1. Vergabekammer des Bundes, Az.: VK1-67/23, Beschluss vom 28.08.2023 – Interimsvergabe einer Rahmenvereinbarung: Unterschreitung des maßgeblichen Schwellenwertes für soziale Dienstleistungen

Aug 28, 2023 | Nachrichten, Rechtsprechung

1. Vergabekammer des Bundes  
VK1-67/23 
 
Beschluss 
 
In dem Nachprüfungsverfahren 
 
  
[…]  
– Antragstellerin – 
 
Verfahrensbevollmächtigte:  
 
[…] 
   
 
gegen  
 
 
   
 […]  
– Antragsgegnerin – 
   
[…] 
– Beigeladene –  
   
Verfahrensbevollmächtigte:  
 
[…] 
 
 
wegen der Vergabe „Interimsvereinbarung Druck- und Kuvertierdienstleistungen“, Referenznummer […], hat die 1. Vergabekammer des Bundes durch den Vorsitzenden Direktor beim Bundeskartellamt Behrens, die hauptamtliche Beisitzerin Leitende Regierungsdirektorin Brauer und den ehrenamtlichen Beisitzer Barth nach Lage der Akten am 28. August 2023 beschlossen: 
 
 
 
 
 
 
1. Der Nachprüfungsantrag wird verworfen.  
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen. 
3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladene war notwendig. 
 
 
Gründe: 
I. 
1. Die Antragsgegnerin, eine […] Krankenkasse, führt seit Mai 2023 ein europaweites offenes Verfahren zur Vergabe einer Rahmenvereinbarung Druck- und Kuvertierdienstleistungen, Referenznummer […], EU-Bekanntmachung […]. Leistungsgegenstand ist der zentrale Druck der elektronischen Ausgangspost der Antragsgegnerin mit Kuvertierung einschließlich Bereitstellung des Materials und Übergabe an die Zustelldienste der Antragsgegnerin. Der bisherige Dienstleistungsvertrag endet mit Ablauf des 31. August 2023. Die Antragstellerin, die Bestandsauftragnehmerin ist, gab ein Angebot ab, ebenso wie die Beigeladene. Der Zuschlag soll nach Wertung der eingegangenen Angebote an die Beigeladene ergehen. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 17. Juli 2023 beantragte die Antragstellerin bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens, das derzeit unter dem Aktenzeichen VK1-57/23 geführt wird.  
 
Während des laufenden Nachprüfungsverfahrens führte die Antragsgegnerin auf der Basis der dortigen Vergabeunterlagen ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 VgV zum Abschluss einer Interimsvereinbarung beginnend am 1. September 2023, längstens bis zum 30. November 2023, zur Sicherstellung des ursprünglichen Ausführungsbeginns durch. Sie schloss mit der Beigeladenen am 25. Juli 2023 einen Vertrag und veröffentlichte dies mit ex-post-Bekanntmachung im EU-Amtsblatt am 4. August 2023. Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 8. August 2023 nach 
Kenntnisnahme der ex-post-Bekanntmachung die Vergabe ohne Wettbewerb. Die 
Antragsgegnerin hielt ihre Entscheidung aufrecht. 
 
2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 9. August 2023 beantragte die Antragstellerin bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am selben Tag übermittelt. 
 
a) Der Nachprüfungsantrag ist nach Auffassung der Antragstellerin zulässig. Der EU-
Schwellenwert gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 GWB von 215.000 € sei bei einer dreimonatigen Laufzeit des Vertrags überschritten. Die relevanten Dienstleistungen umfassten Druck- und Kuvertierleistungen. Diese seien nicht als soziale oder andere 
Dienstleistungen privilegiert. Der erhöhte EU-Schwellenwert in Höhe von 750.000 € komme nicht zur Anwendung. Die ausgeschriebenen Dienstleistungen stellten keine Dienstleistungen im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung dar. Dienstleistungen im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung seien nur solche, die aufgrund ihrer Natur eine begrenzte grenzüberschreitende Dimension aufwiesen, wobei hierunter insbesondere personenbezogene Dienstleistungen im Sozialbereich fielen. Für Krankenkassen könnten zwar die Sozialleistungen im Sinne des § 2 SGB V solche privilegierten Leistungen darstellen. Jedoch fielen die vorliegend zu beschaffenden Druck- und Kuvertierleistungen nicht darunter. Die abgefragten Leistungen seien weder spezielle personenbezogene Dienstleistungen, wie etwa im Bereich der Pflege oder Bildung, noch würden sie in einem besonderen Kontext erbracht, der sich aufgrund unterschiedlicher kultureller Traditionen in den einzelnen Mitgliedsstaaten stark unterschiedlich darstelle. Auch gebe es keine originäre deutsche Druckkultur. Auch sei dazu in der Vergabeakte nichts ausgeführt worden. Reine Dienstleistungen, die in der Realisierung eines Sozialleistungsanspruchs dienen oder auch Dienstleistungen, die die infrastrukturellen Rahmenbedingungen für die Sozialleistungspflichten gewährleisten sollen, schieden aus dem Anwendungsbereich der Privilegierung aus. Sachnäher sei hier vielmehr der CPV-Code 7980000 Druckereidienste und verbundene 
Dienstleistungen des Druckgewerbes. Aus der hierarchischen Struktur der Nomenklatur 
(Erwägungsgrund 119) folge, dass stets der sachnächste CPV-Code anzunehmen sei.  
Es handele sich vorliegend auch nicht um Dienstleistungen der Sozialversicherung (7500000-6). Auf diesen CPV-Code dürfe schon nicht zurückgegriffen werden, da dieser lediglich die Abteilung definiere und hierbei höchstens als Auffangtatbestand für den Fall, dass keine anderen CPV-Codes sachnäher beziehungsweise einschlägig seien, herangezogen werden dürfe.  
Der mit der Beigeladenen geschlossene Vertrag sei gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 sowie 
Nr. 1 GWB unwirksam. Die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne 
Teilnahmewettbewerb mit nur einem Unternehmen unter Verzicht auf die EUAuftragsbekanntmachung sei unzulässig und durch die Vergabekammer für nichtig zu erklären. Es lägen keine dringlichen und zwingenden Gründe im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV vor, die die Einhaltung der Mindestfristen des offenen Verfahrens nicht zuließen. Verzögerungen, wie die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens seien regelmäßig dem öffentlichen Auftraggeber zuzurechnen und daher auch vorhersehbar. Hier sei die Dringlichkeit selbst verschuldet, da das ursprüngliche Verfahren nicht mit der nötigen Vorlaufzeit eingeleitet worden sei.  
Vorliegend sei auf ein notwendiges Mindestmaß an Wettbewerb unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft verzichtet worden. Um effektiven Rechtsschutz zu gewähren, sei der Antragsgegnerin aufzugeben, keine Leistungen aus dem geschlossenen Vertrag abzurufen.  
Die Antragstellerin beantragt über ihre Verfahrensbevollmächtigten, 
1. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Bieterrechten aus § 97 Abs. 6 GWB 
verletzt ist, 
2. festzustellen, dass der am 25. Juli 2023 geschlossene Vertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen unwirksam ist, 
3. der Antragsgegnerin mit der Zustellung des Nachprüfungsantrages aufzugeben, bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Nachprüfungsverfahrens die Leistung aus dem hier streitgegenständlichen Interimsvertrag nicht abrufen zu dürfen, 
4. der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakte sowie die Verfahrensakte zu gewähren,  
5. die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin gemäß § 182 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären, 
6. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen. 
 
b) Die Antragsgegnerin beantragt, 
1. die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen, 
2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. 
Der Interimsauftrag habe Dienstleistungen im Rahmen der Sozialversicherung sowie administrative Dienste im Gesundheitswesen zum Gegenstand. Der Auftragswert überschreite hier nicht den einschlägigen Schwellenwert.  
Der Nachprüfungsantrag sei ferner unbegründet. Die Voraussetzungen nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb lägen vor. Aus äußerst dringlichen und zwingenden Gründen habe ein auf die Mindestfristen verkürztes offenes Verfahren nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens VK1-57/23 am 17. Juli 2023 nicht durchgeführt werden können. Ohne die Sicherstellung der Druck- und Kuvertierdienstleistungen drohe ein nicht wiedergutzumachender Schaden für die gesundheitliche und existenzielle/finanzielle Daseinsvorsorge der Versicherten der Antragsgegnerin. Gegenstand der bis zu 60.000 Schreiben täglich seien in erster Linie Themen zum Versicherungsstatus (Versicherungsbestätigungen, Beitragsbescheide etc.) sowie Bescheide über beantragte Leistungen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung und die dazugehörige Korrespondenz. Ohne geklärten Versicherungsschutz könnten die Versicherten bei Krankheit keinen 
Versicherungsschutz in Anspruch nehmen oder müssten die Kosten selbst tragen.   
Die Dringlichkeitssituation sei für die Antragstellerin nicht voraussehbar gewesen, die Umstände nicht ihrem Verhalten zuzurechnen. Es liege nicht in ihrem Einwirkungsbereich, ob ein Bieter einen Nachprüfungsantrag stelle. Aufgrund der äußersten Dringlichkeit habe sie von einer Vergabe im Wettbewerb absehen dürfen. Für die Leistungserbringung gemäß Leistungsbeschreibung (nunmehr im Vollfarbdruck) ab 1. September 2023 sei ausschließlich die Beigeladene in Betracht gekommen. Sie habe sich im Rahmen der Ausschreibung gegen die Angebote der übrigen Bieter wirtschaftlich durchsetzen können. Sie benötige weniger Umrüstzeit auf den ausgeschriebenen Vollfarbdruck als die Antragstellerin. Von der Einbeziehung weiterer Bieter sei abgesehen worden, da eine detaillierte Prüfung der angebotenen Leistung bisher nicht erfolgt sei.  
 
c) Mit Beschluss vom 11. August 2023 wurde die Beigeladene zum Verfahren hinzugezogen. Diese beantragt über ihre Verfahrensbevollmächtigten, 
1. den Nachprüfungsantrag und den Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen zurückzuweisen, 
2. der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der Rechtsverfolgungskosten aufzuerlegen,  
3. gemäß § 182 Abs. 4 GWB auszusprechen, dass die Hinzuziehung der anwaltlichen Bevollmächtigten der Beigeladene notwendig war. 
Der Nachprüfungsantrag sei nicht statthaft. Der maßgebliche Schwellenwert werde durch den dreimonatigen Auftrag nicht erreicht. Die Produktion, Kuvertierung und Einlieferung der Korrespondenz (überwiegend) mit ihren Versicherten und Ärzten, die an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmen, sei angesichts des Umstands, dass die Antragsgegnerin eine gesetzliche Krankenversicherung sei, eine „Dienstleistung der gesetzlichen Sozialversicherung“ im Sinne des CPV-Codes 75300000-9 und gehöre nach CPV-Code 7500000-6 zu den sozialen und besonderen Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU. Entscheidend sei, dass der Auftragnehmer der ausgeschriebenen Leistung für die Antragsgegnerin auf Basis des Auftrags eine Leistung erbringe, die zum Aufgabenkreis der Antragsgegnerin als Sozialversicherungsträger gehöre. Die Korrespondenz mit ihren Versicherten und den Ärzten sei untrennbarer Teil der Sozialversicherungsaufgaben der Antragsgegnerin. Produktion, Kuvertierung und Einlieferung gehörten daher ebenso zu den Dienstleistungen der gesetzlichen Sozialversicherung, wie wenn die Antragsgegnerin diese Leistungen selbst ausführen würde. Dass die Antragsgegnerin den Auftragsgegenstand mit anderen CPV-Codes bezeichnet hat, führe zu keinem anderen Ergebnis. Maßgeblich sei, welchem CPV-Code die Leistung objektiv zuzurechnen sei. Es handele sich um eine reine Ordnungsvorgabe, der grundsätzlich keine bieterschützende Wirkung zukomme. Dies führe auch die EU-Kommission in ihrer 
„Anleitung zum gemeinsamen Vokabular für öffentliche Aufträge (CPV)“ aus. Ein unzutreffender Code ändere nicht den objektiven Charakter der Leistung.  
Im Übrigen fehle der Antragstellerin auch die Antragsbefugnis, denn sie sei nach dem Vergabevermerk nicht in der Lage, den Interimsauftrag kurzfristig auszuführen. Der Nachprüfungsantrag sei zudem unbegründet. Der an die Beigeladene erteilte Auftrag sein nicht gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GWB unwirksam. Die Vergabe im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb sei für die Interims-Laufzeit zulässig. Die Voraussetzungen für eine Dringlichkeitsvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV lägen vor. Die Gründe der Dringlichkeit seien der Antragsgegnerin nicht zuzurechnen. Die vorgeschriebenen (verkürzten) Mindestfristen im regulären Verfahren seien nicht einzuhalten gewesen. Die Laufzeit ginge nicht über das hinaus, was für eine vorübergehende Bedarfsdeckung notwendig sei. Eine willkürliche Bevorzugung der Beigeladene läge nicht vor, die Antragsgegnerin habe sachliche Gründe für ihre Vorgehensweise vorgelegt. 
 
Die Vergabekammer hat der Antragstellerin und der Beigeladenen Einsicht in die Vergabeakten gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren.  
Wegen Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags ergeht die Entscheidung gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3, 2. Alt. GWB nach Lage der Akten. Den Verfahrensbeteiligten wurde vor dieser 
Entscheidung im Rahmen einer mündlichen Anhörung am 17. August 2023 sowie mit Schriftsatzfrist bis zum 21. August 2023 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. 
Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen. 
 
II. 
Der vierte Teil des GWB ist vorliegend gemäß § 106 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 GWB, § 130 Abs. 1 GWB in Verbindung mit Art. 4 lit. d) und Art. 74 der Richtlinie 2014/24/EU mangels Erreichens des einschlägigen Schwellenwerts nicht anwendbar. Die Vergabe des Interimsvertrags durch die Antragsgegnerin unterliegt nicht nach § 155 GWB der Nachprüfung durch die Vergabekammern. 
Der Nachprüfungsantrag ist mangels Statthaftigkeit zu verwerfen.  
Der Inhalt der hier ausgeschriebenen Dienstleistungen, die Auslagerung der Aufgaben der Antragsgegnerin im Hinblick auf den Druck/Kuvertierung der schriftlichen Kommunikation mit ihren Versicherten und Leistungserbringern nach SGB V einschließlich Übergabe an die Zustelldienste der Antragsgegnerin unterfällt der Privilegierung gemäß § 130 Abs. 1 GWB in Verbindung mit Art. 4 lit. d) und Art. 74 der Richtlinie 2014/24/EU. Diese stellen in der zu entscheidenden Fallkonstellation soziale Dienstleistungen im Rahmen der Tätigkeit der gesetzlichen Krankenkassen dar. Der Auftragswert unterschreitet den danach anzuwendenden Schwellenwert von 750.000 € netto deutlich. Der 4. Teil des GWB ist nicht anwendbar. 
a) Die Antragsgegnerin unterfällt in ihrem originären Tätigkeitsfeld – nämlich der Gewährleistung der gesetzlichen Krankenversicherung für ihre Versicherten gemäß 
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung – dem Begriff der sozialen und anderen besondere Dienstleistungen gemäß § 130 Abs. 1 GWB. Zwar weist § 130 Abs. 1 GWB keine ausdrückliche und eindeutige Definition der sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen auf. Er verweist wie Art. 74 der Richtlinie 2014/24/EU auf Anhang XIV der Richtlinie. Nach den dort aufgeführten CPV-Codes fallen Tätigkeiten der 
Antragsgegnerin unter CPV-Code 75300000-9 „Dienstleistungen im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung“, hier wiederum unter Unterpunkt 75311000-9 “Krankenkassenleistungen“. Unter diesen CPV-Code ist die Tätigkeit der Antragsgegnerin zu subsumieren. Als regionale gesetzliche Krankenversicherung sind ihre Leistungen gegenüber den Versicherten (und den Leistungserbringern) von der Privilegierung nach Art. 74 sowie Anhang XIV bei Unterschreiten des Schwellenwerts erfasst. Eine weitere Prüfung – wie die Antragstellerin meint – dahingehend, ob die Privilegierung nur bei bestimmten personenbezogenen Dienstleistungen im Gesundheitssektor oder solchen im besonderen kulturellen Kontext gegeben ist, ist an dieser Stelle nicht vorzunehmen.  
Das ergibt sich aus Folgendem: Bei den Erwägungsgründen 114 ff. der Richtlinie 2014/24/EU handelt es sich um die Gründe für die Privilegierung der verschiedenen CPV-Codes. So basiert die Privilegierung der in Anhang XIV aufgeführten Dienstleistungskategorien nach dem EU-Richtliniengeber auf der Vorstellung, dass bestimmte Dienstleistungskategorien aufgrund ihrer Natur lediglich eine begrenzte grenzüberschreitende Dimension haben. Hierunter fallen insbesondere die dort genannten personenbezogenen Dienstleistungen, wie etwa Dienstleistungen im Sozial-, im Gesundheits- und im Bildungsbereich (vgl. Erwägungsgrund 114 Absatz 1 der Richtlinie 2014/24/EU). Ebenso zählen dazu bestimmte ortsgebundene Dienstleistungen, die ebenfalls eine begrenzte grenzüberschreitende Dimension aufweisen (beispielsweise Verpflegungsdienste, Dienstleistungen von Kantinen, vgl. Erwägungsgrund 115 ff. sowie Gesetzesbegründung Bundestags-Drucksache 367/15, Seite 135 f.). Diese sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen sind nach EU-Recht erleichterten Beschaffungsregeln bis zum Erreichen des Schwellenwerts unterworfen. Im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung gilt dies im speziellen nur, soweit die Dienstleistungen überhaupt in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie und des GWB fallen. So ist die Vergaberichtlinie schon nicht anwendbar, wenn sie als nicht-wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse organisiert werden (vgl. Gesetzesbegründung Bundestags-Drucksache 367/15, Seite 136).  
Eine zusätzliche Prüfung im Sinne von „Tatbestandsmerkmalen“ der Privilegierung nach Erwägungsgründen 114 ff. der Richtlinie ist im jeweiligen CPV-Code jedoch nicht vorzunehmen. Zu prüfen ist allerdings, ob sich der zu vergebende Auftrag noch im Kontext des originären Tätigkeitsfelds der „Krankenkassenleistung“ bewegt oder ob es sich beispielsweise um die Beschaffung von nicht „sozialen und anderen besonderen“ Dienstleistungen im Sinne des § 130 Abs. 1 GWB handelt (dazu nachfolgend). 
b) Der im Rahmen der Interimsvergabe konkret ausgeschriebene Auftrag von Druck- und Kuvertierdienstleistungen stellt einen Auftrag gemäß § 130 Abs. 1 GWB dar, der im Sinne des Anhangs XIV soziale und andere besondere Dienstleistungen betrifft. Der Begriff der sozialen Dienstleistung ist für die Feststellung der vergaberechtlichen Privilegierung grundsätzlich im konkreten Einzelfall anhand der CPV-Codes des Anhangs XIV der Richtlinie zu bestimmen. Der Begriff der sozialen Dienstleistung ist – angesichts der sehr unterschiedlichen in Anhang XIV aufgeführten Kategorien (auch im Hinblick auf die „anderen besonderen Dienstleistungen“) – grundsätzlich weit auszulegen und findet seine Begrenzung in der CPV-Nomenklatur, unter der sich der konkrete Sachverhalt beziehungsweise die konkret zu vergebende Dienstleistung subsumieren lassen muss (vgl. Jansen in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Auflage 2020, § 130 Rn. 7; Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, 2016, § 130 Rn. 17).  
Die hier in Rede stehenden Druck- und Kuvertierdienstleistungen sind dem vergaberechtlich relevanten Bereich sozialer Dienstleistungen der Antragsgegnerin zuzurechnen. Dem steht nicht entgegen, dass Druck- und Kuvertierdienstleistungen auch selbstständige Dienstleistungen (79810000 Druckereidienste, 79823000 Dienstleistungen im Bereich Druck) darstellen können und damit über eigene CPV-Codes abbildbar sind. Die ausgeschriebenen Leistungen dienen vorliegend der Auslagerung der sozialrechtlichen Aufgaben der Antragsgegnerin in Form der Ausgangskorrespondenz mit Versicherten und Leistungserbringern. Inhaltlich entspricht die Dienstleistung der administrativen Abwicklung der schriftlichen Kommunikation der Antragsgegnerin im Rahmen der von ihr geschuldeten Leistungen nach § 2 SGB V und der Kommunikation mit den Leistungserbringern nach §§ 
69 ff. SGB V. Gegenstand der auszudruckenden Schreiben sind nach Angaben der 
Antragsgegnerin in erster Linie Themen des Versicherungsstatus 
(Versicherungsbestätigungen, Beitragsbescheide etc.) sowie Bescheide über beantragte Leistungen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung und die dazugehörige Korrespondenz (siehe Seite 3 der Antragserwiderung vom 15. August 2023; entspricht Seite 3 des Vergabevermerks). Dafür, dass es sich hier um eine Verlagerung eigener Aufgaben der Antragsgegnerin im Rahmen der Krankenkassendienstleistung handelt, spricht auch, dass die Abwicklung des Auftrags einer hohen Vertraulichkeit hinsichtlich der enthaltenen Sozialdaten unterliegt. Die Auftragnehmer der ausgeschriebenen Leistungen müssen ein entsprechend hohes Datenschutzniveau einhalten und dies im Rahmen der Ausschreibung vertraglich zusichern.  
Im übrigen weisen die hier ausgeschriebenen Dienstleistungen auch den der Privilegierung zugrunde liegenden Aspekt der lediglich begrenzten grenzüberschreitenden Dimension der 
Dienstleistungen, so das Begriffsverständnis der „anderen besonderen Dienstleistungen“ nach Anhang XIV, auf. Dies spiegelt sich in der Ausschreibungskonzeption wider. So erfolgt die dezentrale Übergabe der vom Dienstleister fertiggestellten und kuvertierten Ausgangspost der Antragsgegnerin an fünf verschiedene Übergabestellen der Postdienste der Antragsgegnerin (die ihrerseits der Privilegierung nach Anhang XIV unterfallen) in deren regionalen Vertragsgebiet. Die Dienstleistung ist im engen zeitlichen Rahmen (Datenerhalt bis 7.00 Uhr, Einlieferung der fertigen Briefe bis 16.00 Uhr am selben Tag) auszuführen, um die vertraglichen Zustellzeiten der Briefe (im Wesentlichen E+0, das heißt Zustellung der Briefe am nächsten Tag beim Versicherten) zu gewährleisten. Die Dienstleistungen selbst weisen damit einen ortsgebundenen Charakter auf, wie er in Erwägungsgrund 114 der Richtlinie hervorgehoben wird.  
c) Unschädlich ist die nicht korrekte Bezeichnung des CPV-Codes durch die Antragsgegnerin in EU-Bekanntmachung der Vergabe des Interimsvertrags. Grundsätzlich hat der öffentliche Auftraggeber den betreffenden Auftrag sowohl durch eine CPV-Nummer sowie zusätzlich mithilfe einer verbalen Beschreibung zu kategorisieren. In der „Anleitung zum Gemeinsamen Vokabular für öffentliche Aufträge (CPV)“ der Europäischen Kommission ist geregelt, dass der öffentliche Auftraggeber versuchen „sollte“, „einen Code zu finden, der möglichst genau mit seinem Bedarf übereinstimmt“ (siehe Ziffer 6.2, Seite 10). Unter diesen Voraussetzungen ist die Vergabe eines öffentlichen Auftrags für jeden durchschnittlichen Bieter europaweit auffindbar (siehe zum Zweck des Gemeinsamen Vokabulars i.S.d. Verordnung (EG) Nr. 213/2008 insbesondere den vierten Erwägungsgrund der Vorgänger-Verordnung (EG) Nr. 2195/2002, ABl. EG 2002 Nr. L 340, S. 1). Bei der Vorgabe der EU-Kommission handelt es sich mithin um eine Ordnungsvorgabe, die ein öffentlicher Auftraggeber möglichst einhalten soll (vgl. VK Bund, VK1 – 8/14, Beschluss vom 5. März 2014). Eine Änderung des objektiven Charakters einer Leistung tritt durch einen unzutreffenden Code aber nicht ein. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass angesichts der Komplexität des Gemeinsamen Vokabulars die Zuordnung eines öffentlichen Auftrags zu einem bestimmten Code – wie hier – häufig schwierig ist und aufgrund der Überschneidungen mehrdeutige Bezeichnungen nicht auszuschließen sind. 
 
d) Aufgrund der fehlenden Statthaftigkeit des Nachprüfungsantrags kann keine Anordnung gemäß § 169 Abs. 3 GWB ergehen. 
 
III. 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, 2, 4 GWB i.V.m. 
§ 80 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 VwVfG.  
Die Antragstellerin hat sich mit ihrem Nachprüfungsantrag ausdrücklich, bewusst und gewollt in einen Interessengegensatz zur Beigeladenen gestellt, da sie ihren Antrag darauf stützt, dass der mit ihr abgeschlossene Vertrag gemäß § 135 GWB unwirksam sei. In einem solchen Fall entspricht es der Billigkeit i.S.d. § 182 Abs. 4 S. 2 GWB, der unterliegenden Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen der Beigeladenen aufzuerlegen, weil sich diese aktiv durch die Stellung von Anträgen und deren Begründung am Nachprüfungsverfahren beteiligt und damit ein Kostenrisiko auf sich genommen hat (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Juni 2014, VII-Verg 41/13). 
Hierüber hinaus war die Zuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter durch die Beigeladene notwendig, um die erforderliche „Waffengleichheit“ gegenüber der anwaltlich vertretenen 
Antragstellerin herzustellen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2019, VII-Verg 55/18). 
 
IV. 
 
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf – Vergabesenat – einzulegen.  
 
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. 
 
Die Beschwerde ist bei Gericht als elektronisches Dokument einzureichen. Dieses muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Dies gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind. Ist die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.  
 
Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt. 
 
Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, so kann das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern. 
 
 
Der Vorsitzende Behrens ist wegen Ortsabwesenheit an der Unterschrift gehindert. 
 
   
   
Brauer Brauer