaffungsabsicht entfallen, weil es dann ein „faktisches Austauschverhältnis auf der Basis des Bereicherungsrechts“ gebe, erschließt sich nicht. Die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags führt notwendigerweise zu dessen Rückabwicklung, also zum Ausbau und zur Rückgabe der Geräte. Damit lebt der Beschaffungsbedarf wieder auf.

5. Unbehelflich ist der Vortrag der Antragsgegnerin, wegen der Länge des Verfahrens vor der Vergabekammer werde der Rechtsschutz „geradezu pervertiert“, wenn nunmehr noch der Vertrag für unwirksam erklärt werde. Die Rechtsfolge ergibt sich zwingend aus § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Dass die Antragsgegnerin weder eine Bekanntmachung nach § 135 Abs. 3 GWB noch nach § 135 Abs. 2 Satz 2 GWB veröffentlicht und dennoch sofort nach Zuschlagserteilung mit der Durchführung des Vertrags begonnen hat, fällt allein in ihre Risikosphäre.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2, § 71 GWB. Danach hat die unterlegende Antragsgegnerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Ferner entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen Antragsgegnerin auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen. Die Beigeladene hat im Beschwerdeverfahren keine Anträge gestellt und schriftsätzlich nur erklärt, den Ausführungen der Antragsgegnerin als Beschwerdeführerin sei nichts hinzuzufügen. Es besteht damit kein Anlass, ihr einen Teil der Kosten bzw. der notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen.

Die Kostenentscheidung der Vergabekammer lässt (Ermessens-) Fehler nicht erkennen, § 182 Abs. 3 Satz 5, Abs. 4 GWB.

7. Gemäß § 50 Abs. 2 GKG war der Streitwert auf bis zu 25.000,00 € festzusetzen.

Der Streitwert im Verfahren über die Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer beträgt nach § 50 Abs. 2 GKG fünf Prozent der Bruttoauftragssumme. Dabei ist regelmäßig auf die Summe des Angebots abzustellen, das der Antragsteller eingereicht hat, da er mit dem Nachprüfungsantrag seine Chance auf den Auftrag wahren will (BGH, Beschl. v. 18. März 2014, X ZB 12/13, juris Rn. 7; BayObLG, Beschl. v. 5. August 2022, Verg 7/22, juris Rn. 11; OLG München, Beschl. v. 21. Oktober 2019, Verg 13/19, juris Rn. 75).

Dr. Heinrichsmeier

Willner

von Geldern-Crispendorf

Verkündet am 26.04.2023

xxx Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle