2. Vergabekammer des Bundes, Az.: VK2-64/23, Beschluss vom 11.08.2023 – Keine Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB, wenn das eigentliche Interesse des Antragstellers nicht auf Erhalt des streitgegenständlichen Interimsauftrags gerichtet ist, sondern auf Verhinderung einer zu späten Vergabe des Hauptauftrags; Rechtsmittelverzicht im Nachprüfungsverfahren

Aug 11, 2023 | Nachrichten, Rechtsprechung

2. Vergabekammer des Bundes 
VK 2 – 64/23 
Beschluss 
 
In dem Nachprüfungsverfahren der  
 
[…]  
 
 
– Antragstellerin – 
 
Verfahrensbevollmächtigte: 
 
[…] 
   
gegen 
 
 
[…]  
 
 
– Antragsgegnerin – 
   
   
 
 
 
wegen der […], hat die 2. Vergabekammer des Bundes durch […] schriftlichen Verfahren am 11. 
August 2023 beschlossen: 
 
1. Der Nachprüfungsantrag wird verworfen. 
 
2. Der Antrag der Antragstellerin auf Akteneinsicht wird zurückgewiesen.  
   
Gründe: 
I. 
1. Mit europaweiter Auftragsbekanntmachung vom […] hat die Antragsgegnerin (Ag) den 
o.g. Interimsvertrag zur Beschaffung von Leistungen der […] mit Auftragsbeginn ab dem 1. September 2023 für eine Laufzeit von 16 Monaten im beschleunigten Verhandlungsverfahren bekannt gemacht. Als Option sieht die Auftragsbekanntmachung eine bis zu viermalige Verlängerung um jeweils sechs Monate unter Beibehaltung des gleichen Leistungsumfangs vor. […] Unter III.2. Teilnahmebedingungen werden diverse Eignungsanforderungen vorgegeben.  
 
Die Antragstellerin (ASt) reichte keinen Teilnahmeantrag ein. Gegenüber der Ag rügte sie das Vergabeverfahren insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer zu langen Dauer der Interimsvergabe bei Einbeziehung der Verlängerungsoptionen. Es fehle an einem sachlichen Grund für eine viermalige Verlängerungsoption, da davon ausgegangen werden könne, dass der am […] europaweit bekannt gemachte Hauptauftrag zum 1. Januar 2025 vergeben werden könne. Falls dem nicht so sein sollte, so sei die Ag verpflichtet, eine wettbewerbliche Interimsvergabe ab 1. Januar 2025 durchzuführen, denn zu diesem Zeitpunkt werde Wettbewerb bestehen, der aber durch Verlängerungen des Interimsauftrags auf Basis der Optionen vereitelt werde. In Bezug auf den am […] bekannt gemachten […]-Auftrag mit einer Laufzeit von 10,5 Jahren ab dem 1. Juli 2023 liege eine unzulässige Doppelausschreibung vor; dieser Vertrag werde durch die Interimsvergabe entwertet. Aufgrund der extrem hohen Eignungsanforderungen käme nur der Bestandsdienstleister in Betracht. Trotz scheinbar wettbewerblicher Beschaffung werde der Bieterwettbewerb faktisch ausgeschlossen.   
 
Im Nachprüfungsverfahren VK2-44/23, in dem die ASt ihre gegen  das Vergabeverfahren zum ausgeschriebenen Hauptauftrag erhobenen Rügen verfolgt hat, haben Ag und ASt in der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2023 einen Vergleich geschlossen. Die Ag hat danach insoweit Abhilfe erklärt, als sie die Angebotsfrist im besagten Vergabeverfahren bis zum 21. November 2023 zugesagt hat. Die ASt hat sich u.a. verpflichtet, keinen Nachprüfungsantrag in Bezug auf eine anstehende Interimsvergabe zu stellen, ferner den dortigen Nachprüfungsantrag zurückgenommen. 
 
2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 27. Juli 2023 stellte die ASt einen Nachprüfungsantrag. 
 
a) Die ASt hält den Nachprüfungsantrag für zulässig, insbesondere sei die Antragsbefugnis, an deren Vorliegen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine hohen Anforderungen zu stellen seien, gegeben. Ihr Auftragsinteresse habe die ASt durch die Rüge dokumentiert. Aufgrund der Historie der Beschaffungen von […] seit 2006 habe die ASt die berechtigte Sorge, dass die Ag alle Optionen ziehen werde und ein Auftragnehmer des Hauptauftrages erst ab 1. Januar 2027 die Leistung werde erbringen dürfen.  
 
Das Rechtsschutzbedürfnis sei trotz der Protokollerklärung der ASt im vorangehenden Nachprüfungsverfahren wegen der […] (VK 2-44/23), wonach die ASt sich verpflichtet habe, eine anstehende Interimsvergabe nicht anzugreifen, gegeben, denn diese Erklärung sei als conditio sine qua non an eine feste Laufzeit des Interimsvertrags bis 31. Dezember 2023 geknüpft gewesen. Die jetzige Gesamtlaufzeit des Vertrags von bis zu 40 Monaten, an der die ASt nicht teilnehmen könne, sei durch die Protokollerklärung nicht gedeckt gewesen.   
 
In der Sache sei die Gesamtlaufzeit des Interimsvertrags unzulässig lang, verstoße gegen das Verbot der Doppelvergabe und stehe in Widerspruch zu dem bei der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung am 20. Juni 2023 im Verfahren VK 2-44/23 gefundenen Konsens zur Laufzeit der Interimsvergabe. Sollte der 10-jährige Hauptauftrag nicht bis zum 31. Dezember 2024 vergeben werden können, so müsse die Ag eine neue, wettbewerbliche Interimsvergabe durchführen; zu diesem Zeitpunkt könnten voraussichtlich mehrere Auftragsinteressenten die Voraussetzungen für eine Teilnahme erfüllen. Für den Zeitraum 1. Januar 2025 bis 31. Dezember 2026 läge bereits ein Beschaffungsvorgang vor gemäß EU-Auftragsbekanntmachung […]; da die Leistung nur einmal vergeben und erbracht werden könne, liege ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelausschreibung vor. Faktisch finde kein Interimswettbewerb statt, denn nur der Vertragshalter sei in der Lage, die hohen und diskriminierenden Eignungsanforderungen, welche die ASt im Einzelnen aufzählt, zu bedienen, andere Unternehmen könnten dies nicht einmal im Ansatz. Faktisch handle es sich um einen Direktauftrag im Gewand einer wettbewerblichen Beschaffung. Wettbewerbshindernd wirke sich auch die kurze Teilnahmefrist von zehn Tagen aus.  
 
Zum rechtlichen Hinweis der Vergabekammer vom 7. August 2023, mit dem das Auftragsinteresse der ASt und damit deren Antragsbefugnis in Abrede gestellt wird, trägt die ASt vertiefend zur Antragsbefugnis vor. Die ASt habe einen Rechtsanspruch auf wettbewerbliche Interimsvergabe spätestens ab 1. Januar 2025, denn spätestens zu diesem Zeitpunkt werde die ASt den Bedarf der Ag decken können und sei – wenn nicht sogar viel früher – die Vergabe des Hauptauftrags abgeschlossen. Die ASt habe keine andere Möglichkeit als die Verlängerungsoptionen jetzt zur Überprüfung zu stellen, denn die Aktivierung der Optionen müsse nicht ausgeschrieben werden. Die Kontrollüberlegung einer Festlaufzeit von 3,5 oder 5 Jahren zeige, dass die Vergabekammer der ASt die Antragsbefugnis zu Unrecht abspreche, denn nach der Auffassung der Vergabekammer sei die ASt mangels Leistungsfähigkeit zum 1. September 2023 auch in diesem eklatant vergaberechtswidrigen Fall nicht antragsbefugt. Eine unverhältnismäßig lange Interimszeit könne sich nachhaltig auf die Vergabe des Hauptauftrags zum 1. Januar 2023 auswirken. Gegen eine verzögerte Vergabe des Hauptauftrags habe die ASt keine rechtliche Handhabe, denn Verzögerungen könnten mannigfaltige Gründe haben: Sachliche Gründe wie eine Nachprüfung oder aber eben keine sachlichen Gründe wie selbst verschuldete Verzögerungen infolge der Anpassung von Vergabeunterlagen. Selbstverschuldete Gründe habe es in der Vergangenheit zuhauf gegeben, wie der Vergabekammer aus den vorangegangenen Nachprüfungsverfahren bekannt sei. Die ASt müsse derartige Verzögerungen bzgl. des Hauptauftrags dann klaglos hinnehmen, auch die Vergabekammer habe dann keine Möglichkeit, die Ag zu einer effizienten Verfahrensführung zu bewegen, wenn diese sich als Herrin des Verfahrens auf das Vorliegen sachlicher Gründe, ihr Leistungsbestimmungsrecht, etc. berufen würde, die sie an einer Zuschlagsentscheidung hindern würden. Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2004 sei hinzuweisen, wonach § 160 Abs. 2 GWB so ausgelegt werden müsse, dass es effektiven Rechtsschutz gebe. Der Hinweis der Vergabekammer auf die fehlende Leistungsfähigkeit der ASt zum 1. September 2023 trage daher nicht. Die verschärften Eignungsanforderungen, die sie gerügt habe, verunmöglichten der ASt eine Teilnahme.  
  
Die ASt beantragt: 
1. Der Ag wird untersagt, in dem mit EU-Auftragsbekanntmachung […] eingeleiteten Vergabeverfahren einen Zuschlag unter Einbeziehung der in Ziff. II.2.2) der EU-Auftragsbekanntmachung enthaltenen Optionen einer bis zu viermaligen Verlängerung des Interimsvertrags um jeweils sechs Monate zu erteilen. 
2. Der ASt wird Akteneinsicht gemäß § 165 Abs. 1 GWB gewährt. 
3. Die Ag trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der ASt. 
4. Die Hinzuziehung der anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten der ASt wird für notwendig erklärt. 
 
b) Die Ag beantragt: 
1. Der Nachprüfungsantrag wird kostenpflichtig zurückgewiesen. 
2. Der ASt wird nur eingeschränkt Akteneinsicht gewährt. 
 
Der Nachprüfungsantrag sei teilweise unzulässig. Die kontinuierliche Leistungserbringung werde insbesondere […] zwingend benötigt. Da die Hauptvergabe, die Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens VK 2-44/23 gewesen sei, nicht unmittelbar bevorstehe, sei eine weitere Interimsvergabe erforderlich. Die ASt sei nicht in der Lage, die Leistung ab 1. September 2023 zu erbringen. Sie benötige bis 21. November 2023 Zeit, um überhaupt ein indikatives Angebot legen zu können. Sie verfüge nicht über die […] Erlaubnisse, die erforderlich seien, und auch nicht über die sächlichen und personellen Mittel, insbesondere nicht über […]. Eine Rechtsverletzung der ASt komme nur ab dem Zeitpunkt in Betracht, ab dem die Interimsvergabe noch laufe trotz Leistungsfähigkeit der ASt. In der mündlichen Verhandlung am 20. Juni 2023 im Nachprüfungsverfahren VK 2-44/23 sei gerade nicht auf eine bestimmte Laufzeit der Interimsvergabe abgestellt worden; für die Ag sei gerade die durchgängige Leistungserbringung Bedingung für einen Einigung gewesen. Unzulässig sei der Nachprüfungsantrag daher wegen mangelnder Leistungsfähigkeit und wegen der Erklärung im Protokoll zur Verhandlung am 20. Juni 2023, keinen Nachprüfungsantrag gegen eine Interimsvergabe zu stellen.  
 
In der Sache sei die Dauer des Interimsvertrags angemessen und berücksichtige die im Hauptvertrag vorgesehene Rüstzeit von 15 Monaten nach Zuschlag, welche gerade Newcomern eine Teilnahme ermöglichen solle. Der Hauptauftrag werde mutmaßlich Mitte 2024 erteilt; die Angebotsfrist laufe noch bis zum 21. November 2023. Mit Zuschlag beziehe die Ag jedoch noch keine Leistung; die Rüstzeit von vier Monaten, in denen der Vertragspartner noch keine Leistungen erbringen müsse, sei gerade geschaffen worden, um neuen Marktteilnehmern gleiche Chancen einzuräumen wie dem Bestandsdienstleister, der diese Rüstzeit nicht benötige. Erst nach 15 Monaten habe die Ag einen Anspruch auf den vollen Leistungsumfang. Auch diese Rüstzeit müsse abgedeckt werden mit dem Interimsauftrag, der mit flexiblem Abruf als Rahmenvereinbarung ausgestaltet sei und ein außerordentliches Kündigungsrecht vorsehe, sobald die volle Leistungsbereitschaft im Hauptvertrag hergestellt sei. Die Ausübung der Optionen sei im Vertrag an die Bedingung geknüpft, dass aus der Hauptvergabe die vollen Leistungen noch nicht bezogen werden könnten. Mit den Verlängerungsoptionen wolle die Ag einen Puffer schaffen für denkbare weitere Eventualitäten wie Leistungslücken in der Rüstzeitphase, zusätzliche Rüstzeit, Fristverlängerungsanträge von Bietern bzw. Rügen und Nachprüfungsanträge oder aber nicht auszuschließende Anpassungen der Vergabeunterlagen im Verhandlungsverfahren. An kurzen und immer wieder neuen Interimsvergaben als Alternative zur Verlängerungsoption bestehe erfahrungsgemäß ein geringes Interesse der Unternehmen, gerade von Unternehmen, die ihre Leistungsfähigkeit erst herstellen müssten. Auch die Ag werde durch wiederholte Interimsvergaben belastet.  
 
Durch die Eignungsvorgaben sei die ASt nicht beschwert. Diese seien aber deswegen schärfer als bei der Hauptvergabe, weil die kurze Vorlaufzeit bis zum Beginn des Interimsvertrags eine Rüstzeit nicht zulasse. Die Ag legt für die einzelnen, von der ASt beanstandeten Eignungsvorgaben dar, aus welchen Gründen diese erforderlich seien, aber noch Wettbewerb – z.B. mit Unternehmen aus anderen europäischen Ländern – zuließen. Es gäbe entgegen der Annahme der ASt Unternehmen neben dem Bestandsdienstleister, welche die Eignungsvorgaben direkt erfüllen bzw. übererfüllen könnten, welche die Ag der Vergabekammer gegenüber namentlich offen benannt hat, diese Angaben aber gegenüber der ASt unter Hinweis auf § 165 Abs. 2 GWB geschwärzt hat.  
 
Mit Schreiben vom 11. August 2023 hat die Ag ferner die Vorabgestattung des Zuschlags gemäß § 169 Abs. 2 GWB beantragt. 
 
3. Die Vergabekammer hat die Verfahrensbeteiligten mit rechtlichem Hinweis vom 7. August 2023 von der vorläufigen Rechtsauffassung dahin informiert, dass der ASt das Auftragsinteresse und damit die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB fehle. Die ASt ist dieser Auffassung mit Schriftsatz vom 9. August 2023 entgegengetreten. Mit Verfügung vom 10. August 2023 hat die Vergabekammer den Termin zur mündlichen Verhandlung unter neuerlicher Darlegung einer Begründung aufgehoben. Die Vergabekammer hat von der nach § 166 Abs. 1 S. 3, 2. Alt. GWB eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden. Auf die ausgetauschten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.      
 
II. 
Das Nachprüfungsverfahren ist zwar grundsätzlich eröffnet, denn es handelt sich um einen der Bundesrepublik zuzurechnenden Auftrag mit einem Auftragswert oberhalb der für die EU-weite Vergabe relevanten Auftragsschwellenwerte §§ 98, 99 Nr. 1, § 103 Abs. 1, 4, § 159 Nr. 1 GWB. 
Der ASt fehlt es indes an der individuellen Zulässigkeitsvoraussetzung der Antragsbefugnis, § 160 Abs. 2 GWB:  
 
Selbstverständlich ist die ASt ganz grundsätzlich daran interessiert, Dienstleistungen der […] zu erbringen. Zu betrachten ist indes bei der vorliegenden Leistung, die kontinuierlich und dauerhaft benötigt wird, der zeitliche Abschnitt des streitgegenständlichen Interimsvertrags. Auch wenn die ASt ein allgemeines wirtschaftliches Interesse hat, die Leistung auch im Zeitabschnitt beginnend mit dem 1. September 2023 auszuführen, so reicht dies in rechtlicher Hinsicht nicht für das im Rahmen der Antragsbefugnis vorausgesetzte Auftragsinteresse, § 160 Abs. 2 S. 1 GWB. Ein Antragsteller muss, um antragsbefugt zu sein, auch in der Lage sein, den Auftrag auszuführen, zumindest darf dies nicht gänzlich ausgeschlossen sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Juni 2021 – Verg 43/20 zu einem Sachverhalt, in dem der dortige Antragsteller seine Befähigung, den streitgegenständlichen Auftrag auszuführen, nicht darlegen konnte und daher nicht antragsbefugt war; vgl. a. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. August 2021 – Verg 52/20, wonach ein „objektiv feststellbares wirtschaftliches Interesse des antragstellenden Unternehmens gerade an dem konkreten Auftrag“ vorliegen muss). Vorliegend ist die ASt erst dabei, ihre Leistungsfähigkeit herzustellen und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Teilnahme am Wettbewerb um den 10-jährigen Hauptauftrag zu schaffen, der am […] bekannt gemacht wurde. Im Nachprüfungsverfahren VK 2-44/23, das die ASt in Bezug auf diesen Hauptauftrag initiiert hatte, war das Anliegen der ASt, eine deutlich verlängerte Angebotsfrist zu erreichen, um die Voraussetzungen für die Auftragsdurchführung zu schaffen, z.B. das […], und damit die Basis für eine Angebotskalkulation überhaupt erst schaffen zu können. Bereits in diesem Verfahren hat die ASt deutlich gemacht, dass sie die Voraussetzungen für eine Teilnahme am Wettbewerb um einen im Hinblick auf die erstrebte und von der Ag im Vergleich vom 20. Juni 2023 zugesagte Verlängerung der Angebotsfrist erforderlichen Interimsauftrag nicht rechtzeitig erfüllen kann. Aus diesem Grund hat sich die ASt im Rahmen des zwischen Ag und ASt am 20. Juni 2023 geschlossenen Vergleichs dazu verpflichtet, keinen Nachprüfungsantrag gegen eine Interimsvergabe zu stellen. Der Vortrag der ASt ist an dieser Stelle widersprüchlich, wenn sie einerseits – im Verfahren VK 2-44/23 – eine Angebotsfristverlängerung bis zum 21. November 2023 begehrt (und auch erhält) für einen Auftrag, der eigentlich am 1. Juli 2023 hätte beginnen sollen, andererseits nun aber darlegt, sich am Interimswettbewerb für den am 1.September 2023 wegen zu strenger Eignungsvorgaben nicht beteiligen zu können. Auch wenn ein Vortrag im Nachprüfungsverfahren für § 160 Abs. 2 GWB ausreicht, kein Angebot bzw. keinen Teilnahmeantrag eingereicht zu haben, weil gerade vergaberechtswidrige Vorgaben dies verunmöglicht hätten, so wäre hier die Teilnahme der ASt am Wettbewerb um den Interimsauftrag auch unabhängig von den Eignungsvorgaben nicht möglich mangels sächlicher und persönlicher Ressourcen. Daher hat die ASt auch unabhängig von den geltend gemachten Vergabefehlern kein Auftragsinteresse im dargelegten Sinn, denn ihr würden die Ressourcen auch bei anderen Eignungsvoraussetzungen fehlen.  
 
Das eigentliche Interesse der ASt am vorliegenden Auftrag liegt vielmehr darin, einen aus ihrer Sicht verspäteten Beginn des Hauptauftrags zu verhindern. Die Antragsbefugnis setzt allerdings ebenfalls voraus, dass das Interesse auf den Erhalt des Auftrags im Sinne einer Zuschlagserteilung gerichtet ist; auf eine Verschlechterung der Zuschlagschance ist auch der ebenfalls in § 160 Abs. 2 GWB geforderte Schaden bezogen. Das Interesse am Hauptauftrag mit seinen zeitlichen Abläufen kann somit das Auftragsinteresse am streitgegenständlichen Interimsauftrag nicht substituieren; das Auftragsinteresse muss, s. OLG Düsseldorf vom 18. August 2021, a.a.O., gerade auf den konkreten, also streitgegenständlichen Auftrag gerichtet sein. Wenn die ASt vorträgt, ab dem 1. Januar 2025 Interesse an dem Interimsauftrag zu haben und dann auch leistungsfähig zu sein, so ist ein derartiger Auftrag mit Beginn zum 1. Januar 2025 nicht auf dem Markt und es ist auch offen, ob es einen solchen Interimsauftrag jemals geben wird, egal ob über eine Verlängerungsoption oder gesondert bekannt gemacht, denn die Ag ist bestrebt, den 10-jährigen Hauptauftrag zu vergeben. Die ASt kann nicht einen Auftrag, auf den sie sich derzeit nicht bewerben kann, über ein Nachprüfungsverfahren jetzt ändern wollen, ohne dann aber am Wettbewerb um diesen Auftrag überhaupt teilzunehmen zu können.  
 
Die ASt ist infolge der Verneinung der Antragsbefugnis nicht rechtsschutzlos gestellt. Sie kann den Hauptauftrag angreifen, in Bezug auf den die ASt ohne Probleme antragsbefugt ist, denn sie hat am diesbezüglichen Vergabewettbewerb erfolgreich teilgenommen und wurde zur Angebotsabgabe aufgefordert. Die ASt ist mit ihrem Anliegen – möglichst zeitnahe Vergabe des Hauptauftrags – somit nicht rechtsschutzlos gestellt, sondern antragsbefugt, eventuelle Vergabefehler in einem Nachprüfungsverfahren zur Überprüfung zu stellen. Wenn die ASt meint, mit einem Nachprüfungsantrag, gerichtet auf zügige Durchführung des Hauptauftragsvergabeverfahrens könne sie in der Sache keinen Erfolg haben, da Einlassungen der Ag bzgl. der Gründe für Verzögerungen kaum erfolgreich im Nachprüfungsverfahren zu entkräften wären, so setzt die ASt den Zugang zum Rechtsschutz gleich mit der Begründetheit eines Nachprüfungsantrags. Die ASt hat Zugang zum Rechtsschutz bzgl. des Hauptauftrags; ob ein zukünftiger Nachprüfungsantrag erfolgreich bzw. begründet sein könnte, kann naturgemäß derzeit nicht beurteilt werden und ist auch irrelevant, da es nur um den Zugang zum Rechtsschutz gehen kann, der davon zu trennen ist, ob ein Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Begründetheit erfolgreich ist. Rechtsschutz ist nicht nur dann gegeben, wenn dieser in der Sache begründet ist, sondern wenn die zuständigen Überprüfungsinstanzen das vorgesehene Verfahren durchführen können, ein Nachprüfungsverfahren mithin überhaupt statthaft ist.  
 
Auf den im Verfahren VK 2-44/23 protokollierten Verzicht der ASt auf Nachprüfungsanträge gegen die Interimsvergabe und dessen Auswirkung auf die Zulässigkeit des vorliegenden Nachprüfungsantrags kommt es bei dieser Sachlage zwar nicht mehr an. Ergänzend anzumerken ist insoweit aber, dass dieser Rechtsmittelverzicht entgegen der Darlegung der ASt an keine Bedingung bezüglich der Interimsvergabe, insbesondere bezüglich der Laufzeit, geknüpft war; eine solche ist weder protokolliert noch wurde Derartiges in der Verhandlung diskutiert. Bedingungen hat die ASt dort lediglich in Bezug auf den Hauptauftrag aufgestellt.  
 
Richtig ist dennoch, dass es keine Bindung an einen zuvor erklärten Rechtsmittelverzicht geben kann, wenn die Gegenseite, hier die Ag, ein Modell für den Interimsvertrag aufstellt, das dem Rechtsmittelverzicht gleichsam die Geschäftsgrundlage entzieht und es unvereinbar mit Treu und Glauben wäre, die andere Partei, hier die ASt, an dem Verzicht festzuhalten. Ein solcher Fall liegt indes nicht vor. Die Grundlaufzeit des Interimsvertrags bis Ende 2024 ist Konsens mit der ASt. Die Ag hat die Verlängerungsoptionen höchst vorsorglich vorgesehen und will diese nur aktivieren, wenn es aus den von ihr dargelegten Gründen nicht zum Abschluss des Hauptvertrags kommen kann. Hinzu kommt die Abdeckung der Rüstphase nach Abschluss des Hauptvertrags, falls ein Newcomer Wettbewerbsgewinner sein sollte und nicht direkt zur Leistungserbringung in der Lage ist.  Nur für diese Fälle hat die Ag die Variante der Verlängerungsoptionen anstelle neuer Interimsausschreibungen wie die ASt sie alternativ begehrt gewählt. Das ist in der Sache schlüssig und nachvollziehbar und die ASt hat keinen Anspruch darauf, dass die Ag genau das von der ASt begehrte Modell neuer Interimsausschreibungen wählt. Nach den Erkenntnissen der Vergabekammer, die sich aus nunmehr drei abgeschlossenen Nachprüfungsverfahren der ASt zur […] speisen (VK2-64/22, VK2-80/22, VK2-44/23), ist es bei realistischer Betrachtung angesichts der erforderlichen sächlichen und personellen Voraussetzungen sowie der Genehmigungslage schwierig, diesen Auftrag für ein kurzes Zeitfenster von etwa einem halben Jahr zu vergeben. Die Überlegungen der Ag überzeugen daher auch in der Sache, so dass nach Auffassung der Vergabekammer kein Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage für den Rechtsmittelverzicht vorliegt und das Modell nach vorläufiger Einschätzung auch in der Sache nicht zu beanstanden sein dürfte.  
Selbst wenn man eine Antragsbefugnis zugunsten der ASt insofern unterstellte, dass die ASt erst während der von der Ag avisierten Optionszeiträume ab Januar 2025 leistungsfähig zur Durchführung der Interimsleistungen würde, wogegen sie nicht mehr mit einem Nachprüfungsantrag, gerichtet gegen das Interims-Vergabeverfahren, vorgehen könnte, wenn der Interimsauftrag samt 
Optionen jetzt erteilt würde, fehlte ihr somit wegen des von ihr im Vergleich vom 20. Juni 2023 zugesagten Verzichts auf weitere Nachprüfungsanträge gegen die Interimsvergabe das Rechtsschutzbedürfnis. 
 
Da der Nachprüfungsantrag unzulässig ist, erhält die ASt keine Akteneinsicht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. April 2023, VII-Verg 27/22 sub II.3). 
 
III. 
Die Kostenentscheidung bleibt im Hinblick auf den mit Schriftsatz der Ag vom 11. August 2023 gestellten Antrag nach § 169 Abs. 2 GWB vor dem Hintergrund des § 169 Abs. 2 S. 6 bis 9 GWB einem gesonderten Beschluss vorbehalten. 
IV. 
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf – Vergabesenat – einzulegen.  
 
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. 
 
Die Beschwerde ist bei Gericht als elektronisches Dokument einzureichen. Dieses muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Dies gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind. Ist die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.  
 
Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt. 
 
Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, so kann das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern. 
 
 
 
 
   
   
[…] […]