Vergabekammer Niedersachsen, Az.: VgK-31/2023, Beschluss vom 14.11.2023 – Dienstleistung für die Digitalisierung des Posteingangs, Rügen zu den erkennbaren angeblichen Fehlern der Bekanntmachung und der Vergabeunterlagen

Nov 14, 2023 | Nachrichten, Rechtsprechung

Vergabekammer Niedersachsen beim
Niedersächsischen Ministerium für
Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung
Auf der Hude 2
21339 Lüneburg

Az.: VgK-31/2023

Lüneburg, den 14.11.2023

Schlagworte:

Die Antragstellerin ist mit weiten Teilen ihres Vortrags ausgeschlossen, weil sie Rügen zu den erkennbaren angeblichen Fehlern der Bekanntmachung und der Vergabeunterlagen nicht bis zum Ablauf der Angebotsabgabefrist erhoben hat. Der Begriff der Erkennbarkeit ist weiter als der Begriff der Erkenntnis. Die Antragstellerin hat erstmals nach Erhalt der Bieterinformation eine Rüge erhoben. Damit stehen ihr nur noch Rügen zur Wertung und deren Ergebnis offen, ergänzt um die Informationen, die sie erst während des Nachprüfungsverfahrens erhält, z.B. im Rahmen der Akteneinsicht. Die Vergabekammer folgt damit auch dem Beschluss der VK Baden-Württemberg (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.04.2021, 1 VK 3/21), die den Antragsteller verpflichtet, im Nachprüfungsverfahren konstruktiv zu den eigenen Angebotschancen vorzutragen. Demnach entfällt die Antragsbefugnis, wenn eine Antragstellerin nicht vorträgt, wie sie ihr Angebot anders strukturiert hätte, wenn sie die Gewichtung der Unterkriterien gekannt hätte. Es fehlt dem Angebot ersichtlich an einer Chancenverschlechterung, so dass sie sich nicht mit Erfolg auf einen Vergabeverstoß berufen kann. Diese Sichtweise schützt die Rügepräklusion in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Nr. 3 GWB gegen Versuche, sie mit dem Argument der fehlenden Erkennbarkeit zu unterlaufen.

Für die Antragstellerin war bereits in der Angebotsphase objektiv erkennbar, dass die Wertung des Konzeptes mit den Abstufungen 400, 200, 100 Punkte gerade bei der wettbewerblich relevanten Wertung guter Angebote steil abfällt. Der Antragsgegner hat eine bei linearer Staffelung zu erwartende Kategorie von 300 Punkten wegfallen lassen. Der Antragstellerin musste angesichts der Gewichtung mit 40 % daher bei angemessener Sorgfalt in der Angebotserstellung bewusst sein, dass ein Angebot, das von der Mehrheit der Bewerter hier nur die zweitbeste Note erhält, geringe Chancen auf den Zuschlag hätte. Diese Gestaltung wäre bei einer Preiswertung unzulässig, weil die Wertung nicht der Steigerung der Wirtschaftlichkeit folgt. Ob eine Abweichung von der linear gestaffelten Wertung bei der Qualitätswertung zulässig sein kann, ist wegen der Präklusion hier allerdings nicht zu entscheiden.

Der Antragsgegner hat mit seinen Ausführungen zu den Inhalten des geforderten Konzepts trotz erheblicher Nähe zu den Inhalten des § 58 Abs. 2 VgV keine Unterkriterien festgelegt, weil die Liste der Inhalte nicht abschließend ist. Das OLG Celle hat dem öffentlichen Auftraggeber mit dem gesetzlich nicht normierten Tatbestand einer abschließenden Auflistung Spiel[1]raum eingeräumt.

 

Vergabekammer Niedersachsen beim

Niedersächsischen Ministerium für

Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung

Auf der Hude 2

21339 Lüneburg

Az.: VgK-31/2023

Lüneburg, den 14.11.2023

B e s c h l u s s

In dem Nachprüfungsverfahren

der xxxxxx,

Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,

– Antragstellerin –

gegen

das xxxxxx,

– Antragsgegner –

beigeladen:

xxxxxx,

– Beigeladene –

wegen

Beschaffung der Dienstleistung für die Digitalisierung des Posteingangs xxxxxx hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden RD Gaus, den hauptamtlichen Beisitzer Dipl.-Sozialwirt Tiede und die ehrenamtliche Beisitzerin M. A. Kehl auf die mündliche Verhandlung vom 08.11.2023 beschlossen:

  1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten werden auf xxxxxx € festgesetzt.
  3. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen der Vergabekammer) zu tragen.

 

I.

Der Antragsgegner hat mit EU-Bekanntmachung vom xxxxxx.2023 die Dienstleistung für die Digitalisierung des Posteingangs xxxxxx im offenen Verfahren ausgeschrieben.

Gemäß Ziffer II.2.7) beträgt die Laufzeit des Vertrages 24 Monate, sowie optional zwei einseitige Vertragsverlängerungen durch den Auftraggeber zu jeweils höchstens 12 weiteren Monaten. Für die gesamte Vertragslaufzeit besteht eine Preisbindung.

Gemäß Ziffer III.2.2) ist zur Erstellung des Angebots eine Vor-Ort-Besichtigung durchzuführen.

Diese Besichtigung ist zwingend vorgeschrieben.

Nach Ziffer 1.15 des Allgemeinen Teils der Leistungsbeschreibung (Teil A) gilt:

Zur Erstellung des Angebots ist eine Vor-Ort-Besichtigung durchzuführen. Diese Besichtigung ist zwingend vorgeschrieben. […]

Die Besichtigung und die Einreichung der Besichtigungsbestätigung sind unabdingbare

Voraussetzungen für eine etwaige Beauftragung. Der Bieter hat im Rahmen der Vor-Ort-Besichtigung alle für sein Angebot relevanten Teilbereiche zu besichtigen. Wird ein Angebot unterbreitet, ohne die dazugehörige, vollständig ausgefüllte Teilnahmebestätigung über die Vor-Ort-Besichtigung, führt dies zum Ausschluss des Angebots. Die Ortsbesichtigung ist Grundlage für die Bildung des Preises. Die Teilnahmebestätigung ist mit dem Angebot einzureichen. […]

Für die Erstellung des Angebotes gilt nach Ziffer 1.6 der Leistungsbeschreibung (Teil A):

[…] Von der Wertung ausgeschlossen werden Angebote von Unternehmern, die die Eignungskriterien […] nicht erfüllen […].

Bei den in den Leistungsbeschreibungen aufgeführten Anforderungen handelt es sich um Mindestanforderungen und somit um Ausschlusskriterien, soweit sich aus den Unterlagen nichts anderes ergibt. Sämtliche dieser Mindestanforderungen müssen vom Bieter zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe erfüllt werden. Bei Nichterfüllung von nur einer Mindestanforderung wird das Angebot gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV zwingend von der Wertung ausgeschlossen.

Gemäß Ziffer II.2.5) sind die Zuschlagskriterien:

  • das Qualitätskriterium „Umsetzung“ mit einer Gewichtung von 70
  • und der Preis mit einer Gewichtung von 30

Nach Ziffer 1.18 des Allgemeinen Teils der Leistungsbeschreibung (Teil A) ist mit dem Angebot ein Konzept zur Umsetzung der Leistung einzureichen. Dabei ist auf folgende Bereiche einzugehen:

  • Vorgehen bei der Durchführung,
  • Zeitplan,
  • Umfang und Zusammensetzung des Teams,
  • Qualifikation des eingesetzten Personals,
  • Gewährleistung der Einhaltung des Zeitplans,
  • Support Prozesse,
  • Qualitätssicherungs- und Verbesserungsprozesse/-management.

Die Zuschlagkriterien werden wie folgt beschrieben und dargestellt:

Gemäß Ziffer 6 der Bewerbungsbedingungen gilt für Nachunternehmen:

Beabsichtigt der Bieter, Teile der Leistung von anderen Unternehmen ausführen zu lassen […], so muss er die hierfür vorgesehenen Leistungen/Kapazitäten in seinem Angebot benennen. Der Bieter hat auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle zu einem von ihr bestimmten Zeitpunkt nachzuweisen, dass ihm die erforderlichen Kapazitäten der anderen Unternehmen zur Verfügung stehen und diese Unternehmen geeignet sind.

Er hat den Namen, den gesetzlichen Vertreter sowie die Kontaktdaten dieser Unternehmen anzugeben und entsprechende Verpflichtungserklärungen dieser Unternehmen vorzulegen. […]

Mit Informationsschreiben nach § 134 GWB vom 22.09.2023 teilte der Antragsgegner mit, dass der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden soll. Das Angebot der Antragstellerin könne nicht bezuschlagt werden, da es nicht das wirtschaftlichste sei. Zum Kriterium Preis habe sie zwar mehr Punkte als der obsiegende Bieter erhalten, beim Qualitätskriterium „Umsetzung“ seien 500 Punkte von 700 Punkten und damit in Summe Platz 2 erreicht worden.

Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 28.09.2023 das Ergebnis der vorgenommenen Angebotswertung, die Erfüllung der Anforderungen an die Vorabinformation sowie weitere erhebliche Vergabeverstöße. Das Angebot der Zuschlagsprätendentin sei auszuschließen und die Angebotswertung unter ordnungsgemäßen Wertungskriterien vorzunehmen.

Die benannten Unterkriterien könnten keinen transparenten isolierten Gewichtungsfaktoren zugeführt werden. Welche Punkte für die einzelnen Unterkriterien vergeben worden seien, gehe weder aus der Bewertungsmatrix noch aus der Vorabinformation im erforderlichen Maße transparent hervor.

Es fehle zudem an einer ordnungsgemäßen Mitteilung nach § 134 GWB. Aufgrund des Fehlens einer einheitlichen Begründung sei es nicht möglich festzustellen, welches die tragfähigen Gründe für eine Minderbepunktung seien und ob diese eventuell in einem Nachprüfungsverfahren angegriffen werden könnten.

Ferner hinterlasse die durchgeführte Angebotswertung den Verdacht, dass die Zuschlagsprätendentin an der Erstellung der Vergabeunterlagen mitgewirkt habe („Projektant“) und dies zu einer Verzerrung des wettbewerblichen Vergabeverfahrens geführt habe.

Das durchgeführte Vergabeverfahren verstoße gegen das wettbewerbliche Gleichbehandlungsgebot, da erkennbar sei, dass der Auftraggeber den Auftrag mit dem bereits bestehenden Dienstleister fortführen möchte. Im Besonderen der Inhalt des Vorabinformationsschreiben sei in sich nicht konsistent und lasse auf erhebliche Bewertungsdefizite schließen.

Zudem verstoße das Vergabeverfahren aufgrund der Ausgestaltung seiner Anforderungen gegen das Transparenzgebot. Nach dem Informationsschreiben seien an die Wertung des Angebots der Antragstellerin Anforderungen gestellt worden, die nicht in der Ausschreibung bekannt gemacht worden seien.

Ferner verfüge die Beigeladene nicht über die technische Leistungsfähigkeit und notwendige Erfahrung. Es werde bezweifelt, dass die Erklärungen/Nachweise zu den Nachunternehmen form- und fristgerecht vorgelegen haben bzw. die entsprechend notwendige Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit geprüft und positiv durch den Antragsgegner bestätigt worden seien. Es würden außerdem Zweifel bestehen, ob die Beigeladene als derzeitige Dienstleisterin an der verpflichtend vorgegebenen Ortsbesichtigung teilgenommen habe.

Es lasse sich ferner eine unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien feststellen. Auch die Anforderung hinsichtlich der Verfügbarkeit von Projektmitarbeitern bei fehlender Konkretisierung sei unzumutbar und somit unzulässig.

Am 02.10.2023 reichte die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag ein. Dieser sei sowohl

zulässig als auch begründet.

Die Angebotswertung sei vergaberechtswidrig erfolgt. Zudem seien mehrere erhebliche

Vergabeverstöße verwirklicht.

Die veröffentlichte Bewertungsmatrix weise unter „Konzept“ mehrere Unterkriterien auf, die nicht transparent einem isolierten Gewichtungsfaktor zugeführt worden seien. Welche Punkte für die einzelnen Unterkriterien vergeben worden seien, gehe weder aus der Bewertungsmatrix noch aus der Vorabinformation im erforderlichen Maße transparent hervor. Zudem sei die Bildung einer Durchschnittsnote der einzelnen Bewertungsmitglieder unzulässig. Vielmehr hätte eine „einheitliche“ Bewertung durch den Auftraggeber erfolgen müssen. Diesbezüglich werde auch angezweifelt, dass auf Basis der Einzelbewertungen eine Durchschnittsnote ermittelt wurde. Die Ausführungen zu Begründung 1 „Die in der Leistungsbeschreibung vorgegebenen Anforderungen werden u.E. befriedigend dargelegt.“ würden unklar lassen, wie mit „ungeraden“ Erfüllungsgraden umgegangen werde. Welche Wertungsentscheidung würde vorliegen, wenn Mitglied 1 ein „sehr gut“ vergibt, Mitglied 2 ein „gut“ und Mitglied 3 auch ein „gut“. Zudem werde nicht transparent ausgewiesen, für welchen Fall ein „sehr gut“ und für welchen Fall ein „befriedigend“ vergeben werde. Bei beiden Einstufungen werde in der Wertungsmatrix definiert, dass eine „lückenlose Abdeckung“ Voraussetzung sei. Gleichfalls werde bei beiden Einstufungen auf „praktische Erfahrungswerte“ abgestellt, ohne dass eine notwendige Differenzierung erfolge.

Ferner ermögliche das Informationsschreiben keine ausreichende konkrete Nachprüfung der Angebotswertung. Aufgrund des Fehlens einer einheitlichen Begründung sei es nicht möglich festzustellen, welches die tragfähigen Gründe für eine Minderbepunktung seien. Es würden drei verschiedene Begründungen abgebildet, dabei sei nicht klar, welcher der verschiedenen Begründungsansätze den entscheidenden Vorzug bei der Bildung der Note gegeben habe und welcher intern zurückgewiesen worden sei.

Es bestehe zudem der Verdacht, dass die Beigeladene als derzeitige Leistungserbringerin an der Erstellung der Vergabeunterlagen mitgewirkt habe, denn die Vergabeunterlagen hätten Anforderungen enthalten, die unüblich und speziell seien. Einzelne Arbeitsschritte in einer solchen Detailtiefe auszuformulieren sei nur einem Unternehmen möglich, das bereits mit der Leistung betraut sei. Diese Ausgestaltung der Wertungskriterien habe die Beigeladene erheblich bevorzugt und die Antragstellerin dementsprechend benachteiligt. Konkret würden auch die in den Unterlagen geforderten Zertifizierungen hinsichtlich der im Rahmen der Posteingangsbearbeitung nach dem xxxxxx schützenswerten Daten nicht den üblichen Standards entsprechen.

Nach den in der Ausschreibung geforderten Zertifizierungen (DIN ISO 27001; PS 951) sei die Erstellung eines Betriebsführungshandbuches (BFH) verpflichtend. Zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe könne jedoch nur der bestehende Dienstleister über ein solches BFH verfügen, was diesen bei der Darstellung der Prozesse im Konzept bevorteile, denn genau in diesem BFH werden die Prozesse der in der Bewertungsmatrix geforderten „besondere(n) inhaltliche(n) Tiefe und/oder praktische(n) Erfahrungswerte“ dargestellt. Die Bewertungsmatrix bevorzuge auch in der Wertung den bestehenden Dienstleister, denn der Punkteabstand zwischen der Bestwertung und der zweitbesten Wertung von 200 Punkten sei doppelt so hoch, wie der Abstand zwischen den anderen Stufen. Hier könne nur der bisherige Dienstleister durch die spezifischen Erfahrungen in der Auftragsabwicklung in der Lage sein, im Konzept die Anforderungen der Leistungsbeschreibung mehr als „befriedigend und lückenlos“ abzudecken. Die oberste Wertungsstufe diene dem Zweck, die auszuschreibende Leistung wieder an den bereits beauftragten Bieter zu vergeben, ohne dass außenstehenden Bietern eine realistische Chance eingeräumt werde.

Entsprechend sei auch die Anforderung der Einreichung eines Nachweises über Tier-3-zertifizerte Rechenzentrumsleistungen so speziell und unüblich, dass sich der Verdacht aufdränge, dass die Angebotsunterlagen auf einen konkreten Bieter bzw. dessen Verhältnisse zugeschnitten worden seien.

Auch ohne den Nachweis des Vorliegens einer Projektantenstellung könne ein Verstoß gegen das wettbewerbliche Gleichbehandlungsgebot gesehen werden. So werde zum Beispiel bei der Bewertung das Konzept der Antragstellerin einerseits gelobt, andererseits werde danach kritisiert, dass nicht auf die exakten Arbeitsbedingungen des Auftraggebers eingegangen werde. Gleiches gelte für die Bewertung des Migrationskonzeptes.

Es verstoße gegen das Transparenzgebot, wenn nach dem Informationsschreiben an die Wertung des Angebots der Antragstellerin Anforderungen gestellt worden seien, die bislang nicht in der Ausschreibung bekannt gemacht worden seien. Nach dem Informationsschreiben wird entsprechend ausgeführt:

Es ist jedoch nicht sonderlich detailliert in seinen Beschreibungen. Es handelt sich mehr um generelle Ausführungen zum Scanprozess ohne wirklich in die Tiefe zu gehen oder konkret Bezug zu nehmen auf den Auftraggeber. Stellenweise werden lediglich die in der Ausschreibung genannten Anforderungen wiedergegeben.“

Zudem werde die fehlende technische Leistungsfähigkeit der Beigeladenen gerügt, demnach wäre diese vom Verfahren auszuschließen gewesen. Es werde bezweifelt, dass die Beigeladene die notwendigen Referenzen habe erbringen können, da sie selbst nicht über entsprechende Transportmöglichkeiten verfüge. Ferner werde bezweifelt, dass die Beigeladene die notwendigen Nachunternehmer- und Eignungsleiheerklärungen mit den notwendigen Verpflichtungserklärungen abgegeben habe, zumindest hätten diese nicht fristgerecht vorgelegen. Sofern die Nachunternehmererklärung nicht bereits mit Angebotsabgabe vorlag, könne diese auch im Nachgang nicht mehr nachgefordert werden, denn sie stehe der Nachforderung nach § 56 Abs. 2 VgV nicht offen.

Seitens der Antragstellerin werde auch davon ausgegangen, dass die Beigeladene das nach der Bekanntmachung zwingend geforderte „Zertifikat(e) über das Sprachlevel der Ansprechperson (gemäß Ziff. 7.6 der Leistungsbeschreibung – Technischer Teil (Teil B)“ nicht bereits mit Angebotsabgabe vorgelegt habe.

Zudem blieben Zweifel, dass die Zuschlagsprätendentin als derzeitige Dienstleisterin an der verpflichtend vorgegebenen Ortsbesichtigung teilgenommen habe.

Eine unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien sei dahin gehend festzustellen, dass in der EU-Auftragsbekanntmachung unter III.1.3. als technisches Eignungskriterium gefordert werde, die verantwortlichen Projektleitungen für den Kaufmännischen, Operativen und IT-Bereich, die/den Datenschutzbeauftragte/n und die/den IT-Sicherheitsbeauftragten in einer separaten Anlage mit der Angebotsabgabe zu benennen und die uneingeschränkte Verfügbarkeit dieser ProjektmitarbeiterInnen dem Auftraggeber zugesichert werden müsse. Hierbei handele es sich nicht um Eignungskriterien, sondern um persönliche Zuschlagskriterien, die bei vertraglicher Fixierung auch einer Bewertung hätten zufließen müssen. Zudem sei die Anforderung der Verfügbarkeit von ProjektmitarbeiterInnen wegen fehlender Konkretisierung unzulässig.

Aufgrund des Umfangs und der schwierigen vergaberechtlichen sowie verfahrensrechtlichen Aspekte sei die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten notwendig.

Mit Schriftsatz vom 06.11.2023 trägt die Antragstellerin ergänzend vor, dass sie bestreite, dass es sich beim xxxxxx um die legitime prozessuale Vertretung des Auftraggebers handele. Insofern werde bezweifelt, dass es sich bei dem Schriftsatz der Gegenseite um ein prozessual relevantes Dokument bzw. um eine legitime Replik des Auftraggebers auf den gestellten Nachprüfungsantrag handele.

Dass die Zuschlagsprätendentin in unzulässiger Weise mitgewirkt habe, habe erst gerügt werden können, als die begründete Vermutung entstanden sei, dass die speziellen Anforderungen in den Vergabeunterlagen auf die Verhältnisse bei der Zuschlagsprätendentin angepasst worden seien. Diese Vermutung sei dabei weiter durch die intransparent erfolgte Angebotswertung untermauert worden. Insofern sei die Annahme einer Präklusion ab Angebotsfrist hier fernliegend.

Entgegen der Behauptung sei die Einreichung des Nachprüfungsantrags ohne ein Abwarten über die Bescheidung der Rüge geboten gewesen, da gegenüber der Antragstellerin nicht habe versichert werden können, dass nach der Entscheidung über die Rüge ein ausreichender Zeitraum verbleibe zur Entscheidung, ob diese den Nachprüfungsantrag stelle oder nicht. Da die schriftliche Zusicherung einer ausreichenden Bearbeitungsfrist, auch nach mehrmaliger telefonischer Nachfrage, nicht eingegangen sei, sei die Einreichung des Nachprüfungsantrags zur Wahrung der Bieterrechte erforderlich gewesen.

Die durch die Auftraggeberin erfolgte „Gesamtbewertung“ mit einer entsprechend mangelhaften Detailtiefe lasse die für die ausgeschriebene Leistung notwendige Erkennbarkeit bei der Beurteilung der Erfüllung der Zuschlagskriterien vermissen. Sie sei kein geeignetes Instrument, um festzustellen, welche Stärken und Schwächen die einzelnen Aspekte der eingereichten Konzepte aufweisen würden. Zudem könnten auch unproblematisch bei einer entsprechenden Bildung von gewichteten Unterkriterien hinreichend konkrete Umsetzungsvorschläge gebildet werden. Sollte sich der Auftraggeber bei der Ausschreibung nicht hinreichend über den konkreten Ablauf und die verschiedenen Aspekte der ausgewiesenen Dienstleistung bewusst gewesen sein, hätte er eine der anderen zur Verfügung stehenden Vergabearten wählen müssen.

Die wörtliche Darlegung der drei Einschätzungen der Jurymitglieder sei nicht hinreichend geeignet, die Antragstellerin die Sinnhaftigkeit der Eröffnung eines Nachprüfungsverfahrens erkennen zu lassen. Der Auftraggeber habe es versäumt, die durch die drei unterschiedlichen Bewerter durchgeführten Bewertungen zu einem kohärenten Endergebnis zusammengeführt zu haben.

Zu den übergebenen Aktenbestandteilen wird ausgeführt, dass eine unzulässige zweite Nachforderung oder auch eine unzulässige inhaltliche Nachforderung bei der Beigeladenen im Raum stehe. Zudem habe der Antragsgegner bereits am 13.09.2023, also vor der Nachforderung, das Wettbewerbsregister abgerufen. Dies spreche auch dafür, dass die Angebotswertung nicht ordnungsgemäß bzw. bereits mit einem vorab feststehenden Ergebnis durchgeführt worden sei.

Die Dokumentation der Angebotswertung würde gegen die Pflichten aus § 8 VgV verstoßen.

Die übergebenen Aktenbestandteile hätten es der Antragstellerin nicht ermöglicht, den Entscheidungsfindungsprozess, insbesondere die Wertungsentscheidung des Auftraggebers konkret nachzuvollziehen.

Die Antragstellerin beantragt,

  1. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist;
  2. dem Antragsgegner zu untersagen, den Zuschlag an die Zuschlagsprätendentin zu erteilen;
  3. den Antragsgegner zu verpflichten, den Zuschlag nur unter Berücksichtigung des Angebots der Antragstellerin zu erteilen;
  4. hilfsweise das Verfahren zurückzuversetzen oder ganzheitlich aufzuheben und unter Korrektur der Vergaberechtsfehler durchzuführen;
  5. der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakte sowie in die Verfahrensakte zu gewähren;
  6. die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin gemäß § 182 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären;
  7. dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.

Der Antragsgegner beantragt:

  1. Der Nachprüfungsantrag wird verworfen.
  2. Hilfsweise: Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
  3. Die Kosten des Nachprüfungsantrages werden der Antragstellerin auferlegt.

Der Nachprüfungsantrag sei zu verwerfen, da er sowohl unzulässig als auch unbegründet sei.

Der angebliche Verstoß sei erst nach Ende der Angebotsfrist gerügt worden. Erst nach Erhalt des Informationsschreibens sei gerügt worden, als ersichtlich gewesen sei, dass die Antragstellerin nicht den Zuschlag erhalten würde. Zudem sei der Antragsgegner nicht verpflichtet, darauf hinzuweisen, ob es sich um eine erstmalige oder eine wiederholte Vergabe handele.

Dass die Antwort der Vergabestelle vor dem Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens nicht abgewartet worden sei, verstieße schon gegen den Grundsatz der Rügeobliegenheit.

Es habe keine Gewichtung der Unterpunkte gegeben, sondern nur eine Gesamtbewertung des Konzeptes. Bei den sogenannten Unterpunkten habe es sich um Ausführungen zu den Inhalten gehandelt, die im Konzept von jedem Bieter angesprochen und detailliert zu beschreiben waren. Bei genaueren Vorgaben, hätte es sich ggf. um Eignungs- bzw. Ausschlusskriterien handeln müssen. Genauere Angaben hätten hier zu einer nicht gewollten Begrenzung des Wettbewerbes geführt. Entsprechend sei im Informationsschreiben auch keine Gewichtung von Unterkriterien erläutert worden. Der Antragsgegner habe dabei seinen Beurteilungsspielraum nicht rechtswidrig ausgenutzt, sondern der Antragstellerin durch die wörtliche Zitierung der Begründungen aller drei Bewertungen die Gesamtbewertung sehr genau mitgeteilt. Die Bildung eines Mittelwertes von mehreren unabhängig voneinander vorgenommenen Einzelbewertungen diene dabei der Objektivierung der Bewertung und sei vergaberechtlich anerkannt.

Die verwendete Formulierung „u.E.“ stehe für „unseres Erachtens“ und sei fälschlich verwendet worden.

Das Informationsschreiben habe alle Anforderungen des § 134 Abs. 1 GWB erfüllt, insbesondere die „Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung [des] Angebots“. Die wörtliche Zitierung der genauen Einzelbewertungen habe gerade der konkreten und transparenten Darstellung aller Gründe gedient, wie es zu den Einzelbewertungen gekommen sei, aus denen dann der Mittelwert gebildet worden sei.

Zudem sei nicht nachvollziehbar, inwieweit bei der Konzeptwertung außerhalb des Ausschreibungstextes liegende Anforderungen abgefragt worden seien.

Der Verdacht, die Zuschlagsprätendentin habe an der Erstellung der Vergabeunterlagen mitgewirkt, sei völlig aus der Luft gegriffen und unbegründet. Die Beigeladene habe keinerlei Einfluss darauf gehabt. Zudem seien die Angebotsunterlagen nahezu identisch mit denen der ersten Ausschreibung im Jahr 2018. Auch die Forderung nach einem Tier-3-zertifizierten Rechenzentrum sei bereits in der Ausschreibung von 2018 vorhanden gewesen. Der Vorwurf, die Angebotsunterlagen seien auf einen bestimmten Bieter zugeschnitten, sei daher haltlos und mittlerweile auch präkludiert, da die Einwände bezüglich der Anforderungen der Teile A und B der Leistungsbeschreibung nicht während der Angebotsfrist geltend gemacht worden seien.

Nachweise, dass die Anforderungen erst auffällig erschienen, als deutlich geworden sei, dass es sich nicht um eine Erstausschreibung handele, seien nicht vorgelegt worden. Als Gegenmaßnahme zum Ausgleich von Wettbewerbsvorteilen habe der Auftraggeber bewusst die Pflicht zur Vor-Ort-Besichtigung als Ausschlusskriterium vorgegeben. Eine Mitwirkung der Zuschlagsprätendentin an der Erstellung der Vergabeunterlagen werde bestritten.

Der Antragsgegner habe von der Antragstellerin als qualifiziertem Unternehmen durchaus mehr Detailtiefe erwarten können. Teil B der Leistungsbeschreibung sei auch ausführlich genug, um die Erwartungen des Antragsgegners erkennen zu können. Auf 12 von 16 Seiten sei ausgeführt worden, was alles in der Leistung beinhaltet sein soll. Dass die Beigeladene sich Mühe mit ihrem Konzept gegeben habe, könne nicht als Indiz für eine Ungleichbehandlung gewertet werden.

Auch für die Behauptung der Antragstellerin, dass die Zuschlagsprätendentin nicht leistungsfähig sei, würden keine Nachweise erbracht, sondern nur auf Branchenkenntnis verwiesen.

Die Beigeladene habe dahin gehend die notwendige Erfahrung durch die Vorlage der geforderten Referenzen bestätigt, so dass an deren Eignung keine Zweifel bestehen würden.

Hinsichtlich der Ausführungen, dass die Antragstellerin nicht im notwendigen Umfang an der geforderten Ortsbesichtigung teilgenommen habe, könne mitgeteilt werden, dass die Zuschlagsprätendentin mit Angebotsabgabe auch die Teilnahmebestätigung beigefügt habe.

Die Ausführungen bezüglich der sonstigen Rügen seien nicht substantiiert. Eine Vermischung von Ausschluss- und Bewertungskriterien habe nicht stattgefunden. Das Zurverfügungstellen von Projektmitarbeitern sei auch nicht unzumutbar, da ohne das entsprechende Personal eine Leistungserbringung nicht möglich sei.

Mit Stellungnahme vom 27.10.2023 trägt der Antragsgegner ergänzend vor, dass der geäußerte Verdacht, die geforderten Kriterien seien auf einen ganz bestimmten Bieter zugeschnitten bzw. dieser habe bei Erstellung der Vergabekriterien mitgewirkt, als unbegründet zurückzuweisen sei.

Ferner seien die geforderten Zertifizierungen nach ISO 27001 und IDW PS P51 übliche Nachweise, um das Informations-/IT-Sicherheitsmanagement sowie das dienstleistungsbezogene Kontrollsystem (IKS) eines Bieters beurteilen zu können. Durch die Zertifizierung nach ISO 27001 und IDW PS 951 erfolge eine umfassende Prüfung und Bescheinigung der Wirksamkeit einer angemessenen IKS und IT-Sicherheit, so dass sich weitere Prüfungen in den abgedeckten Bereichen i.d.R. vollständig erübrigen, die sonst durch den auslagernden Auftraggeber durchzuführen und kaum leistbar wären. Dass die Antragstellerin bereits vor Veröffentlichung der Ausschreibung über die Zertifikate verfügt habe, zeige, dass sie diese offenbar selbst für notwendig erachte und dies für die Durchführung der angebotenen Dienstleistung nicht unüblich sei.

Die Forderung nach einem Tier-3-Rechenzentrum sei berechtigt, da bei einem Ausfall das gesamte xxxxxxverfahren lahmgelegt würde. Eine Benachteiligung der Antragstellerin sei nicht nachvollziehbar, da diese selbst über solche Rechenzentren verfüge.

Auch die Vorlage eines Betriebsführungshandbuches sei nicht gefordert worden. Sofern ein Betriebsführungshandbuch (BFH) ggf. Voraussetzung für eine Zertifizierung sei, hätte dies aber keinen Bezug zu der hier ausgeschriebenen Dienstleistung.

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Vergabeakte, die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.11.2023 verwiesen.

 

II.

Der Nachprüfungsantrag ist überwiegend unzulässig, im Übrigen unbegründet. Soweit die Antragstellerin rechtlich irrelevanten bzw. falschen Sachverhalt vorträgt oder Erkenntnisquellen nicht ausschöpft, die ihr ohne großen Aufwand zur Verfügung stehen, entfällt ihre grundsätzlich bestehende Antragsbefugnis. Im Übrigen ist sie mit weiten Teilen ihres Vortrags ausgeschlossen, weil sie Rügen zu den erkennbaren angeblichen Fehlern der Bekanntmachung und der Vergabeunterlagen nicht bis zum Ablauf der Angebotsabgabefrist erhoben hat. Der Begriff der Erkennbarkeit ist weiter als der Begriff der Erkenntnis (vgl. nachfolgend zu 1). Der Antragsgegner hat mit seinen Ausführungen zu den Inhalten des geforderten Konzepts trotz erheblicher Nähe zu den Inhalten des § 58 Abs. 2 VgV keine Unterkriterien festgelegt, weil die Liste der Inhalte nicht abschließend ist (vgl. nachfolgend zu 2a). Bei der Wertung der Angebote hat der Antragsgegner das von ihm in den Vergabeunterlagen festgelegte Verfahren ordnungsgemäß umgesetzt (vgl. nachfolgend zu 2b). Die Wertungen basieren auf einer vollständigen und zutreffenden Sachverhaltsermittlung und beachten die von der Vergabestelle selbst aufgestellten Vorgaben.

1. Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig.

Die Antragstellerin weist berechtigt auf die vom Antragsgegner nicht ausreichend erläuterte Vertretungsstruktur hin, die Vertretung an der Nahtstelle zwischen Zivilrecht und Verwaltungsrecht scheint oft unklar. Der Antragsgegner ist als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 1 GWB als Gebietskörperschaft und als zivilrechtlich nach § 50 ZPO aufgefasster Antragsgegner das Land Niedersachsen.

In Verwaltungsverfahren wie dem Nachprüfungsverfahren (vgl. § 168 Abs. 3 Satz 1 GWB), richtet sich die Vertretung vor Behörden wie der Vergabekammer nach § 11 Nr. 3 VwVfG und § 79 NJG. Behörden sind eigenständige Verfahrensbeteiligte. Sie vertreten jedenfalls in Niedersachsen nicht das Land, sondern handeln im Rahmen ihrer Zuständigkeit unmittelbar für das Land. Daher sind Klagen (oder Nachprüfungsanträge) nicht gegen das Land, sondern gegen die Behörde zu richten. Die Antragstellerin hat das im Nachprüfungsantrag richtig formuliert. Bei formalen Fehlern hilft die Vergabekammer mit Umdeutungen, solange der richtige Antragsgegner zweifelsfrei erkennbar ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.06.2022, Verg 19/22, Autobahn GmbH oder Bundesrepublik als Auftraggeber).

Die zuständige Landesbehörde ist mit Außenwirkung als Behörde vor Verwaltungsbehörden wie der Vergabekammer (vgl. § 158 GWB, § 168 Abs. 3 Satz 1 GWB) vertretungsberechtigt. Das Land hat mit einem umfangreichen Vertretungserlass geregelt, welche Behörde wann zuständig ist (Vertretungserlass Niedersachsen Abschnitt III Abs. 4 Nr. 3, Vertretung des Landes durch nachgeordnete Stellen außerhalb gerichtlicher Verfahren (RdErl. d. StK vom 12.07.2012 – 201-01461/03 – (Nds. MBl., S. 578) VORIS 20120, zuletzt geändert durch ÄndRdErl. vom 23.03.2020 (Nds. MBl. 2021, S. 546)). Einer zusätzlichen rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung im Einzelfall bedarf es nicht mehr. Bereits in der Verlängerungsverfügung hat die Vergabekammer daher das xxxxxx als Nutzer, vergaberechtlich endvertreten durch das xxxxxx benannt. Allerdings wäre eine Klarstellung im Verfahren durch den Antragsgegner wünschenswert gewesen.

Der streitbefangene Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweiligen Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, die nach den EU-Richtlinien festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich nach Ziffer II.2.4 der Bekanntmachung um Dienstleistung für die Digitalisierung des Posteingangs im xxxxxx und damit um einen Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 103 Abs. 4 GWB. Trotz des Aufgabenbereichs der für den Antragsgegner als Nutzer agierenden Behörde geht die Vergabekammer nicht von einer sozialen oder anderen besonderen Dienstleistung nach § 130 GWB aus.

Weder hat sich der Antragsgegner auf den Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU berufen, noch hat er mit der CPV xxxxxx eine der dort genannten CPV (xxxxxx steigend) verwendet.

Es gibt daher keinen Anhaltspunkt für eine gebotene Anwendung des besonderen Schwellenwerts von 750.000 €, der bei der vorliegenden Kostenschätzung an der Verpflichtung zur europaweiten Vergabe nichts ändern würde. Auf die Wertberechnung nach III. dieses Beschlusses weist die Vergabekammer hin.

Daher geht die Vergabekammer von einem allgemeinen Dienstleistungsvertrag aus, für den gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in der seit 01.01.2022 geltenden Fassung zum Zeitpunkt der Bekanntmachung am 16.11.2022 ein Schwellenwert von 215.000 € gilt. Dieser Schwellenwert wird mit dem geschätzten Nettowert gemäß Ziffer 3 des Vergabevermerks 1) erkennbar überschritten.

Die Antragstellerin ist nach § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Das antragstellende Unternehmen muss für die Antragsbefugnis einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegen, also diejenigen Umstände aufzeigen, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160, Rn. 23). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzungen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 – 2 BvR 2248/04; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB § 160, Rn. 43; vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160, Rn. 34). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 – X ZB 14/06, zitiert nach VERIS).

Die Antragstellerin hat ein Angebot abgegeben, daher ein ernsthaftes Interesse am Auftrag. Sie legt eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Chancen auf den Zuschlag durch angebliche Fehler der Vergabeunterlagen und der Wertung dar. Das ist grundsätzlich ausreichend.

Allerdings muss die Vergabekammer die Antragsbefugnis für jeden Sachverhalt des Nachprüfungsverfahrens prüfen. Ausnahmsweise fehlt die Antragsbefugnis, soweit es sich um offensichtlich irrelevanten Sachvortrag handelt. Dazu gehört die Darstellung, die Antragstellerin habe angenommen, es handele sich um die Erstvergabe einer neu eingerichteten Dienstleistung, tatsächlich liege aber die Neuvergabe einer bereits laufenden Tätigkeit vor.

Im Laufe der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, welche Schlussfolgerungen die Antragstellerin aus ihren Eindrücken bei der Ortsbesichtigung gezogen hat. Rechtliche Relevanz haben diese Schlussfolgerungen für die Vergabekammer nicht.

Ebenso fehlt es an der Antragsbefugnis, wenn aus dem Nachprüfungsantrag und der ersten Einsicht in die Vergabeakte erkennbar wird, dass die Antragstellerin Tatsachen ins Blaue hinein behauptet hat, um sie von der Vergabekammer überprüfen zu lassen. Dies hat sich hier in vier Fällen bestätigt.

Die Behauptung, die Beigeladene habe nicht an der verpflichten Ortsbesichtigung teilgenommen, ist objektiv falsch. Tatsächlich lag dem Angebot der Beigeladenen als Anlage 08 eine Bestätigung vom 23.08.2023 über eine Besichtigung bei. Die Antragstellerin spekuliert hier. Ihr Vortrag wäre nur dann erfolgreich, wenn die Beigeladene als Bestandsauftragneh[1]merin bei der Zusammenstellung der Angebotsunterlagen sorgfaltswidrig gehandelt, und der Antragsgegner überdies solches Verhalten gedeckt hätte.

Die abstrakt ohne Sachverhalt vorgetragene Behauptung, die Beigeladene habe an der Erstellung der Vergabeunterlagen mitgewirkt, bleibt unbelegt. In der mündlichen Verhandlung hat die Antragstellerin dies mehr als Frage formuliert, der Antragsgegner hat das stets bestritten und auf die gleiche Ausschreibung des Jahres 2018 verwiesen. Es wäre nicht vergaberechtswidrig, wenn der Auftraggeber versucht, über die Erfahrungen aus dem laufenden Vertrag Optimierungen für die Vergabe des Nachfolgevertrags zu schaffen und darüber mit dem Bestandsauftragnehmer Gespräche führt. Solange er die Gestaltung der künftigen Vergabeunterlagen in seiner Hand behält, ist das unproblematisch (vgl. VK Bund, Beschluss vom 18.09.2020 – VK 2-51/20).

Der Antragstellerin fehlt die Antragsbefugnis hinsichtlich ihrer Behauptung, die Beigeladene sei technisch nicht leistungsfähig, ihr Angebot daher auszuschließen. Die Antragstellerin behauptet, die Beigeladene erfülle nicht die Anforderungen gemäß Ziffer 2.1 und 2.2 der Leistungsbeschreibung Teil B zum Transport von Sendungen. Sie hat weder vorgetragen noch belegt, dass der umfangreiche Text der Bekanntmachung zu III.1.3 eine bieterbezogene Eignungsanforderung gemäß § 46 VgV zu Ziffer 2.1 und 2.2 der Leistungsbeschreibung Teil B enthält. Die Vergabekammer liest die Ziffern 2.1 und 2.2 nicht als Eignungsanforderungen, sondern als Ausführungsvorgaben. Eignungsanforderungen hat der Antragsgegner nur in Ziffer III.1.3 der Bekanntmachung benannt und in Ziffer 1.14 Teil A der Leistungsbeschreibung wiederholt. Damit ist der Vortrag rechtlich irrelevant.

Auf der Sachverhaltsebene ist die benannte Quelle „nach Branchenkenntnis der Antragstellerin“ unsubstantiiert. Der Antragsteller muss schon bei Prüfung der Frage, ob ein Vergaberechtsverstoß zu rügen ist, Erkenntnisquellen ausschöpfen, die ihm ohne großen Aufwand zur Verfügung stehen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.01.2020, Verg 20/19).

Er muss angeben, woher seine Erkenntnisse stammen (OLG Rostock, Beschluss vom 30.09.2021, 17 Verg 3/21; VK Niedersachsen, Beschluss vom 01.02.2016, VgK-51/2015).

Formulierungen wie „nach unserer Kenntnis“, „nach unserer Informationslage“ oder „nach

Marktkenntnis“ genügen nicht. (VK Niedersachsen, Beschluss vom 01.02.2016 VgK51/2015; VK Niedersachsen, Beschluss vom 01.03.2011, VgK-74/ 2010; a.A. OLG Schleswig, Beschluss vom 03.06.2020, 54 Verg 1/20).

Der entgegnenden Darstellung des Antragsgegners, wonach die Beigeladene derzeit bereits den Transport der Sendungen von den xxxxxx Standorten zu ihrem Scanzentrum mit eigenem Personal beanstandungsfrei erfüllt, hat die Antragstellerin nicht mehr widersprochen. Die Antragstellerin hat sich in der mündlichen Verhandlung auf Angaben einer anderen nicht näher benannten Vergabe berufen. Derzeit vermag sie weder rechtlich, noch auf der Sachverhaltsebene zu erklären, warum der Beigeladenen die technische Leistungsfähigkeit fehlen soll.

Der Antragstellerin fehlt die Antragsbefugnis hinsichtlich ihrer Behauptung, es seien unübliche Betriebsführungshandbücher abgefordert worden. Wie der Antragsgegner klargestellt hat, greift die Antragstellerin im Nachprüfungsantrag nicht Inhalte der Leistungsbeschreibung an. Soweit es sich um Inhalte eines der von der Antragstellerin vor der Vergabe erworbenen Zertifikate handelt, fehlt der Auftragsbezug des angeblichen Fehlers. Es wäre eher eine Spezifikations- oder Normkritik an der ISO 27001, die Betriebsführungshandbücher fordern.

Die Antragstellerin hat ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung neu strukturiert. Es handele sich nicht um vorzulegende Dokumente, sondern um den Inhalt des Konzeptes, den nur die Beigeladene als Bestandsauftragnehmerin unter Rückgriff auf die Angaben aus dem Betriebsführungshandbuch sehr gut erstellen könne. Damit richtet sich der Vortrag gegen einen Wissensvorsprung des Bestandsbieters. Der nur durch den Altvertrag entstandene Wissensvorsprung des Bestandsanbieters ist jedoch nicht auszugleichen. Es handelt sich um eine der in keiner Vergabe ausgleichbaren Ungleichheiten (VK Berlin, Beschluss vom 15.05.2020, VK-B1-15/19). Wettbewerbsvorsprünge eines Bieters, der sich aufgrund eines Vorauftrags bereits auf die Besonderheiten des Auftraggebers eingestellt hat, bedürfen keines Ausgleichs durch den Auftraggeber (VK Bund, Beschluss vom 18.09.2020, VK 2-51/20).

Zwar hat die Antragstellerin vor Erhebung des Nachprüfungsantrags am 28.09.2023 eine Rüge erhoben, aber erst nach Ablauf der Angebotsabgabefrist und nach Erhalt der Bieterinformation nach § 134 GWB am 18.08.2023. Damit stehen ihr nur noch Rügen zur Wertung und deren Ergebnis offen, ergänzt um die Informationen, die sie erst während des Nachprüfungsverfahrens erhält, z.B. im Rahmen der Akteneinsicht.

Der Antragsgegner irrt mit seiner Auffassung, der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, weil die Antragstellerin verpflichtet gewesen sei, die Rügeantwort abzuwarten. Mit der Rüge ist kein Zuschlagsverbot verbunden. Dies tritt gemäß § 169 GWB erst mit der Übermittlung des Nachprüfungsantrags an den Antragsgegner ein. Daher kann sich die Antragstellerin nur mit dem Nachprüfungsantrag und dem damit verbundenen Zuschlagsverbot davor schützen, ihre Rechte durch den Zuschlag zu verlieren.

Die Rüge von Fehlern der Vergabeunterlagen verwehrt ihr § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB. Nach dieser Vorschrift ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit er sich auf Verstöße gegen Vergabevorschriften stützt, die aufgrund der Vergabeunterlagen erkennbar waren, aber nicht spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt worden sind. Die Antragstellerin hat gegenüber dem Antragsgegner bis zum Ablauf der Angebotsabgabefrist keine Rüge erhoben. Sie hat sich damit den zum Abruf bereitgestellten Vergabeunterlagen in vollem Umfang unterworfen.

Bei der Vorschrift des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln, sondern frühestmöglich auf transparente Vergabeunterlagendringen. Dabei muss er hinnehmen, dass auch Konkurrenten von den verbesserten Vergabeunterlagen profitieren können. Der Auftraggeber soll die Möglichkeit erhalten, Vergaberechtsfehler im frühestmöglichen Stadium zu korrigieren (Wiese in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 160 GWB, Rn. 95). Die Rügeobliegenheit gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB entsteht, sobald im Vergabeverfahren ein vermeintlicher Fehler für einen durchschnittlich erfahrenen und hinreichend sorgfältigen Bieter erkennbar ist.

Es handelt sich nicht um eine Verpflichtung des Bieters, sondern nur um dessen Obliegenheit, denn es steht ihm frei, sich auf das angeblich fehlerhafte Verfahren einzulassen. Es steht ihm sogar frei, von etwaigen Fehlern der Vergabeunterlagen zu profitieren, weil er Nachträge erkennt oder sich eine gute Bewertung erhofft. Auf ungerügte Fehler kann ein Bieter sich dann aber nachträglich nicht mehr berufen (Hofmann in: Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, 2. Auflage 2022, § 160, Rn.43). Er darf insbesondere nicht mit der Rüge warten, bis er erfährt, dass ein anderer den Zuschlag erhalten soll.

Eine Ausnahme hiervon gilt nur für Fehler, die objektiv nicht erkennbar waren. Es kommt bei der Präklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Nr. 3 GWB auf die objektive Erkennbarkeit für einen durchschnittlichen Anbieter an, nicht auf die tatsächliche Erkenntnis beim Bieter. Der Begriff der Erkennbarkeit ist weiter als der Begriff der Erkenntnis.

Erkennbar sind Vergaberechtsverstöße, die von einem Durchschnittsbieter bei üblicher Sorgfalt und den üblichen Kenntnissen erkannt werden (vgl. Hofmann in: Müller-Wrede GWB Vergaberecht, 2. Auflage 2022, § 160, Rn.75; Summa in: Heiermann/ Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 160 GWB, Rn. 266 ff.; Wiese in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 160 GWB, Rn. 137 f.). Die Erkennbarkeit muss sich dabei sowohl auf die den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 27.02.2020, 13 Verg 5/19; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.03.2018 – Verg 54/17, ZfBR 2019, 74, beck-online; Beschluss vom 03.08.2011, VergabeR 2012, 227; Kadenbach in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 5. Aufl., § 160 GWB, Rn. 77). Für die Erkennbarkeit gelten in jeder Vergabe einheitliche Maßstäbe.

Das OLG Naumburg (OLG Naumburg, Beschluss vom 01.03.2021, 7 Verg 1/21) meint berechtigt, bei der Erkennbarkeit sei zu berücksichtigen, dass sich Ausschreibungen an relativ überschaubare Gruppen hochspezialisierter Unternehmen richten, welche jeweils einen bedeutenden Anteil an ihrem Gesamtumsatz mit öffentlichen Aufträgen erwirtschaften und wegen der typischerweise hohen Nettoauftragswerte regelmäßig an EU-weiten Ausschreibungen teilnehmen. Dem folgt die Vergabekammer für Vergaben der Dienste zur Digitalisierung des Posteingangs, weil der Anbieterkreis sehr klein erscheint, was auf eine hohe Spezialisierung hindeutet. Die Antragstellerin kann Vergabeunterlagen fachkundig interpretieren.

Die aktuelle Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zur Rügeobliegenheit (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.03.2021, Verg 9/21) legt den Fokus auf die Vermeidung von Verzögerungen und die Abwehr missbräuchlicher Rügen. Sie ist streng und verlangt vom Bieter erhebliches Engagement. „Da die Rüge den öffentlichen Auftraggeber in die Lage versetzen soll, einen etwaigen Vergaberechtsverstoß zeitnah zu korrigieren, ist es unabdingbar, dass der Antragsteller – um unnötige Verzögerungen des Vergabeverfahrens zu vermeiden und einem Missbrauch des Nachprüfungsverfahrens vorzubeugen – bereits frühzeitig diejenigen Umstände benennt, aufgrund derer er vom Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes ausgeht“.

Die Erkennbarkeit der Tatsachen fällt Bietern regelmäßig leichter, als die Erkennbarkeit rechtlicher Wertungen (Hoffmann in: Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 160, Rn. 74).

Die Vergabekammer hat keinen Zweifel daran, dass die Antragstellerin die von ihr dargestellten Unstimmigkeiten der Vergabeunterlagen auf der Tatsachenebene schon in der Angebotsphase erkennen konnte. Dazu gehören die geringe Bedeutung des Preises, verursacht durch eine geringe Gewichtung und eine flache Abstufung in der Wertung, ebenso die hohe Gewichtung des Konzepts ohne inhaltliche Gliederung oder Einschränkung, ergänzt durch eine in der mündlichen Verhandlung nicht erklärbare Wertungslinie. Ob der Antragstellerin bereits in der Ortsbesichtigung am Standort xxxxxx bewusst wurde, dass es bereits einen Bestandsauftragnehmer gab, konnte in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend geklärt werden.

In rechtlicher Hinsicht ist zu differenzieren. Der durchschnittliche Bieter beteiligt sich nicht zum ersten Mal an einer Ausschreibung, sondern verfügt bereits über eine gewisse Erfahrung im Vergabeverfahren. Erkennbar sind daher nur solche Verstöße, die ein durch[1]schnittlicher Bieter zumindest als rechtlich problematisch einstufen würde. Beruht der Verstoß dagegen auf einer Auslegung der Gesetze und einer Spruchpraxis der Vergabenachprüfungsinstanzen, ist entscheidend für die rechtliche Erkennbarkeit, ob diese Entscheidungen dem relevanten Bieterkreis bereits bekannt sein wird (Hoffmann in: Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 160, Rn. 75). Die Vergabekammer Niedersachsen hat sich u.a. mit Beschluss vom 11.08.2020, (VgK-16/2020) mit der Rügeobliegenheit und der Erkennbarkeit von Fehlern der Vergabeunterlagen befasst. Objektiv erkennbar ist für einen durchschnittlichen Bieter all das, womit er sich während der Kalkulation auseinandersetzen muss. Der durchschnittliche Bieter wird sich die qualitativen Kriterien und die Wertung der Preise ansehen. Er wird überprüfen, welche Auswirkungen eine Veränderung des Preises und der Qualität auf die Wertung seines Angebotes haben.

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen erscheint für die Vergabekammer die Frage, ob es sich bei den aufgabenspezifischen Merkmalen zum Unterkriterium „Konzept“ der Bewertungsmatrix um Handreichungen im Sinne mindestens zu bearbeitender Inhalte oder um echte Unterkriterien handelt, für die Angebotserstellung nicht offensichtlich relevant und für einen durchschnittlichen Bieter nicht erkennbar. Die Abgrenzung von Unterkriterien zu Handreichungen ist rechtlich schwierig. Die Kasuistik der Rechtsprechung (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.04.2022, 11 Verg 11/21; OLG Celle, Beschluss vom 02.02.2021, 13 Verg 8/20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019 ,VII-Verg 6/19; OLG Celle, Beschluss vom 07.11.2013, 13 Verg 8/13; VK Niedersachsen, Beschluss vom 15.10.2021, VgK-36/2021; VK Niedersachsen Beschluss vom 10.07.2020, Vgk-12/2020; VK Bremen,Beschluss vom 24.04.2020, 16 VK 2/20) erzeugt kein einheitliches Bild.

Die VK Baden-Württemberg (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.04.2021, 1 VK 3/21) verfolgt einen interessanten Weg, der den Antragsteller im Nachprüfungsverfahren verpflichtet, konstruktiv zu den eigenen Angebotschancen vorzutragen. Nach Auffassung der VK Baden-Württemberg entfällt die Antragsbefugnis, wenn eine Antragstellerin nicht vorträgt, „wie sie ihr Angebot anders strukturiert hätte, wenn sie die Gewichtung der Unterkriterien gekannt hätte. Hätte sie ihr Angebot nicht anders abgegeben, fehlt es ersichtlich an einer Chancenverschlechterung durch diesen Vergabeverstoß, so dass sie sich nicht mit Erfolg darauf berufen kann.“ Diese Sichtweise ist geeignet, die Rügepräklusion in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Nr. 3 GWB gegen Versuche zu schützen, sie mit dem Argument der fehlenden Erkennbarkeit zu unterlaufen.

Die Antragstellerin ist mit dem Einwand ausgeschlossen, der Antragsgegner habe Aspekte der Zeitplanung doppelt bewerten wollen. Aus Ziffer 1.18 der Leistungsbeschreibung Teil A und der Datei „Bewertungsmatrix“ ist deutlich erkennbar, dass sowohl der Zeitplan, als auch die Gewährleistung der Einhaltung des Zeitplans nebeneinander in die Bewertung des Konzeptes einfließen sollten. Die angebliche Doppelbewertung war daher aus den Vergabeunterlagen klar erkennbar. Sie hätte bis zum Ablauf der Angebotsabgabefrist gerügt werden müssen.

Ebenso ist die Antragstellerin mit dem Einwand ausgeschlossen, der Antragsgegner habe unter der Auftragsbekanntmachung III.1.3 Eignungs- und Zuschlagskriterien miteinander vermengt. Ein solcher Verstoß wäre zumindest aus dem Vergleich der Bekanntmachung mit den Vergabeunterlagen erkennbar. Darüber hinaus liegt er offensichtlich nicht vor, weil die Anforderung der Bekanntmachung lediglich einfordert, dass das dort genannte Personal uneingeschränkt verfügbar sein muss. Dies ist deutlich etwas anderes als die Bewertung der Organisation, Qualifikation und Erfahrung des einzusetzenden Personals nach § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV. Der Antragsgegner hat von der letzteren Möglichkeit ausweislich der Darstellung in Ziffer 1.18 der Leistungsbeschreibung Teil A und der Datei „Bewertungsmatrix“ Gebrauch gemacht. Insofern war der angebliche Verstoß bis zum Ablauf der Angebotsfrist zu rügen.Mit ihrem Vortrag, die Vergabeunterlagen enthielten Anforderungen, welche nach der Branchen- und Marktkenntnis unüblich und speziell seien, ist die Antragstellerin nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Nr. 3 GWB ausgeschlossen. Sowohl in der Bekanntmachung unter III.1.3, als auch in den abgeforderten Angebotsunterlagen wurden unter Ziffer 1.14 Teil A der Leistungsbeschreibung Zertifikate gefordert und unter 7.4. Teil B der Leistungsbeschreibung Rechenzentrumsleistung. Dies ist ein zur Angebotskalkulation relevanter Sachverhalt, der sowohl auf der tatsächlichen als auf der rechtlichen Ebene leicht zu erkennen ist. Er ist daher spätestens bis zum Ablauf der Angebotsabgabefrist zu rügen.

Die Antragstellerin ist mit dem Einwand ausgeschlossen, der Antragsgegner habe unzulässig einen Mittelwert aus den Beurteilungen der Mitglieder des Wertungsgremiums gebildet. Diese beabsichtigte Vorgehensweise ist aus Ziffer 1.19 der Leistungsbeschreibung Teil A ableitbar und sehr klar in einer Fußnote der „Bewertungsmatrix“ dokumentiert, daher einfach erkennbar. Es bedarf keiner komplexen rechtlichen Würdigung, um das zu erfassen. Insofern war der angebliche Verstoß bis zum Ablauf der Angebotsfrist zu rügen.

Für die Antragstellerin war bereits in der Angebotsphase objektiv erkennbar, dass die Wertung des Konzeptes mit den Abstufungen 400, 200, 100 Punkte gerade bei der wettbewerblich relevanten Wertung guter Angebote steil abfällt. Der Antragsgegner hat die beilinearer Staffelung zu erwartende Kategorie von 300 Punkten wegfallen lassen. Der Antragstellerin musste angesichts der Gewichtung mit 40 % daher bei angemessener Sorgfalt in der Angebotserstellung bewusst sein, dass ein Angebot, das von der Mehrheit der Bewerter hier nur die zweitbeste Note erhält, kaum zuschlagsfähig sein würde. Diese Gestaltung wäre bei einer Preiswertung unzulässig, weil die Wertung nicht der Steigerung der Wirtschaftlichkeit folgt. Ob eine Abweichung von der linear gestaffelten Wertung bei der Qualitätswertung zulässig sein kann, ist wegen der Präklusion hier nicht zu entscheiden.

Die steile Abstufung zwingt alle Bieter, gute und überzeugende Konzepte einzureichen.

Die Antragstellerin kann ihren Nachprüfungsantrag zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr auf die angeblich ursprünglich unzureichende Bieterinformation über den beabsichtigten Zuschlag stützen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 6/19; OLG Celle, Beschluss vom 12.05.2016, 13 Verg 10/15; VK Niedersachsen, Beschluss vom 22.08.2022, VgK-15/2022). Der Einwand eines möglicherweise unzureichenden Informationsschreibens nach § 134 GWB erledigt sich regelmäßig durch die Einreichung des Nachprüfungsantrags, spätestens aber mit Antragserwiderung. Zweck der Regelung ist die Gewährleistung eines effektiven Primärrechtsschutzes für Bieter gegen eine sie benachteiligende Vergabeentscheidung (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.08.2019, 15 Verg 10/19; OLG München, Beschluss vom 12.05.2011, Verg 26/10 = NZBau 2011, Seite 630 ff., 634). Die Antragstellerin kann und muss mit Einreichung des Nachprüfungsantrags umfassend die Verletzung ihrer subjektiven Rechte geltend machen.

Was ihr weder aufgrund der Bieterinformation bekannt war noch aufgrund der Vergabeunterlagen erkennbar war, ist von der Rügepräklusion nicht betroffen. Der Zweck des § 134 GWB ist daher regelmäßig und so auch hier mit dem fristgerechten Nachprüfungsantrag vor Zuschlagserteilung erschöpft.

Ein ausschließlich aufgrund einer angeblich unzureichenden Bieterinformation erhobener Nachprüfungsantrag wäre spätestens nach einer inhaltlich aussagekräftigen Antragserwiderung für erledigt zu erklären, um eine Kostenentscheidung zu Lasten des Antragstellers zu verhindern. Das vorgebrachte Argument der angeblich unzureichenden Bieterinformation scheint hier überbewertet.

Soweit sich der Nachprüfungsantrag auf gerügte Sachverhalte der Wertung selbst bezieht, ist er zulässig. Hier greift eine andere Ausschlussfrist als oben dargestellt. Nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von 10 Kalendertagen gerügt hat. Sachverhalte zur Wertung erfährt der Bieter regelmäßig erst mit Erhalt der Bieterinformation nach § 134 GWB. Die Antragstellerin hat ihre Rüge vom 28.09.2023 binnen 10 Tagen nach Erhalt der Bieterinformation vorgebracht. Soweit darin Inhalte zur Art und Weise der durchgeführten Wertung enthalten sind, die im Nachprüfungsantrag wiederholt werden, ist der Nachprüfungsantrag zulässig. Das betrifft allerdings nur die Behauptungen, dass nicht auf Basis der Einzelbewertungen eine Durchschnittsnote ermittelt worden sei (Blatt 3 der Rüge). Hinzu kommt der nicht präkludierte Vortrag zu den Unterkriterien (Blatt 2 der Rüge) und die in der Darstellung zur unzureichenden

Bieterinformation enthaltene Kritik an den Wertungen (Blatt 4 der Rüge).

2. Die Antragstellerin ist weder durch die Gestaltung der Hinweise zu den Konzepten, noch durch die Wertung in ihren Rechten aus § 97 Abs. 1, Abs. 6 GWB verletzt.

a. Der Antragsgegner hat zur Konzeptwertung keine abschließenden Unterkriterien benannt, daher nicht gegen § 127 Abs. 5 GWB verstoßen. Der Antragsgegner hat in der Bewertungsmatrix bei dem Unterkriterium „Konzept“ aufgabenspezifische Merkmale festgelegt, die die Antragstellerin als ungewichtete Unterkriterien ansieht, welche gegen das Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 GWB verstoßen. Der Antragsgegner argumentiert, es handele sich lediglich um Ausführungen zu den Inhalten, die im Konzept von jedem Bieter angesprochen und beschrieben werden müssten. Eine Gewichtung sei erst dann erforderlich, wenn es auch unterschiedliche Kategorien gebe. Hier handele sich aber um einen einheitlichen Vorgang. Genauere Angaben hätten zu einer Begrenzung des Wettbewerbs geführt. Beide berufen sich auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, VII-Verg 6/19).

Die Vergabekammer hat daher zu entscheiden, ob sich der Antragsgegner in Ziffer 1.18 der Leistungsbeschreibung Teil A nur mit sachgerechten Hinweisen zur Erstellung der Konzepte bemüht, den Bietern Hilfen zur Erstellung der Konzepte zu geben, oder ob dies Unterkriterien sind. Unterkriterien sind nach § 127 Abs. 5 GWB mindestens in den Vergabeunterlage bekannt zu geben. Das bedeutet aufgrund des § 41 VgV, sie müssen vorab dem Bieter zur Verfügung stehen. Der genauere § 127 Abs. 5 GWB verdrängt den von der Antragstellerin genannten allgemeinen Transparenzgrundsatz.

Die von beiden Verfahrensbeteiligten zitierte Entscheidung des OLG Düsseldorf ist hier nicht übertragbar, weil das OLG Düsseldorf in einem Fall mit bereits gewichteten Unterkriterien über die Wertung des Auftraggebers entschieden hat. Ob eine Gewichtung von Unterkriterien erforderlich ist, ist dieser Entscheidung nicht zu entnehmen. Erwägungen in dem von der Antragstellerin vorgetragenen Sinne erhoben mehrere OLG (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.04.2022, 11 Verg 11/21; OLG Celle, Beschluss vom 02.02.2021, 13 Verg 8/20, Ziffer 1a; OLG Celle, Beschluss vom 25.03.2021, 13 Verg 1/21). Unterkriterien seien nach OLG Celle solche Kriterien, die der Ausfüllung und näheren Bestimmung eines Hauptkriteriums dienen und präziser darstellen, worauf es dem Auftraggeber ankomme (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.09.2020 – 11 Verg 7/20, juris, Rn. 72). Das sei der Fall, wenn der Auftraggeber die Aufzählung der Aspekte mit dem Hinweis einleite, dass er diese Aspekte im Rahmen der Wertung des Konzepts beurteilen werde und dass die Aspekte abschließend zu verstehen seien.

Unterkriterien könnten hier vorliegen, weil die geforderten inhaltlichen Angaben üblicherweise als Unterkriterien verwendet werden. Das betrifft insbesondere das Merkmal „Zeitplan“ welches mit den Ausführungsfristen in § 58 Abs. 2 Nr. 3 VgV übereinstimmt, das Merkmal „Qualifikation des eingesetzten Personals“ welches in § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV steht, und „Qualitätssicherungs- und Verbesserungsmanagement“, welches in etwa dem Kundendienst in § 58 Abs. 2 Nr. 3 VgV entspricht. Allerdings fehlt es an der vom OLG Celle (OLG Celle, Beschluss vom 02.02.2021, 13 Verg 8/20, Ziffer 1a) geforderten abschließenden Auflistung. Das OLG Celle hat seinerzeit eine im Sinne der Antragstellerin weitergehende Entscheidung der VK Niedersachsen teilweise aufgehoben. Das OLG hat dem öffentlichen Auftraggeber mit dem gesetzlich nicht normierten Tatbestand einer abschließenden Auflistung Spielraum eingeräumt. Dem folgt die Vergabekammer unter Berücksichtigung der Verfahrensrisiken für die Verfahrensbeteiligten.

Der Antragsgegner formuliert unter Ziffer 1.18 Teil A der Leistungsbeschreibung: „Dabei ist auf die folgenden Bereiche einzugehen“. Es fehlt das abschließende „nur“ oder eine vergleichbare Beschränkung. Daher ist es hier möglich, neben einer brauchbaren Darstellung zu den vom Antragsgegner benannten Pflichtinhalten auch aufgrund einer besonders gelungenen Darstellung anderer Inhalte eine sehr gute Konzeptbewertung zu erhalten. Weil der Umfang des Konzeptes vom Antragsgegner nicht begrenzt wurde, wäre es der Antragstellerin möglich gewesen, zu jedem markierten Punkt das Beste im ihrer Ansicht nach hilfreichen Umfang vorzutragen, und darüber hinausgehend im Freitext alle Stärken ihres Konzept darzustellen. Es handelt sich daher eher um inhaltliche Mindestanforderungen als Zuschlagskriterien.

b. Die Antragstellerin ist nicht in ihren Rechten aus § 97 Abs. 1, Abs. 6 GWB verletzt, weil der Antragsgegner angeblich nicht richtig auf Basis der Einzelbewertungen eine Durchschnittsnote ermittelt hat. Es sei unzulässig, dass die interne Willensbildung der einzelnen Bewerter ungefiltert Grundlage der Wertungsentscheidung werde. Es werde angezweifelt, dass auf Basis der Einzelbewertungen eine Durchschnittsnote ermittelt worden sei. Die Bildung einer Durchschnittsnote der einzelnen Bewerter sei unzulässig. Es hätte eine einheitliche Bewertung durch den Auftraggeber erfolgen müssen.

Soweit der Vortrag einerseits darstellt, die Einzelbewertungen hätten nicht ungefiltert Grundlage der Wertungsentscheidung werden dürfen, andererseits bezweifelt, dass auf Basis der Einzelbewertungen eine Durchschnittsnote ermittelt worden sei, ist der Vortrag in sich widersprüchlich. Die Antragstellerin lässt auch nach Akteneinsicht und nach der Erörterung offen, wie der Antragsgegner die Bewertung durchgeführt haben soll. Die Vergabekammer prüft dennoch beide Einwendungen.

Die Befürchtung, es sei nicht auf Basis der Einzelbewertungen eine Durchschnittsnote ermittelt worden, wird aus der der Antragstellerin im Wege der Akteneinsicht offengelegten Dokumentation widerlegt. Es gibt 3 Stellungnahmen mit Weiserzeichen verschiedener Organisationseinheiten, die persönlich jeweils mit Namen unterzeichnet sind, nämlich von 3Z 3.11, von 3Z5 IT und von SR. Alle Bewertungen kommen zu demselben Ergebnis. Der Antragsgegner hat in der Antragserwiderung die sprachliche Ungeschicklichkeit in der Floskel „unseres Erachtens“ überzeugend erklärt.

Die von der Antragstellerin aufgeworfene Frage, wie das arithmetische Mittel zu ermitteln sei, und ob es dazu Vorgaben gebe, ist formal nicht überflüssig, wirft hier in der tatsächlichen Umsetzung aber keine Probleme auf, weil alle Bewerter zu gleichen Ergebnissen kamen. Indizien für eine vorherige Absprache hat die Antragstellerin nicht vorgetragen, sind auch der Vergabekammer nicht erkennbar.

Die Vergabekammer hätte auch bei abweichenden Ergebnissen mit der Anwendung einer erwartbaren mathematischen Regelung wie der Addition der einzelnen Punkte und Division durch die Zahl der Bewerter keine Probleme. Nach der „Dimarso“ Entscheidung des EuGH (EuGH, Urteil vom 14.07.2016, C-6/15, Rn. 27, 37) ist der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet, die Berechnungsmethode vorab den Bietern zur Kenntnis zu geben (ebenso OLG Rostock, Beschluss vom 03.02.2021, 17 Verg 6/20). Verboten ist lediglich die Anwendung einer Bewertungsmethodik, welche die Wertungsreihenfolge verändert. Die VK Bund hat ergänzend entschieden, dass die Vergabestelle Details zur Arbeitsweise des Bewertungsgremiums nicht bekannt geben muss (VK Bund, Beschluss vom 23.08.2022 – VK 2-66/22). Den Entscheidungen des EuGH und der VK Bund folgt die Vergabekammer uneingeschränkt, weil es nicht Ziel des Vergabenachprüfungsverfahrens sein soll, den formalen Aufwand für die Vergabestelle zu erhöhen, sondern dem Antragsteller, dem durch eine ungerechte Bewertung Schaden droht, Rechtsschutz zu gewähren. Folgte man der anwaltlich vertreten Antragstellerin, so erhöhte sich der Aufwand für die Vergabestelle unverhältnismäßig, obwohl sich bei der Prüfung dieser Wertung keine schwerwiegenden Fehler erkennen lassen.

Auch wenn die EuGH-Entscheidung formal noch zur Vorgängerrichtlinie ergangen ist, so erging sie doch bereits nach Erlass der geltenden Vergaberichtlinie 2014/24 EU und ist daher so abgefasst, dass sie dieser Richtlinie nicht widerspricht. Auf nationaler Ebene werden die Nachprüfungsinstanzen in § 163 Abs. 1 Satz 4 GWB dazu angehalten, bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf zu achten, dass der Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen beeinträchtigt wird. Die Vergabekammer soll den Vergabestellen nicht mit formalen Anforderungen ohne Entscheidungsrelevanz die Arbeit er[1]schweren.

Da sich der Antragsgegner durch Ziffer 1.18 Teil A der Leistungsbeschreibung mit dem dort vorhandenen Verweis auf die Datei „Bewertungsmatrix“ im Verfahren zum Abgleich der individuelle Bewertungsnoten vorab festgelegt hat, musste er so verfahren wie dargestellt. Es ist daher kein Fehler, sondern die konsequente Umsetzung der Vorgaben aus den Vergabeunterlagen, dass der Antragsgegner eine Durchschnittsnote aus den ungefilterten Einzelbewertungen gebildet hat. Die Zusammenfassung von Bewertungen zu einer einheitlichen Note ist nur dann zulässig, wenn sie in den Vergabeunterlagen vorher so festgelegt worden ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.10.2019, Verg 6/19). Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin ist bei diesem Verfahren nicht erkennbar.

c. Die Antragstellerin ist nicht in ihren Rechten aus § 97 Abs. 1, Abs. 6 GWB verletzt, weil sie die nach § 8 VgV dokumentierten Wertungen der Bewerter nicht überzeugend findet. Die Vergabekammer kann den nach § 8 VgV formal ausreichend dokumentierten, weil vollständig ausgedruckten Wertungen durchaus schlüssige und nachvollziehbare Darstellungen zu den abgegebenen Konzepten entnehmen. Die Bewertung ist plausibel (vgl. zum Prüfungsmaßstab VK Westfalen, Beschluss vom 19.07.2023 – VK 3-15/23).

Es war nicht erforderlich, das Wertungsfenster vorab inhaltlich zu umreißen. Das OLG Celle hat in einer vergleichbaren Entscheidung (OLG Celle, Beschluss vom 02.02.2021, 13 Verg 8/20, Ziffer 1 b) inhaltlich überzeugend hervorgehoben, dass der Auftraggeber den Bietern mit einer inhaltlich offenen, funktionalen Leistungsbeschreibung gestatten kann, ihre Kenntnisse in die Angebotserstellung einfließen zu lassen.

Erläuterungen und Erwartungen zu den Konzepten seien nicht erforderlich. Einer Besorgnis der Intransparenz sei durch die Dokumentation zu begegnen. Letzteres ist hier geschehen.

Der Antragsgegner hat als öffentlicher Auftraggeber einen eigenen Beurteilungsspielraum, in den die Vergabekammer nicht eingreifen darf. Das OLG Düsseldorf (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2021, Verg 22/20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 6/19, Rn. 102, juris) hat mehrfach auf diesen eingeschränkten Prüfungsmaßstab der Nachprüfungsinstanzen hingewiesen. Der Prüfungsmaßstab der Nachprüfungsinstanzen beschränkt sich auf eine reine Rechtskontrolle. Sie haben darauf zu achten, nicht in die Entscheidungsspielräume (Beurteilungs- bzw. Ermessensspielräume) des Auftraggebers einzugreifen. Das Ermessen des Auftraggebers ist von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt dahin überprüfbar, ob er es überhaupt ausgeübt hat, ob er das vorgeschriebene Verfahren eingehalten hat, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und keine sachwidrigen Erwägungen in die Wertung hat einfließen lassen.

Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Bewertung und Benotung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine diesbezüglichen Bewertungsentscheidungen sind in diesem Rahmen insbesondere auch daraufhin überprüfbar, ob die jeweiligen Noten im Ver[1]gleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden (BGH, Beschluss vom 04.04.2017, X ZB 3/17, Rn. 53, juris). Dabei trifft die Vergabekammer jedoch keine eigene Wertungsentscheidung, sondern überprüft die Entscheidung der Vergabestelle auf Grundlage der zuvor aufgestellten vergaberechtlichen Anforderungen. Hierzu gehört die vollständige und zutreffende Sachverhaltsermittlung sowie die Beachtung der von der Vergabestelle selbst aufgestellten Vorgaben.

Darüber hinaus dürfen keine sachwidrigen und gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßenden Erwägungen angestellt werden (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.04.2021, 1 VK 3/21, Datenbank VERIS; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 6/19, Rn. 102, juris).

Der Vergleich der dokumentierten Wertungen der drei Bewerter lässt erkennen, dass sie den Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt haben, die Vorgaben der Vergabestelle berücksichtigten und ihre Entscheidung weder sachwidrig erscheint, noch gegen allgemeine Wertungsgrundsätze verstößt. Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin ist daher insgesamt nicht erkennbar.

d. Die Antragstellerin ist nicht in ihren Rechten aus § 97 Abs. 1, Abs. 6 GWB verletzt, weil der Antragsgegner bereits vor Ablauf der Frist zur Nachforderung von Unterlagen in das Wettbewerbsregister Einsicht nahm. § 6 WRegG setzt keine Frist für die frühestmögliche Einsichtnahme, sondern verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber lediglich, vor der Erteilung des Zuschlages bei der Registerbehörde abzufragen, ob im Wettbewerbsregistereintragungen an demjenigen Bieter, an denen der öffentliche Auftraggeber den Auftrag zu vergeben beabsichtigt, gespeichert sind. Es ist daher jedenfalls nicht vergaberechtlich, sondern allenfalls datenschutzrechtlich zu problematisieren, wenn der öffentliche Auftraggeber zu einem früheren Zeitpunkt als nach Abschluss der Angebotsprüfung eine Abfrage beim Wettbewerbsregister stellt. Für die hier ausschließlich zu erörternde Chance der Antragstellerin auf den Zuschlag hat dies keine Relevanz.

e. Die Antragstellerin ist nicht in ihren Rechten aus § 97 Abs. 1, Abs. 6 GWB verletzt, weil der Rücklauf der Nachforderung zum Angebot der Beigeladenen ungeklärt geblieben ist. Der Antragsgegner hat am 06.09.2023 die Beigeladene aufgefordert, eine Eigenerklärung zur Wahrung des Datenschutzes abzugeben und ein Zertifikat über den Sprachlevel der Ansprechpersonen nachzureichen. Der Rücklauf fehlt in der Dokumentation, dies ist daher nach § 8 VgV unvollständig. Relevanz auf die Auftragsvergabe hat dies nicht, weil der Antragsgegner in der Leistungsbeschreibung Teil B 7.6 nicht zwingend ein Sprachzertifikat gefordert hat, sondern auch mit einer Eigenerklärung zufrieden war. Eine solche lag dem Angebot der Beigeladenen bei, so dass aus der fehlenden Antwort auf die Nachforderung keine Ausschlussfrist geschlossen werden kann.

Auch zum Datenschutz lag bereits mit dem Angebot die geforderte Eigenerklärung bei.

Der Dokumentationsfehler ist daher belanglos.

Es gibt daher keinen Grund, mit einer Maßnahme nach § 168 GWB auf das Verfahren einzuwirken, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und die Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern.

 

III. Kosten

Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB.

Die in Ziffer 2 des Tenors festgesetzte Gebühr ergibt sich aus einer Interpolation des Auftragswertes innerhalb des Gebührenrahmens nach § 182 Abs. 2 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 €, die Höchstgebühr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 – 1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

Der zugrunde zu legende Auftragswert beträgt nach dem Angebot der Antragstellerin xxxxxx € brutto. Hierzu ist der Tagesarbeitspreis der Antragstellerin mit den von der Antragsgegner vorgegebenen Jahreszahlen für die fest vorgesehene Vertragslaufzeit von 2 Jahren zu berechnen. Die mögliche Verlängerung durch die Optionen ist wegen der Ungewissheit, ob diese Optionen ausgeübt werden, nur zu 50 % zu berechnen (BGH, Beschluss vom 18.03.2014, X ZB 12/13; BayObLG, Beschluss vom 25.07.2022, Verg 6/22). Die Vergabekammer legt daher den dreifachen Jahreswert zugrunde. Dieser Betrag entspricht dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.

Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx € brutto ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmungen in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostenlast folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Der Begriff der Kosten umfasst die Gebühren und die Auslagen der der Vergabekammer. Für die Ermittlung des Unterliegens ist nicht auf einen etwaigen Antrag abzustellen. Gemäß § 168 Abs. 1 Satz 2 GWB ist die Vergabekammer an Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Da die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat sie die Kosten zu tragen.

Etwaige Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Nach § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB sind Aufwendungen des Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie aus Billigkeitsgründen der unterlegenen Partei auferlegt. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit voraus, dass der Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010 – Verg W 10/09, zitiert nach juris, Tz. 46; OLG Celle Beschluss vom 29.06.2010, 13 Verg 4/10, zit. nach ibr-online). Hier hat die Beigeladene sich nicht geäußert, war auch im Termin nicht anwesend. Es gibt daher keinen Grund, sie in die Kostenentscheidung mit einzubeziehen.

Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von xxxxxx € unter Angabe des Kassenzeichens x x x x x x auf folgendes Konto zu überweisen: xxxxx

 

  1. Rechtsbehelf

Gemäß § 171 GWB kann gegen diese Entscheidung der Vergabekammer sofortige Beschwerde eingelegt werden. Diese ist beim Oberlandesgericht Celle, Schloßplatz 2, 29221 Celle, schriftlich einzulegen. Die Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1 GWB binnen einer Notfrist von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung einzulegen.

Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für

Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.

Die Beschwerde ist bei Gericht als elektronisches Dokument einzureichen. Dieses muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Dies gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind. Ist die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 2 GWB mit ihrer Einlegung zu begründen.

Die Beschwerdebegründung muss enthalten:

  1. die Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten wird und eine abweichende Entscheidung beantragt wird,
  2. die Angabe der Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Beschwerde stützt.

Mit der Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der Beschwerdeschrift zu unterrichten.

Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer.

Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, so kann das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern.

Gaus

Tiede #

Kehl

Herr Gaus ist krankheitsbedingt an der Unterzeichnung gehindert.

Die Unterschrift wird ersetzt.

Tiede